Globuli: Kein Zucker auf Rezept!

In Antigua und Barbuda wird sogar vor Homöopathen gewarnt! (Foto: David Stanley / Flickr / CC-BY 2.0)
In Antigua und Barbuda wird sogar vor Homöopathen gewarnt! (Foto: David Stanley / Flickr / CC-BY 2.0)

Gesundheit – wer in Deutschland eine psychische Störung hat, wartet mitunter bis zu einem Dreivierteljahr auf einen Therapieplatz bei einem Psychotherapeuten. Kranke Menschen erhalten so oftmals nicht zeitnah wirksame Behandlung.
Hingegen ist es kein Problem,  „magische“ Zuckerkügelchen zu erhalten – für die die Allgemeinheit zahlen muss. Das soll sich jetzt ändern.

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Hamburger vergessen nicht!

Selbst ist der Wähler. Zumindest in Hamburg. Da wird am Sonntag gewählt.

Und da gibt es eine Waldorf-Schule aus Steuermitteln. Dagegen gab es eine Unterschriftensammlung, was aber Schulsenator Rabe nicht beeindruckte, vielmehr beschimpfte er die eigenen Bürger, als Leute mit „mit Schaum vor dem Mund“.

Wahrscheinlich aus diesen Reihen finden sich nun Menschen, die Rabe helfen, seine Wahlplakate zu verehrlichern.

Eso-Bullshit wird nicht vergessen. (Foto: privat)
Eso-Bullshit wird nicht vergessen. (Foto: privat)

Waldorfschule: „Man kann nicht nur ein »bisschen« Waldorf sein“

Prof. Dr. Stefan T. Hopmann Foto: Privat

Prof. Dr. Stefan T. Hopmann, Bildungswissenschaftler an der Universität Wien, über Waldorfschule, Rudolf Steiner und die Anthroposophie. Das Interview führte Andreas Lichte für die Ruhrbarone.

Andreas Lichte: Sie kennen Prof. Klaus Prange noch von Ihrer Zeit an der Christian-Albrecht-Universität in Kiel?

Stefan T. Hopmann: Ja, als einen der analytisch streng, sprachlich präzise schwierige Zusammenhänge beschreiben kann – garniert mit trockenem norddeutschem Humor …

Lichte: Neulich sprach ich mit Prof. Prange über Reformpädagogik, konkret, die Missbrauchsfälle in der Odenwaldschule. Prof. Prange sagte: „Familie als Profession ist bedenklich …“ Halten Sie auch die Rolle des Klassenlehrers in der Waldorfschule als „geliebte Autorität“ für problematisch?

Hopmann: Nicht nur für „problematisch“, sondern für gefährlichen Unsinn. Für mich klingt der Anspruch, „geliebte Autorität“ sein zu wollen, sehr nach „geliebter Führer“, einer irrationalen Form der Unterordnung. Schule als Familie stellt den Anspruch, wie eine Familie für alle Seiten des jungen Menschen zuständig zu sein. Wer so etwas will, vertritt eine totalitäre Pädagogik. Lehrkräfte sind nicht für das „ganze Kind“ zuständig, auch kein besserer Elternersatz, sondern ihre Aufgabe bezieht sich nur insoweit auf die Kinder, insoweit diese Schülerinnen und Schüler sind. Die Aufgabe der Lehrkräfte ist die professionelle Förderung von schulischen Lernprozessen. Natürlich müssen sie dazu auch über die sonstige Situation der Kinder Bescheid wissen, aber es ist weder ihre Aufgabe, noch für sie tatsächlich möglich eine pädagogische Gesamtverantwortung für ein Kind zu übernehmen. Genau so wenig ist pädagogisch vertretbar, von den Kindern zu erwarten, sie sollten ihre Lehrpersonen lieben. Auch das betreibt irrationale Unterordnung. Sie sollten ihre Lehrkräfte als pädagogische Professionelle achten, soweit sie guten Unterricht machen, aber sie müssen sie dafür nicht mehr lieben als ihren Zahnarzt.

