Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 7: Ringlokschuppen Mülheim

In dieser Reihe wurden und werden (zuletzt hier) unterschiedliche Ansätze und Historien von Soziokultur, (Sub-)Kulturermächtigung und durchaus auch Pop orientierter Jugendarbeit vorgestellt. Beteiligt sind immer politisch, wirtschaftlich, gesellig, lokalpatriotisch und/oder individualistisch geprägte Menschen, teils schon in Gruppen organisiert, die irgendwann Bündnisse mit der Kommune schließen. Eine ganz eigene Herangehensweise zeigt sich im Gespräch mit Holger Bergmann, dem Künstlerischen Leiter des Ringlokschuppens.

Jens Kobler ?: Zunächst, wie in dieser Reihe üblich, bitte eine kurze Vorstellung der Institution Ringlokschuppen und auch der eigenen Rolle des Holger Bergmann in diesem Rahmen.

Holger Bergmann !: Nun, der Ringlokschuppen ist einer der jüngsten freien Kulturorte des Ruhrgebietes. Der Start war 1995, das war nach einer langen Phase des Vakuums für freie Räume und Soziokultur in Mülheim. Seit den Achtziger Jahren gab es einige Versuche etwas zu etablieren, aber meist mit dem Erfolg der Nicht-Realisierung, gerade anbetracht der hier agierenden sehr starken Sozialdemokratie genau in diesen Jahren. Exakt in der Zeit des schwarz-grünen Bündnisses, das ja nur ein halbes Jahr getragen hat, wurde der Ringlokschuppen realisiert, dann aber auch mit der Zustimmung der SPD. Das war politisch eine ungewöhnliche Konstruktion.

Der Weg dahin gestaltete sich für mich persönlich u.a. dadurch, dass ich freie Theaterprojekte in der Stadt gemacht habe und wir ein Forum mit verschiedenen Leuten aus der Kunst- und Kulturszene gegründet hatten, die auch eher eine Affinität zur darstellenden Kunst hatten. In diesem Gebäude hier wurde wiederum von Seiten der Stadt eine Bürgerbegegnungsstätte betrieben, nachdem zur Landesgartenschau umgebaut worden war. Als dann auch dort nach 1992 ein inhaltliches Vakuum zu verzeichnen war, wurden Vermietungsverträge geschlossen, u.a. mit Agierenden aus diesem Forum. 1995 sagte man sich dann "Nicht nur den Kuchen, sondern die ganze Bäckerei" und mietete das ganze Haus. Zunächst wurde also Programm gemacht, und dann erfolgte die Gründung des Vereins, auf dass die "Übernahme" möglich wurde.

?: Also gab es nie eine Situation wie "Diese Autonomen dürfen froh sein, da überhaupt etwas machen zu dürfen", sondern es gab von vornherein eine günstige Ausgangslage?

!: Es ging mehr darum, die aktuellen gesellschaftlichen Regularien zu suchen, damit wir unseren Gestaltungswillen verwirklichen können. Denn es war ja auch ganz klar nach 1989.

?: Das deckt sich sehr gut mit einer meiner Generalthesen zu den Unterschieden zwischen all den soziokulturellen Zentren und ihren Verhältnissen zur jeweiligen Stadt. Dass da nämlich genau ein Bruch zu verzeichnen ist, Ende der Achtziger. Mittlerweile wird ja sogar eher im großen Stil versucht, ganze Areale zu recht kommerziell oder kreativwirtschaftlich ausgerichteten Zentren fast eher zu erklären, und von den Ansätzen der späten Siebziger, frühen Achtziger ist in späteren Modellen von Soziokultur und Kreativzentren nichts mehr zu bemerken.

!: Nun, wir hier sind nicht "gesetzt" von oben. Es gab da keine Strategie die uns sagte "Wir bauen jetzt hier diesen Ringlokschuppen um", sondern im Gegenteil ging es um ein Bürgerbegegnungszentrum, in dem vom Medienhaus über Hühnerzuchtausstellungen alles Mögliche stattfinden sollte, und in dem Kultur nicht besonders vorkam. Aber das, ebenso wie das von Dir gerade Beschriebene,  sind ja durchaus auch alles Verzweiflungsstrategien in einer Region, die immer nur durch das Interesse von Industrie bestimmt war, hier Humankapital anzusiedeln und nur minimal zu versorgen. – Und das hat Anfang des letzten Jahrhunderts sogar in Teilen besser funktioniert, wenn man sich Strukturen wie die Margarethenhöhe in Essen mal anschaut. – Dieser Aufbruch hat allerdings immer unterschlagen dass es eigene Potentiale gibt und hat so die Verknüpfung nicht hinbekommen. An diesem Punkt sieht man auf Zollverein zum Beispiel einerseits gewachsene Strukturen wie PACT!, mit gewachsenen regionalen wie internationalen Strukturen,  andererseits aber auch Aufbruchbehauptungen, die bisher nur schwer realisiert werden konnten.

?: Es ist ja auch durchaus Markenzeichen des Ringlokschuppens, sich eben nicht nur als Veranstaltungshalle zu begreifen und sich von Agenturen und Institutionen vorschreiben zu lassen, wie das Programm zu gestalten sei.

