Das Ruhrgebiet erlesen

Ullrich Sierau Das Ruhrgebiet, über mehr als ein Jahrhundert beschrieben von Schriftstellern: In der Reihe Europa erlesen des Wieser Verlages ist ein aussergewöhnliches Buch über das Revier erschienen.

„Selbst im Herzen der großen Städte an der Ruhr bleibt die Struktur der Vorstadt entscheident“ Ein Satz wie er heute noch geschrieben werden könnte. Erik Reger, der Autor des großen Ruhrgebietsromans „Union der festen Hand“ schrieb ihn schon 1928.

Auf 280 Seiten werden in Europa lesen: Ruhrgebiet Texte über das Ruhrgebiet vorgestellt: Heinrich Heine, Eckhard Henscheid, Heinrich Böll, Alexander Kluge, Ernest Hemingway und viele mehr findet man in der von Thomas Ernst und Florian Neuner herausgegebenen Textsammlung.

Viele, wie die von Reger, wirken aktuell, bei anderen, wie dem von Böll, kann man die Entstehung des Mythos vom simplen, aber freundlichen und offenen Ruhrgebietlers nachlesen: „…sind die Menschen nirgendwo unpathetischer, einfacher und herzlicher.“

Die die über 50 Texte von fast so vielen Autoren bieten auf jeder Seite eine Überraschung. Auch der? So sah das hier aus? So wichtig war das Revier mal? Es ist ein Buch, an dem man viel zu lesen  hat und aus dem man viel zitieren kann. Ein Buch, das man, wenn man ihm begegnet, fragt  „Wo warst Du die ganze Zeit?“

Europa erlesen: Ruhrgebiet
Wieser Verlag
12.95 Euro

Moderne Dubologen

Dub Musiker sind schon eine seltsame Spezies. Entweder sitzen sie ganz in der Tradition ihres Vorvaters, dem seligen King Tubby, wie Osbourne Ruddock sich selbst nannte, im stillen Kämmerlein und frickeln virtuos als Klangmanipulatoren mit der Software am Mischpult. Andere wiederum bedienen sich fortwährend der Musikgeschichte der letzten 30 Jahre und basteln aus bekannten Chartsstürmern und Fetenhits neue Dubversionen.

Zu den Fricklern gehört Umberto Echo. Er arbeitet vom München aus und verdubbt auf seinem jüngsten Werk internationale Top Acts. Aus Jamaika bspw. Damian Marley und Buju Banton. Aus Deutschland Seed und den unvermeindlichen Gentleman. Und auch bei den anderen Interpreten bewegt er sich immer im Kontext des Reggaes: Sei es vom Roots bis hin zum Dancehall. Aber verschafft euch selber einen Eindruck und hört ins Video hinein. Ein schönes Wortspiel…

Dub Spencer & Trance Hill machen es dagegen anders. Sie bedienen sich nicht mehr wie einige Musikergeneration vor ihnen ausschließlich der Reggaegeschichte, sondern wagen den großen Wurf in Richtung Rock- und Popgeschichte.
Eine Elegie der Songs ihrer längst vergangenen Adoleszenz. Dies hört sich dabei keineswegs so traurig an wie es sich liest.
Enter Sandman von Metallica behält seine leicht bedrohliche Stimmung löst jedoch fast vollständig in Echos, Delay und Overdubs auf. Gerade gehört auf dem Album „Riding Strange Horse“s von den beiden schweizerischen Dubologen Dub Spencer & Trance Hill.

Deren drittes Album zeigt sich in der Songauswahl der Disziplinen und Stile der verdubbten Originale gar nicht einschränkend:
Mama von Genesis, London Calling von The Clash, Smoke On The Water von Deep Purple, When I Fall In Love von Ken Boothe und 25 Years von The Catch, werden teilweise komplett verfremdet. Identität verleiht den einzelnen Songs der Rest einer ursprünglichen Rhythmuslinie und der Gesang für den ein Teil der Originalsänger verpflichten werden konnten.

Das ist ein weiterer Punkt bei den modernen Dubologen, dass sie es sind, die meistens schon der Vergessenheit anheim gefallenen Musiker zusammen mit den Songs, die sie bereits unsterblich gemacht haben wieder ins akustische Rampenlicht stellen.