Lichte: Der Klassenlehrer unterrichtet in den Klassen 1 – 8 alle elementaren Fächer, ist für die Schüler die einzige Bezugsperson: führt dies zu einer schicksalhaften Abhängigkeit?

Hopmann: Schicksalhaft klingt mir zu dramatisch. Das würde die doch begrenzte Rolle, die Lehrkräfte im Leben der meisten Kinder spielen, übertreiben. Die psychische Abhängigkeit von einer einzelnen Lehrkraft kann schwerwiegende Folgen haben, muss es aber nicht.

Lichte: Ist es nicht eine Überforderung des Klassenlehrers, 8 Jahre lang alle Fächer unterrichten zu müssen? Welche Qualität kann so ein Unterricht noch haben?

Hopmann: Natürlich hat die Konstruktion, eine einzelne Lehrkraft allzuständig sein zu lassen, zwei entscheidende Risiken: Zum einen gibt es keine Lehrkraft, die tatsächlich sämtliche Schulinhalte auf einem so hohen fachlichen Niveau beherrscht, dass sie die unterschiedlichen Lernbedürfnisse und Lernschwierigkeiten angemessen berücksichtigen kann. Die

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Waldorf, Wurzelrassen und Rudolf Steiner

Rudolf Steiner um 1905 (Quelle: wikipedia)

Der AStA der Uni Bonn präsentiert am Mittwoch einen Vortrag von Peter Bierl zum Thema „Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister: Rudolf Steiner und die Waldorfpädagogik.“

Während die Uni Witten Herdecke im Rudolf-Steiner Gedenkjahr daran arbeitet, den verbleibenden Rest an Reputation zu verlieren und sich endgültig mit Vorlesungen „Über die Frage von geistigen Wirkfaktoren im menschlichen Organismus“ als Waldi-Sekten-Hochschule zu outen, gibt es an richtigen Universitäten gerade im Steiner Jahr interessante Veranstaltungen. Zum Beispiel am Mittwoch, den 8. Juni, an der Uni Bonn. Eine Veranstaltung mit Peter Bierl, auf die wir gerne hinweisen:

Hautcreme für den Babypopo von Weleda, biologisch-dynamische Karotten der Marke Demeter, Rudolf-Steiner-Brot im Naturkostladen und die Waldorfschule kennen viele, nicht aber die damit verbundene Weltanschauung der Anthroposophie. Dabei ist sie eine der ältesten und mit bundesweit etwa 20.000 Mitgliedern (weltweit ca. 60.000) eine der wichtigsten esoterischen Strömungen unserer Zeit.

Peter Bierl beschäftigt sich in seinem Vortrag mit der Anthroposophie und ihrem Gründer Rudolf Steiner. Der Mann, der sich als Hellseher inszenierte und von seinen Anhängern als „Menschheitsführer“ und Wiedergeburt von Aristoteles verehrt wurde, war überzeugt, dass nur die „weiße Rasse“ am Geiste schafft, während Asiaten dekadent, Schwarze überhitzte Triebwesen und Juden einseitig intellektuell und zersetzend seien. Die Deutschen rechnete der Guru einer fünften Wurzelrasse der Arier zu, die noch einige Jahrtausende führend sein solle.

