Langemeyer zur Kokserin: „Alles liegt auf dem Tisch“

Foto: Stadt Dortmund

Herr Langemeyer, Ein paar Bomben, die ihre Aussichten im Wahlkampf ruinieren könnten, ahnt man schon heute. Zum Beispiel soll der Prozess gegen die Kokserin aus ihrem Büro, die eine Million Euro bei Ihnen geklaut hat, im kommenden Frühjahr losgehen.

Vor einiger Zeit gab es bei der  Bundesbank einen Fall, bei dem 5 Mio. Euro verschwunden sind. Deswegen hat kein Mensch gefordert, dass der Bundesbankpräsident abtritt.

Der Bundesbankpräsident muss auch nicht in den Wahlkampf ziehen.

Gut, aber Kriminalität ist nicht hundertprozentig vermeidbar. Zudem haben Mitarbeiter die Vorschriften nicht vollständig umgesetzt. Die Konsequenzen habe ich gezogen. Die kriminelle Mitarbeiterin ist angeklagt. Das Rechnungsprüfungsamt hat die internen Abläufe durchleuchtet.

Es geht aber um die schmutzigen Details. Haben Sie keine Angst, dass im Prozess ab Frühjahr peinliche Einzelheiten bekannt werden, etwa wie leicht die Frau Geld in Ihrem Büro unterschlagen konnte? Oder wo sie überall gekokst hat?

Alle Fakten liegen auf dem Tisch. Das ist alles bekannt.

Es geht um die Plakate im Wahlkampf. Es geht nicht um eine inhaltliche Diskussion.

Was erwarten denn die Bürger in einem solchen Fall? Wen jemand in die Kasse greift, erwarten die Bürger personelle Konsequenzen. Die gibt es. Die kriminelle Mitarbeiterin ist angeklagt. Gegen die anderen, die sich falsch verhalten haben, gibt es Disziplinarverfahren. Es ist alles aufgeklärt. Wenn es zum Prozess käme, wird nichts Neues rauskommen.

Was heißt, wenn es zum Prozess käme? Rechnen Sie damit, dass es keinen Prozess geben wird?

Ich meine, wenn der Prozess im Zeitraum des Wahlkampfes beginnen würde. Ich weiß ja nicht, wie die Gerichtstermine liegen.

Glauben Sie nicht, dass es zur Schlammschlacht kommt?

Ich kann doch nicht verhindern, dass der politische Gegner versucht, Kapital aus der Situation zu schlagen. Aber dazu müsste mir persönliches Fehlverhalten nachgewiesen werden. Und das ist der Opposition bis jetzt nicht gelungen. In dem ganzen Fall wurde nicht mal eine Unterschrift von mir gefälscht. Ich habe mit dem ganzen Fall nichts zu tun. Ich bin Behördenchef. In dem Moment, in dem mir mitgeteilt worden ist, es gab ein Fehlverhalten, habe ich die Staatsanwaltschaft informiert. Alles was darüber hinausgeht, ist der Versuch Rufmord zu betreiben.

Darum geht es im Wahlkampf.

Wenn der Gegner damit kommt, frage ich mich, ob er politisch nichts drauf hat.

Die nächste Bombe ist der Skandal um das Klinikum. Hier konnte nur eine städtische Patronatserklärung das Institut vor der Pleite bewahren.

Es geht um einen bundesweit bekannten Sachverhalt. Der Gesetzgeber will dafür sorgen, dass für Krankenhäuser weniger Geld ausgegeben wird. Deswegen sind alle Krankenhäuser in einem Sanierungsprozess. Für das größte Klinikum in NRW ist das eine Herausforderung. 25 Mio Euro Ergebnisverbesserung im Jahr haben wir bisher erreicht. Weiter Schritte sind erforderlich. Ich habe diese Schritte vorgeschlagen. Wo ist der Skandal?

Ihnen kann wegen der Klinik-Finanzierung der städtische Haushalt um die Ohren fliegen.