Also wer kann denn noch allen Ernstes was mit Namen wie John Savannah oder Robin Scott anfangen? Die Auflösung: ersterer sang bei CC Catch und letzterer war die Stimme und Kopf von M mit PopMuzik. Als Gastvokalisten haben sie auf Riding Strange Horses den Sangespart der fulminanten Dub-Tracks ihrer Originale von Dub Spencer & Trance Hill neu eingesungen.

Info:

  • Umberto Echo – Dub The World (CDEB074) (ab Ende Februar 2010 im Handel)
  • Dub Spencer & Trance Hill – Riding Strange Horses (CDEB071) (ab Mitte Januar 2010 im Handel)

Labelwebsite: Echobeach

Tourdaten Dub Spencer & Trance Hill:
Jan 22 Neuchatel (CH), Barking
Jan 23 Bremgarten (CH), KUZEB
Feb 06 Zürich (CH), El Lokal
Mar 05 Olbernhau (D), JUZ
Mar 06 Miltenberg (D), Big Mama
Mar 07 Tübingen (D), Epplehaus
Mar 10 Köln (D), Underground
Mar 11 Hamburg (D), Knust
Mar 12 Lübeck (D), Treibsand
Mar 13 Jena (D), Kassablanca
Mar 14 Berlin (D), Maria am Ostbahnhof
Mar 18 München (D), Orangehouse (Feierwerk)
Mar 19 Augsburg (D), Mahagoni
Mar 20 Marburg (D), KFZ

Ruhrbarone gehen Offline

Wir schalten nicht unseren Blog ab, nein, aber wir machen jetzt eine Offline-Variante unserer Seite. Sprich, wir geben ein Print-Ding raus.

In dem Ruhrbarone-Offline-Ding wollen wir die Geschichten schreiben, die uns bewegen, die uns interessieren, die uns faszinieren. Vom Innenleben der Linken Partei in NRW, bis zu den Pakistanischen Terrorbanden aus dem Sauerland mit Wurzeln in Duisburg.

Dabei beschränken wir uns nicht auf das Ruhrgebiet. Wir schauen über den Tellerrand. Wir ziehen einen Freiheits-Vergleich zwischen Blogs in Deutschland und Europas letzter Hardcore-Diktatur in Weißrussland. Wir blicken auf den Weltfinanzplatz nach Dubai. Was geht da unten ab?

Wir wollen auch Hintergründiges bieten, wie die Story über die Toten von Hagen, die im Polizeigewahrsam verreckten, und über die Schalke Finanzen.

Wir wollen harten Stoff liefern, beispielsweise eine Analyse über die Kreativquartiere, die im Pott wenig mehr sind als Public Relations. Über die Möglichkeiten einer Schwarz-Grünen Landesregierung. Oder über die Zukunft der Energiewirtschaft.

Das alles wollen wir.

Wir finanzieren das Heft selber. Wir glauben daran, dass es nicht nur Online eine Zukunft für Medien gibt, im Gegenteil, wir glauben, dass es für gute gedruckte Geschichten immer einen Platz in Deutschland gibt. Und diesen Platz wollen wir bieten.

Mal im ernst, ein 40.000 Zeichen-Brett über ein sozialistisches Jugendcamp kommt samt cooler Fotos doch im Print besser als auf dem Bildschirm, oder?

Das Heft wird teuer. Wir können leider nicht mit einer nennenswerten Auflage rechnen, die niedrige Preise rechtfertigen würde, aber wir müssen trotzdem den Druck finanzieren. Der Leser muss also mehr als üblich zahlen. Dafür bekommt er aber auch mehr. Unser Ruhrbarone-Print-Ding wird so fett wie ein Buch.

Wir geben erstmal ein Print-Ding raus und schauen, wie das läuft. Wenn wir unsere Kosten eingespielt haben, wollen wir das nächste Print-Ding machen. Die Nummer 1 ist also ein Test.

Wir brauchen Leser für das Print-Ding. Wir sagen bescheid, wann es erscheint – wir rechnen mit einem Termin Mitte oder Ende Februar. Dann wäre es toll, wenn möglichst viele Menschen das Stück kaufen. Wir informieren rechtzeitig über das Fortschreiten des Projekes.

Aber wir brauchen auch Anzeigen für das Print-Ding und die Seite hier.

