Kindheit im Ruhrgebiet: Erzählungen fehlen

 

Rudorf Holtappel, Rollerfahren auf der Henkelmann-Brücke in Oberhausen (um 1960)

Im Ruhrmuseum läuft derzeit die Ausstellung „Kindheit im Ruhrgebiet“. Meine Erwartung anregender Geschichten von unten (oral history) wurde leider enttäuscht. Zu sehen ist Spielzeug, das Menschen aus dem Ruhrgebiet zur Verfügung stellten, deren Erinnerungen an ihren Teddybär oder Spielwürfel uns vorenthalten werden. Tonmurmeln und bunte Heftchen waren nun mal für alle Kinder das gleiche Glück, egal ob in Wanne oder in Garmisch. Leider fehlen die individuellen Geschichten der Leihgeber mit ihrem Spielzeug. Auch die Kinder, deren Lichtbilder, fotografiert von Berufsfotografen, die Wände zieren, kommen selbst nicht zu Wort. Was würden sie uns erzählen von ihren Spielen? Von ihren Abenteuern in verbotenen Zonen jenseits der Bahngeleise oder auf Brachen zwischen Zechensiedlung und Bergwerk, von Hechtsprüngen in den Kanal und von den Kohledeputaten und Brieftauben des Großvaters. Und die Jüngeren? Blieb die Trinkhalle Treffpunkt und Umschlagplatz für getauschte Kostbarkeiten aus der Hosentasche? Aus ihren Erzählungen hätte sich ein Zeitpanorama entfalten können aus der Perspektive der „kleinen Leute“ im Schatten der Halden und in wachsenden Naturarealen.

Ausstellung 100 Jahre Ruhrgebiet: Die Geschichten zur Geschichte fehlen


„100 Jahre Ruhrgebiet“ im Ruhrmuseum

Ruhrgebiet 2020. Wo stehen wir? Der erhebende Gedanke, Teil des „werdenden Abendlandes“ ­– so Titel einer vielbesuchten Ausstellung in der Villa Hügel im Jahr1956 ­– und damit mehr als der Kohle- und Schwermetallproduzent Westdeutschlands zu sein, hat sich längst verflüchtigt, und händeringend wird nach selbstbewussten neuen Ideen gesucht, die vielfältigen Aspekte dieser Region unter einen Hut zu bringen.

Continue Reading