In Steiners Anthroposophie spuken Engel und Dämonen, Volks- und Rassengeister, er mixte Versatzstücke aus Buddhismus, Hinduismus und Christentum mit darwinistischen Evolutionsvorstellungen und bürgerlichem Kulturpessimismus. Darum erklären Anthroposophen Erdbeben, Tsunami und Reaktorkatastrophe in Fukushima als eine Art karmischen Ausgleich für einen angeblich besonderen Materialismus der Japaner. Rassistische und antisemitische Ideen der Zeit finden ihren Niederschlag in der Anthroposophie, die wiederum die Waldorfschule

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Drei Gründe für die Waldorfschule

Wir dokumentieren einen Vortrag zum Thema „Sekten und Psychogruppen“, den unser Gastautor Andreas Lichte am 5. Mai auf  Einladung des Ministeriums für Gesundheit und Soziales Sachsen-Anhalt hielt. Lichte ist einer der prominentesten Kritiker von Waldorfschulen in Deutschland – und ebenso prominent sind auch seine Kritiker. Am Ende befindet sich ein Text von Waldorf-Gründer Rudolf Steiner zum Thema Masern. Interessant für alle, die sich überlegen, ihre Kinder in die Hände von Anthroposophen zu geben.

Warum entscheiden sich Eltern für eine der 217 anthroposophisch geprägten Waldorfschulen in Deutschland?

Nach dem „PISA-Schock“ suchen immer mehr Eltern nach einer Alternative zur öffentlichen Schule. Manchen reicht schon die ganzheitliche Zauberformel der Waldorfschulen „Lernen mit Kopf, Herz und Hand“. Andere sind gründlicher. Aber: Je mehr man sich informiert, desto weniger weiss man – Eltern-Informations-Abende der Waldorfschulen sind reine Werbeveranstaltungen.

Viele Eltern wissen aber ganz genau, was sie tun, wenn sie sich für eine Waldorfschule entscheiden. Im folgenden werden drei Gründe für deren Schulwahl behandelt, die ich vorweg als Thesen formuliere:

These I: Die Leistungen des Kindes sind zu schwach, um auf einer öffentlichen Schule zu bestehen. An der Waldorfschule sind die Abschlüsse leichter.

These II: „Man bleibt gern unter sich“ – Besserverdienende wollen eine Schule ohne Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen und ohne Ausländer.

These III: „Man bleibt gern unter sich“ – in der Waldorfschule teilt man die „alternativen“, esoterischen Überzeugungen der Eltern.

An der Waldorfschule sind die Abschlüsse leichter

Diese These sei am Beispiel der nordrhein-westfälischen Gesetzgebung für die Waldorfschulen erläutert. Am 13. Februar 2008 traf sich der Ausschuss für Schule und Weiterbildung des nordrhein-westfälischen Landtags, um über die „Verordnung über den Erwerb von Abschlüssen der Sekundarstufe I an Waldorfschulen“ zu informieren.

Landesministerialrat Marietrud Schreven gab im Auftrag von Bildungsministerin Barbara Sommer einen Bericht ab. LMR‘ Schreven stellte zunächst allgemein die Ziele der neuen, zentralen Abschlussprüfungen vor. Es gelte, Zitat, „sich an nationalen Bildungsstandards zu orientieren, Bildungsstandards, die die Anforderungen für den mittleren Abschluss transparent machen sollen, die Abschlüsse über die Länder hinweg vergleichbar machen sollen.“ Knapp gesagt: Die neue Gesetzgebung solle Chancengleichheit gewährleisten.

Dann folgte eine kurze Darstellung der Waldorfschulen und deren Sonderbehandlung durch das NRW-Bildungsministerium, LMR‘ Schreven sagte, dass „sich die Waldorfschulen besonderer Privilegien erfreuen“, wie beispielsweise „den Unterricht durch Klassenlehrer – der Klassenlehrer ist in Waldorfschulen aufgrund des pädagogischen Konzepts sehr wichtig –, obwohl diese Klassenlehrer keine staatlichen Lehramtsprüfungen haben und nicht an einer staatlichen Hochschule unterrichtet wurden.“

Im Grundgesetz Artikel 7, Absatz 4, Satz 3 heißt es aber: „Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen (…) in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen (…)“

