Egal ob Covid, Klima, Gender oder Migration. Die Themen um den polarisierten wuterfüllten Kulturkampf sind austauschbar. Zwei Lager, man ist entweder dafür oder dagegen. Gut oder Böse. Die Grautöne gehen im lauten Geschrei unter, werden wenig gehört.
Der Kampf tobt in erster Linie in sozialen Medien, wo die Distanz und Anonymität erst umgebremst offene Aggressionsergüsse durch die Senkung einer Hemmschwelle begünstigen. Twitter ist kein exaktes Spiegelbild des realen Zwischenmenschlichen, aber gleichzeitig schon ein gewisses Abbild. Denn es sind Menschen, die auf Twitter agieren. Wenn auch vor allem gerade diejenigen, die politisch interessiert und motiviert sind. In diesem Sinne keine Repräsentation von allen.
Jetzt, wo alles teurer wird, wo ernsthafte Einschnitte in die Energieversorgung drohen, wo die Sorge wächst, der Krieg könne durch die Haustür kommen, hat man fast das Gefühl, die Lage wäre endlich der Stimmung angemessen. Aber die Stimmung ist schon länger katastrophal. Und auf die Lage könnte man auch mit Solidarität reagieren, mit Mut oder Besonnenheit. Man könnte seine Wut auf den Aggressor Putin fokussieren. Eigentlich doch befriedigend, einen konkreten Bösewicht ausmachen zu können. Aber die Wut bleibt diffus verteilt. Sie richtet sich auf Teilaspekte. Sie richtet sich gegen Kompromisse. Sie richtet sich gegen andere Meinungen.
Merz versagt endgültig vor dem woken Zeitgeist, weil die CDU eine Frauenquote beschließt. Die Regierung verkauft das Volk direkt an Putin, weil sie nicht schnell genug Waffen liefert. Oder an die USA, weil sie überhaupt Waffen liefert. Die Grünen haben quasi eigenhändig alle Atomkraftwerke abgeklemmt und einen bundesweiten Blackout verursacht. Die FDP verschenkt in sozialistischer Manie hart erarbeitetes Geld, ausgerechnet die! Die Linken sind Nazis. Wer jetzt noch sein Kind Indianer spielen lässt, befürwortet Völkermord. Wer gendert, will alle Werte der Aufklärung abschaffen. In jedem politischen Spektrum findet sich diese immense Bereitschaft zu Zuspitzung und vorschneller Erregung. Warum?
Es sind zwei falsche Versprechen, zwei Lügen, eine alte und eine neue, aus denen sich diese allgemeine Frustration speist. Das erste falsche Versprechen lautete, jeder könne im Konsum Glück finden. Das zweite, jeder könne im Internet Ruhm oder wenigstens Gehör finden.
Und jetzt fühlen sich die Leute hintergangen und wollen dafür jemanden brennen sehen.
Ein Mann erschießt einen Tankwart, weil dieser ihn zum Tragen einer Maske aufgefordert hat. Eine Gruppe von Querdenkern plant kaum verhohlen die Ermordung eines Ministerpräsidenten. Ein Impfverweigerer tötet seine Familie und sich selbst. Wenn das die Spitzen sind, will man nicht wissen, wie der Eisberg aussieht. Zumindest die Politik will das nicht wissen, offenbar. Da wird davon gesprochen, dass eine Impfpflicht zu einer „Spaltung“ der Gesellschaft führen könnte. Offenbar in der Sorge, eine Gruppe von Personen zu verprellen, die in Wahrheit längst eine wahnsinnige, apokalyptische Sekte geworden ist.
Am gestrigen Tag, an dem AfD-Rechtsaußen Björn Höcke der arg wahlgebeutelten Ost-CDU in Thüringen eine Tolerierung als Minderheitsregierung anbietet, schlägt NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) keine 400 Kilometer weiter westlich, im rheinischen Bonn, ganz andere Töne an. Er beklagt, dass man Pressefreiheit, Unabhängigkeit der Justiz und europäische Orientierung Deutschlands heute wieder verteidigen muss. Die AfD nennt er nicht, aber jeder weiß, wer gemeint ist.
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