!: Na klar! Rückblickend auf die Neunziger ist es aber auch durchaus okay zu respektieren, wenn sich zu dieser Zeit Leute in Strukturen begeben haben, wo sie arbeiten können und wo sie dafür auch bezahlt werden. Was allerdings nicht richtig ist, ist sich damit zu begnügen. Bei Stuckrad-Barre kann man das schön nachlesen wie es ist, in einem Kulturzentrum aufzutreten, wo einfach immer ein Plakat über das nächste geklebt wird. Das hat natürlich ein Publikum, und das ist auch richtig. Aber es kann ja nicht kulturelle Aufgabe der Häuser sein, nur diesen Weg zu erfüllen. Wir waren hier in den Neunzigern eben in der glücklichen Situation, dass es halt keine freie Kultur gab, die sich mannigfaltig und tausendfach artikulieren wollte – sondern es ging darum das erst einmal herzustellen.
Und man kann ja durchaus mal fragen: Warum geht denn jetzt inzwischen die Oper in diese Fabrikhallen? Was also ist der Vorteil, den diese freie Kultur damals entwickelt hat? Ich denke, es war auch das Fehlen des Genre-Gedankens. Es ging nie um das reine Theater, die reine Musik, das Architekturprojekt, etc. Sondern man holte sich immer verschiedene Kräfte zusammen. Es war auch die Suche nach dem gesellschaftlichen Kontext, nach der Reibungsfläche für die Kultur. Wir haben uns gefragt: Wie können wir das leisten? Wie stellen wir das unter den aktuellen Verhältnissen her? Und ich habe das auch einmal ausgetragen, als ich im Bundesvorstand der soziokulturellen Zentren war. Da war meine Haltung etwa diese: "Ihr könnt doch diese Zentren nicht dem Gestaltungswillen von Geschäftsführern überlassen!" Denn in den Achtzigern ging es plötzlich viel um die ökonomische Struktur der Zentren, aber wenig um Inhalte. Mitte der Achtziger waren bei den meisten die Programmdiskussionen weit passé. Daher gibt es auch hier z.B. keine Intendanz oder nur einen Booker, sondern eine künstlerische Leitung.

?: Hier wird ja auch nicht nur einfach an Disco-Veranstalter oder einzelne Gruppen delegiert. Wie organisiert sich der Ringlokschuppen?

!: Das geschieht schon stark als Team, und das ist keine Floskel. Aber es gibt natürlich Entscheidungsstrukturen, und da wo aus unterschiedlichen Interessen heraus etwas stockt, da wird das dann aufgelöst. Streitigkeiten und Differenzen werden in soziokulturellen Zentren oft über Jahre nicht ausgeräumt, aufgrund festgefahrener Strukturen. Wir haben hier eine Doppelspitze, mit Peter Krause als Kaufmännischer Geschäftsführer und mir als Künstlerischem Leiter. Und ich glaube dass das richtig ist, dass wir zwei uns dann manchmal die Köpfe einschlagen und nicht das ganze Haus. Es ist aber auch Voraussetzung, dass sich jeder wiederfindet und einbringt.

?: Das hiesige inhaltliche und strukturelle Konzept erklärt sich vielleicht am besten über den derzeitigen "Aufstand gegen die Wirklichkeit".

!: Wir konnten darunter einige Projekte zusammen fassen wie die Ruhrtriologie von René Pollesch, unser Stadtteilprojekt "Eichbaumoper" oder – ganz aktuell – "Altneuatlantis" von kainkollektiv. Und so ist manchmal hier auch eine Woche lang nichts los, weil wir einen anderen Ort bespielen oder den Ort herrichten oder anders nutzen müssen. Im Rahmen der RuhrTriennale oder der Kulturhauptstadt realisieren wir auch viele Projekte in anderen Städten, weil für uns diese Auflösung von Stadtgrenzen eh schon lange gegeben ist.

?: Das sind natürlich nicht nur selbst getragene Projekte. Dieser Spagat funktioniert also: Nicht mal eine kommerzielle Disko machen zu müssen, hier auch einmal geschlossen haben können, und inhaltlich keine Abstriche machen zu müssen bei diesen Großprojekten!??

!: Ökonomisch betrachtet bringt so ein Diskobetrieb gar nicht so viel wie es oft heißt. Wir bekommen derzeit einen kommunalen Zuschuss von knapp 500.000 Euro, wovon 300.000 direkt als Mietkosten wieder zurück gehen. Und so haben wir beschlossen, uns keinen zu großen Apparat zu halten. Die Gastronomie ist vermietet, und auch das ist keineswegs ein Nachteil. Insgesamt sind wir hier 13 Leute auf 18 Stellen und haben etwa einen Umsatz von 1,5 Millionen Euro zu machen. Unsere Reihe "Kulturgut" in der Stadthalle ist ausgegliedert und genau der Teil des Programms, wo wir 40, 50 Veranstaltungen pro Jahr machen, wo denn auch Namen wie Esther Ofarim, Herbert Knebel oder Heinz-Rudolf Kunze auftauchen. Diesen Markt bedienen wir halt in der Stadthalle. Und den Part für Jugendliche und Stadtteilarbeit auch übernimmt in Mülheim ja das AZ. Insofern und anbetracht der Tatsache, dass dieses Haus hier das Stadtjubiläum im letzten Jahr kuratiert hat, zeigt sich schon, dass wir bestimmte öffentliche Kulturaufgaben mit übernehmen. Und das ist durchaus eine Position der Anfangsjahre: Besser auch einmal Aufgaben an gemeinnützige Vereine übertragen als neue städtische Strukturen zu schaffen. In dieser Zeit ohne Kultusministerium und wenn der Verzicht auf Kulturdezernenten ein offenes Thema ist, muss bei den zukünftigen Herausforderungen schon gesehen werden, wer die Kulturarbeit dann überhaupt leisten kann.

?: Was ja nicht bedeutet, die Politik und die Kommune aus der Verantwortung zu entlassen…

!: Deshalb haben wir ja immer temporäre Aufgaben übernommen, aber es geht nicht um das Ersetzen von städtischen Strukturen, weder im kulturellen, noch im sozialen Bereich. Der Ringlokschuppen selbst hat sich ja immer mehr zu einem Ort verschiedener Künste entwickelt und es gibt sonst keinen Ort im Ruhrgebiet, der solch einen Fokus auf diese Bereiche bieten kann. Diesen Charakter wollen wir 2010 als temporäres "Theaterhaus Ruhr" stärken, mittels Kooperationen mit z.B. den Stadttheatern im Ruhrgebiet, dem FFT in Düsseldorf oder der Volksbühne Berlin. Mit der zusätzlichen Förderung von je 300.000 Euro, die das Land für zwei Theaterhäuser in Köln und Essen hingeblättert hat, könnten wir hier in unserer Netzwerkstruktur einiges anfangen, das in anderen Haushalten eher verschwindet. Wir sehen unsere Entwicklung im Vergleich als sehr progressiv und werden nicht zurückgehen zu einem Haus, das einfach Kabarett- und Konzertveranstaltungen abliefert. Die Frage an die Landesregierung ist eher, ob solch ein Ort nicht weiter entwickelt werden sollte. Und darum werden wir im nächsten Jahr verstärkt kämpfen.

