Ich fahre mit dem Rad auf der Emscherinsel. Kann man nicht gleich sehen, dass das ein Eiland ist. Aber wenn man davon runter will merkt man es. Entweder muss man über den Rhein-Herne-Kanal oder über die Emscher. Das Ding zieht sich, denn beide Wasserwege laufen gut 30 km nahezu parallel. Die Insel ist von der Form also eher ein lang gezogenes Riff. „Long Island“ wäre deswegen ein passender Spitzname.
Wie auch immer, ich fahre und es ist ein sonniger Sonntag und viele radeln mit mir. Möglichst nah am Wasser entlang. Ich sollte Neues entdecken. Hatte es zwar vermutet, denn landauf landab wurde Neues angekündigt: Emscherkunst und Kulturkanal. Aber ich war nicht wirklich darauf vorbereitet und hatte keinen genauen Plan. Wie die meisten meiner Mitbiker. Ich fahre halt schon immer gerne am Kanal entlang. Lange bevor der Landstreifen zwischen ihm und der größten Kloake Europas zur Insel umbenannt wurde. Aber wenn diese Kloake endlich kanalisiert und die Emscher wieder ein Fluss sein wird, dann könnte der neue Name wirklich passen. Insel, klingt irgendwie nach Urlaub, oder?
In diesem Fall Kultururlaub, denn es kamen Sachen auf mich zu die den Kunstlaien in mir in Erstaunen versetzten. Z.B. ein riesiger Gartenzwerg auf einer wetterfesten Stahltafel in Größe eines innerstädtischen Reklameschildes direkt am Kanal aufgestellt. In gleicher Größe später, genauso überraschend, das Wort Demut. Irgendwie passend zur Region, denn die vielen Gartenzwerge hier sind nur mit Demut zu ertragen.
Irgendwo standen auch ein paar gelbe Bauwagen herum. Sehr interessant war ihr Inhalt, denn jeder von ihnen war im Inneren zugleich zu einer Schlafstätte wie zu einem Kunstwerk umgebaut worden. Um das mit zu bekommen musste man allerdings schon durch die Scheiben schauen oder hineingehen. Übernachten konnte man dort nur nach Voranmeldung.
Mein schönstes Kurzferienerlebnis hatte ich allerdings an einer Art Aussichtsturm aus Holz, der von Weitem so aussah, als hätte sich irgendein Ruhri aus dem Baumarkt Abfallholz besorgt und sich das Ding zum eigenen Vergnügen und vor allem zur weiten Sicht als Ergänzung zu seinem Wohnwagenplatz gebaut. Was natürlich mitnichten der Fall war.
Es ging um bewusste Halbfertigkeit, um Entstehen und Vergehen und natürlich um den Bezug zur Emscherlandschaft. Das übliche künstlerische Überhöhungsgeschwafel, das irgendwie immer gleich klingt, egal wo man auf der Welt hinkommt. Für den Künstler und den Kurator machen solche Erläuterungen natürlich Sinn. Für den durchschnittlichen Betrachter sind es Wortkaskaden die er selten bis zu Ende liest.
Die meisten meiner Mitbetrachter haben nicht mal auf die Texttafeln drauf geschaut. Sie wollten auf den Turm. Vor allem die Kinder. Die Leute kamen zu 99% aus der näheren Umgebung und waren einfach neugierig geworden. Bestaunten das Ganze. Es war einfach was Anderes, denn der Turm hatte eine Art Vorgarten mit einem Steg den man präzise begehen musste um zur Plattform und damit zum Aufstieg zu kommen. Es war eben nicht einfach nur ein Aussichtsturm wie man ihn kannte. Er sprach in seiner besonderen Form für sich selbst. Oder auch nicht. Urteilen sie selbst.http://www.emscherkunst.de/kuenstler-projekte/alle-projekte/tadashi-kawamata-walkway-and-tower.html
Die Krönung war dann einer der vielen spontanen Kommentare, der mir nicht mehr aus dem Sinn gegangen ist, weil ich ihn in Anbetracht der aktuellen ästhetischen Beliebigkeit für einen der klügsten und zugleich kürzesten Kunststatements seit langem halte. Von einem älteren Paar, beide noch auf dem Rad, aber schon länger stehend mit guter Gesamtsicht auf das ganze Ensemble. Sie zu ihm: „ Wat meinze?“ Er zur ihr nach einer für den Ruhrgebietsureinwohner ungewöhnlich langen Denkpause: „ Kann man machen“.