Die Häschenschule ? Einer flog über das Kuckucksnest II

Foto: Flickr/Lexnger

Löffelalarm! Hasen sind hip, keine Frage. Ostern steht vor der Tür und Til Schweiger hat uns vorgemacht, dass Ohren nicht unbedingt notwendig sind, Keinohrhasen tun es auch. Jorinde Dröses Bochumer Psychiatrie-Patienten fühlen sich wie Hasen und setzten sich große Plüschhasenköpfe auf. Mit sehr großen Ohren, welche traurig nach unten hängen, wenn die Patienten gemeinsam bei der Gruppensitzung auf ihren durchsichtigen Hüpf- – pardon – Sitzbällen hocken.

Eine Woche nach der Premiere am Theater Oberhausen hat jetzt auch das Schauspielhaus Bochum seine Version von Dale Wassermanns Drama auf die große Bühne gebracht. Zweimal hintereinander das gleiche Stück zu sehen verheißt Langeweile, indes gelingt Jorinde Dröse in Bochum eine zauberhafte Inszenierung, die unbedingt sehenswert ist.

Während das Oberhausener Regieteam die Geschichte um eine Flüchtlingsthematik erweitert, bleibt die Bochumer Regisseurin näher am Text, was diesem gut tut, das Stück ist klarer und besser verständlich, da weniger Text gestrichen wurde. Von Anfang an ist hier klar, dass Häuptling Bromden nicht wirklich taubstumm ist. Mittels Videotechnik erzählt er seine Geschichte. In graubraun gestreiften Pyjamas putzen seine Kollegen von der Station die Bühne mithilfe von aus Pappe und Papier gefertigten Wischmopps, Bohnermaschinen und Sprühflaschen. Zusammen mit den Bällen und den Hasenköpfen ergibt sich eine Ästhetik der Unwirklichkeit, die perfekt die Situation der Patienten verdeutlicht: der großen Schwester Ratched unterlegen, kindlich verspielt und eben ein bisschen verrückt. In diese Spielwelt platzt McMurphy. Alexander Maria Schmidt spielt ihn laut und großmäulig, ist aber weniger cool als Martin Müller in Oberhausen.

Jorinde Dröse schickt ihr Ensemble auf einen Angelausflug, welcher den Höhepunkt der Inszenierung darstellt. Mittels Video sieht der Zuschauer die Patienten der Station mit ihrem Arzt Spivey in kindergartenbuntem Ölzeug in ein Pappauto steigen, um auf einem Pappschiff nach Pappfischen zu angeln. Über den Umweg Video wird hier virtuos mit dem Medium Theater gespielt: alles ist aus Pappe, also sehr artifiziell und im Hintergrund sieht man noch die Bühnentechniker das Schiff bewegen. Ganz entspannt besinnt sich das Theater auf seine Qualitäten und liefert eine wundervolle Szene, die das Premierenpublikum mit Szenenapplaus belohnte.

Die Bochumer Inszenierung ist nicht perfekt aber überaus charmant, weswegen Einer flog über das Kuckucksnest zur Kultinszenierung avancieren könnte.

Einer flog über das Kuckucksnest I: Theater Oberhausen

FM Einheit. Foto: FH Einheit

33 Jahre nach Miloš Formans fünffach Oscar-prämierter Verfilmung mit Jack Nicholson in der Hauptrolle wird das Kuckucksnest direkt von zwei Theatern im Revier überflogen: Oberhausen startete am 22. Februar, Bochum wird eine Woche später nachziehen.

Die Dramatisierung von Dale Wassermann wurde 1963 uraufgeführt, 1977 war sie erstmals in Deutschland zu sehen. Laut dem deutschen Verlag Rowohlt hat das Stück einen festen Platz im Repertoire, indes kann ich mich an keine Inszenierung während der letzten zehn Jahre erinnern.

Um einer Gefängnisstrafe zu entkommen, lässt sich der Kleinkriminelle Randle McMurphy in die Psychiatrie einweisen. Dort trifft er auf eine Reihe von Patienten, die unter der Fuchtel von Oberschwester Ratched stehen. Zwischen dem aufmüpfigen McMurphy und Ratched entspinnt sich ein Machtkampf.

Der Regisseur Stefan Maurer arbeitet auch in dieser Inszenierung mit FM Einheit zusammen, der die Musik für das Stück komponiert hat. Schon vor Beginn der Vorstellung kann sich der Zuschauer in den Wahnsinn der Psychiatrie hineindenken, wenn er auf seinem harten Sessel des kleinen Theaters Platz genommen hat und immer den gleichen verzerrten Loop hört. Zwei Patienten – in Oberhausen ist die Dramatis personae zusammengestrichen, hier sind acht Personen auf der Bühne, während es in Bochum vierzehn sein werden – sind schon auf der Bühne: Dale Harding und Häuptling Bromden. Dieser hat von Regisseur Maurer eine Flüchtlingsbiographie angedichtet bekommen, und so ist er kein indianischer Ureinwohner wie in der Romanvorlage, sondern Flüchtling aus dem Irak, welcher an der Willkür der Einwanderungsbehörde verzweifelt und dem Wahnsinn anheim fällt. So fegt er beständig die Bühne, während die anderen Patienten bizarre Gruppensitzungen unter Schwester Ratcheds Leitung absolvieren, in denen sich weitere Flüchtlingsschicksale offenbaren.

Stefan Maurer und seiner Dramaturgin liegt dieser Aspekt sehr am Herzen, neben der Weiterdichtung des Textes sind in der Pause im Foyer des Theaters Videointerviews mit Flüchtlingen zu sehen, Infomaterial liegt aus. Der Fokus auf die Problematik wirkt etwas angestrengt und lenkt leider von der eindrucksvollen Schilderung der Missstände in dieser Psychiatrie ab: die Patienten werden von einer zwei Meter großen Tablette sediert, Sinn und Nutzen von Elektroschocks werden vorgestellt, Dr. Spivey, der Arzt, hat nur Floskeln zu sagen, welche das Ensemble als Chor herunterbetet und überhaupt ist der Herrscher der Station Schwester Ratched, welche selbst in ihrer Abwesenheit von der Szene per Lautssprecher mit ihren Untergebenen zu kommunizieren vermag.

McMurphy torpediert Ratcheds Diktatur und wettet, dass er es schafft, die Schwester zu zermürben. Höhepunkt seiner Revolution stellt eine wilde Party dar. Ratched sitzt indes am längeren Hebel: McMurphy, von dem man kolportiert, er sei geflüchtet, wird im Krankenhausnachthemd auf einer Sackkarre auf die Bühne gefahren – man hat bei ihm eine Lobotomie („Das ist eine Kastration fürs Hirn“) durchgeführt.

Stefan Maurer ist eine gute Inszenierung eines sehr guten Stücks gelungen. Der Abend bietet sehr komische, melancholische und auch schreckliche Momente, wegen derer sich eine Reise in die „Theater-Provinz“ unbedingt lohnt.

Oberhausen hat die Latte für das Kuckucksnest sehr hoch gelegt. Bis zur Bochumer Premiere am 29. Februar empfehle ich zum Zeitvertreib die Anstalt der misshandelten Kuscheltiere.

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