?: Besten Dank für das aufschlussreiche Gespräch!

 

Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 6

In dieser Reihe wurden zunächst klassische Soziokulturelle Zentren vorgestellt. Mittlerweile geht es dem Autor weniger um die ehemaligen Hausbesetzer der 80er und Kulturbeamten von heute, sondern um lose Zusammenschlüsse von Menschen, die dabei eigenständige Formate entwickeln und Projekt orientiert auch einmal mit öffentlichen Institutionen zusammen arbeiten (so z.B.). Im Gespräch diesmal: Patrick Matzmohr und Oliver Grunau von u.a. Supercity und Elektronische Wiese.

 

Ruhrbarone ?: Ihr seid an zwei größeren Projekten aus Essen beteiligt, die sich mit elektronischer Musik beschäftigen. Wie kommt man zu so etwas?

Patrick Matzmohr: Die Idee zur Elektronischen Wiese gab es schon vor zehn Jahren, als ich auch schon DJ war und mich fragte, warum diese Musik keine Berücksichtigung findet beim Werdener Pfingst OpenAir. Und da kommt dann eins zum anderen, denn mir fiel auch auf, dass auf der „Made in Essen“-CD, die von der Sparkasse herausgebracht wird, ebenso nie etwas Elektronisches zu finden ist. Insofern war der Name „Supercity“ also eher ironisch gemeint. Der Name wurde das erste Mal sogar ganz einfach als Ortsangabe verwendet, auf einem Flyer für eine Veranstaltung mit Matthias Tanzmann im Baikonur. Einige Jahre später habe ich dann über Musikprojekte und Veranstaltungen den Oliver kennengelernt.

Oliver Grunau: Patrick hat damals mit Tim Krischak zusammen Musik produziert, der wiederum bei meiner Vinyl Lounge im Bahnhof Süd aufgelegt hat. Das war dann direkt eine sehr entspannte Zusammenarbeit, uns war aber recht bald klar dass wir noch mehr Leute aus diesem Bereich zusammen führen, Kräfte bündeln wollten. Und daraus wurde dann eben auch Supercity.

?: Wie organisiert man so eine Zusammenarbeit?

P.M.: Vor allem muss da erstmal etwas raus das man parat hat, veröffentlichen will. Das Supercity-Logo zum Beispiel war innerhalb einer Stunde fertig. Wie man das in Form gießt, das kommt erst später. Ich als Freiberufler schied aus, also hat Oliver für Supercity dann ein Kleinunternehmen gegründet. Und wir fragen einfach befreundete Läden, ob die unsere CD verkaufen wollen. Der Profit fließt dann in die nächste CD, vielleicht auch einmal in Shirts und Badges. Ähnlich bei der Elektronischen Wiese: Mittlerweile gibt es ein kleines Budget, von dem dann auch einmal ein Gast-DJ eingeladen wird, aber alles funktioniert vor allem durch freundschaftliche Kontakte und auch ohne Sponsoren oder klassische Medienpartner (Foto: Patrick Matzmohr).

O.G.: Supercity haben wir auch begonnen ohne einen Mehrjahresplan á la „ Da muss jetzt ein erfolgreiches Label dabei herauskommen“. Idee war eher: „Hier ist Essen, wir gucken uns um und machen dann einfach mal.“ Einen Stein ins Rollen bringen und gucken was passiert.

?: Man behält natürlich so auch die künstlerische Kontrolle. Dabei fällt dann aber schon auf, dass eine Vinyl-Lounge mit elektronischer Musik in einem Laden wie dem Bahnhof Süd natürlich erst einmal wie eine recht gewagte Kombination aussieht. Immerhin interessieren sich ja selbst Clubgänger außerhalb des Wochenendes nur bedingt für diese Musik, und die Klientel im Süd, zumindest bis zum Start der Reihe, doch wohl eher gar nicht.

O.G.: Ich musste da schon recht vorsichtig rangehen an die Sache damals. Der Inhaber meinte zwar: „Bring mal etwas frischen Wind hier rein, Olli. Mittwochs.“ Aber man musste schon signalisieren: „Kein Stress, keine Kasper.“ Eher Leute an den Plattenspielern, die den Lounge-Gedanken gut umgesetzt haben. Darauf haben die alteingesessenen Rockleute dann gut reagiert, vor allem aber wurde die Vinyl Lounge ein Anlaufpunkt für Musiker der Stadt. Wirtschaftlich brachte das konkret gar nicht viel, so dass die Reihe eines Sommers eingestellt werden sollte. Die Abschiedsparty war dann aber so ein Riesenerfolg, wir mussten einfach weitermachen und haben mit der Sandbar zusammen anschließend noch viele erfolgreiche Veranstaltungen gemacht. Es lief also doch. Und außerdem: Es interessieren sich wesentlich eher allgemein für Musik aufgeschlossene Leute für die Supercity-CD als der typische Partygänger.  Da geht über die Identifikation mit der Stadt natürlich dann auch so ein bisschen was zusätzlich bei den Leuten.

?: Inwiefern hat das alles denn dann einen (pop-)kulturellen Wert, gerade jenseits des kaum vorhandenen Profits?

P.M.: Das ist wie so ein Wecker, der gestellt ist und irgendwann losgeht. Die Uhrzeit kennen wir selbst nicht. Das funktioniert ja dann auch rückwirkend, dass Leute irgendwann bemerken: Ach, der DJ hat da ein Stück drauf? Und der produziert ja auch mit dem zusammen? Und wir denken uns ja auch Slogans aus wie „same city, different electronic music“ oder „du bist wir sind du“, damit die Leute Hinweise bekommen, dass in dieser Stadt auch anderes passiert als das Übliche.

