Was fällt einem dazu ein? Durch Polen marschierten Zehntausende zum „Unabhängigkeitsmarsch“ mit Pyrotechnik und rechtsextremen Geschrei.
„Gott, Ehre, Vaterland“, „Hier ist Polen und nicht Brüssel“ und eben „Hier ist Polen und nicht Israel!“ schrieen Tausende Vollhonks, am meisten davon in Warschau.
Mir fällt nicht mehr viel dazu ein. Der immer offenere Antisemitismus empört, verletzt, schockiert, macht sprachlos. Die regierende PiS befeuert das Ganze immer wieder, oder zeigt sich zumindest nicht willens die feuer zu löschen, die sie selbst mit entfachte.
Immer hin marschierten die PiS-Vertreter dieses Jahr nicht mit.
Wir sprechen polnisch! In dieser Folge sprechen Bartosz T. Wielinski, Redakteur der größten polnischen unabhängigen Zeitung Gazeta Wyborcza, Lydia Benecke, Diplom-Psychologin mit polnischen Wurzeln und Ruhrbaron Sebastian Bartoschek über die polnischen Verhältnisse. Und zwar auf polnisch – zum einen, um die Deutsch-Polen und die Auslandspolen in Deutschland zu erreichen, zum anderen aber auch, um den Polen in Polen klar zu machen: uns interessiert, was bei euch passiert, und was die PiSser aus Polen machen.
Polen hat seit einigen Wochen ein sog. „Holocaust-Gesetz„. Die Debatten schlugen hoch, gerade aus Israel kam Gegenwind. Nun ist Sicherheitskonferenz in München. Polens Ministerpräsident Morawiecki ist angereist. Ein Journalist fragt ihn, ob er nun in Polen als kriminell angesehen würde, nachdem er berichtet hatte, dass polnische Nachbarn einst seine jüdische Familie bei der Gestapo verraten hätten.
Morawiecki antwortet prompt:
Natürlich wird es nicht strafbar und kriminell sein, wenn man sagt, dass es polnische Täter gab, so wie es jüdische Täter gab, so wie es russische Täter gab, so wie es Ukrainer gab, nicht nur deutsche Täter.
Und plötzlich steht sie im Raum, die Sprache von der jüdischen Mitschuld am Holocaust. Ein Erzählmotiv, das man sonst nur von Holocaustleugner und/ oder Antisemiten gewohnt ist. Morawiecki fällt im Übrigen immer noch nicht auf, dass er immer noch und wieder das Narrativ pflegt, nach dem Polen und Juden unverbundende und getrennte Gruppen sind.
Israels Premier Netanjahu ist wenig begeistert, umgehend twittert er:
Die Aussagen des Polnischen Ministerpräsidenten sind empörend. Es gibt da ein Problem der Unfähigkeit Geschichte zu verstehen und einen Mangel an Sensibilität für die Tragödie der Menschen. Ich habe vor mit ihm darüber zu sprechen.
The Polish Prime Minister’s remarks here in Munich are outrageous. There is a problem here of an inability to understand history and a lack of sensitivity to the tragedy of our people. I intend to speak with him forthwith. pic.twitter.com/ZBNxdpn3hO
Das Ganze passt im Übrigen auch zu der Polen schwelenden Debatte, um polnische Pogrome, ohne deutsche Beteiligung oder Zwang, wie dem Massaker von Jedwabne, bei der über 300 polnische Juden von ihren Nachbarn ermordet wurde.
Polen hat einen neuen Ministerpräsidenten von Kaczynskis Gnaden. Das ist hier an einigen im Lande vorbei gegangen, und diejenigen, die es mitbekamen, werteten es meist als positives Zeichen. Von einer „Annäherung an die EU“ war da die Rede. Dabei übersah man meist, dass der Wolf schlicht Kreide gefressen hatte. Im Rahmen des Erinnerns an die Shoah könnte man nun die Augen öffnen – tut es aber nicht.
„Die Stadt will hier keinen Zirkus einziehen lassen, und Auftritte eines Kenianers erinnern an einen Zirkus mit lebenden Tieren.“
Das ist die Aussage von Ratsmitglied Dariusz Szenko – Mitglied der Regierungspartei Prawo i Sprawiedliwosc (PiS). PiS regiert Polen seit knapp zwei Jahren de facto alleine, und hat in dieser Zeit u.a. die Unabhängige Justiz abgeschafft. Unlängst zogen durch Warschau Tausende von Nationalisten und skandierten u.a. „Reines Blut“ und „Weißes Europa“.
Bei der Betrachtung der Ereignisse in Hamburg dominiert – naturgemäß – in Deutschland die deutsche Perspektive. Was jedoch hält der Blick von Außen parat? Beispielsweise der polnische Blick. Das verrät in diesem Gastbeitrag der Außenressortleiter der „Gazeta Wyborcza“, Bartosz Wielinski.
Am Anfang des Monats wurde die polnische Rechte zwei Mal in den Himmel gebracht. Die erste Himmelfahrt fand am 6. Juli statt, als US – Präsident Donald Trump auf dem Krasinskich – Platz in Warschau seine grandiose Rede gehalten hat. Trump sprach vor dem Denkmal des Warschauer Aufstandes von polnischen Heldentaten und Durchsetzungswillen und bot Polen eine Allianz im Kampf um die Erhaltung der westlichen Zivilisation an.
Die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die Polen seit Oktober 2015 regiert, hat anscheinend nicht genug von innenpolitischen Kriegen. Sie eröffnet eine neue Front und will für das totale Verbot der Abtreibung kämpfen.
Es gab so vielen Debatten zum Thema Abtreibung in Polen, dass man den Eindruck gewinnen kann, dass Polen ein glückliches Land ist. So heftig haben sich die Eliten des Landes nicht gestritten, als es um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder um die Begrenzung der Armut ging. Abtreibung war das Hauptproblem.
Ein Gastbeitrag des Gazeta Wyborcza-Redakteurs Bartosz T. Wielinski.
Bartosz Wielinski arbeitet für die Gazeta Wyborcza, eine der größten polnischen Tageszeitung. Im Gespräch mit Sebastian Bartoschek erläuterte er am 8.5.2016 die aktuelle Situation in Polen.
Polen – Wie wir mehrfach berichtet haben, ist Polen seit der Machtübernahme der „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) auf dem Weg, sich von freiheitlich demokratischer Grundordnung zu entfernen. Das Verfassungsgericht wird politischer Kontrolle unterworfen, die staatlichen Fernsehsender ebenso. Aus Protest gegen diesen „Staatsumbau“ (PiS-Sprech) traten unlängst fünf ranghohe Generäle zurück. Staatspräsident Duda schockt nun mit seinen Aussagen.
Man weiss gar nicht mehr, wo man anfangen soll, wenn man die Ereignisse im PiS-Polen skizzieren will. Die völkisch-nationalistische PiS versucht Polen nach Ungarischem Vorbild umzubauen, und noch darüber hinaus zu gehen. Fremden- und Europahass ist ebenso an der Tagesordnung, wie die Hofierung dogmatisch-erzkatholischer Gruppierungen, und eine Aushöhlung
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