Nein. Das ist nicht so. Der Sanierungsberater hat Ende Mai in einem Gutachten gesagt, wenn wir vom Klinikum erwarten, nicht nur den laufenden Betrieb zu finanzieren, sondern auch Investitionen zu schultern, dann müssen wir Aufgaben des Landes übernehmen, weil das Land die Investitionsmittel nicht herausgibt. Der Berater sagte, die Stadt sollte in die Rolle des Landes treten und die Kosten für die Investitionen übernehmen.
Ich habe vorgeschlagen, dass wir als Stadt für die Zinsen und die Tilgungen eintreten, die für Investitionen anfallen. Weil ich genau weiß, nur mit den Investitionen kriegen wir die Wirtschaftlichkeit des Klinikums hin. Aus städtischen Unternehmen kommen in 2008 und 2009 für diese Lasten Sonderausschüttungen in den Haushalt. Das heißt, der städtische Haushalt wird mit keinen zusätzlichen Euro belastet.

Der Regierungspräsident in Arnsberg, Helmut Diegel von der CDU, meint, die städtische Patronatserklärung hätte in den Haushalt eingestellt werden müssen. Und mit der Patronatserklärung wäre der Haushalt kaum noch zu genehmigen gewesen.

Bitte verstehen Sie, dass ich mich zu diesem Vorgang nicht äußern will, da ja auch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet ist. Ich habe mich auf jeden Fall völlig korrekt verhalten. Die Sache ist ausreichend im Rat erläutert worden. Wir können uns darüber detailliert unterhalten, wenn die Ermittlungen eingestellt sind.

Vor allem die Entsorgung Dortmund – EDG hat das Geld für das Klinikum gegeben. Das hört sich so an, als sei die Müllfirma ihr Sparschwein. Die Entsorger bekommen ihr Geld aus Müllgebühren. Eigentlich müssen diese Gebühren kostendeckend sein. Wenn jetzt Geld aus den Müllgebühren über die EDG in das Klinikum gepumpt wird, sieht das aus wie eine Zweckentfremdung von Gebühren? Sollten die Gewinne nicht in die Senkung der Müllgebühren gesteckt werden?

Das ist nicht so. Die EDG hat gut gewirtschaftet. Und die Sonderausschüttungen kommen nicht aus den Müllgebühren, sondern aus den sonstigen Geschäften.

Sie haben vorhin gesagt, dass sie im Land eine Rolle spielen. Wird der Rat des alten, weisen Mannes aus Dortmund noch in Düsseldorf gehört?

Meine Rolle ist unverändert. Es gibt nur eine kleine Änderung. Ich war Landesvorsitzender der sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik. Ich war aber auch gleichzeitig Bundesvorsitzender der Vereinigung. Deswegen habe ich wegen der zeitlichen Belastung den Landesvorsitz abgegeben. Diese Rolle hat Frank Baranowski, der SPD-Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, übernommen. Zudem bin ich stellvertretender Präsident des deutschen Städtetages. Auch da auf der Bundesebene. Deswegen habe ich mich auf der Mitgliederversammlung des nordrhein-westfälischen Städtetages nicht mehr um den Vorsitz bemüht, den ich zuvor innehatte.

Sie sind also noch eine Nummer in NRW. Was haben Sie der SPD-Landeschefin Hannelore Kraft im Fall Clement geraten?

Ich habe Frau Kraft in dieser Sache nichts zu raten. Der Vorgang wird vor der Bundesschiedskommission verhandelt.

Aber Sie sind ja ein Repräsentant der traditionellen NRW-SPD: pragmatisch und wirtschaftsnah. Fühlen Sie sich noch in einer SPD heimisch, in der auf allen Ebenen über eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei diskutiert wird? Mit Clement soll doch auch die Agenda 2010 abgestraft werden.

Das sehen Sie nicht richtig. Bei dem Verfahren um Wolfgang Clement geht es um Äußerungen, die er vor der Landtagswahl in Hessen gemacht hat. Damit muss man sich nun auseinandersetzen und ich warte das Ergebnis der Beratungen ab.

Was haben Sie denn gedacht als sie gehört haben, dass Wolfgang Clement aus der SPD ausgeschlossen werden soll?

Ich schätze Wolfgang Clement nach wie vor wegen seiner Verdienste – auch um die SPD. Das ist doch klar. Genauso meine ich, dass man nicht alles, was man auf dem Herzen hat, zu jeder Zeit sagen muss.