Wenn jemand bei den Ruhrbaronen werben will, gerne.

Bitte nur kurz eine Email schicken an: uli.radespiel (at) ruhrbarone.de

Phantasialand für Bildungsbürger

Das gestrige Titel. Thesen, Temperamente Special zur Ruhr2010 –kurze Portraits zugewanderter Künstler wie Steven Sloane, kritische Kommentare, etwas Ironie vom Moor – all das kam viel näher an das Ruhrgebiet heran als die peinliche Lanz-Posse ZDF und die VIP-Show am Samstag.

Schön schon am Anfang Reinhards Mohrs ironischer Kommentare zur Industriekultur : „Ich bin gespannt, ob das Parkhaus auch mal zur Kultur wird.“ Sein Tipp im Kulturhauptstadtjahr: Katalog ignorieren und sich treiben lassen – es bleibt einem auch beim Aufbau der Programmbücher kaum etwas anderes übrig.
Peter Lohmeyers lieferte einen Grund für die Verteilung des Programms auf das ganze Revier, der treffend: So reich, alles an einem Ort zu machen, sei das Ruhrgebiet nicht. Man hätte, um ein gutes Programm zu bekommen, das ganze Revier nehmen müssen. Das stimmt natürlich – keine Ruhrgebietsstadt ist für sich alleine sonderlich interessant.

Ging es ohne Klischees? Ne, natürlich nicht und wir wissen, dass viele der Klischees auch einen wahren Kern haben – wer von uns hatte keinen Opa auf der Zeche? Hat nicht auf Halden gespielt oder erinnert sich nicht an den Dreck, von dem es früher noch viel mehr gab als heute?
Bezeichnend und auch von ttt nicht thematisiert: Ob Lohmeyer, Herbert Grönemeyer oder Dietmar Bär: Keiner der vorgestellten Protagonisten lebt hier mehr. Das hat doch gute Gründe, über die würde ich gerne mal etwas wissen und vielleicht was man dafür tun kann, damit so Leute hier bleiben. Warum hauen hier fast alle ab und kommen so wenige, denn wenn auch viele kämen wäre es ein Austausch und klasse und keine Aderlass und schlecht.

Gut war, dass auch nicht so getan wurde, als ob hier alles prima wäre: Arbeitslosigkeit, auch die Trostlosigkeit, das wurde alles angesprochen.  Schön: Der Besuch bei Lukas Niermann, einem  Künstler, der im Wohnungsprojekt zwei bis drei  Straßen, von Jochen Gerz wohnt. Niermann erklärt, er werde die verändern die hier wohnen und Moor grinst breit und sagt, wohl wissend was auf Niermann zukommt, dass er auch glaube dass die Menschen der Straße ihn verändern werden.
Sicher: Die Superlativen (Höchste Museumsdichte), das neue Musem Folkwang, Mäzen Berthold Beitz das darf alles nicht fehlen und fehlt natürlich auch nicht. Hart der Kommentar von Beitz: Das Museum Folkwang sei in der Kulturhauptstadt aber kein Projekt der Kulturhauptstadt: „Soviel Geld haben die gar nicht.“
Auch ein Auszug aus dem Imagefilm der Ruhr2010 wird gezeigt, das dort gezeigte bunte, kreative Ruhrgebiet und aus dem Off kommt der passende Kommentar: „Der Film zeigt eine Art Phantasialand für Bildungsbürger.“

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Nächtliche Klang-Impressionen auf Zollverein bei der Eröffnung von Ruhr.2010

Klangfarbe Ruhr.2010 Auf der gestrigen Eröffnung der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 habe ich fernab des großen Rummels eine wundervolle Klanginstallation entdeckt.

Da ich des nächtens unterwegs war und keine weiteren Infos habe, vermute ich mal, dass es sich um die in diesem Beitrag erwähnte Aufführung "Klangfarbe" handelte.

Wie ich fand, waren die Klänge sehr passend in das schneebedeckte Ambiente des Niemandslands zwischen der Zeche Zollverein und der Kokerei eingepasst.
Musikalisch erinnerte sie mich ein wenig an die rhythmischen Geräuschcollagen von SPK.
Einen Klangausschnitt findet ihr auf folgender Seite bei posterous.

