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Ein halbes Jahr Ruhrbarone im Internet. Aber wer war eigentlich DER Ruhrbaron, der wichtigste, erfolgreichste, beste, erste? Oder DIE Ruhrbaronesse? Die Hitparade im 250. Jahr der Ruhrindustrie. Unsere Top 23.
Startnummer 23) Unser Schlusslicht ist Walter Borbet (1881-1942). Den Ingenieur kennt keiner mehr, obschon er Generaldirektor des Bochumer Vereins war und bei der Aufrüstung in Nazi-Deutschland krätig mitmischte. Heute gehört der Bochumer Verein übrigens der Georgsmarienhütte und die dem amtierenden RWE-Boss Jürgen Großmann.
22) Als Hinterletzter der alldeutsche Chauvinist Albert Vögler (1877-1945), Generaldirektor der 1926 gegründeten "Vereinigten Stahlwerke", Nazihelfer. Mit der Fusionsfirma ein Hitler-Wegbereiter, Aufrüstungsprofiteur, Kriegsproduzent und dann – kurz vorm Zugriff der US-Truppen – Selbstmörder.
21) Wie Vögler war auch Fritz Springorum (1886-1942) Mitglied der 1928 gegründeten so genannten "Ruhrlade", ein genauso diskreter wie deutschnationaler Geheimbund von 20 Ruhrindustriellen; immerhin waren auch Hitler-Gegner dabei. Hauptberuflich war Springorum Aufsichtsratsvorsitzender der Hoesch AG in Dortmund und machte damit exakt den gleichen Job wie zuvor Vater Friedrich (1858-1938). Der war dazu mächtiger Präsi im "Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen“. Humorbombe Bismarck hatte für den Dachverband der Ruhrbarone den Titel "Langnamverein" erfunden.
20) Wie die Zwei von der Hoesch AG war auch Emil Kirdorf (1847-1938) leitender Angesteller, kein Fabrikbesitzer. Als Sprössling eines rheinischen Textilunternehmens begann er seine Montankarriere auf der Wattenscheider Zeche Holland. Rasch stieg er auf zum "Schlotbaron", leitete die Gelsenkirchener Bergwerks AG, bis die in den 1920ern Europas größter Zechenverbund wurde. Betrieb Interessenpolitik im Rheinisch-Westfälischen-Kohlensyndikat, einer Art Ruhrpott Opec. Förderte Hugenberg, dann Hitler. Zum Dank gab’s das goldene Parteiabzeichen und ein Staatsbegräbnis mit Führer am Grab.
19) "I paid Hitler", so der Titel eines auf der Kriegsflucht diktierten Buches von Fritz Thyssen (1873-1951). Tatsächlich war Fritz eifriger Hitler-Förderer, durfte sich unter den Nazis seinen ständischen Gesellschaftsideen widmen. Nebenbei hatte er den Aufsichtsratsvorsitz der Vereinigten Stahlwerke inne, sabottierte 1923 im Ruhrkampf eifrig die Franzosen. Vor dem Weltkrieg kam es aber zum Zerwürfnis mit den Nazis. In Südfrankreich wurde er geschnappt und kam in Ehrenhaft in verschiedenen KZ. Nach dem Krieg emigrierte er zur Tochter nach Buenos Aires als geringfügig belasteter Nazikollaborateur. Vater August Thyssen (1842-1926) aus Eschweiler, nicht Duisburg, hatte mit der Firma Thyssen-Fossoul angefangen, später mit dem Kollegen Stinnes RWE gegründet, ein Ruhrmagnat.
