Letztes Jahr war ich sechs Monate in Japan. Ich habe mich dort ganz doll amüsiert. Aber jetzt, wo ich längst wieder da bin, muss ich doch noch was loswerden, das mir schon lange auf der Seele brennt. Also raus damit: Ich verabscheue japanische Popmusik aus ganzem Herzen! Alles, ja wirklich alles, was unter dem Label „J-Pop“ durch den Äther geistert, ist widerlicher, unerträglicher, musikalischer Müll. Ausnahmen gibt es keine, diese Regel bestätigt sich ganz von alleine. Von unserem Gastautor Hanno Jentzsch
Zu meinem großen Glück habe ich die meiste Zeit auf dem Land verbracht, fernab von der Dauerbeschallung, die in den urbanen Ballungsgebieten herrscht. In den großen Städten sägen die aktuellen Hits 24/7 an den Nerven, via Großleinwand am besten, denn J-Pop ist weniger ein Geschäft mit der Musik als vor allem mit den geifernden Lolita-Träumen einer ganzen Gesellschaft: Hoch mit dem Rock, Schulmädchen! Brich mir das Herz, Teenager-Junge!
Matschig, mulsch und harmlos
Aber auch auf dem Land ist man nicht sicher. In gewisser Hinsicht ist es fast schlimmer: Statt einer „Szene“, in die man sich vielleicht flüchten könnte, gibt’s nur den Fernseher, und der ist gnadenlos. Ich habe eine Weile in einer abgeschiedenen Herberge gearbeitet. Mein Chef hieß Ryô, er ist ein toller Typ, der auf Umwegen über Afrika und Südamerika Herbergsvater auf Kyûshû geworden ist. Er hat eine Weltreise auf dem Buckel, humanitäre Arbeit in der Sahel-Zone geleistet, zwei Kinder in die Welt gesetzt und eine herzzerreißend reizende Herberge eröffnet, in der sich alle Gäste wohl fühlen. Man sollte meinen, dass so eine Vita auch einen breiten musikalischen Horizont mit sich bringt. Aber nein: Ryô liebt japanische Musik. Punkt. In seiner Jugend hat er selber in einer Band gesungen, und zwar J-Rock. Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: J-Rock ist exakt das gleiche wie J-Pop, nur dass
Heute ist ein 16seitiges „Extrablatt“ der WAZ zum Tod von Michael Jackson erschienen. Das einzig Überraschende an der offenbar hastig zusammengestoppelten Zielgruppenpublikation ist ihre chronische Faktenanämie.
Zur Verwendung kommen „sollte“-„hätte“-„könnte“-Konjunktive, die mit der Wirklichkeit vielleicht gar nichts zu tun haben. Es ist zum Beispiel die Rede davon, er habe „zuletzt angeblich einen 500 Millionen Dollar großen Betrag an Verbindlichkeiten aufgetürmt“. Ja, hat er nun oder hat er nicht?
Auch viele andere Begebenheiten rund um seine Prozesse, sein Leben in den letzten Jahren, Zahlungen, die er leisten mußte, Erlöse, die er vereinahmt haben soll – über all dies: nur Spekulationen und Fortführung der hinlänglich bekannten Gerüchte. Selbst wieviele „Thriller“ die Zuhörer gethrillt haben, bleibt sein großes Geheimnis: So werden zu dessen Verkaufszahlen verschiedene Angaben gemacht: auf Seite 6 des WAZ-„Extrablatt“ sind es erstaunliche 105 Millionen, auf Seite Seite 7 immerhin noch 70 Millionen, gefolgt von 100 Millionen auf Seite 8 um auf Seite 12 mit 50 Mio. zu enden – ja, was denn nun?
Viele Michael-Jackson-Fans werden sich über die Huldigung ihres Idols freuen und hernach eifrig „Der Westen“ besuchen – um auch dort nicht mehr zu erfahren. Aufklärung über strittige Sachverhalte dürfen sie dabei nicht erwarten.
Michael Jackson erscheint eingedenk dieser publizistischen Operation ein weiteres Mal wie umoperiert. Er ist offenbar gar nicht der „King of Pop“ sondern so etwas wie ein Personal Jesus, der als stellvertretend Leidender über seinen Tod hinaus ertragen muß, was eigentlich schon dem lebendigen Leser unerträglich scheint. Lieber Gott: Steh! uns! bei!
Die 54. Oberhausener Kurzfilmtage bringen auch in diesem Jahr durch ihre Panels, Wettbewerbe und kuratierten Filmreihen wieder Fragen aller Art auf den Tisch: Wohin geht es mit dem Kurzfilm? Wie erreicht man ein Publikum? Wozu eigentlich Kritiken? Und: Was sind eigentlich Musikvideos? Ein Erlebnisbericht.