Was müsste Ihrer Ansicht nach die SPD machen, um im Bund und im Land wieder an die Spitze zu kommen? Sollte sich Ihre Partei der Linkspartei öffnen? Oder doch lieber an Rau und Clement orientieren?

Die SPD muss sich auf ihre eigene Stärke konzentrieren. Das heißt, sie muss sehr nah bei den Menschen sein, muss genau zuhören, was die Menschen wirklich wichtig finden, und daraus Politik machen. Das ist die Grundlage einer Volkspartei. Die SPD muss es schaffen, Menschen im linken Spektrum und in der Mitte anzusprechen und ihnen klar machen, dass eine Reformpartei die besseren Lösungen hat. Man muss den Menschen aber auch erklären, dass man das Geld nur einmal ausgeben kann. Dass nicht Ostern, Weihnachten und Geburtstag zusammenfallen und wir immerzu Geschenke verteilen können. Wir müssen verantwortliche Politik machen. Für mich ist klar, dass am linken Rand reinster Populismus herrscht, der keine Lösungsansätze für die Probleme der Gegenwart bietet. Wenn man eine kraftvolle SPD-Politik wie in der Vergangenheit durchsetzen will, muss man um die Mehrheit kämpfen. Und die Mehrheit bekommt man nur, wenn man die Bevölkerung in ihrer Breite anspricht: Nicht nur Gewerkschafter und nicht nur Traditionalisten, sondern auch die Mitte müssen wir ansprechen und die Menschen, die in den neuen Berufen zu Hause sind und ganz andere gesellschaftliche Vorstellungen haben, als wir es früher gewohnt waren.

Was Sie gerade beschrieben haben, könnte auch Jürgen Rüttgers als CDU-Ministerpräsident unterschreiben.

Ja, aber man muss sich sein konkretes Handeln anschauen. Reden und Handeln sind bei Herrn Rüttgers weit auseinander.

Schaut man sich die Umfragen an, hat er mit seiner Politik Erfolg. Er liegt mit der CDU weit vor der SPD.

Ich sage ja nicht, dass sich Herr Rüttgers ungeschickt verkauft, aber seine Motto heißt: Privat vor Staat und das führt nicht unbedingt dazu, dass die Interessen der Allgemeinheit gewahrt werden.

Lesen Sie im dritten Teil des Interviews, was Langemeyer zum RVR sagt, warum er meint, der RVR-Verbandsdirektor Klink braucht keine Kompetenzen, wieso die Planungen von Thomas Rommelspacher antiquitiert sind und warum Dortmund, Bochum und Essen Konzerthäuser brauchen.

Zurück zum ersten Teil des Interviews

Wirtschaftsförderung Ruhr so LALA

Auch Wochen nach ihrer Veröffentlichung sorgt die Studie über die Leistungskraft der Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr GmbH (WMR), einer Tochter des Regionalverbandes Ruhr (RVR), für Aufregung. Es geht weniger um das Ergebnis, als um die Frage, wie es zu dem Ergebnis kommen konnte.

Schon die Auswahl der Gutachter ist erstaunlich. Da wurde kein renommiertes Haus beauftragt. Selbst das Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung wurde von den Verantwortlichen im RVR abgelehnt. Dabei ist das Haus für seine konservativen, ehrlichen Analysen bekannt. Aber vielleicht war genau das ein Problem für den Geschäftsführer der WMR, jenen Hanns-Ludwig Brauser, der schon in seinem Job als Geschäftsführer der Projekt Ruhr GmbH für Aufsehen und einen Auftritt in einem Untersuchungsausschuss im Landtag gesorgt hatte. Damals ging es um Verschwendung und mangelhafte Auftragsvergaben.

Jedenfalls beauftragte der Direktor des RVR, Heinz-Dieter Klink, die No-Names von der ExperConsult Wirtschaftsförderung & Investitionen mit der Überprüfung der Brauser-Tochter. Die Firma sitzt im Technologiepark Dortmund. Und ist also sozusagen selbst gewirtschaftsfördert.