18) Nicht als Nazi bzw. Naziabtrünniger, sondern als katholischer Reichstagspolitiker und Unternehmer machte sich Florian Klöckner (1868-1947) einen Namen. Sein Bruder Peter (1863-1940) hatte Klöckner & Co als Stahlunternehmen groß gemacht, ging nicht in die Vereinigten Stahlwerke, kaufte Humboldt und Deutz dazu. Heute gehören die Überreste von Klöckner der Salzgitter AG – und seit 1993 ein Teil, die Georgsmarienhütte in Osnabrück, für zwei DM dem ehemaligen Klöckner-Manager Großmann. Der heutige RWE-Chef kopierte dann als Sanierer von maroden Unternehmen das einstige Erfolgsrezept Peter Klöckners – in den ersten Jahren nach 1897 erwarb sich der gebürtige Koblenzer den Ruf eines Firmensanitäters.
17) Ähnlich brüderlich wie bei Klöckner ging es bei Reinhard Mannesmann (1856-1922) und Bruder Max aus Remscheid zu. Wer kennt nicht die Röhren u.a. aus Mülheim? Kaum noch jemand. Denn der einstige Welt- und Mischkonzern mit Sitz in Düsseldorf wurde zur Jahrtausendwende von Vodafone feindlich geschluckt mit juristischem Nachspiel für Deutschbanker Josef Ackermann. Und auf den reimt sich? Richtig: "Erstick doch dran" (taz).
16) Schluck, schluck, weg sind sie! Das gilt auch für den einst so stolzen Konzern Stinnes, nun Teil der DB Logistics. Vor Urzeiten begann Mathias Stinnes (1790-1845) aus Mülheim/Ruhr als Schiffsjunge mit dem Geschäft. Freilich auf dem Binnenschiff des Vaters. Er wurde Binnenreeder und Bergwerksbesitzer. Hugo Stinnes (1870-1924), Enkel des Firmengründers, führte den Mischkonzern zum Weltrekord: 600.000 Mitarbeiter.
15) Kommen wir zur ersten Ruhrbaronesse unserer Liste. Emilie Flottmann (1853-1933) übernahm die Firmenleitung von ihrem verstorbenen Mann, verlagerte die Maschinenfabrik von Bochum nach Herne. Dort lief es so gut, dass ihr Sohn Otto Heinrich das Patent auf den Presslufthammer anmelden konnte. Heute hat sich in den Flottmann-Hallen bekanntlich Industriekultur breit gemacht.
14) Ein findiger Tüftler war auch Carlos Otto, besser bekannt als Dr. C. Otto (1838-1897). In Mexiko geboren, lernte der Chemiker bei Justus Liebig und entwickelte sich zum Pionier im Koksofenbau. Jetzt gehört die Fabrik in Bochum-Dahlhausen Preiss-Daimler, die sich ansonsten besonders um Bitterfeld bemühen.
13) Wir bleiben in Bochum, kommen zum Bochumer Verein. Gleich zwei Ruhrbarone tummeln sich im Umfeld der Schwerindustrie mitten in der damals eher kleinen Bauern- und Bergbaustadt. Jacob Mayer (1813-1875) kam aus Württemberg und gründet mit einem Compagnon 1842 die Keimzelle des Werks für Stahlformguss, aus dem 1854 der Bochumer Verein wurde. Louis Baare (1821-1897) war erst Bahner und stand dann 41 Jahre an der Spitze des Bochumer Vereins, ein Nestor der Ruhreisenindustrie und Gründervater der Industrie und Handelskammer mittleres Ruhrgebiet. Die berühmten gusseisernen Glocken enstanden unter seiner Leitung, noch heute steht eine von 1867 vorm Rathaus der Stadt.
12) Am Bochumer Verein partizipierte auch Friedrich Grillo (1825-1888). Und nicht nur hier, er beteiligte sich am späteren Bergwerk Nordstern in Gelsenkirchen, verdiente sein Geld auch mit der Saline Königsborn in Unna. Grillo, aus einer ursprünglich französischen protestantischen Vertriebenensippe stammend, sorgte für die zeitgemäße Organisationsform für die Ruhrindustrie: Actiengesellschaften. Sein Geld investierte er nicht allein in Wertpapiere, auch fürs spätere Grillo-Theater griff er in sein Portemonnaie (frz./ sic!).
