Rot-Grün: „Ich hatte da mal ein Lager…“

gruener_baerDie SPD setzt in NRW auf Rot-Grün. Die Begeisterung der Grünen über die Wiederbelegung des alten Projekts wirkt etwas pflichtschuldig, denn sie wissen: Es gibt keine Lager mehr.

In den 90er Jahren war die Welt noch scheinbar einfach: Die Grünen hatten, zumindest oberhalb der kommunalen Ebene, nur einen denkbaren Koalitionspartner: Die SPD. Man schwärmte vom Rot-Grünen-Projekt. Die Sozialdemokraten sahen dass etwas pragmatischer: Wenn es passte, koalierte man mit den Grünen, ging auch aber Verträge mit der Union und der FDP ein und kooperierte auch schon mal mit der PDS. Die SPD war in einem strategischen Paradies: Sie konnte mit allen. Von einem Rot-Grünen-Projekt war da nicht die Rede und Schröder hätte 1998 lieber mit der CDU als mit den Grünen regiert.

Heute ist das anders: Auf ihrem Parteitag in Dortmund beschworen sowohl Hannelore Kraft als auch SPD-Chef Sigmar Gabriel Rot-Grün.  Das soll zum einen Aufbruchstimmung erzeugen, aber auch  Diskussionen über die Zusammenarbeit mit der Linkspartei oder der Union verhindern. Beide Optionen wurden ja nicht ausgeschlossen, würden den Wahlkampf allerdings stören.

Und die Grünen? Die bekunden, dass sie auch am liebsten mit der SPD regieren wollen, wirken aber deutlich distanzierter, denn sie kennen die Probleme, die bei der Zusammenarbeit mit der SPD aufkommen würden.

Neben wir den Energiebereich: Die SPD will den Ausstieg aus der Kohleförderung rückgängig machen. Mit den Grünen wird das nicht gehen. Die SPD will, wie die Union, weitere Steinkohlekraftwerke. Die Grünen sind dagegen.
Die Grünen wollen Direktwahlen auch für das Ruhrparlament – bei der SPD taucht das Thema noch nicht einmal auf.

Da waren die Gemeinsamkeiten schon einmal größer – gegen Ende der rot-grünen Regierung, als man sich, nach schweren Krisen, 2003 auf das Düsseldorfer Signal einigte. Das liest sich auch heute, fast sieben Jahre nach seiner Formulierung, modern und undogmatisch. Von Bürokratieabbau und Strukturveränderungen ist da die Rede, einen Ruhrbezirk sollte es geben – und die SPD, die damals dieses Papier unterstützte, warf es nach der verlorenen Wahl sofort auf den Müllhaufen. Man wolle wieder SPD-Pur, sagte mir damals der SPD-Generalsekretär Michael Groschek.

Wenn nach der Wahl Rot-Grün möglich sein sollte, wird die SPD auf Grüne treffen, die sehr pragmatisch in die Koalitionsverhandlungen gehen werden. Die SPD wird einen hohen Preis zahlen müssen – die inhaltlichen Schnittmengen zur Union könnten sich in der Regierungspraxis für die Sozialdemokraten als größer erweisen.

Die Grünen werden hart Verhandeln und vielleicht feststellen, das mit einer angeschlagenen Union mehr geht als mit der SPD. Viele von Ihnen haben die SPD noch aus zehn Jahren gemeinsamer Regierung in schlechter Erinnerung. Rot-Grün in NRW – das war kein Projekt sondern ein ständiger Kampf der Grünen mit den Modernisierungsverhinderern der SPD. Noch das kleinste Zugeständnis musste den Sozialdemokraten hart abgerungen werden. Mehrmals stand das Bündnis vor dem Aus. Nur der Druck aus Bonn und später Berlin sorgte dafür, dass es sich ohne jede Strahlkraft über die Runden rettete, bis 2005 Schluss war. Rot-Grün in NRW war das Modell für den Bund – dort wird es aber von den Grünen nicht mehr gebraucht. Sie haben längst gezeigt dass sie regieren können. Die Grünen brauchen keine Modelle mehr. Sie wollen einfach ihre Politik umsetzen.