Heraus zum 2. Mai! Freundlicher Empfang am Meldebüro, studentisches Viertelstündchen genau eingehalten zum Podium am Morgen: „Ist Kritik noch zeitgemäß?“ fragt Michael Girke Teilnehmer und Gäste und bringt damit bereits ein Thema des Tages auf den Tisch. Die Old School Vertreter der Kritischen Theorie auf dem Podium (Heide Schlüpmann und Klaus Kreimeier) geben bei diesem Generationentreffen daraufhin immer wieder gerne den Rahmen vor, an dem sich die „Poplinke“ (Kerstin Grether und Jörg Heiser) dann abarbeiten darf. Fast wie im richtigen Leben. Die jüngere Generation vermisst an der Frankfurter Schule Empathie und Affirmation, die ältere vermisst an der „Hamburger Schule“ offensichtlich … Erfolge. Ist der Marsch durch die Institutionen also auch in den Medien gelungen? Das Feuilleton in Deutschland gar eine Bastion der Aufklärung? „Warum verdient man dann nur bei den rechts-konservativen gut?“ fragt die Digitale Boheme. Der Berufsrevolutionär von damals schweigt wissend, fast mitleidig.
Und? Ist Kritik (als Kritik) jetzt nicht mehr zeitgemäß? Später am Abend wird das Thema noch einmal aufgerollt, dann international gehalten unter dem Titel „Embedded Criticism“ und unter Berücksichtigung verschiedenster Formen von Presseunfreiheit in Europa und Amerika. But: Does the audience care? Die eigentlichen Akteure der diesjährigen Kurzfilmtage, die Kurateure und Programmchefs, muten dem Publikum im Wissen um die großartigen kreativen Möglichkeiten des Festivals jedenfalls einiges zu – auch wissend dass immer jemand mithört und zweckentfremden wird, was vielleicht einmal emanzipatorisch und aufklärerisch war (und weiterhin hier und da auch noch ist).
Ungleichzeitigkeit, auch ein Thema bei der Reihe „Wessen Geschichte?“, die z.B. Alexander Kluge mit minimalistischem Dekonstruktivismus der letzten Jahre koppelt und den Kampf gegen das Mainstreamkino zum Kampf um die Köpfe der Menschen macht. „Warum gibt es kaum eine vernünftige Geschichtstheorie?“ fragt Ian White in seinem Katalogsessay und zeigt Instrumentalisierungen von Darstellern, Filmmaterial und natürlich jedes Mal auch realen Personen im Wandel der Zeiten. Ein Diskutant kritisiert, man könne die heutige Generation nicht mehr mit Anti-Atomkraft-Idylle und Black Power füttern, da diese Codes inzwischen entwertet seien und nur weiter diskreditiert würden. (Tatsächlich hatte es viele zynische Lacher im Publikum gegeben.) Der Kurator verweist sinngemäß darauf, dass sozusagen ein wenig Empathie und Affirmation … usw. Natürlich geht es aber bei weitem nicht nur um Formen von Dokumentation und Inszenierung, sondern auch um Montage, (Selbst-)Entlarvung, Reduzierung, Annektion und andere Techniken, die das Publikum nicht nur als Konsumenten zu behandeln suchen. Und das gelingt Ian White tatsächlich hervorragend in seiner Reihe, einer Fortsetzung des „Kinomuseums“ vom letzten Jahr.
Nochmal Stichwort „Publikum“: Als Magnet für dieses gelten bei den Kurzfilmtagen die Musikvideos beim MUVI Award. Doch was ist ein Musikvideo? Ergibt es sich, wenn man zu einer vorher bestehenden Filmidee verfügbares Musikmaterial einer halbwegs bekannten Band hinzufügt? Oder spielt gutes Handwerk eine Rolle? Eher, denn das reicht für Platz drei. Das Infragestellen der Kategorie „Bestes Deutsches Musikvideo“ durch einen Film gleichen Namens mit hinzugefügter Musik und etwas Performance? Immerhin Platz zwei. Das im Grunde einzige originäre Musikvideo von Simone Gilges für „Ich bin der Stricherjunge“ von Stereo Total gewinnt nach heftigeren Diskussionen als je zuvor. Auch hier sehr wichtig: Empathie für die Band, das Sujet, den Song.
Welchen Sinn haben also Kategorien? Kann man in jedem Fortschritt den Fortschritt auch sehen? Und wie politisch kann der Film von heute sein und Fehler von gestern und morgen verhindern? Diese Fragen werden ständig und auf viele Arten auch in diesem Jahr neu gestellt, so noch bis Dienstag in weiteren empfehlenswerten Reihen und Diskussionen. Eine umfangreiche Materialsammlung findet sich auf kurzfilmtage.de, der Blogger Ihres Vertrauens wird seine Eindrücke am Mittwoch in einem zweiten Teil noch einmal zusammenfassen.
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