Das Ergebnis war wie gemalt. Die ExperConsultEr fanden heraus, dass die WMP „einen guten Start“ hingelegt habe. Nun aber, bräuchte sie mehr Geld, damit sie besser wahrgenommen wird. Und da die Landesförderung für die Brauserianer bald ausläuft, müsste anderswie Kohle rangeschafft werden. Auch hierfür haben die ExperConsultEr eine Lösung parat. Als "wünschenswert" bezeichneten sie eine finanzielle Ausstattung von rund drei Millionen Euro. Dazu sollte der RVR sein Budget von derzeit 1,5 auf zwei Millionen zu heben – am besten mit Sachmitteln. Und obendrauf als Sahnehaube könnte dann ein projektgebundenen Etat von rund einer Million Euro geklatscht werden.

Diese Ergebnisse der „Evaluierung“ seien eine „hervorragende Grundlage“, um über die Zukunft der WMP zu diskutieren, fand RVR-Boss Klink.

Dabei macht ein Blick in das Gutachten klar, dass die ExperConsultEr eher mäßige Gutachter sind. Ihre Systematik der Untersuchung war Mist. Oder anders gesagt, völlig wirklichkeitsfremd.

Ich will mich auf zwei Punkte konzentrieren. In keinem Fragebogen an die kommunalen Wirtschaftsförderer wurde erforscht, ob die Männer bereit gewesen wären, die Aufgaben, die sie sich bei der WMR wünschten, auch selber bezahlen würden. Sei es die „Bestandsaufnahme der Leitprojekte“ Die „Finanzielle Mitgestaltung von Leitprojekten“ oder die „Moderation von Gesprächen zur Fortentwicklung regionaler Kompetenzen.“ Die Antworten wären sicher schmallippig ausgefallen.

Mir persönlich stieß auch auf, dass diese ewig blasierte „Kompetenzfeldentwicklung“ durch die WMR immer noch weitergetragen wird, wie eine Monstranz aus dem vermufften Projekt Ruhr Weihrauchschrank.

Aber nun zum zweiten Punkt: Die WMP wird in dem Gutachten der ExperConsultEr mit der Wirtschaftsförderung Hamburg und dem Rhein-Neckar-Raum verglichen. Das kann man aber nur machen, wenn man völlig ausblendet, dass im Ruhrgebiet mit den Wirtschaftsförderungen in Dortmund, Essen, Bochum und Duisburg überregional aktive Wifös unterwegs sind. Die mehr Geld haben, besser ausgestattet sind, und mehr Duchschlagskraft entwickeln– da sie Gewerbeflächen anbieten können.

Ich werde den Eindruck nicht los. Das Gutachten der ExperConsultEr zur WMP ist nichts anders als ein Gefälligkeitspapier dass Klink für seinen Parteigenossen Brauser in Auftrag gegeben hat.

Es wurde damit eine einmalige Chance vertan, eine tatsächlich regionale Wirtschaftsförderung aufzubauen.

Revierbäder – Die Wahrheit gefällt nicht

 

Die Bäderlandschaft im Ruhrgebiet wird sich dramatisch ändern – wenn es nach dem Regionalverband Ruhr geht. Sicher ist dies mit dem Blick auf die schmalen Kassen und geänderten Bedürfnissen der Menschen im Pott auch nötig. Doch komplett unnötig ist der verklemmte Umgang in den Städten mit dem Thema.

So heißt es in Bottrop, das 50 Meter Becken im Revierpark Vonderort müsse halb zugekippt werden, weil es keinen Bedarf mehr fürs Streckenschwimmen gebe. Die Stadt verkündet gar, selbst an schönsten Sommertagen sei das Bad nicht gefüllt. Doch das stimmt nicht, wie jeder bestätigen kann, der im vergangenen Sommer an den wenigen Sonnentagen da war. Man stand wie Ölsardinen im Becken. Aber natürlich war es über das ganze Jahr gesehen ein mieses Besucherjahr. Weil eben der Sommer ausfiel.