11) Friedrich Wilhelm Brökelmann (1799-1891) interessiert sich eher für die praktischere kommunale Daseinsvorsorge, etwa Straßenbeleuchtungen und fürs Jagen. Eigentlich aus Dortmund, in jungen Jahren Waise, half er Neheim-Hüsten industriell auf die Füße. Nachdem er seine Geschäfte als Handlungsreisender begann, schuf er die Hüstener Gewerkschaft, ein Vorläufer der Westfälischen Union in Hamm.
10) Ein weiter Seitenwechsel übers Revier an den Niederrhein. Was Brökelmann für Hamm, war Friedrich Freiherr von Diergardt (1795-1869) für Moers und den gesamten Niederrhein. Der Fabrikant für Samt und Seide hatte tausende Heimarbeiter am Start und ein boomendes Nebengeschäft. Er sorgte sich um den Eisenbahnanschluss und für reichlich Zechengründungen im flachen Land. Zwei davon hörten schließlich auf die Familie Diergardt.
9) Ganz im Süden, eigentlich weit weg vom Ruhrgebiet, lebte Leopold Hoesch (1820-1899). Von seinen Arbeitern nicht bloß als Baron, sondern sogar als Fürst betitelt, blieb Düren der Lebensmittelpunkt des Schwerindustriellen. 1871 im Siegesrausch gründete er die Hoesch AG in Dortmund. Keine Globalisierung, aber eine kleine Standortverlagerung. Aus dem Rheinland ins Ruhrgebiet – der Nähe zu den Rohstoffen und besseren Transportwege wegen. Man kennt das.
Acht) Und jetzt eine wirkliche Ruhrbaronesse. Helene Lohmann, geborene Berger (1784-1866) aus Witten. Sie mehrte das Vermögen ihres verstorbenen Gatten, wirkte 29 Jahre als höchst eigenständige Unternehmerin. Ihre Bilanz: Beteiligungen an 69 Zechen. Bruder Carl Ludwig (1794-1871) gründete das Gussstahlwerk Witten. Dessen Sohn Louis Constans (1829-1891) veredelte sie zu, ja doch!, Edelstahlwerken. Erfolgreich vor allem mit Gewehrläufen. Ob’s ihm im Ruhrtal zu militant wurde? Als nationalliberaler Reichstagsabgeordneter gehörte sein späteres Engagement der Moselregion.
7) Nicht nur phonetisch war Louis Constans mit einer Luise vermählt. Luise Harkort, der Tochter vom Ruhrpionier Friedrich Harkort (1793-1880), genannt nach dem gleichnamigen See, nein, natürlich ist es umgekehrt. Der "Vater des Ruhrgebietes" ist zwar in aller Munde, war aber gschäftlich weniger erfolgreich als etwa seine Mutter Louisa, geborene Märcker (1718-1795). Sie sorgte fürs Grundkapital der berühmten Sippe, ließ auf der Ruhr Roheisen transportieren.
6) Bei Harkorts die Louise, bei Krupp Helene Amalie (1732-1810). Sie besaß Anteile an der Wiege der Ruhrindustrie, der Hütte in Sterkrade-Oberhausen und in Neu-Essen. Ihr Enkel Friedrich (1787-1826) gründete seine Gusstahlfabrik erst als er die Hütte Gute Hoffnung herunter gewirtschaft hatte. Sein ganzes Erbe steckte er in die "Verfertigung des englischen Gussstahls", auch das nicht besonders gewinnbringend. Erst Alfred (1812-1887) rockte das Kruppsche Fachwerkhaus. Er hieß eigentlich Alfried, was nun gar nicht zur Kanonenfabrik passte, die der manisch-depressive Geist voran trieb. Seine Schreibwut ist legendär, heute würde man ihn wohl Spam-Person nennen, aber die Firma Krupp machte er zum Weltgiganten. Unter Sohn Friedrich Alfred (1854-1902) ging der Aufschwung weiter, dabei liebte F.A. Caprisonne mehr als Essens Ruß. Die Tochter heiratete nobel: Gemahl Gustav von Krupp zu Bohlen und Halbach war dann bekanntlich mittenmang bei Aufrüstung und Faschismus. 1943 musste der Erstgeborene dran, Alfried, der letzte Krupp. Nun heißt die Familie längst Berthold Beitz und der ist eine Stiftung. Oder so.
