Klar, die ganze Aufregung der letzten Stunden kreist um den einen Sitz, der Rot-Grün letztendlich doch fehlt. Vielleicht bremst er tatsächlich das gestrige Retrogetue. Merkel zieht weiter wirkungsvoll ihre Strippen, und nur wenige merkens.
Rüttgers ist aus dem Verkehr gezogen, wahrscheinlich hat er einen Anruf aus Berlin bekommen, wie einst der abgetretene Kölner CDU-OB-Schramma („U-Bahnen in dichtbesiedelten Gebieten nicht mehr verantwortbar“) keinen Anschluss ins Ministerpräsidentenbüro bekam. Egal ob nun Laschet oder Röttgen inthronisiert werden (mein Tipp: Röttgen ist cleverer und verzichtet auf dieses Bausoldatentum), beide werden den Berliner Auftrag, weitere schwarz-grüne Fäden zu spinnen, weiterverfolgen.
Merkel sind gestern mehrere Steine vom Herzen gepurzelt:
1. Die FDP ist auf ihre tatsächliche Einflussgröße reduziert und bei Bedarf jederzeit auswechselbar. Merkel hat die Ausrede, sie würde ja gerne so viele schöne neoliberale Sachen, aber leider, leider, der Bundesrat ….. usw.
2. Wenn das Sektentum in der FDP zu weit um sich greift, hat Merkel die freie Wahl zwischen SPD und Grünen. Mein Tipp: vor der Bundestagswahl wäre die SPD billiger zu haben (staatspolitische Verwantwortung, wichtiges Steinmeier-Gesicht usw.). Nach der nächsten Bundestagswahl: kann man jetzt noch nicht wissen.
Die Grünen jubeln. ABER:
1. Das NRW-Ergebnis wirkt großartig, „verdoppelt“, aber von niedriger Ausgangsposition. Die Bundesumfragen, die bei allen Instituten um 14-16% liegen und auch schon auf 18 waren, wurden in NRW weit verfehlt. Viele Rot-grüne WechselwählerInnen sind zur SPD zurückgegangen. Dass sie jetzt vielleicht eine Große Koalition kriegen, haben sie natürlich nicht gewollt. Werden sies jemals lernen?
2. Dafür haben die Grünen etliche Schwarze mit ihrer Zweitstimme eingefangen. Ich kenne zwei über 70-jährige Männer persönlich, die erstmals dabei waren. So findet bereits ein WählerInnen-Austausch bei den Grünen statt, der Merkel sehr recht sein kann.
Folgender Gefahr für die CDU muss Merkel ins Auge sehen und hat noch keine Lösung: Der Kern der CDU schmilzt dahin, wie es die SPD schon hinter sich hat. Die sicherheitsbedürftigen, konservativen Katholiken lernen in diesen Wochen, dass auch eine Schwarz-Gelbe Wunschkoalition nicht die Sicherheit schafft, für deren Verlust sie so gerne Rot-Grün verantwortlich gemacht haben, siehe die Griechenland- und Euro-Krise. Sie sind am Sonntag zuhause geblieben, sie verstehen die Welt nicht mehr, auch ein Bildungsproblem. Merkel wird sie nur mit Roland-Koch-Strategien zurückgewinnen können, mit denen sie die schwarz-grünen Fäden durchtrennen würde. Ausserdem würde sie sich international und geopolitisch damit desavouieren. Diesbezüglich hat sie jetzt schon in EU und Eurozone zuviel Schaden angerichtet. Sie hats eben auch nicht leicht. Aber sie lernt.
Immerhin: Freitag im Bundestag zur Griechenland-„Hilfe“ haben Regierung und Grüne zusammen gestimmt. Sowas vergisst die Kanzlerin nicht.