Auf Mamas Handgelenk ist ein blauer Davidstern tätowiert. Es war ein betrunkenes Tattoo, von einer Freundin gestochen. Kugelschreiber-Mine, Betäubungsmittel. Aber es ist da.
Als ich sechs Jahre alt war, habe ich sie gefragt, warum. Und sie hat gesagt: „Wenn sowas nochmal passiert, sollen sie mich direkt umbringen.“
Ich weiß nicht, ob Mama am Sonntag in NRW zur Wahl geht. Sie hat kein Geld, das sie verteidigen oder vermehren möchte, keinen Job, den sie behalten will. Sie hat keine Angst vor Flüchtlingen, weil sie nichts an sie zu verlieren hat. In den Sozialwohnungsplattenbauten, zwischen rauchvergilbten Vorhängen und Kindern, die einmal im Jahr in Armutsberichten bemitleidet werden, ist genug Platz.
Mit sieben Jahren bin ich mit Mama auf dem Rad zum Einkaufen gefahren. In einer Unterführung stand eine Gruppe Skinheads mit Sprühdosen. „Scheißnazis“ hat Mama gesagt und ich habe laut nachgefragt: „Was sind Nazis?!“ Sie hat „Pssst“ gesagt und erst erklärt, als wir außer Hörweite waren: „Arschlöcher.“
Mama würde niemals auf die AfD reinfallen, niemals Nazis wählen. Aber ich lese Nachrichten und Parteiprogramme und Hannelore-Reden und Schulz-Pamphlete und frage mich: Was soll sie denn wählen?
Mit 16 habe ich an Sozialdemokratie geglaubt. Daran, dass nur alle einsehen müssten, was richtig ist. SPD wählen oder grün und dann wird alles gut. Grünwählen hieß Gerechtigkeit, konservativ hieß gemeine, alte, reiche Menschen. Dieser kindlich-naive Glaube an Demokratie. Ich verstehe bis heute nicht, woher er kam.