Was aber steckt dann hinter dem bald zugekippten Becken? Genau das: Aus dem Revierpark Vonderort soll nach dem Willen des RVR eine "zeitgemäße und eher einfache Sole-Sauna-Anlage mit persönlicher Note als Nischenprodukt für weniger kaufkräftige ältere Klientel" werden. Das ist es. So steht es in dem RVR-Gutachten. Das ist die Wahrheit.

Diese Wahrheit aber hört keiner in Bottrop: Hier freut sich der 1. Beigeordnete der Stadt, Klemens Kreul, über eine "ruhige, zeitgemäße und attraktive Sole-Sauna-Anlage mit persönlicher Note als Nischenprodukt für das ältere Publikum im zentralen Ruhrgebiet" Die entscheidenden Worte: "eher einfache" Anlage für das "weniger kaufkräftige" Klientel hat Kreul einfach in seinem Statement unterschlagen. Das aber ändert die Aussage komplett, wenn man aus "eher einfach" das Wort "attraktiv" formt. Und die Worte "weniger kaufkräftig" ersatzlos streicht. Hier ist der entsprechende WAZ-Artikel zum nachlesen: klack

Wenn man aber den Menschen die Wahrheit nicht sagt, entsteht Mißtrauen und Ärger über die Politik. Gerade in den Städten des Reviers kann diese Mischung explosiv werden: dann nämlich, wenn Bürgerbegehren sich gegen die Bäderpolitik der Städte richten. Zu leicht wird dann die Versuchung für die Lokalpolitiker, alle Schuld auf den Regionalverband abzuschieben, um ungeschoren aus dem Wahlkampf im kommenden Jahr zu kommen.

Deshalb muss jetzt offensiv über ein Bäderkonzept im Ruhrgebiet gestritten werden. Dazu müssen die Bürger die Wahrheit kennen. Auch in Bottrop, Xanten, Duisburg, Recklinghausen, Dortmund und anderswo. Am besten wäre es, jeder schaut sich das Gutachten selber an. Hier können Sie die dazu gehördende Präsentation herunterladen: klick

Und hier das ganze Bild der Bäderzukunft, so wie es die Gutachter des RVR sehen – ohne den Neusprech von Kreul:

Abfallgesellschaft Ruhr: Ein Damoklesschwert schwingt über dem Revier

Der Regionalverband Ruhr (RVR) ist arm. Sehr arm. Und bei aller Armut droht auch noch der Supergau. Nach wie vor steckt die Abfallgesellschaft Ruhrgebiet (AGR) mitten im Bau ihrer umstrittenen Müllverbrennungsanlage RZR II in Herten tief bis zum Hals in die Krise. Zur Erinnerung, die AGR gehört zu ein hundert Prozent dem RVR.

Foto: Wikipedia

Wie ich erst jetzt erfahren habe, musste die AGR bereits zum Jahresende 2006 konzernweit eine bilanzielle Überschuldung von 80,7 Millionen Euro ausweisen. Dies bedeutet: Die Verbindlichkeiten sind größer als das derzeitige Vermögen. Zum Vergleich. Der Regionalverband Ruhr als Eigentümer der AGR hat einen Haushalt von rund 50 Millionen Euro. Sollte die AGR Pleite gehen, müssen vor allem die Städte und Gemeinden im Ruhrgebiet für die Folgeschäden aufkommen.

Vor einigen Monaten konnte eine Insolvenz der Gesellschaft in letzter Minute nur abgewendet werden, weil der Regionalverband Garantien über mehrere Millionen Euro zur Nachsorge für Mülldeponien übernommen hat, die von der AGR rekultiviert werden müssen. Vor der entscheidenden Sitzung des Ruhrparlamentes hatte die AGR nur eine bilanzielle Überschuldung für einen Teil des Konzerns in Höhe von rund 10,5 Millionen Euro öffentlich bekannt gemacht. Die Konzernbilanz wurde nicht offen gelegt. Dabei gibt nur die Konzernbilanz einen Überblick über die tatsächliche Lage, da in ihr interne Verrechnungen bereinigt werden müssen.

Ein Sprecher der AGR sagte, die Überschuldung werde in Zukunft durch die erwarteten Gewinne aus der neuen Verbrennungsanlage RZR II nach und nach abgebaut. Es bestehe kein Grund zur Sorge.

