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Es ist die Nacht vom Samstag auf Sonntag in Deutschland; noch ist nicht klar, ob es sich bei dem Anschlag auf die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords in Tucson / Arizona um ein politisches Attentat handelt oder nicht. Klar ist, dass „Gabby“ Giffords noch lebt. Zwar wurde ihr Tod bereits gemeldet, doch inzwischen weiß man, dass sie eine Notoperation überstanden hat, sich jedoch nach wie vor in Lebensgefahr befindet. Aus kurzer Entfernung schoss der 21-jährige Täter der 40-Jährigen in den Kopf – ein glatter Durchschuss. Danach feuerte er noch wild um sich, die Polizei meldet sechs Tote, darunter ein neunjähriges Mädchen. Weil er unverletzt verhaftet werden konnte, werden wir vermutlich im Verlauf des Sonntags erfahren, ob der „Amoklauf“ – wie auch zu lesen ist – politisch motiviert war. Es wäre keine Überraschung, wenn dem so wäre.
Gabrielle Giffords unterhielt sich gestern an einem Infotisch vor einem Supermarkt in ihrem Wahlkreis mit einigen Bürgern, als kurz nach 10 Uhr Ortszeit der Attentäter zunächst auf sie schoss. Im November hatte Gabby Giffords zum dritten Mal den Sitz im Repräsentantenhaus errungen, diesmal allerdings nur mit äußerst knappem Vorsprung – vor ihrem Gegenkandidaten Jesse Kelly. Kelly, der zur Tea-Party Bewegung gehört, hatte seine Anhänger im Wahlkampf dazu ermuntert: „Helft uns Gabrielle Giffords aus dem Amt zu werfen. Feuert eine vollautomatische M16 mit Jesse Kelly.“ Dem Tagesspiegel zufolge kommen solche Aktionen im Wahlkampf gut an in Arizona, einem Staat mit vielen Waffennarren, in dem zur Zeit unter anderem darüber diskutiert wird, Waffen in Schulen zu legalisieren. Dies geschah im Juni 2010.
Bereits im März 2010 hatte Sarah Palin, die als Sprecherin der Tea Party gilt, eine US-Karte mit Zielscheiben auf 20 Wahlkreisen veröffentlicht, deren Abgeordnete für die Gesundheitsreform gestimmt hatten. Auch Gabrielle Giffords befand sich in einem der Fadenkreuze; Parole des Wahlplakats: „Stellung beziehen!“ Zu Palins Reden gehört regelmäßig die Aufforderung, gegenüber dem politischen Gegner „nicht nachzugeben, sondern nachzuladen“. Im März 2010 wurde Giffords Wahlkampfbüro in Tucson verwüstet. Bereits 2009 hatte bei einer Giffords-Veranstaltung – ebenfalls an einem Supermarkt – ein Gegendemonstrant eine Pistole bei sich; von der Polizei sei er weggebracht worden, nachdem die Waffe auf den Boden fiel. Darauf hatte dann die Polizei im Herbst 2010 verzichtet; denn auf Giffords Wahlkampfveranstaltungen waren regelmäßig politische Gegner mit Waffen erschienen.
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Gabby Giffords selbst konnte und wollte dagegen nichts vortragen, die Demokratin ist nämlich Anhängerin des in Amerika geltenden liberalen Waffenrechts. Giffords, die als erste Jüdin für Arizona ins Repräsentantenhaus gewählt wurde und in Washington als Nachwuchsstar der Demokratischen Partei gilt, ist bekannt als „moderate“ Abgeordnete – heißt: sie gehört dem rechten Flügel der Demokratischen Partei an, den sog. „Blue Dogs„. Diese vertreten eine konservative Finanzpolitik, d.h. sie vertreten die – fast „deutsche“ – Position, die Staatsverschuldung zu senken, um ein ausgeglichenes Budget zu erreichen. In der Wirtschaftspolitik gelten die Blue Dogs als ausgesprochen unternehmerfreundlich. Giffords war Chefin einer vom Großvater gegründeten Reifenfirma und Geschäftsführerin einer Kapitalanlagegesellschaft, aber eben auch engagierte Unterstützerin von Obamas Gesundheitsreform.
Damit zog sie den Hass der politischen Rechten auf sich, die den Einbau „europäischer“ Elemente ins amerikanische Krankenversicherungssystem mit Hitler- und Stalin-Plakaten bekämpft hatte. Vermutlich ist ihr dies gestern zum Verhängnis geworden. Der junge Attentäter wird sich erklären. Wir bangen derweil um Gabby Giffords Leben.