Hihihi – mächtig was los da:

Rapper rappen – Ich ess Pommes mit Mayo. Und in Herne bin ich immer wieder gerne. Wozu soll ich in die Ferne. Hahahaha

Jetzt verstehe ich, warum das ZDF das nur in einer Zuschauerbefreiten Zeit senden wollte. 🙂 Aber wem es gefällt. Und dann kommt noch der Steiger – Glück Auf – Das Licht an in Jazz. Bin mal gespannt auf die Reaktionen der Zuschauer, die sich den Kram in der Kälte ansehen mussten.

K2010: Frieren für Bilder

Morgen beginnt die Kulturhauptstadt. Es ist Arschkalt. Das angekündigte Programm ist gut. Grönemeyer singt, ein Philharmonie-Orchester spielt. Es wird Schnee treiben. Über die Menschen, über die Sitze, über die Musiker. Nur hier und da in sackkalten Hallen wird vor Komödiantenbühnen kein Schnee auf die Mützen rieseln. Warum das Ganze?

Ich will kein Miesepeter sein. Aber ich kann mich so schlecht zurückhalten, wenn ich etwas so dumm finde, wie das hier, die Eröffnung der KH-Zwanzig10. Warum wird der Event nicht verschoben, wenn alle Zeichen auf Scheißwetter stehen? Jetzt, wenn man das noch rechtzeitig organisieren kann? Warum wird das nicht umgelegt in eine Halle? Und warum ist das Ganze überhaupt da draußen auf Zollverein und nicht wie versprochen in der Schalke-Arena?

Die Begründungen, die ich höre, sind alle gleich schlecht. Es heißt, die Arena sei zu teuer gewesen. Mann, Mann, dann hätte man ein wenig mehr Geld besorgen müssen, oder das Programm abspecken. Es heißt, ein wichtiger Spitzenverantwortlicher der Zwanzig10.GmbH habe sich mit dem WDR zerstritten, deswegen müsse das Ganze nun für das ZDF über die Bühne gerockt werden. Es geht um die Bilder. Für’s Fernsehen, heißt es. Es soll geil aussehen.

Bilder. Die Menschen morgen sollen also für Bilder frieren. Für’s Fernsehen frieren. Ich hoffe, jeder wird morgen dran denken, wenn ihm die Kälte durch die Schuhe kriecht, durch die Hose kriecht, bis an die Nieren kriecht.

Und wenn dann bei der Live-Übertragung zur Spitzensendezeit um 15:30 Uhr in einer Schnee-Böe die Haare der Moderatorin im Monitor verwehen. Wenn hinter ihr weniger Zuschauer im Eiswind ausharren, als im ZDF-Fernsehgarten. Ich hoffe dann werden die Bilder das erhoffte positive Signal ausstrahlen. Der Ruhrpott erstarrt im Eis. Geil.

Ich war mal vor Jahren bei der Aufzeichnung einer WDR-Show für die ARD im Bottroper Saalbau. Ich war ein Kind und saß da hinter den Kulissen bei der Generalprobe mit weit aufgerissenen Augen. Da sang irgendein Kasper unmotiviert auf einer Bühne. Er sang ein Lied, in dem ging es um Tennis. Ich kann mich erinnern, wie der Regisseur der Show mit einem arroganten Gesicht zu einer Assistentin sagte: "Schmeißt da Bälle rein, fürs Bild".

Am Abend habe ich die Show im Fernsehen gesehen. Da stand der Kasper und sang, in der einen Hand einen Tennisschläger in der anderen ein Mikrofon. Von vorne flogen Bälle ran und der Typ schlug ungefähr jeden dritten ins Publikum, der Rest flog in die Dekoration.

An diese Szene denke ich, wenn ich an die Zollverein-Nummer morgen denke.

Die Bälle sind diesmal die Zuschauer. Die Staffage, die Ausstattung, die Kulisse.

Die Veranstaltung morgen ist – trotz tollem Programm – nicht für die Menschen hier gemacht, sondern für die Bilder. Für die Bilder alleine.

Auch wenn morgen Kanzlerin Merkel und Präsident Köhler kommen. Sie sind Staffage. Ich hoffe, sie holen sich bei dem sinnlosen Schnee-Spektakel morgen nicht den Tod – oder hauen rechtzeitig wieder ab.