?: Bei Köln in Teilen und vor allem in Berlin hat man ja immer ganz subjektiv das Gefühl, dass da selbst der Großneffe von Willy Millowitsch so ein bisschen auch von dem Gefühl getragen wird: Hey, hier ist eine Stadt mit einer weltweit beachteten Popkulturszene. Und das ist hier ja erst bedingt so. Da hat dann Katernberg mal einen großen Tag wenn Freakatronic im Shanghai spielt, oder Altenessen wenn Kreator Topact in Werden ist…

O.G.: Umso schöner, wenn das dann unkompliziert und ohne größeren Einfluss von außerhalb funktioniert. Und die Möglichkeiten, Essen als wichtige Stadt für elektronische Musik zu etablieren, die waren ja immer mal da, von Europas größter Disco, dem Pink Palace, über ganz andere Läden wie das Baikonur oder das Fink, wo eben immer auch Leute von hier Feder führend waren und sich präsentieren konnten. Und an Musikalischem gab es halt früher The Fair Sex oder The Eternal Afflict, und seitdem gab und gibt es immer wieder Leute von hier, die aber eben nicht allzu übermäßig wahrgenommen werden.

P.M.: Ich hatte mal mit Thomas Geier (früher Rote Liebe, jetzt u.a. bei der Band Festland) so eine Diskussion, bei der er diese gewisse Langeweile hier als eher attraktiv bezeichnet hat. Dass eben nicht alle rumlaufen als wäre eine Kamera hinter ihnen her. Und das ist ja wohl gut nachvollziehbar. Man hält sich hier auf, man kann da drin leben, so meint er das wohl. Ich hätte es gerne schon etwas aufregender, mit ein klein wenig mehr Glamour und so, aber das ist ja auch Geschmackssache. Und andererseits müssen sich die Leute auch erst einmal für die Themen und Leute hier interessieren, auch die Medien und Veranstalter.

?: Wobei es ja auch angenehm ist, wenn man eben nicht pausenlos Radio-, Video- oder TV-kompatible Popformate basteln zu meinen muss, nur weil irgendwelche Sender in der Nachbarschaft das direkt oder indirekt einfordern. Ihr hingegen habt jetzt eine neue CD mit interessanter, eigenständiger Musik aus Essen draußen und macht auch noch eine Party dazu…

O.G.: Ja, kommenden Mittwoch, 10. Juni im Essener Goethebunker. Da legen dann auch die Künstler von der CD fast alle auf oder machen einen LiveAct. Alles zugunsten der nächsten Veröffentlichung natürlich.

?: Besten Dank und viel Erfolg weiterhin!

Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 5 (1)

Aaron Stratmann gehört keiner Hausbesetzergeneration mehr an, arbeitet nicht für die Kommune und hat auch keinen festen Job in einem Kulturzentrum. Wohl aber ist er an einer Reihe wie der Beatplantation beteiligt, war zu Beginn des AZ Mülheim und des Storp 9 dabei und ist auch im Mode-, Theater- und Kunstbereich tätig. Thema also kein festes Haus, wie in dieser Reihe bisher dargestellt, sondern diesmal ein junger Freiberufler, dessen Projekte temporär, mobil und flexibel angelegt sind. Ein Gespräch über den Ist-Zustand im Kulturabteil des Ruhrgebiets und eine Generation, die eben nicht an Schreibtischen klebt.

Ruhrbarone ?: Zur Vorstellung: Du bist ja in vielerlei Bereichen und an verschiedensten Orten tätig. Du und Deine Mitstreiter haben kein festes Haus für eure Veranstaltungen, es gibt nicht das eine Logo, nicht zwingend einen Verein und auch keine direkten Subventionen, kein Jugendamt als Aufpasser, keine übergeordneten Institutionen. Gib doch bitte einen Überblick über Deine Arbeit.

Aaron Stratmann !: Fast richtig. Ich habe ja mein Atelier in Werden, in dem ich male und kreiere und wir haben mittlerweile unseren eigenen Kunst und Kultur Verein. Grundsätzlich besteht die Arbeit, die ich im Kulturbereich mache, aus Tätigkeiten, die ich vorher immer neben Dingen wie meiner Damenschneider-Ausbildung und Co. betrieben habe. Auslöser war vor langer Zeit für einige Freundinnen und Freunde von mir, dass uns das Angebot in den etablierten Veranstaltungsorten nicht gefiel. Wir wollten unsere Sachen großflächiger und nicht nur an einem Ort durchführen. Im Vergleich zu Berlin, Hamburg oder auch Barcelona war uns das hier zu wenig, und das war der Anfang der Beatplantation (Foto) vor sechseinhalb Jahren, zunächst im AZ Mülheim. Und das war direkt eher als Festival angelegt, mit Szene spezifischer Musik und Subkultur auf verschiedenen Floors, ohne aber einfach wie eine Großraumdiskothek einfach nur die Leute zu bespielen, sondern auch mit Installationen, Projektionen, Live-Programm und Ausstellungen. Da ich verschiedene Ausstellungen auch organisiere und kuratiere, z.B. im Rahmen von Be Rock, Beyond Streetart oder Ruhrpuls (ehemals Music & Arts), ergeben sich da natürlich einige Synergien. Gerade im Bereich der Umgestaltung von Räumen gehen wir weit über eine einfache Dekoration hinaus. Und es entstehen Reihen wie „Nicken im Sitzen“, eine Lesung wo Räppen ihre Texte vorlesen.

?: Eine einzige feste Räumlichkeit für all diese Tätigkeiten käme nicht in Frage, so eine Arbeitsweise wie in Autonomen und Soziokulturellen Zentren?

