Der südafrikanische Völkerrechtler und ehemalige UN-Chefankläger Richard Goldstone legte im September 2009 einen Bericht über Menschenrechtsverbrechen während des Gazakrieges zum Jahreswechsel 2008 / 2009 vor. Darin hat er sowohl der israelischen Armee und als auch der Hamas Verstöße gegen das Kriegsvölkerrecht vorgeworfen. Der UN-Menschenrechtsrat, der den Goldstone-Bericht in Auftrag gegeben hatte, verurteilte daraufhin beide Seiten, während der Militäroperation „Gegossenes Blei“ im Gazastreifen massiv Kriegsverbrechen begangen zu haben.
“Schuldig im Sinne der Anklage“ war, wenn man der Presseberichterstattung in Deutschland glauben schenken durfte, jedoch nur eine Seite, nämlich Israel. “Schuldig im Sinne der Anklage“, hieß die Überschrift in der Süddeutschen Zeitung: „Schuldig im Sinne der Anklage“ lautete das Urteil des UN-Menschenrechtsrats über Israel. Hamburger Abendblatt: „Menschenrechtsrat verurteilt Israel“. Etwas präziser die Rheinische Post: „UN-Menschenrechtsrat verurteilt Israel wegen Verbrechen in Gaza“. Und deutlicher der Stern: „Kriegsverbrechen bei Gaza-Offensive: UN-Menschenrechtsrat verurteilt Israel“.
Die Zeit: „Israel wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Ob nun Menschenrechtsverletzungen oder Kriegsverbrechen, so etwas muss jedenfalls Konsequenzen haben.“ Focus: „UN-Menschenrechtsrat – Israelischen Politikern droht Verhaftung“. So weit die kleine Presseschau mit den Überschriften führender Presseorgane zum Thema. Sie hätte sich beliebig erweitern lassen – im Oktober 2009.
Etwa 1400 tote Palästinenser. Es konnte kaum überraschen, dass selbst wenn Goldstone beide Seiten an den Pranger gestellt hatte, die Öffentlichkeit die Schuld eher nicht bei der Palästinenserorganisation gesucht hatte, sondern ihre Schuldzuweisung an Israel richtete. Zumal: ein Jude ist stets ein guter Kronzeuge gegen den Judenstaat.
In Israel dagegen hielt sich die Empörung darüber, mit einer Terrororganisation auf eine Stufe gestellt zu werden, kaum noch in Grenzen. Israel verurteilte den Goldstone-Bericht in äußerst scharfen Worten, und auch die Worte über Richard Goldstone selbst waren, um es so zu sagen: recht unfreundlich – m.E. zu unfreundlich. Ich schrieb seinerzeit:
“Der Goldstone-Report mag zu beanstanden sein, er mag unausgewogen sein, er mag Fehler und Unterlassungen enthalten. Es spricht alles dafür, dass dem so ist. Doch nichts spricht dafür, dem bekennenden Zionisten Goldstone ,jüdischen Selbsthass` zu unterstellen.“
Anderthalb Jahre später: Goldstone revidiert seine Vorwürfe (NZZ). Selbst die jeglicher Parteinahme für Israel unverdächtige Süddeutsche Zeitung – also die mit der Überschrift “Schuldig im Sinne der Anklage“ – kommt nicht umhin, darüber berichten zu müssen, ohne freilich auch hier darauf zu verzichten, die verbleibenden Vorwürfe an Israel Punkt für Punkt aufzulisten und über die Fülle an Entlastendem hinwegzugehen.
Immerhin zitiert auch die Süddeutsche den entscheidenden Satz aus Goldstones Beitrag für die Washington Post, den alle erwähnen: „Wenn ich gewusst hätte, was ich heute weiß, wäre der Goldstone-Bericht ein anderes Dokument“.
Goldstone legt jetzt einen Abschlussbericht vor, der viele Details, die damals offen blieben, klärt. Man erinnere sich daran, dass für den vielbeachteten Zwischenbericht nur wenige Monat Zeit waren. Inzwischen hat Israel 400 Untersuchungsverfahren wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen zu den Fällen eingeleitet. Die Hamas kein einziges. Inzwischen versteht Goldstone, warum Israel bei seiner Untersuchung nicht kooperierte.
Denn die UNO behandelt Israel „zweifellos einseitig“. Sie habe, so zitiert ihn der Kölner Stadtanzeiger, „Israel verurteilt, weigere sich aber, die Hamas ebenso konsequent zu verurteilen, obwohl sie die belegten Kriegsverbrechen der gezielten Angriffe auf Zivilisten bis heute fortsetze“.
Und Goldstone hält fest, dass auch die Zahlen der Hamas inzwischen bestätigen, was aus den israelischen Statistiken schon immer hervorging: dass es sich nämlich bei der deutlichen Mehrheit der Opfer um Hamas-Kämpfer und eben nicht um Zivilisten gehandelt hatte.
Aber klar: auch wenn die Mehrheit der Toten Terroristen waren, heißt dies ebenfalls, dass auch viele Unschuldige unter den Opfern waren. Manche, weil sie von der Hamas als menschliche Schutzschilde missbraucht wurden. Manche aus verfehltem Heldenmut. Manche aber auch, weil es bei israelischen – wie bei allen militärischen – Angriffen „Kollateralschäden“, sprich: unschuldige Opfer gibt. Und manche, weil es in der israelischen Armee – wie in jeder anderen Armee auch – absolute Dreckschweine gibt.
„Goldstone zeigt Größe“, kommentiert der Tagesspiegel. „Er gesteht einen Irrtum ein. Er hätte es sich einfach machen und schweigen können. Werden ihm jene, die ihn damals zu einem besonders glaubwürdigen Kronzeugen erklärten, als er Israel anklagte, auch jetzt folgen? Der entscheidende Unterschied hat sich bestätigt: Israel bemüht sich, ein Rechtsstaat zu sein, der Verbrechen untersucht. Die Hamas ist das Gegenteil.“