Da fällt mir ein: Es heißt, die Musiker würden, sollen, müssen Open Air spielen. Kann mir einer erklären, wie eine Oboe bei minus 5 Grad im Schnee klingt? Wie ein Cello, wie eine Tuba, wie eine Geige? Ich vermute, das ist Scheißegal, weil die Mukke eh vom Band kommt, oder?

Sorry, das musste raus. Ich werde morgen auf jeden Fall nicht nach Zollverein fahren. Ich will das gar nicht hören. Ich bleib zu Hause, mach den Kamin an, zieh mir die Decke bis ans Kinn, und lese meinen Kindern aus dem neuen Frank Goosen Buch vor. Das ist mein Eintritt in das Kulturhauptstadtjahr. Sollen sich andere den Arsch abfrieren.

Foto: Flickr.com / Goofi.Ge

Goosen und die Prilblumen: dat Ruhrgebiet im Färnsehn

Man kommt sich immer mehr so vor, als hätten die Europäische Union oder die Weltbank oder Abu Dhabi Millionen bereit gestellt, um Horden von Ethnologen (Volkskundlern) ins Ruhr2010gebiet zu schicken, die uns jetzt staunend entdecken und mal so richtig durchleuchten.

Das fühlt sich eigentlich ganz schön an, muss ich gestehen. An die Wertschätzung des neuen GEO Specials oder des ADAC Reisemagazins haben wir uns ja schon gewöhnt, und täglich filtern ja auch die Ruhrbarone Artikel aus fernen Städten und Ländern über uns heraus. Das ist oft lustig zu lesen, vor allem, weil die Autoren häufig Abtrünnige sind, die es hier nicht gepackt haben und dann nach Hamburg gehen mussten.

Nachdem nun auch die aktuelle ADAC Motorwelt ihre entsprechende Titelstory hat („Ruhr 2010: Revier der Ideen“) und in der ZEIT seit Wochen eine sehr lesenswerte Reihe mit tollen Ruhrgebietssagen auf der Kinderseite läuft (zuletzt: „Emscher Neck und Emscher Nixe“; zuvor u.a. „Der Barbarazweig“ oder „Der Raubritter Joost“, was mich an den Heimatkundeunterricht in meiner Volksschule in Bochum-Riemke erinnert, als wir vom Riesen auf dem Tippelsberg erfuhren), nach all diesen putzigen Annäherungs- und Wertschätzungsversuchen also ist leider die Woche fast wieder um, in der das ARD-Morgenmagazin seine Reporter auf uns hetzt und hier mal untern Teppich kuckt.

Heute morgen (aber da schlafen Ruhrbarone noch) ging es zu Frank Goosen nach Bochum. Der Mann ist nicht nur ein Töfften, der dicke Glatzenmann hat auch erheblich abgenommen, so viel, dass ich mir bei meinen eigenen Diätbemühungen bei diesem Anblick schon sage, dass ich es soo weit nun auch wieder nicht kommen lassen möchte. „Könnte glatt Skispringer werden“, flachste Sportmoderator Peter Großmann aus Dortmund-Bodelschwingh. Anyway, warum das Ganze wirklich witzig und mir zumindest neu war: Die eine Omma vom Goosen ist die „Omma Rathaus“, die offenbar früher eine Dienstwohnung im Rathaus bewohnte; Räume, die heute noch unverändert als Amtsstuben genutzt werden. Dass der kleine Frank in der Schule damit punkten konnte, dass seine Omma im Rathaus wohnte, kennt man aus seinen Geschichten; wie das aber da aussieht, lässt einem dat Härz aufgehen. Astreiner brauner Linoleumboden von Anfang der Siebziger (hatten wir in Dunkelgrün), im hellgelb gekachelten Badezimmer (heute der Kopierraum) noch die eigenhändig von Kinderhand angeklebten Prilblumen, und am Waschbecken sogar noch der orangefarbene Plastik-Rasiererhalter vom Oppa. Dazu die Omma am Tisch, die mit orginal Bochumer rauchiger Eckes-Edelkirsch-Stimme von früher erzählte. Herrlich, ich bin heute mit bester Laune und voller Stolz auf unseren Stamm vom Frühstückstisch aufgestanden. Danke, Frank!