!: Ich habe zwar das AZ Mülheim damals mitbesetzt, aber eigentlich hoffe ich immer noch, dass irgendeine Stadt unser Potential erkennt und uns fördert. Aber: Die Leute sind gemütlicher, die Zeiten  schnelllebiger geworden und man geht mal hierhin und mal dorthin. Und so arbeiten wir dann auch, an verschiedenen Orten, aber mit einer klaren Ausrichtung. Wir wollen durchaus die breite Masse ansprechen, es ist ja eh alles ein großes Crossover; deshalb geht es mehr um Kombination und Ergänzungen und nicht darum, das Rad neu zu erfinden. Wichtig ist dabei, trotzdem auch Szene speziell zu bleiben und nicht den großen Ausverkauf mit zu unterstützen.
Und ein inhaltlicher Gedanke dazu: Wenn ich als Veganer das den Leuten predigen würde, dann brächte das nichts. Es geht mehr darum, bestimmte Lebensweisen auf angenehme Weise vorzuführen, die Leute ein klein wenig zu steuern, aber ihnen die Entscheidung zu überlassen. Früher waren alle anti-Anti, wir sind pro-Pro, d.h. wir machen dasselbe, aber über den positiven Weg. Wir machen also schon politische Veranstaltungen, zumindest sehe ich das so.
Nach dem AZ haben wir uns jedenfalls mit der Beatplantation ins Druckluft begeben und parallel haben wir auch den Verein gegründet, um die ganze Kulturarbeit mal einem Kopf zu zuordnen. Wir haben uns auch mit dem Port e.V. ein Haus besorgt, in Essen und mit Hilfe der Allbau. Doch schon während des Umbaus wurde klar, dass man dort einige Dinge nicht hinbekommen würde, weil es dann doch keine Schallisolierung gab, zum Beispiel. Es ist schon problematisch, Lesungen dort durchzuführen die länger gehen als 22 Uhr. Jetzt hat man sich wieder anderen Räumen zugeneigt  und macht ab und an im Storp Aktionen, aber Storp 9 ist doch großteils dem Jugendamt überlassen. Das ist nämlich der Vorteil an AZs, da macht man alles selber. Die Leute von außerhalb verstehen ja meist gar nicht was man macht oder machen will.
Und Ende 2008 hat man sich dann noch einmal um ein anderes Gebäude in der Essener City bemüht, ganz ohne öffentliche Hand quasi, aber das hat sich dann auch bald erledigt gehabt. Da lag es dann mal an ungeklärten Besitzverhältnissen. Wir hatten ähnliches ein Jahr vorher auch schon versucht. Da hatten aber wieder die Vermieter Angst vor einem Verein. Wobei so ein festes Haus dann eh nur eine Art Stützpunkt sein könnte, von dem aus man dann weiterhin verschiedene Projekte an verschiedenen Orten durchführen würde. Es tut auch gut, immer mal woanders hin zu gehen, um immer wieder neue Impulse abzuholen, auszuprobieren und die Spannung drin zu behalten. Angebote im Rahmen einer Veranstaltung von der Tischtennisplatte über die Ausstellung bis hin zum Theaterstück kann man auch sehr gut ohne einen festen Austragungsort verwirklichen.

Teil 2 des Interviews hier.

Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 4: Bahnhof Langendreer (1)

Was ist passiert seit den späten Siebzigern und frühen Achtzigern? Wie haben sich die bestehenden Soziokulturellen Zentren verändert im Laufe der Zeit? Nach dem FZW, dem KKC und dem Druckluft geht es diesmal nach Bochum. Ein Gespräch mit Gerd Spieckermann, seit den Anfangstagen Begleiter des Bahnhof Langendreer, seit 2004 auch hauptamtlicher Mitarbeiter und vorher u.a. im Bundesverband der Soziokulturellen Zentren.

Bahnhof Langendreer: Ein Ergebnis der Suche nach einem Autonomen Zentrum in Bochum ganz früh in den Achtzigern. Ein leer stehendes Gebäude, das die Bahn eigentlich abreißen wollte, wird unter Denkmalschutz gestellt und zur Gestaltung zu Verfügung gestellt. Bald der nahezu übliche Weg: Vereinsgründung, Aufgabenverteilung, Ausdifferenzierung. Zwei wichtige Charakteristika neben dem Live- und Partyprogramm: Internationalität, politische Bildung, ein eigenes Kino, viele kooperierende Initiativen und Projekte.

Ruhrbarone ?: Wie entstand der neue Bahnhof, was waren das für Menschen damals?

Gerd Spieckermann !:
Der Bahnhof ist seit 1986 peut á peut in Betrieb gegangen. Zunächst die Gastronomie als Startpunkt, dann die Veranstaltungshalle, dann das endstation.kino. Vorher, Anfang der Achtziger, war der Bahnhof von der Bahn stillgelegt worden. Die Leute, die das hier aufgebaut haben, waren aus der sogenannten Zentrums-Bewegung, die politisch und auf der Straße massive Auseinandersetzungen hatten, weil es um ein autonomes Zentrum in der Innenstadt ging. Es hatte da Besetzungen von Gebäuden gegeben, und nach diversen Räumungen und Neu-Besetzungen und Demonstrationen war klar, dass man dauerhaft kein Gebäude würde halten können.
Einige der Köpfe dieser Bewegung haben dann in Langendreer eine Kneipe aufgemacht, und zwar das Rotthaus, Luftlinie etwa 300 Meter vom Bahnhof entfernt. In dessen Saal gab es auch schon alternative, politisch linke Veranstaltungen. Dann fiel das Auge dieser Leute auf den Bahnhof, und man dachte sich, die Ziele der Zentrums-Bewegung doch vielleicht hier verwirklichen zu können. Man ging dann in Verhandlung mit der Bahn, der Stadt und dem Land. Der Durchbruch war schließlich die Einstufung als Denkmalschutz würdig, denn zunächst wollte die Bahn hier Parkplätze für den neuen Bahnhof bauen. Der damals zuständige Minister Zöpel hat dann die Nutzung von Städtebauförderungsmitteln auch für alternative Kulturzentren durchgesetzt, wie z.B. für die Zeche Carl in Essen auch. Damit hat man sonst damals die 35. Schützenhalle im Sauerland gebaut, und er hat das geändert, wie sein Mitarbeiter Ganser auch, der später die IBA machte. Deren Linie damals war „Kultur von allen – Kultur für alle“. Ohne Landesgeld hätte die Stadt niemals ihre Zustimmung erteilt, so musste sie dann über ihren Schatten springen und die mitfinanzieren, denen sie vorher die Polizei entgegen geschickt hatte.

?: Was waren denn die Grundprinzipien des dann entstandenen Vereins? Wie füllt man das, wenn man endlich hat was man wollte?

