Direkte Eindrücke aus Polen – wie ist die Stimmung? Wie die Flüchtlingssituation? Und was kann der Westen tun? Darüber sprach Sebastian Bartoschek mit einer Freiwilligen in Wroclaw in Niederschlesien.
Man könnte den Herren mittlerweile vielleicht ganz einfach ignorieren, wenn er nicht immer wieder derartige Aktionen bringen und dadurch ehemalige Spekulationen wiederbeleben müsste: Der vor 15 Jahren suspendierte Präsident des Verfassungsschutzes Thüringen, Helmut Roewer schreibt am Dienstag für das rechts-esoterische Querfront-Magazin compact über die katastrophalen deutschen Zustände dank „Flüchtlingsdesaster” und erzählt außerdem zwei mutige politische Witze, weil sie für ihn das „Ventil des Zorns” seien.
„Asylforderer immer dreister: Staatsbedienstete sind wütend” titelt das dubiose Medium unter Jürgen Elsässer, welcher bekannt dafür ist, hobbymäßig in Kreisen zu verkehren, die in Verfassungsschutzberichten Erwähnung finden und die Souveränität des deutschen Staates anzuzweifeln. Einleitend für den rassistischen und journalistisch nebenbei höchst zweifelhaften Gastbeitrag wird sein neueres Sektenmitglied dennoch mit sehr viel Stolz vorgestellt, als „langjähriger Chef des Verfassungsschutzes in Thüringen” – und dieser hätte „Stimmen aus Polizei, Sicherheitsdiensten und Hilfsdiensten gesammelt, die ein ungeschminktes Bild von der Wirklichkeit zeichnen.”
Eine Szenerie, die sich nicht jeden Tag und insbesondere nicht überall beobachten lässt: Auf deutschen Straßen stehen Menschen und jubeln; Sie jubeln Geflüchteten entgegen, die nach ihren langen, schweren Reisen voller Unsicherheit – und dann plötzlich voller Rührung sind. Dort, genau wie auf den ganzen rechten Großaufmärschen, sehen wir in diesem Sommer neugierige Teenager, beleibte Menschen im Großelternalter, distinguierte Büroangestellte und welche von diesen Hipster-Typen, denen es nicht einmal nach außen hin um die Sache, sondern um die Stimmung geht, kurz: das Volk. Und abseits des Volkes? In den Kreisen der Linken, die dieses Jubeln einst für sich allein beansprucht haben? Da argwöhnt man ob all der Unterstützung und debattiert, ob sie authentisch ist.
Natürlich fühlen sich nicht nur die rechtsradikalen Deutschen von den Massen betrogen, die z.B. am Münchener Bahnhof stehen und ausgelassen sind: Es versteht sich von selbst, dass der „Islamische Staat“ es nicht nett findet, wenn andere nett zu den Ungläubigen sind, die ihnen entwischten. Assad übrigens, vor dem die meisten heute fliehen, wird es ganz ähnlich gehen. Da sind offenkundig immer noch einige skeptische EU-Politiker, die für den Tumult nur ein Kopfschütteln übrig haben und Politologen, die Deutschland etwa einen „Hippie-Staat“ schimpfen, und damit mehr als den Bundestag meinen. Im Bundestag selbst könnte man die flüchtlingsfreundliche Stimmung noch weitaus mehr unterstützen, anstatt doch immer wieder „Rücksicht“ auf Brandstifter und sonstige „besorgte Bürger“ zu nehmen, wie es bis dato natürlich der Fall ist. Aber – oh, wer hätte es gedacht – sogar Linke haben eine Kritik an dem Servieren von Blaubeerkuchen (ist ja auch nicht die Saison dafür) und allzu bunten Willkommenplakaten entwickelt. In den vergangenen Wochen wurden schon wieder etliche „ausdrückliche Distanzierungen“ formuliert.
Das bedeutet „Engel“. Malak kommt aus Damaskus und ist am Sonntagmorgen gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester Aya und ihren Eltern in Dortmund angekommen. Sie wurde dort von hunderten winkenden und klatschenden Menschen begrüßt. Ihr langer Weg hat sie zuletzt durch die Flüchtlings-Hölle Ungarn und durch Österreich geführt. Ich bin mir sicher, dass sie in den wenigen Jahren ihres bisherigen Lebens schon so einiges erlebt und durchgemacht hat. Und trotzdem schaut sie so unglaublich tapfer drein, wie ich es wohl nie können werde.
In der vergangenen Nacht hat es in Witten gebrannt. In einer geplanten Flüchtlingsunterkunft im beschaulichen Ortsteil Bommern wurde ein Feuer gelegt. Die Polizei geht von Brandstiftung aus. Der oder die Täter hatten ein Fenster eingeschlagen, die Polizei entdeckte Reste von Brandbeschleunigern. Die Welle von Brandstiftungen auf ist also im östlichen Ruhrgebiet angekommen: In einer geplanten Flüchtlingsunterkunft im beschaulichen Wittener Ortsteil Bommern wurde in der vergangenen Nacht ein Feuer gelegt. Witten scheint dabei kein zufälliger Ort, in der 100.000-Einwohner-Stadt gab es über Jahre hinweg eine gewalttätige Neonazi-Szene. Die Aktivitäten der Wittener Nazis haben in den letzten Jahren zwar nachgelassen, aber verschwunden sind die Rechten nicht aus der Stadt.