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Ruhr2010-Eröffnung – gerade gut genug für das Nachtprogramm

Wenn ich diese entrückten Halbkindergesichter da oben auf dem Foto sehe, das die Ruhr2010 zur Ticketwerbung nutzt, muss ich an Enttäuschung denken. Die Art von Enttäuschung, die man sieht, wenn man einem Dreijährigen einen Schoko-Keks in die Hand drückt, diesen VOR dem ersten Bissen wieder wegnimmt und als Ersatz eine Stange Rhabarber spendiert. Das Gesicht nach dem ersten und einzigen Bissen in den Rhababer. Das ist Enttäuschung. Anstatt in der Schalke-Arena mit 60.000 Menschen und Live-Übertragung wird die Kulturhauptstadt am Samstag vor irgendwelchen Politikern auf Zollverein eröffnet. Die Bürger müssen draußen bleiben. Im Wetterbericht wird Schneefall angekündigt – es ist die Rede von einem Temperaturstutz in Bodenlose.

Ok, jetzt präsentiert uns die Ruhr2010 unser Stange Rhababer, eine Methadon-Fernsehübertragung. Es geht um eine "Glück Auf, RUHR.2010!"-Show im ZDF. Aufgezeichnet am Freitag um 19.30 Uhr, ausgestrahlt um 22.35 Uhr. Kurz vor Mitternacht ist die Nummer zu Ende. Statt im Hauptprogramm ein Hit in der Nische eines Rentnersenders. TOLL!! Wir dürfen noch Fotos machen – vorher, mit den wichtigen Menschen. Also mit Pleitgen und den ZDF-Schranzen. Das stand in einer Pressemitteilung der Ruhr2010.

Es werden noch begeisterungsfähige Publikumsstatisten gesucht. Hier klicken, wenn Sie dabei sein wollen.

Ich denke bei der Nummer an die alten Ankündigungen. Können Sie sich erinnern?

Irgendwann vor einem Jahr oder so, wurde in der Arena auf Schalke vor einem UEFA-Cup-Spiel eine dreigeteilte Werbebande ins Bild einer ZDF-Live-Übertragung eingeblendet. Da stand drauf:

Wir sind Metropole – Kulturhauptstadt Europas – www.ruhr2010.de"

Und Ruhr2010-Chef Oliver Scheytt tönte:

Das ist ein Volltreffer. Die Aktion ist ein erster Testlauf für unsere Eröffnungsveranstaltung, die am 9. Januar 2010 in der VELTINS-Arena stattfinden wird.“

Später musste die vollmundig "jubelnd" angekündigte Eröffnungs-Show in der Arena gegen das Kaltbad auf Zollverein abgesagt werden. Aus Geldmangel. Versprochen – Wieder nicht eingehalten. So schafft man sich Freunde.

Aber jetzt gibt es ja die Nachtsitzung im ZDF mit dem Top-Moderator Schranz oder Hanz, oder wie der heißt.

K2010 – Abgelehnte Projekte

Nicht alles, was bei der Kulturhauptstadt mitmachen darf, ist toll. Genauso wenig ist alles super, was die Manager der K2010 abgelehnt haben. Trotzdem: die eine oder andere Perle haben die offiziellen Kulturleute übersehen. Und genau darum geht es bei der Internetseite unprojekte2010.de. Hier werden alle abgelehnten Projekte gesammelt, um quasi in einer Trostrunde noch ein paar brauchbare Ideen herauszufiltern.

Die Nummer ist ganz einfach: Jede Menge Leute können ihre abstrusen oder brillanten Projekte auf der Seite dem breiten Publikum vorstellen, die keine Gnade vor der offiziellen K2010 gefunden haben. Ab dem 10. Januar darf dann das Publikum fünf Punke an die Projekte verteilen. Die fünf Vorhaben mit den meisten Punkten sollen dann im Herbst, September oder Oktober, in der Kneipe „banditen wie wir“ im Rahmen einer Ausstellung vorgestellt werden.

Wir finden diese Idee sehr geil. Deswegen: Hingehen, mitstimmen.