!: Der Anspruch war damals, basisdemokratisch zu arbeiten und breit aufgestellt zu sein. Im Gegensatz zum Druckluft z.B. hatte die Jugendarbeit nicht so eine Bedeutung. Für die Leute hier gab es vor allem keinen Ort, wo sich die Szene politisch und kulturell zuhause fühlte. Da gab es nur das Schauspielhaus und das Museum. Das Alternativ-Milieu wollte also auch etwas zur Veränderung der Gesellschaft beitragen. Und so war das Programm zu Beginn auch: Viele „agitatorische“ politische Veranstaltungen, sehr viele zur Dritten Welt, zur Anti-Atomkraft-Bewegung, dann kam die Volkszählung, Friedensbewegung, Frauenbewegung… Und das kulturelle Programm wurde dementsprechend auch politisch verstanden. Viele Künstler, die heutzutage hier auftreten, wären damals für die MacherInnen nicht akzeptabel gewesen.

?: Da stellt sich ja dann auch die Frage nach der Kommerzialisierung, gerade in explizit anti-kapitalistischen Kreisen. Und es wurden ja auch Personen sozusagen in die Exekutive geschickt, Stellen geschaffen. Da gab es doch bestimmt Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Flügeln, oder klärte sich das quasi eher auf einer persönlichen Ebene?

!: Teils, teils. Was man so mit „Professionalisierungs-Prozess“ beschreiben kann, hat hier teilweise zu ziemlichen Verwerfungen innerhalb des Hauses geführt. Es sind Leute auch explizit deshalb ausgeschieden, weil man zunächst gewisse Dinge abgelehnt hatte: Arbeitsteilung, Spezialistentum. Alle müssten alles entscheiden können, man wollte basis-demokratisch bleiben. Fragen wie: Versteht man sich auch als Dienstleister und macht auch Dinge zu denen man selbst nicht völlig steht, zu denen aber auch mal andere Leute kommen? Macht man Discoveranstaltungen, um Geld zu verdienen? Sind die politisch korrekt? Darf die Sparkasse Bochum Geld geben und mit ihrem Logo im Programmheft auftauchen? Diese tausend Fragen wurden dann meist im Sinne von Pragmatismus und wirtschaftlicher Notwendigkeiten entschieden.

?:
Regel 1: Systemerhalt. Nicht in Schönheit sterben. Temporäre Konzessionsentscheidungen.

!: Mittlerweile würde ich sagen, dass da viele Entscheidungen der Anfangstage eher falsch waren. Denn es kann nicht darum gehen, dass in einem auch öffentlich finanzierten Haus die kulturellen und politischen Bedürfnisse und Auffassungen von 20, 25 Menschen erfüllt bzw. präsentiert werden. Wer mit einem solchen Anspruch wie wir hier auftritt, hat durchaus die Verpflichtung, an andere – die durchaus anderer Meinung sein dürfen, in einem bestimmten Rahmen – auch etwas weiterzugeben. Ich war sicher früher auch deutlich „dogmatischer“, habe die „reine Lehre“ der Soziokultur verkündet, aber auch daraus gelernt.

?: Zwischenfrage: Man hat sich hier also 2004 einen Ex-Hardliner reingeholt?

!: Nun, ich hatte vorher die Kaue in Gelsenkirchen mit aufgebaut und für den Bundesverband der soziokulturellen Zentren 10 Jahre die Geschäftsführung gemacht. Und daher weiß ich auch sehr gut, wie das hier im Vergleich mit ähnlichen Zentren aussieht. Der Bahnhof ist von der Geschichte und vom Spektrum der Akteure sicherlich weiter „links“ angesiedelt als andere – eigentlich finde ich den Begriff „links“ zur Charakterisierung einer Kultureinrichtung nicht sonderlich treffend.

Teil 2 hier

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Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 3: Druckluft in Oberhausen (1)

Was bedeutet Soziokultur? Wie funktioniert in diesem Rahmen aktuelle Jugendarbeit? Wie sind die Städte des Ruhrgebiets diesbezüglich aufgestellt? Fragen im Rahmen dieser Reihe, die bereits das FZW in Dortmund und das KKC in Essen vorstellte. Nun: Oberhausen und das Drucklufthaus. Ein Gespräch mit Christoph Kaiser.

Druckluft: Hervorgegangen aus einer Jugendinitiative schon im Jahre 1979. Seitdem mit dem Segen der Stadt weitgehend autonom geblieben. Als Verein Druckluft e.V. Im Selbstporträt heißt es: „Damals war es ein mutiges Experiment. Heute darf das Drucklufthaus sich guten Gewissens professionell nennen. Professionell, wenn es darum geht, die ursprüngliche Idee am Leben zu halten.“ Für 2009 war und ist eine Renovierung und in Teilen auch Neukonzeptionierung geplant – leider bei mittlerweile völlig maroden Stadtkassen.

Ruhrbarone ?: Eine kurze Vorstellung deinerseits bitte, und der Strukturen in denen du arbeitest.

Christoph Kaiser !: Ich bin als langjähriger Festangestellter des Druckluft e.V. Mitglied der Hausleitung und war in der Vergangenheit für den Kultur- und Veranstaltungsbereich tätig. Das haben wir nun etwas neu aufgegliedert, so dass ich in Zukunft mehr für Verwaltungsaufgaben und die Repräsentation nach außen zuständig bin. Daniel Sprycha ist mein Nachfolger beim Kulturprogramm.

?: Was befand sich eigentlich einmal früher an dieser Stelle? Und was kam dann?

!: Das Haupthaus ist tatsächlich das letzte Überbleibsel der Zeche Concordia, Schachtanlage II, von Ende des 19. Jahrhunderts (Foto). Die meisten Industrieanlagen wurden dann demontiert, dieses Gebäude steht wohl nur noch, weil es bis nach dem 2. Weltkrieg als Wohnhaus genutzt wurde. Und dann war hier erstmal Babcock. 1979 begann dann die Geschichte des Druckluft.
Es gab kaum Jugendarbeit oder kommerzielle Angebote, höchstens die einzige Diskothek „Stratosphäre“. Eine politisch unorganisierte Initiative, eher aus dem links-alternativen Umfeld und bestehend aus 30, 40 Jugendlichen, hat dann recht bald diesen Verein gegründet. Es gab eine breite Basis und einen Jugenddezernenten, der das auch unterstützt hat. Bald wurde Druckluft als Träger der Jugendhilfe anerkannt. Im Gespräch waren zuerst sogar die Umkleidekabinen des Niederrheinstadions, aber man hat dann diesen Ort hier an der Straße „Am Förderturm“ gewählt und aus ziemlich maroden Zuständen wieder hergerichtet.