5) Heute würden wir Thomas Mulvany (1806-1885) wohl als Büttel einer Heuschrecke beschimpfen. Mit britisch-irischem Investivkapital im Rücken suchte der Dubliner im Ruhrbergbau sein Glück. Nicht alles glückte ihm. Aber weil er nicht nur Geld, auch Know-How im Tornister hatte, war er bald anerkannt. 1871 wurde er gar Vorsitzender des Langnamvereins. Seine irische Herkunft verleugnete er nicht, also hießen seine Zechengründungen Shamrock, Hibernia, Erin. Leben wollte er nicht im Pott, Mulvany residierte in Düsseldorf.
4) Wir nähern uns dem Mekka, wo alles begann. Osterfeld. Am Anfang war ein Priester. Franz von der Wenge zum Dieck (1707-1788) aus Schonnebeck. Der Domherr beantragte beim Kölner Erzbischof eine Schürfgenehmigung für Osterfeld und Buer. 1754 wurde mit dem Bau der St. Antony Hütte begonnen, am 18. Oktober 1758 glüht der erste Hochofen der Region, angefacht nicht von einem Ruhrbaron, sondern einem waschechten Freiherr.
3) Nach der Geistlichkeit übernahmen Kapitalisten. Heinrich Arnold Huyssen (1779-1870) war Oberbürgermeister von Essen, das gerade mal 4.000 Einwohner zählte. Wichtiger also seine kommerziellen Umtriebe. Zusammen mit den Compagnons Gottlob Jacobi und Franz Haniel schuf er die Gewerkschaft Jacobi, Haniel & Huyssen. Jacobi (1770-823), geboren in Koblenz, kam aus Trier ins Revier, wurde Hüttendirektor von Neu-Essen in den wildesten Zeiten der Ruhrindustrie, als sich um Hütten gekloppt wurde wie um Goldclaims in Kalifornien. Jacobi war so vorausschauend in die Familie Haniel einzuheiraten – und dann wartete er auf seine Chance.
2) Die kam, als Maria Kunigunde von Sachsen (1740-1826) ihre Anteile an der Hütte in Sterkrade verkaufte. Die Fürstäbtissin des Reichsstift Essen sollte eigentlich schick heiraten, einen Habsburger. Doch die Pläne scheiterten, die Frau wurde Fürstäbtissin und geschäftstüchtig. Zwar verbrachte sie nur wenig Zeit im Essener Stift, doch das Vorkommen an Raseneisenerz an Emscher und Rhein hatte es ihr angetan. So gründete sie 1789 eine Hüttengesellschaft des Stifts, 1791 die Hütte Neu-Essen. Sie lotste Jacobi ins spätere Industrierevier. Und dann verkaufte die Kunstsinnige an Haniel.
1) Duisburg, Ruhrort, das väterliche Packhaus, eine Art vorgeschichtlicher Logport, hier begann das Wirken von Franz Haniel (1779-1868). Mit seinen beiden Schwagern, Huyssen und Jacobi, gründet er schließlich die spätere Gutehoffnungshütte (GHH – übrigens auch Wurzel des MAN-Konzerns). Erfolge hatte Haniel bereits als Händler, Spediteur gefeiert. Die napoleonische Kontinentalsperre spielte ihm ins Blatt, genauso seine tüchtige Mutter Aletta und der Familienbetrieb Haniel, der 1756 als Weinhandel startete. 252 Jahre und kein Ende: Noch heute ist Haniel Familien- und Mischkonzern mit 56.000 Mitarbeitern. Haniel gehören 36 Prozent der Metro AG, aber auch Unternehmungen mit obskureren Titeln wie Xella, Takkt, HTS, ELG und Celesio.
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