Tatsächlich liegen die Hoffnungen der Gesellschaft derzeit alleine auf dem Erfolg der zwei neuen Öfen in Herten. Wie in einem Casino haben die Verantwortlichen alles auf RZR II gesetzt. Die Anlage soll Ende 2008 fertig gestellt werden.

Andere Projekte, wie der Bau einer Müllverbrennung in Halle will die AGR aufgeben, wie ein Sprecher bestätigte. Ursprünglich war hier der Baubeginn mehrfach verschoben worden und sollte schließlich Ende 2007 starten.

Der Bau des RZR II kostet nach meinen Informationen mindestens 170 Millionen Euro. Davon hat die Landesbank Baden-Württemberg mindestens 100 Millionen über einen Kredit bereitgestellt. Als Sicherheit haben die Banker Garantien von Zulieferern gefordert, die den notwendigen Müll nach Herten bringen sollen. Insgesamt hat die Anlage RZR II eine Kapazität von 250.000 Tonnen.

Marktkenner bezweifeln allerdings die Werthaltigkeit der Müll-Garantien. Zu den AGR-Lieferanten gehören kleine GmbHs und Mittelständler. Ein Marktkenner sagte dazu: „Wenn diese Firmen pleite gehen, wird niemand für sie einspringen.“ Vor allem die großen Konzerne, die tatsächlich über die benötigten Müllmengen verfügen können, halten sich immer noch bei der AGR zurück. So erklärte der Konzern Remondis mehrfach keine Müllmengen an das RZR II zu liefern. Auch kommunale Unternehmen aus dem Ruhrgebiet, die in der Vergangenheit an einer Beteiligung an der AGR interessiert waren, haben sich abgewendet, heißt es in den Städten. Zu groß ist das Risiko.

Aus Dortund konnt eich erfahren, dass einige Gemeindebetriebe vor einiger Zeit für eine Beteiligung an der AGR sogar einen negativen Kaufpreis gefordert haben. Sprich: Die Stadtwerke wollten Geld dafür haben, dass sie einen Anteil an der AGR übernehmen.

Der Grund dafür ist klar. Das RZR II ist ein Kamikaze-Flug. Derzeit werden überall in Deutschland riesige Verbrennungskapazitäten fertig gestellt. Nach Recherchen des Bundesverbands Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE) vom Herbst vergangenen Jahres werden an 27 Standorten in Deutschland neue Müllöfen geplant. Die größte Anlage will Infraserv im Frankfurter Industriepark Hoechst bauen. Hier sollen jährlich 750.000 Tonnen Gewerbemüll verfeuert werden. Mitte März war Grundsteinlegung.

Die Idee ist immer die gleiche. Weil Strom immer teurer werden, verbrennen auch Firmen ihren eigenen Müll, um billig Energie zu kriegen. In Paderborn will der Abfallunternehmer Stratmann ein Industrieheizkraftwerk errichten. Dort sollen im Jahr 115.000 Tonnen Müll verfeuert werden. Die Folge dieser Neubauwelle: Die Preise verfallen. Heute muss ein Müllbesitzer nur noch zwischen 80 und 100 Euro je Tonne Müll bezahlen, die er verbrennen lassen will. In einzelnen Städten ist sogar der Preis auf 65 Euro je Tonne runter gegangen.

Die AGR trifft das ins Mark. So rechnete die Firma in einem vertraulichen Konzept damit, dass man nennenswerte Gewinne nur verdienen kann, wenn das RZR II zu einem Preis von mindestens 103 Euro je Tonne über rund 25 Jahre voll ausgelastet ist. Rutschen die Erlöse nur um zehn Euro je Tonne nach unten, produziert die Anlage Verluste.

Dabei sind Gewinne für die AGR überlebenswichtig. Die Firma hat ihre Rücklagen für die gesetzlich vorgeschriebene Deponienachsorge in eine Tochtergesellschaft verschoben. Dort wird das Bargeld aus den Rückstellungen flüssig gemacht und zurück in die operative Mutter gepumpt. Als Gegenleistung erhält die Tochter Darlehen. In den Einzelbilanzen sieht das so aus, als würde es das Geld noch geben. Mit anderen Worten: Die AGR leiht sich über ein Luftgeschäft selber Geld.