?: Wie hat sich denn diese Autonomie solange gehalten ohne zu verfilzen?

!: Das ist natürlich schwierig genug. Zur Geschichte noch einmal: Es gab natürlich verschiedenste Interessensgruppen, die den Anspruch „selbst verwaltetes Jugendzentrum“ erstmal mit Inhalt füllen mussten. Es gab da Bedürfnisse von der Selbstverwirklichung, also eher „Jugendkultur für uns selbst“, bis hin zu Bedarf im Stadtteil, klassischer Jugendarbeit und auch verschiedene Gruppen und Initiativen mit Raumbedarf. Nicht gab es eine Regelförderung zum Beispiel. Und Anfang der Achtziger brannte dann nach einer Feier plötzlich der Dachstuhl. Daraufhin hat die Stadt interveniert und eine gewisse Professionalisierung verlangt, woraufhin es dann aber auch eine Mindestförderung gab, da Druckluft als „Offene Tür“ anerkannt wurde und auch professionelle Pädagogen hier arbeiten konnten. Damit war ein Anfang gesetzt.
Und es wurden dann sukzessive Strukturen geschaffen, die immer zum Ziel hatten und haben, betreute Freiräume für Jugendliche zu schaffen. Das bedeutet, dass Einzelpersonen oder Gruppen Räume nutzen können, ob für Workshops, politische Veranstaltungen, Konzerte, Treffen, Lesungen, Partys oder was auch immer. Formal gibt es einen Trägerverein und einen Vorstand mit dem Haus verbundenen oder früher einmal hier tätigen Menschen, die dann auch Personalentscheidungen treffen. Die inhaltliche Entscheidungsfindung passiert vor allem mit den Gruppen und Initiativen im Haus. Wobei auch die Kernzielgruppe fest definiert ist, mit einem Alter von 16 bis 27 also etwas älter als die von klassischen Jugendzentren, und auch für das gesamte Stadtgebiet, also nicht nur Stadtteil bezogen. Ähnliches gibt es in Oberhausen auch sonst nicht, deshalb ist die Arbeit hier im Grunde unumstritten.

Teil 2 des Interviews hier.

 

Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 2: Das KKC in Essen

Was und warum machen eigentlich all die Kulturzentren im Ruhrgebiet? Im ersten Teil antwortete darauf Rüdiger Jordan vom Dortmunder FZW. Sozusagen wegen vieler Anfragen erfolgt im zweiten Teil ein Kurzbericht über das KKC, einst neben Frankfurt und Berlin wohl das aktivste Studierenden eigene Veranstaltungscafé.
Was ist es heute?

Viele Erinnerungen schon beim Weg vom Campus die Treppe hinunter und das Gefühl, dass früher eine Art "schmuddelig aber unser" die Einstellung meiner AStA-Generation zu diesem Beton-Vorhof ausgemacht hatte. Dementsprechend auch die verwitterten Plakate an den Fenstern der Studierendenvertretung; später werde ich feststellen dass dort im Schnitt zweimal vier Stunden Anwesenheit pro ReferentIn und Woche auf den Türschildern stehen. Vor 15 Jahren – und vor dem Crash in Essen und den Studiengebühren und Bachelors – waren das noch mehr als Vollzeitjobs. Aber es war auch ständig Krieg zwischen rechts und links und links und links, 2009 wirkt alles recht gelassen, selbst beim Betreten des KKC. Es erstaunen aber sofort wieder die prächtige Theke und die wohl designten Wände.

Es ist Milchkaffeezeit, und alles scheint dezent "Pause" zu flüstern. Nach einiger Recherche stellt sich heraus, dass ein Angestellter quasi für das Tagesgeschäft und die Gastronomie zuständig ist. Dieser ist dem Finanzreferenten des AStA unterstellt, und das Kulturreferat macht im KKC manchmal Veranstaltungen. Oder Fachschaften ihre Parties. "Im Grunde aber funktioniert das KKC hauptsächlich als studentische Caféteria", erklärt Kulturreferentin Tinka Stinnen. "Der große Raum ist eh schon in Raucher- und Nichtraucherbereich unterteilt, und daher machen wir unsere Kulturveranstaltungen auch gerne woanders. Zum Beispiel ist die Atmosphäre für Filme im Hörsaalzentrum einfach viel Kino artiger. Und Lesungen machen wir sogar eher in den AStA-Räumlichkeiten."

Da gibt der Autor zu, dass er da schon ein wenig geschluckt hat und sich gefragt, warum 2009 genau das Gegenteil des 30-Tage-Kulturprogramm-Prinzips von Mitte der Neunziger passiert. Keine AStA-Partyreihe zur Finanzierung von Konzerten und Theater mehr. Wenig auswärtige Künstler. Trennwand, Theke, P.A. und Lichtanlage werden eigentlich gar nicht genutzt. Muss man ja auch nicht immer. Und gut ausschauen tut es ja noch aufgrund der Mühen der Vorgängergenerationen. Cool. Warum nicht? Schließlich gibt es mit dem jährlichen Campusfest und der gelegentlichen EinsLive-Party ja auch ab und zu mal Pop für die Massen.