Schon Ende Juli soll es in Witten zu einem neonazistischen Vorfall gekommen sein. Vor der Notunterkunft in einer Turnhalle in der Jahnstraße sollen Rechte aus einem Auto gestiegen sein und neonazistische Parolen gebrüllt haben. Polizei und Stadt konnten den Vorfall damals nicht bestätigen. Nun also die Brandstiftung auf die geplante Unterkunft in Bommern – dass der Anschlag so glimpflich ausgegangen ist, liegt auch daran, dass der oder die Brandstifter, aus ihrer Sicht, großes Pech hatten. Kurz nach der Brandstiftung erschien die Feuerwehr an der geplanten Unterkunft. Sie sollte heute planmäßig die Brandschutzmaßnahmen begutachten. Die Polizei hat den Staatsschutz eingeschaltet, um mögliche Täter zu ermitteln. Bei der Suche nach dem oder den Tätern könnte ein Blick in die Vergangenheit helfen.
Im Essener Stadtteil Frintrop protestierten am Mittwochabend gut 150 Nazigegner gegen Rassismus im Stadtteil. Die „Antifa Essen Z“ hatte zu einer Kundgebung gegen rassistische Stimmungsmache aufgerufen. In Frintrop war die Situation in den vergangenen Wochen hochgeschaukelt, nachdem angeblich ein Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft eine junge Frau vergewaltigt haben sollte. Die Polizei konnte den Vorfall nicht bestätigen, der kurzzeitig verdächtigte Flüchtling wurde bald wieder aus der Untersuchungshaft entlassen. Bei einer „Bürgerversammlung“ nach dem Vorfall kam es zu massiver rassistischer Hetze (unser Bericht).
Seit drei Wochen protestieren syrische Flüchtlinge in einem Protest-Camp in Dortmund für ihr Recht auf Asyl. Lange Fluchtwege liegen hinter ihnen, ihre Familien mussten sie zurücklassen. Der Schriftzug auf einem der Protest-Banner zeigt, dass es für sie um Leben und Tod geht: „Bitte helfen Sie unsere Familien, vor dem Tod zu retten!“ Doch für manche der Kriegsflüchtlinge kommt trotz der lauten Hilferufe jede Unterstützung zu spät. Die Syrer in dem mit Pavillons und Zeltplanen notdürftig improvisierten Camp, haben in der letzten Woche die ersten Todes-Nachrichten von ihren Angehörigen erhalten. Nun richten sie sich in einem Aufruf an die Bundesregierung.
Bei heftigen Unwetter, in nasskalten Nächten und dann wieder fast unerträglicher Sommerhitze harren die Flüchtlinge langmütig gegenüber dem Hauptbahnhof aus. Tagsüber herrscht bei dem Camp reger Betrieb. Viele der sonst eilig vorbeieilenden Passanten sind neugierig und suchen das Gespräch mit den Protestierenden. Abends wird an einer langen Tafel am Boden sitzend gemeinsam das Fasten gebrochen. Die Männer essen meist schweigend – nach einem Tag ohne Essen ist der Hunger groß. An diesem Abend wurde in einer marokkanischen Moschee ein syrisches Lammgericht in saurer Jogurtsosse zubereitet. Bani freut sich und lädt die Umstehenden dazu ein, mitzuessen. Die sprichwörtliche arabische Gastfreundschaft gilt auch hier, auf dem Asphalt der Fußgängerzone.
Die Syrer sind offen und freundlich. Manchmal könnte man fast vergessen, wie ernst die Lage ist. Die meisten der syrischen Flüchtlinge sind Familienväter und kämpfen für ein Bleiberecht. Auf den Bannern und Protestplakaten steht. „Unsere Familien sind vom Tod bedroht“ Und „Wir brauchen schnell Termine bei den Behörden“. Gemeint ist ein Termin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Hier beantragen die Kriegsflüchtlinge Asyl und hoffen auf die Chance, dann ihre Familien aus den Kriegsgebieten nachholen zu können.
Bani erfährt über facebook von dem Tod seiner Verwandten
Bani zeigt auf sein Handy: „Hier, das habe ich gestern zugeschickt bekommen“. Zu sehen ist ein Film mit den Bildern eines völlig zerstörten Hauses, daneben ein tiefer Bombenkrater. „Du siehst hier meine Straße“ sagt Bani und scrollt weiter nach unten. Es sind Bilder von toten Kindern zu sehen und in einem Schutthaufen die Leiche eines Mannes. Sein Gesicht ist von blutigen Wunden übersät – Verletzungen durch die Bombensplitter. „Das ist mein Onkel.“
Mehr als 150 Menschen haben am Samstag an einer antirassistischen Kundgebung in der Dortmunder Nordstadt teilgenommen. Zur Kundgebung aufgerufen hatte die Gruppe Refugees Welcome Dortmund zusammen mit dem Hamburger Bündnis Recht auf Stadt – never mind the papers – geboten wurden bewegende Reden, Essen und Livemusik.
Bereits seit letztem Jahr setzt sich die Gruppe Refugees Welcome Dortmund für die Belange von Flüchtlingen in der Stadt ein und bietet ihnen beispielsweise im Nordpol einen Raum zur Selbstorganisierung. Um sich auszutauschen und voneinander zu lernen sind die Hamburger des Bündnisses Recht auf Stadt – never mind the papers zu Besuch in Dortmund, zu dem auch einige der durch große Proteste bekannt gewordenen Lampedusa-Flüchtlinge gehören.
Es ist ein grauer Novembertag, tief im deutschen Hinterland. Ein paar Kilometer außerhalb des kleinen Örtchens Hemer im Sauerland liegt eine ehemalige Militärkaserne, nur durch eine Straße vom ehemaligen Truppenübungsgelände getrennt. Einige hundert Meter weiter grast eine einsame Kuh. Soldaten schlafen in den Baracken schon länger nicht mehr, 2007 hat die Bundeswehr den Standort Hemer aufgegeben. Während auf anderen Teilen des Kasernengeländes 2010 die Landesgartenschau stattfand, wohnen in den Baracken neben dem ehemaligen „Standortübungsplatz“ nun Flüchtlinge.
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