Die vom Bundespräsidenten angestoßene Pflichtdienst-Diskussion ist unehrlich!

Bergmann übergibt das letzte Stück Kohle an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (re.).  Foto: Ina Fassbender/RAG Lizenz: Copyright

Der Vorschlag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Bundesrepublik eine soziale Pflichtzeit für junge Menschen einzuführen sieht auf den ersten Blick interessant aus. Es erscheint durchaus nachvollziehbar, wenn der Bundespräsident den großen Wert für die Gesellschaft unterstreicht, den ein solcher Dienst unzweifelhaft hätte. Und auch für die Persönlichkeit des Einzelnen mag eine solche Tätigkeit ebenfalls durchaus vorteilhaft sein.

Dass die Idee nicht überall gut aufgenommen wird, ist auch logisch. Pflichten werden halt immer auch kritisch gesehen. Meist von den direkt von ihnen Betroffenen. Viel spannender an der laufenden Debatte über Sinn oder Unsinn eines solchen Pflichtdienstes erscheint mir dann auch ein anderer Aspekt, den Steinmeier nicht anspricht. Wohl aus gutem Grunde.

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Die Abwesenheit von CDU

Die Erstwählerin will Merkel wählen, weil sie eine Frau ist. "Wir wählen unsere Kanzlerin", es wird gepflastert. Alleen aus Wörtern und Breitwandlächlern. Bilder machen, das kann sie, sagen die anderen, die, als sie selbst Bilder machen konnten, auch nichts anderes taten. Heute ist es Adenauers Deutschland. 60 Jahre Kanzlerschaft. Mit Leichenmiene und Kranz vorm Kappelchen, mit Enkel auf Stufen vom Bergland ins Stromland, mit dem Rheingold durch Deutschland, sieben Kundgebungen. Nur noch zwei Wochen.

Illu: ruhrbarone

"Keine Experimente", sagt die Kanzlerin wie der Alte von Rhöndorf. Hat ein Bild von ihm und Kokoschka im Büro hängen, schnoddert Besucher schon einmal an "aba nicht berührn!", die Hände an sich haltend. Im Rheingold sei ja schon Adenauer durch die Lande gefahren, deshalb dieser Zug, mit dem habe schon der Bocciaspieler das Land bereist, Wahlkampf gemacht, später Ludwig Erhard, Kiesinger. Von Adenauer heißt es aber auch, er habe spätestens in Minden/Westfalen die Vorhänge zugezogen, um die westasiatische Steppe nicht ertragen zu müssen, der Westbinder, Rheinländer, Separatist, Antideutsche. Was er von Merkel…? Eher wenig.

Aber Wahlen werden immer noch in der alten BRD gewonnen, im Rheingold, in Bonn, Koblenz, Mainz, Frankfurt, dunkles schweres Holz, Panaromablicke, Kuchenservice, Lastkähne, Loreley, ganz schön weit weg von Merkels versteppter Heimat. Aber sie kann das, wenn irgend etwas dann Wende.

Besser als das Fernsehduell am Sonntag. Das Problem waren nicht die Vier von der Talkstelle, nicht Kollege Mitkoalitionär, sondern die Abwesenheit der CDU. Steuersenkungen, wenn sie so fragen, nur halb so schlimm. Atom? Überbrückungstechnik, nichts weiter. Mindestlohn, ham wir schon. Undsoweitersoweitersoweiter.

Die SPD, Steinmeier, sie kämpfen gegen die Familie Igel, Forderungen aus Pudding, postmoderne Zitateausgräber, Fähnchenschwinger, Wackeldackel. Bildermacher – das macht keinen Spaß und wenig Sinn. Deutschland im Herbst, diesmal sind es Amtswahlen, amtliches Fernsehen, Amtierende in Rheingold, dann steigt der Verteidigungsminister hinzu, schaut hinaus ins Flusstal auf Sandbänke.             

Hat die SPD etwa doch einen Plan?

Am Abend will Frank Walter Steinmeier wieder mal den Bundestagswahlkampf einläuten. Mit einer Grundsatzrede vor der Karl-Schiller-Gesellschaft wird der Kandidat seinen "Deutschland-Plan" vorstellen: Ein ehrgeiziges Zukunftsprogramm für vier Millionen neue Jobs, bis 2020 soll die Arbeitslosigkeit besiegt werden. Zwar wissen Suchmaschinenfenster (s. Abb.) damit noch nicht allzu viel anzufangen. Doch ein erstes Ziel hat der bislang glücklose Wahlkämpfer erreicht: die zu Guttenbergs und Co. haben ihren ersten größeren Fehler gemacht.