Also endlich exemplarisch zu dem was passiert gegen Ende des Semesters:
In der Reihe "quergelesen" heißt es am Donnerstag (29.01.) im AStA "Die Rache der Eva H." mit den passenden Werken der Frauen Roche, Herman und Nick und folgendem Text auf dem Flyer: "Für alle die sich emanzipieren von festgelegten Geschlechterrollen und die Thesen von Eva Herman einfach nur lächerlich finden. Dazu einen schönen prickelnden Sekt. Nicht nur trockener, da bei den Beschreibungen einer Tochter der Emanzipation einem oft die Spucke wegbleibt. Dazu die Frage: Ist die Freiheit so ein Buch wie Charlotte Roche zu schreiben eine Folge der Emanzipation?"
Und im Bereich Theater ist nicht nur der Theaterausgehclub zu nennen, eine Kooperation mit dem Theater Oberhausen, das Theaterbesuche zu 4 Euro ermöglicht. Sondern auch dass der für den 6. Februar geplante Theaterabend der studentischen Gruppe wohl verschoben wird, um das neue Stück statt des alten aufzuführen. Und am Freitag (30.1.) ist Comedynight ab 20 Uhr, und zwar mit Ilhan Atasoy (Foto – bekannt von u.a. Nightwash und dem Quatsch Comedy Club) und der Newcomergruppe Avocadomousse mit dem Programm "Yes – we can!".

Kulturetat und KKC haben also nicht mehr viel miteinander gemein, und das Zentrum dient tatsächlich vor allem als Caféteria und finanziert sich gemütlich über die Gastronomie des Tagesgeschäftes plus einiger Vermietungen. Kurz schießt mir durch den Kopf, dass die Studierendenvertretung sich von ihrem selbst geschaffenen Monster re-emanzipiert hat. Ganz selbstverständlich folgt diese Studierendengeneration also eigentlich einem von mir lange geforderten Prinzip für die vielen Hallen des Ruhrgebietes. Nämlich dass man nicht zwanghaft immer alles bespielen soll. Oder auch: Alles kann, nichts muss. Beruhigend. Vielleicht sogar beispielhaft.

Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 1: Das FZW in Dortmund (1)

Jugend- und Kulturzentren im Ruhrgebiet im Umbruch. Werden nun aus alternativen Initiativen harte Standortfaktoren? Wie finden die Macher einen Weg zwischen Förderungswürdigkeit und modernem Anspruch, wie den zwischen Kommerz und dem einer Anlaufstelle für Subkulturen? Im ersten Teil geht es um das FZW, das 2009 vom Westen der Stadt in die City Dortmunds ziehen wird. Im Gespräch: Rüdiger Jordan.

Das FZW:

Eröffnet 1968 als Jugendfreizeitstätte mit Minigolfanlage, Kegelbahn, Milchbar und Kino. Über Punk und die Folgen bald immer mehr Anlaufstelle für lokale Bands und tourende Bands aus aller Welt, vornehmlich mit Gitarren in der Hand. Zum städtischen Träger und der AWO gesellt sich 1988 der „Verein für unabhängige Kultur“, eine Gruppierung aus vielen Musikern, Sozialarbeitern und –pädagogen, Journalisten, Künstlern, Raumplanern und Architekten. Neben den etablierten Musikreihen (Konzerte, Partys) stehen einige Workshops und außerhalb platzierte Aktionen und Veranstaltungen vom Westendsommer bis zu den Juicy Beats, viele Events, einige eher rein sozial ausgerichtete Projekte. 2008 ist dann – nach einer Phase zwischen Professionalisierung und merklichem Altern der Belegschaft – das letzte volle Jahr in der Nähe des Westbahnhofs, denn es steht für den Sommer des Jahres ein Umzug in das „U“ mitten in der Innenstadt an.

Ruhrbarone?:
Was kommt eigentlich an die Stelle des alten FZW?

Rüdiger Jordan:

Das alte FZW wird nach der Schließung abgerissen und weicht einer Wohnbebauung. Für unsere Stammbesucher aus dem Viertel sind wir allerdings mit dem neuen Standort nicht wirklich weit entfernt. Und für alle anderen Dortmunder und Besucher von außerhalb bietet der neue Standort eine Verbesserung, da wir mit der Ritterstr. nur fünf Minuten vom Hauptbahnhof entfernt liegen.

?:
Was wird die Rolle von Rüdiger Jordan im neuen FZW sein?

Rüdiger Jordan:
Ganz steht das noch nicht fest, da viele der Prozesse, z.B. wie wir uns aufstellen noch laufen, aber mein Schwerpunkt liegt in der Fortführung der kleinen Themen, die nicht unwesentlich den guten Ruf des alten FZW prägten. Es geht um Nachwuchsförderung, musikalische Aufbauthemen, Unterstützung der Jugendszenen in ihrer Vielfalt, Vernetzung und das Einbringen der aus unserer Sicht förderungswürdigen Veranstaltungen und Reihen, die Zeichen setzen, das Profil des FZW schärfen und den Wünschen und Bedürfnissen insbesondere unserer jungen Besucherschaft entsprechen.
Das neue FZW wird mit 1300 möglichen Besuchern aufwärts ja wesentlich größer, was aber auch höhere Fixkosten bedeutet, die erst mal generiert werden müssen. Ich selbst bin vom Jugendamt der Stadt Dortmund angestellt. Wir prüfen da gerade mit Vertretern der Stadt und Vertretern der AWO als zeichnender Partner für die Gastronomie, in welcher Gesellschaftsform wir das neue FZW betreiben werden.

?:
Man kalkuliert ohne Gastronomie-Einnahmen?

Rüdiger Jordan:
Im alten FZW wurden die für die Bezahlung der Fixkosten (Personal, Werbung etc.) verwendet, während der Eintritt an die Künstler ging. Das klappte vor allem zu den goldenen Zeiten in den mittleren bis späten Achtzigern gut, aber dieses Konstrukt wird auch im neuen FZW Bestand haben. Und die Tatsache, dass das FZW als förderungswürdig eingestuft ist, bleibt ein weiterer sehr wichtiger Faktor.
Neben den sichtbaren Bereichen der Bandförderung, jugendrelevanten Veranstaltungsreihen, kommen Kooperationen und Unterstützung von Kulturschaffenden jeglicher Couleur, Betreuung und Förderung von Kompetenzen bei „defizitären“ Jugendlichen in Projekten, Schaffung von Ausbildungsstellen im Bereich der Gastronomie und Veranstaltungstechnik hinzu. Ein weiterer Focus auf der Arbeit des FZW wird es sein, Themen aus dem eigenen Spektrum in die Stadt hinaus zu tragen.

TEIL ZWEI zum FZW hier.

 

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