Es gibt keine Lage mehr. Es gibt einzelne Parteien und die sollen möglichst viele ihrer Ideen durchzusetzen versuchen. Es ist wie auf einem Markt. Man handelt miteinander. Passen die Programme? Passen die Personen? OK. Passt es nicht, geht es nicht. Alles andere ist Wahlkampf-Vodoo. Rot-Grün ist in NRW so wenig ein Projekt wie es Schwarz-Gelb im Bund ist. Lager – das ist dieses schale Bier mit wenig Alkohol. Ich trinke sowieso lieber Pils.

Foto: Grüne NRW

Sieg der Provinz

Die Landesregierung hat sich von der Schaffung eines Ruhrbezirkes verabschiedet. In der Mitte der nächsten Legislaturperiode soll jetzt entschieden werden. Das heißt übersetzt: Niemals. Den eigenen Ruhrbezirk wird es nicht geben. Es ist der Sieg der Provinz über die Vernunft. Es ist ein Triumph weitgehend überflüssiger Bürokraten, profilloser Vorortpolitiker und Besitzstandswahrer.
Aus Sicht des Landes ist es nur folgerichtig, die Reform der Landesstrukturen, dessen großer Gewinner das Ruhrgebiet gewesen wäre, zu stoppen: Die Widerstände in der Provinz waren zu groß und aus dem Ruhrgebiet gab es keine nennenswerte Unterstützung für die Reformen. Nicht nur die Sozialdemokraten haben sich gegen die Strukturreform aufgestellt – parteitaktisch vernünftig, aber natürlich unverantwortlich, auch aus der CDU gab es nur Kritik.
Viele CDU Orts- und Kreisverbände haben sich gegen ihre eigene Landesregierung aufgestellt. Es waren die gleichen Vorortpolitiker, die das Wahlprogramm der Union, in der die Forderung nach einem einigen Ruhrgebiet stand, immer unterstützt haben. Soll man ihre Namen nennen? Überflüssig: Haben Sie schon mal den Namen Hovenjürgen gehört? Eben. Bei einer Partei, die so uneinig ist, die so schnell bereit ist, ihre eigene Programmatik zu verraten, stellt sich die Frage der Regierungsfähigkeit. Durchsetzungsstark ist anders.
Aber es fehlten auch die Stimmen, die von der Landesregierung laut forderten, sich an ihre Versprechen zu halten und das Ruhrgebiet zu stärken. Der Regionalverband Ruhr, die einzige Klammer des Ruhrgebiets, ist, seitdem Rot-Grün Heinz-Dieter Klink an die Spitze gewählt hat, in der Unbedeutung verschwunden. Seinen Auftrag, das Ruhrgebiet zu schwächen, hat Klink bestens erfüllt. Er konnte dabei das tun, was er am besten kann: Nichts.
Was werden die Konsequenzen sein? Das Ruhrgebiet hat sich endgültig davon verabschiedet, eine Metropole zu werden – und vor allem die kleinen Städte werden die Verlierer sein. Formal unabhängig, werden sie zu Vororten degenerieren. Essen wird seine Rolle als das natürliche Zentrum der Region in Zukunft konsequent ausspielen – gemeinsame Strukturen, die für das Erreichen gemeinsamer Ziele sorgen könnten, gibt es nicht. Auch die Regionalplanung würde einen starken Regionalverband benötigen – den es nicht gibt.
Vielleicht ist ja das freie Spiel der Kräfte tatsächlich die beste Lösung: Sie nimmt den Provinzpolitikern die Möglichkeiten zum Handeln. Essen wird künftig eine Leitfunktion für die Region einnehmen. Wer erfolgreich sein will, wird sich dieser Tatsache anpassen, wer sich nicht anpassen will, wird an Bedeutung noch mehr verlieren. Die Sieger von heute haben die Grundlage für ihre eigene grandiose Niederlage geschaffen. Sie sollen gefälligst nicht jammern, wenn sie es in ein paar Jahren bemerken.