Die abgelehnten Unprojekte werden in folgende Kategorien eingeteilt:

architektur:: alle ideen rund um baukunst- und baukultur findet hier ihren platz. gestalte und entwerfe deinen raum für 2010.

stadtentwicklung:: deine visionen für eine bessere stadt und ein bunteres stadtleben.

darstellende kunst:: hier ist der ort für jede live-kunstform, die eine bühne und ein publikum sucht – egal ob tanz-, theater- oder filmidee.

bildende kunst:: gemacht für die ewigkeit – alle baukunstwerke wie skulpturen, malerei, grafiken etc. bitte hierher.

literatur:: hier wahren wir die schriftliche form – in jeder form. geschichte:: raum für geschichte und geschichten rund um das ruhrgebiet, um das vergangene ans licht zu bringen.

kreativität:: hier kommen alle unbeschreiblichen ideen, informationen und innovationen zusammen.

trends:: das ist neu, das ist toll – ob sub-, szene- oder streetkultur – her damit!

Klar sind da Sachen bei, die peinlicher Schwachsinn sind. Und man muss den K2010-Vögeln dankbar sein, dass sie den Mist abgelehnt haben. Aber im ernst: Man schaut doch Dieter Bohlens Castingshows auch nur, weil sich da ein paar Horste zum Sepp machen.

Ein Beispiel für eine Peinlichkeit gefällig? Bitte sehr:

Frau in Stöckeln sucht Mann mit Rucksack – humorige Geschichte sucht neue Handtaschen und einen Verlag

Da hat eine junge Frau die Kulturhauptstadt wohl mit einem Autorenagentur für bescheuerte Geschichten verwechselt. Fremdschäm-Gefahr.

Es gibt aber auch gute Ansätze. Hier ein Beispiel:

auf ruhr-projekt.de wurde eine Karte des Reviers in Planquadrate eingeteilt. In jedes Quadrat können nun Leute Fotos hochladen, um das Gefühl der Gegend abzubilden.

Eine gute Idee. Nur leider unprofessionell umgesetzt, da offensichtlich breite Hilfe fehlte. Mit Unterstützung der K2010 hätte daraus eine richtig geile Sache werden können, mit Millionen-Fotos über das ganze Revier. Eine Art Collage der Menschen für die Menschen. Schade, dass die Nummer nicht professionell umgesetzt wurde. Von mir bekommt die Idee dennoch vier von maximal fünf Sternen. Vielleicht kann man das Ding ja in Zukunft mal auf höherem Niveau durchboxen.

Ich bin gespannt, ob die momentan noch kleine Auswahl der Unprojekte auf der Seite im Laufe der Zeit größer wird. Angeblich sollen ja fast 1000 Ideen abgelehnt worden sein.

Meine fünf Sterne bekommen auf jeden Fall die Leute, die die Idee für die Internetseite unprojekte2010 hatten. Und zwar ist das eine Truppe aus Leuten von der agentur„gathmann michaelis und freunde” und der Bar „banditen wie wir” . Sie wollten den abgelehnten, nicht eingereichten oder neuen Projekten einen öffentlichen Raum geben, auf dem sie sich präsentieren können.

Eigentlich hätte die K2010 diese Idee haben müssen. Die Leute um Pleitgen hätten für einen öffentlichen Raum der abgelehnten Ideen sorgen müssen, um sich viel Streit zu ersparen.

Die Sache hätte doch im Rahmen einer Trostrunde einfach sein können. Die K2010 hätte auf Zollverein oder im Intenet eine Bühne zur Verfügung stellen können, wie einen Speakerscorner. Dort hätte jeder seinen abgelehnten Scheiß vortragen können. Am Ende der Trostrunde hätte das Publikum fünf Projekte aussuchen können, die dann noch in den Rahmen der K2010 aufgenommen hätten werden können.

Jeder der sich der Trostrunde nach seiner Ablehung verweigert hätte, hätte jedes Recht zum Nörgeln verloren. Und das Publikum hätte als Regulativ dienen können, doch vielleicht eine Fehlentscheidung zu revidieren.

Aber diese Chancen hat die K2010 vertan. Die Macher der Unprojekte-Seite haben dort gefragt, ob nicht Interesse an einer Zusammenarbeit bestünde. Das wurde verneint.

Ich kann verstehen, dass nicht jeder Mist ein Forum braucht. Und dass es richtig ist Bullshit abzulehnen.

Aber Arroganz ist auch keine Lösung.