NRW-Kommunalwahl 2020: War der Wahlkampf eigentlich immer schon so schlecht?

Lokalpolitiker in der Fußgängerzone. Bringt das was? Foto: Robin Patzwaldt

Nächsten Sonntag wird hier bei uns gewählt. In NRW sind bekanntlich Kommunalwahlen angesagt. Wer hier lebt, dem wird der dazugehörige Wahlkampf, obwohl nach Bekunden vieler Beteiligter in diesem Jahr deutlich weniger plakatiert und organisiert wurde, kaum verborgen geblieben sein.

In Zeiten von Corona hat sich auch in diesem Bereich des Lebens viel verändert. Viele Wahlkampfveranstaltungen, die ansonsten in den Gesellschaftszimmern der örtlichen Kneipen oder in den Stadthallen abgelaufen wären, sind notgedrungen ins Netz verlegt worden. Trotzdem findet auch in den örtlichen Fußgängerzonen derzeit wieder so einiges ‚im echten Leben‘ statt. Wirklich faszinierend ist all dies für viele Bürger jedoch nicht. Es scheint häufig so, dass sich die Lokalpolitiker dabei in erster Linie mit sich selber unterhalten und beschäftigen. Da stellt sich einem als interessiertem Bürger doch die Frage: War der Wahlkampf auf lokaler Ebene eigentlich immer schon so schlecht?

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Für immer Werner

Werner Kolter ist Bürgermeister von Unna, seit ich denken kann. Dieses Jahr traut sich niemand, gegen ihn in den Wahlkampf zu ziehen. Dabei ist er kein besonders gewiefter Politiker, kein innovationsgeiler Macher. Die Stadt ist trotzdem verliebt in den Mann – vielleicht, weil sie sich ähnlich sind.

Werner Kolter kam ins Amt, als ich zehn war. Ich wüsste nicht, wer den Job vor ihm gemacht hat. Eine Welt, in der Werner nicht beim Stadtfest das Fass ansticht, liegt außerhalb meines Vorstellungsvermögens.

Unnas Maskottchen ist eigentlich ein Esel. Aber inzwischen könnte es genau so gut Werner Kolter sein. Bei jedem Grillwurst-Kinderschminken Sommerfest, jedem langweiligen Empfang, jeder obligatorischen Weihnachtsfeier ist er zugegen, schüttelt Hände, lächelt, spricht Worte der Begrüßung, steht stramm für Pressefotos. Alle laden ihn ein. Alle finden ihn okay. Parteigrenzen: irrelevant.

Auch weiterhin Kolters Arbeitsplatz: das Rathaus neben der Kirche St. Katharina
Auch weiterhin Kolters Arbeitsplatz: das Rathaus neben der Kirche St. Katharina

Dieses Jahr versucht kein CDU-Mensch, kein Parteiloser, nicht mal ein gelangweilter Puff-Besitzer, gegen den Meister of the Bürgermeisters anzutreten. Es wäre Kandidatenverschwendung. Weil er ja sowieso gewinnt. Im schlimmsten Fall wie bei der letzten Wahl mit beeindruckenden 65% der Stimmen. Kolter bleibt, solange er nicht geht.

Zwar sind in Unna noch keine diktatorischen Zeiten angebrochen – der geneigte Wähler hat im September immerhin die Entscheidungsfreiheit zwischen: „Ja zu Werner“, „Nein zu Werner“ und „Werner, hm, weiß nicht“. Das Wort Bürgermeisterwahl bekommt trotzdem einen höchst ironischen Beigeschmack, wenn auf dem Stimmzettel nur ein Name steht.

Unna ist okay. Irgendwie schön. Der Stadtkern, die Fachwerkhäuser, die Parks. Es gibt ein Kino und Museen und einen Anflug von Kultur, mit der Bahn kommt man gut hin und weg. Natürlich ist da auch Königsborn und das Problem-Quartier Berliner Allee, da ist die Leere, die Überalterung und das Café Extrablatt. Aber selbst diese hässlichen Seiten von Unna rangieren in der Mittelmäßigkeit herum. Stört niemanden. Ist in Ordnung. Wie Werner Kolter.

Diese Mittelstadt mit ihrer mittelmäßigen Größe, ihren mittelgebildeten, mittelverdienenden Einwohnern lässt alles an sich vorbeiziehen. Hitzewellen, Kältetiefs, Schweinegrippen, Finanzkrisen, Nazis. Wie alle Kinder hatte ich früher Angst vor der Vogelgrippe, vor den Bösen und vor Krieg. Aber ich konnte mich stets damit trösten, dass Unna wahrscheinlich viel zu egal ist, um von einer Bombe getroffen oder durch eine Epidemie ausgelöscht zu werden. Eine solche Stadt zu bürgermeistern muss ein gut bezahlter Spaß sein.

Jedoch: selbst hier, in der mittelmäßigsten aller Mittelstädte, hätte ich ein bisschen mehr Unmut über den ausbleibenden Wahlkampf erwartet. Unnaer, was ist mit euch los? Wollt ihr nicht Brot und Spiele, Werbung um eure hohe Gunst, Plakate, Kugelschreiber, Ballons und Podiumsdiskussionen? Erwarten die Medien nicht Füllung fürs Sommerloch oder wenigstens marginale Kritik am allzu selbstbewussten Werner Kolter von irgendeiner Seite?

Der Aufschrei bleibt aus. Noch schlimmer: die Stimmen, die man hört, schlagen vor, die Wahl einfach ganz abzusagen – ist doch nur Geldverschwendung. Um die Wahlmoral zu stärken, haben alle Parteien gemeinsam in Plakate investiert: „Unna geht wählen“ steht darauf, nicht mehr. Dazu wird etwas von demokratischen Rechten daherpalavert, die man nutzen müsste. Eigentlich bin ich ein demokratiegeiler Mensch. Aber wenn dieses Jahr viele unnaer Bürger keinen Gebrauch machen von ihrem demokratischen Recht, Werner Kolter zu wählen – es wäre durchaus verständlich.