Schirmschuss: ruhrbarone.de

Statt der SPD alles Glück zu wünschen auf dem Weg zur Vollbeschäftigung, wurde Steinmeiers Job-Offensive schon im Vorfeld heftig attackiert. Dumm. Denn was bitteschön kann man als bürgerlich-linker-grüner Wahlkämpfer gegen das Ziel Vollbeschäftigung, gegen die Förderung von Umweltbranche, Kreativwirtschaft, Gesundheitsberufe einwenden? Nichts.

Stattdessen wurde gemäkelt gegen das "Phantasialand" (CDU) der "Ankündigungspartei" (LInke) mit ihren "wolkigen Plänen" (Grüne): "Die Leute seien es Leid immer zu Wahlkampfzeiten mit Versprechen überhäuft zu werden", formulierte es der Wirtschaftsminister zu Guttenberg gewohnt paternalisitisch – er hat sein Ohr ja schon aus Traditon ganz dicht an seinen Leuten.

Tatsächlich haben die Kritiker mit ihrer Reaktion nur eines geschafft: Steinmeier hat die Aufmerksamkeit auf seiner Seite, die passende Wahlkampflyrik ist bereits geschrieben: die SPD wird da seit 2003 zur Jobmaschine, zur Reformpartei auf dem Arbeitsmarkt. Die Agenda-2010-SPD, nicht das Kabinett Merkel, habe die Arbeitslosigkeit erstmals auf drei Millionen gedrückt. Die SPD-Minister, nicht Merkel und der Adelige, würden mit Kurzarbeit oder Opel-Stütze dafür sorgen, dass die Arbeitslosigkeit auch in der Krise nicht ins Uferlose anwächst. Ergo: Die Experten wählen. Könnte sogar funktionieren.

Kleines Problem: Die SPD wird sich wieder voll zu den Hartz-Reformen bekennen müssen. Die Rechts-Links-Kluft in der Partei wird also wieder oder weiter aufreißen, das abgeschreckte, von der Partei schockierte klassische SPD-Millieu wird sich wieder oder weiter abwenden. Andererseits: Eine Wahlkampftruppe links von der Agenda gibt es schon, da ist wenig zu gewinnen. 

 

Neue SPD-Herzkammer: Kleve!

Ziemlich weiblich ist es (10 zu 8), das Kompetenzteam von Frank-Walter Steinmeier, ziemlich ledig (8 von 18) und auch ziemlich provinziell. Zumindest von den nordrhein-westfälischen Bewerbern im SPD-Schattenkabinett stammt keiner aus dem Ruhrgebiet oder den rheinischen Großstädten. Stattdessen kann sich der eigentlich, nun ja, etwas mehr der CDU zuneigende Kreis Kleve (bis zum Wahlsonntag) als großer Gewinner und so etwas wie die neue Herzkammer der Sozialdemokratie fühlen.

Mit Umweltexpertin Barbara Hendricks, Bildungsexpertin Carola Reimann (Goch) und Kulturfrau Barbara Kisseler (Asperden) stammen gleich drei von 18 potenziellen Regierungsmitgliedern gebürtig aus dem Niederrhein-Kreis. Abseits von Kopfweiden und Wildgänsen gesellen sich aus Nordrhein-Westfalen der Innenpolitiker Thomas Oppermann aus dem ländlichen Freckenhorst im Landkreis Warendorf und die Sportpolitikerin Dagmar Freitag aus Lethmate bei Iserlohn in eines der unwahrscheinlichsten Schattenkabinette der Nachkriegsgeschichte. Nur Steinmeiers Wunsch-Verteidigungsministerin Ulrike Merten ist Städterin – sie lebt in Bielefeld.

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Erstes Fernsehduell auf dem Mond

Draußen Holland im Regen. Da ist es gut, drinnen mit der FAZ zu sein. Auf einer ganzen Zeitungsseite erzählen heute "elf Zeitzeugen", wie sie die Mondlandung vor 40 Jahren am Fernseher verfolgt haben. Darunter die Kanzlerin, der Kandidat, Claudia Roth und Gregor Gysi. Überraschung für die gebeutelte SPD: Diese erste Elefantenrunde vor der Bundestagswahl konnte Frank-Walter Steinmeier klar für sich entscheiden.