Zunächst wurden mit den windigen Buchungen Teile des RZR II bezahlt. Im vergangenen Jahr bekam der Brochier-Insolvenz-Verwalter Bares aus der Deponie-Spardose. Mittlerweile ist der Geldstrumpf deutlich eingelaufen. Ursprünglich wurden Rücklagen in Höhe von 350 Mio. Euro in die Tochter übertragen. Daraus wurden Ende 2006 Darlehen an die Mutter in Höhe von rund 258 Mio. Euro. Die Miesen können erst wieder beglichen werden, wenn das RZR II Gewinne abwirft.

Mittlerweile ist die AGR so desperat, dass sie versucht hat, Giftmüll aus Australien zu verbrennen. Aktuell bemüht sich die kommunale Revierfirma um tausende Tonnen Müll aus Neapel, die in ihrer Altanlage in Herten verbrannt werden sollen, um Geld zu machen. Ein Sprecher berichtet von einer Größenordnung in Höhe von bis zu 500 Tonnen in der Woche. Der WAZ sagte der Sprecher: „Der Anlage selbst ist es egal, aus welchem Zipfel der Welt der Müll kommt!” Den Menschen vor Ort übrigens nicht. Sie protestieren.

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Zwischenruf: Sehnsucht der Provinz

Grafik: ruhrgebiet-regionalkunde.de

Das Ruhrgebiet, all die Diskussionen um innere Verfassung und Fremdbestimmtheit, um das eine Zentrum, den guten Slogan, den Oberbürgermeister der Oberbürgermeister, den müden Regionalverband, die fiesen Möchtegern-Westfalen und Liebäugel-Rheinländer an den Ränden – es erinnert an das Gefiepe einer Warteschleife.  Eine endlose Wiederholung. Mir gibt das nichts, außer leicht sentimentale Erinnerung an die Jahrtausendwende, an Kollegen und t/waz-Kampagnen, als Hunderte zu Abendveranstaltungen kamen, um ein wüstenstaubiges Thema wie den Ruhrbezirk beziehungsweise dessen Fehlen zu diskutieren. Als wir uns beim Bier ernsthaft Gedanken machten über die Sinnhaftigkeit von Flächennutzungsplänen beziehungsweise Gebietsentwicklungsplänen beziehungsweise Leitverkehrswegeplanung beziehungsweise interkommunale Zusammenarbeit beziehungsweise Fusion der Katasterämter – soll ich weitermachen?

Als Phänomen mag ich den seltsamen Planungsfetischismus von damals, denke ich gerne an die fast studentische Diskutierfreude zurück und das Lebensgefühl des Unterdrückten, aber eigentlich ist das sterbenslangweilig. Denn längst haben Projekte wie die B1–Akademie oder Ruhr 2030 und der stadtregionale Kontrakt und jetzt gerade shrinking cities gezeigt, wie sehr die Ruhrfetischisten in alten Fassungen denken. Nicht dialektisch. Das Gebiet ist längst viel mehr als eine Stadt und zugleich viel weniger, ein Getüm, das wächst, mäandert, sich hier austobt und aufschwingt und nebendran elend verkümmert – ganz ohne Zutun von Politik und Planung.

Im Ernst: Mir graut vor der Ruhr-Zentrale, einer Bezirksregierung im Ruhrgebiet, mit Norbert Lammert als Spiritus Rektor. Die einen mögen die Drei- und Zweigliederung ihr Ruhrdistan nennen. Alle paar Jahre wird diese Sau durch die Dörfer getrieben; ein Spiel mit nichts als der Sehnsucht des Provinzlers! Mir ist ziemlich egal, wo der Beamte sitzt, mit dem meine Frau Beihilfefragen zu klären hat. Es gibt Telefon, Elektropost, Autos. Die dürfen ihre Akten ruhig weiter dort lagern, ihre Regionalratssitzungen ruhig weiter dort veranstalten – im verschnarchten Arnsberg, im piefigen Münster, im abgerockten Düsseldorf.

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