Mit der “Cancel Culture” scheint es sich zu verhalten wie mit Schrödingers Katze: Sie ist gleichzeitig da und nicht da. Für etwas, dass es vielleicht gar nicht gibt, sind die im Freifeld anzutreffenden Meinungen hierzu sehr stark. Da gibt es auf der einen Seite Menschen, die sehr prominent darüber sprechen ausgelöscht zu werden, also quasi Geisterstimmen aus dem Jenseits. Und auf der anderen Seite stehen jene, die mit klugen Argumenten darlegen, dass es gar niemanden gäbe, der jene Leute auslöschen will – auch wenn es freilich total schön wäre, sie wären weg. Erschwert wird das Ganze dadurch, dass der Bruch zwischen diesen Parteien nicht einfach zwischen Links und Rechts verläuft, sondern sich als Zick-Zack-Linie entlang diverser Themen schlängelt.
Menschenversuche einself! Lobby! Gas! Affen!
So viel Hysterie gab es schon lange nicht: Menschenversuche durch die Mörderlobby! Heiliger Bimmbamm, erstmal durchatmen. Was war los? Schwer zu sagen. Unter den panischen Schreien ist kaum eine Information aufzufinden. Noch bevor der durchschnittliche SZ-Artikel überhaupt zu erklären in der Lage ist, worum es geht, distanziert sich schon die Autoindustrie. „Wer auch immer dafür Verantwortung zu tragen hat, ist selbstverständlich zur Rechenschaft zu ziehen“, sagt bereits VW Chef-Kontrolleur Pötsch. Rübe ab, mindestens! Wofür? Egal. Ab jetzt wird ernst gemacht: Tests an Affen oder sogar an Menschen sind „ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen“, wie uns Steffen Seibert versichert, weswegen zukünftig alle Medikamente ungeprüft auf den Markt kommen werden. Schon werden personelle Konsequenzen gefordert und natürlich die gute alte Aufklärung. Lückenlos, schonungslos, ultra-brutal.
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Die Falle der Selbstreferentialität
Die ganze Welt diskutiert über den (Finanz-)Weltuntergang. Nur ein kleines Land irgendwo in Mitteleuropa diskutiert darüber, ob sein Häuptling die halbe oder nur ein Viertel Wahrheit gesagt hat. Das ganze Land? Nein, es ist nur ein kleiner Berufsstand, Journalistinnen und Journalisten, die tatsächlich glauben, das ganze Land damit beschäftigen zu können. Und weil sie sich mit den Politikerinnen da hinten im Osten des kleinen Landes, in Berlin immer um sich selbst drehen, wie die Erde, denken sie, sie seien die Erde. So kann man sich irren.
In den diversen Talkshows betonen die Vertreter des Journalistenstandes, wie einig sie sich in der Angelegenheit seien, und dass sie schon deswegen nicht irren können. Und merken nicht, wie peinlich dieses Eingeständnis fehlender Pressevielfalt ist. Wenn Spiegel und Bild zum gleichen Rechercheergebnis kommen, dann muss das wohl die Wahrheit sein – so ihre Logik. Geht es noch peinlicher?
Ich war und bin auch jetzt kein Anhänger oder Verteidiger des jetzigen Bundespräsidenten. Aber ich bin froh, dass es doch schwieriger als gedacht ist, die Insassen dieser Republik beliebig zu manipulieren. Allein deshalb bin ich schon froh, dass einer wie großen oder kleinen „Hälfte“ auch immer der altmediale Anti-Präsi-Shitstorm doch so stark am Arsch vorbei geht, dass die sich nicht zu einer Rücktrittsforderung entschliessen kann.
Die Taktik von Bild und Springer ist ja an Schmierig- und Widerlichkeit auch kaum noch zu toppen. Was mich daran am meisten stört, ist, dass sie den Präsidenten mit Verfehlungen überführen wollen, die kleinlich und unwichtig sind, verglichen mit dem, über was wir mit ihm und gesamtgesellschaftlich dringender diskutieren müssten.
Dazu gehören für mich die Fragen:
– welche Politik und Stategie hat dieser Mann als Aufsichtsrat bei VW und Porsche verfolgt? Da gings nicht um Häuschenkauf von ein paar Hunderttausend, sondern um Besitzverhältnisse von mehreren Milliarden und zigtausend Arbeitsplätze mit ökologisch grenzwertiger Relevanz, garniert mit Prostituiertenskandalen eines Politiker-, Gewerkschafter- und Industriellennetzwerks gegen das die Jungs von der Ergo-Versicherung ja wohl Waisenknaben sind; eine Dokumentation von Lutz Hachmeister über Peter Hartz hat gerade an diese Begebenheiten erinnert.
– was ist dran an Gerüchten, dass der Präsident mit der Europa-Krisen-Politik der Regierung Merkel nicht einverstanden ist, die ja in der Tat jede gesellschaftliche Debatte wert wäre, und der Herr deswegen an der einen oder anderen mehrere hundert Milliarden schweren Gesetzes-Unterschrift zweifeln soll? Und dass die ganze „Affäre“ eigentlich nur dem Zweck dient, ihm diesen Zahn oder diese Zähne zu ziehen? Warum wird darüber nicht öffentlich diskutiert, sondern nur in den Treppenhäusern und Hinterzimmern da hinten im Osten der Republik? Denken die