Die Grüne Claudia Roth stieg 1969 mit Decken, Hund und Familie in den Partykeller hinab, zu der Zeit  "Fernsehraum" der Familie. Die Roths gingen zum Fernsehen also in den Keller, irgendwie traurig. Die Gysis hatten als Fernseher erstaunlicherweise schon 1969 eine "alte Krücke", so schaute er bei seiner Schwester wie "der Vorsprung der Sowjetunion" eingeholt wurde. Ganz ostdeutsch erinnert sich auch Merkel. "Sie ist Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende" steht unter ihrem Beitrag und von sich schreibt sie nur in der dritten Person: "Angela Merkel hat gerade ihren 15. Geburtstag gefeiert, als erstmals ein Mensch den Mond betrat." Wäre auch ein schöner Einstieg für ihre Autobiografie!

Gruselig geht es weiter: "früh aufgestanden war sie, draußen herrschte noch stockfinstere Nacht. Auf dem Pfarrhof der Eltern in Templin flimmerte ein Fernsehgerät." Doch dann kommt die Mondlandung, "die Bundeskanzlerin weiß noch, wie das Gefühl in ihr brannte, eine einmalige historische Stunde live miterleben zu dürfen". Die "Bundeskanzlerin" "live", und das in der DDR, anno 1969. Respekt! Respektabel findet "sie, die Physikerin," die ganze Mondmission – einfach "großartig, besonders in technischer Hinsicht!" Ein Kompliment, das sich die Kanzlerin auch für ihren Beitrag verdient hat, "besonders in technischer Hinsicht!" Doch ihr Herausforderer macht dann doch das Rennen.

"Frank-Walter Steinmeier, Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat" – die Autobiografie ist gerade erschienen – da fließt dem Kandidaten die Mondgeschichte leicht aus der Feder: "Ich denke gern zurück an den 21. Juli 1969", schreibt er, sie hätten die Mondlandung mitten in der Nacht "live" verfolgt: "ich, damals, 13, mein siebenjähriger Bruder gebannt vorm Fernseher, daneben unsere Eltern". Das war aber keine reine Idylle, denn die Steinmeiers waren arm, "einen eigenen Fernseher hatte sich die Familie (also ich, mein siebenjähriger Bruder, daneben die Eltern) vielleicht ein oder zwei Jahre vorher gekauft".

Nachts vorm Fernseher, das gab es übrigens auch ein Jahr später wieder, fällt dem Mann aus Lippe ein und geschickt spielt er die Fußballkarte. Auch zur Fußball-WM 1970, Mexiko, "das spannende – und traurige – Halbfinale zwischen Deutschland und Italien", habe man zusammen vor der Glotze gehockt. Aber zurück zur Mondlandung, "hatte eine fast mythische Bedeutung" auf den jungen Steinmeier, zumindest eine pathetische: "Das technisch Machbare kam dem nahe, was wir uns in der Phantasie ausmalten. Und es entfernte sich immer mehr vom Fassbaren." Unfassbar ist wie Frank-Walter S. dann die Wahlkampfkurve kriegt – fast sieht man, wie er beim Schreiben die weißen Hemdärmel aufrollt und jedes seiner Worte heiser mitröhrt.  

Denn die Apollo-Mission habe in die "Aufbruchstimmung dieser Jahre" gepass. Zack. "Die Umwälzungen, die mit dem Schlagwort 1968 verbunden sind, waren auch in der ostwestfälischen Provinz nicht mehr zu übersehen." Zack. Eine Mondmission sei zwar heute zwar nicht mehr "vordringlich", aber mit dem gleichen  "Erfindungsgeist und Optimismus" könne man die globale Energiekrise lösen und dafür sorgen, "dass niemand mehr Hunger leiden muss". Zack. 1969 sei übrigens ein gutes Jahr für die Sozialdemokratie gewesen, Willy Brandt wurde später Bundeskanzler. Zack.

Ginge es nur nach Monderinnerungen, Steinmeier könnte im Herbst tatsächlich in Brandts Fußstapfen treten – in wenigen Sätzen alles gesagt: Armut, Ostwestfalen, großer Bruder, Fußball, 1968, Willy-Wählen. Nur einer der elf FAZ-Zeitzeugen ist noch gewiefter in eigener Sache: "Das Ereignis hat mich weitgehend unberührt gelassen", schreibt er, "damals bekam ich das Angebot meine erste Expedition zum Nanga Parbat zu machen" – und es ist natürlich Reinhold Messner.