Der Schulrechtler Prof. Hermann Avenarius sagt zu einer vergleichbaren Baden-Württembergischen Sonderregelung für die Waldorfschulen: „Es widerspricht dem Grundgesetz. Auch die an Waldorfschulen tätigen Lehrkräfte benötigen eine wissenschaftliche Ausbildung, die nicht hinter den öffentlichen Schulen zurücksteht. Von diesem Qualifikations- und Qualitätsniveau können sie nicht entbunden werden.“

Schließlich erläuterte LMR‘ Schreven die Besonderheiten des neuen Gesetzes für die Waldorfschulen, hier nur einige entscheidende Passagen wiedergegeben, Zitat Ausschuss-Protokoll:

Seite 8: „Diese [anderen Privat-] Schulen legen eine komplette externe Prüfung ab. Das bedeutet, in allen abschlussrelevanten Fächern finden externe Prüfungen statt. Demgegenüber verfahren wir an Waldorfschulen anders. Die Prüfungen werden an den Waldorfschulen selbst durchgeführt.“

Seite 9: „Die Klausuren werden von Waldorflehrkräften selbst erstkorrigiert. Auch das gibt es in anderen Fällen nicht.“

Seite 10: „Denn es werden nur zwei bis drei schriftliche Prüfungen zentral gestellt. Alle anderen Noten sind waldorfeigene Noten, die auf dem Abschlusszeugnis erscheinen und die, soweit sie den Fächern des Regelsystems entsprechen, natürlich abschlussrelevant sind. Das heißt, sie haben ein Abschlusszeugnis mit dem kompletten Spektrum ihrer Noten, wobei lediglich die Noten in Deutsch, Mathematik bzw. Deutsch, Mathematik und Englisch auf zentralen Prüfungen beruhen.“

Seite 11: „Da wir [wie von den Waldorfschulen gefordert] Vornoten nicht anerkennen können, können wir dieses Verfahren „Vornote und Abweichungsprüfung“ nicht durchführen. Wir haben dafür aber die Möglichkeit eröffnet – diese Möglichkeit haben die Schüler im Regelsystem nicht –, dass eine Nachprüfung gemacht wird. Das heißt, Schülerinnen und Schüler, die punktuell in einer schriftlichen Prüfung versagt haben, können nach den Sommerferien nochmals eine schriftliche Prüfung in diesem Fach machen. Mit dieser schriftlichen Prüfung können sie ihre Note entsprechend verbessern. Das heißt, die bessere Note der Nachprüfung ersetzt die schwächere Note im ersten Durchgang.“

Konnte es NRW den Waldorfschülern noch leichter machen? Die Abgeordnete der Grünen, Sigrid Beer, meint ja. Zitat Beer: „Hinsichtlich der anderen Bundesländer verweise sie auf Niedersachsen, wo 70 % der Abschlussnote, sowohl hinsichtlich der schriftlichen als auch hinsichtlich der mündlichen Prüfung, durch die Vornote zustande komme.“

Chancengleichheit? Wie vom Gesetzgeber beabsichtigt? Deutlicher kann die Bevorzugung der Waldorfschulen nicht sein, und das offensichtlich nicht nur in NRW.

Die strengste Prüfungsordnung für Waldorfschulen gibt es in Bayern, aber auch dort wissen sich Waldorfeltern zu helfen: Für das Abitur wechselt Kind einfach auf eine Waldorfschule in einem anderen Bundesland. Hier ein Interview aus der Jugendsendung „Südwild“ des Bayerischen Rundfunks vom 17. September 2008:

Mirko M.: „Ich war 12 Jahre hier in Coburg auf der Waldorfschule und den restlichen Teil dann in Marburg, also in Hessen, und hab‘ mein Abitur dort gemacht.“

Moderatorin: „Warum bist du nach Hessen gegangen?“

Mirko M.: „Also in Bayern ist es ein bisschen schwierig, da sind die Waldorfschulen staatlich nicht anerkannt (…) Für mich waren es 3 Gründe, warum ich gewechselt bin:

– dass wir keine Vorzensuren hatten, was wirklich schwierig war

– dann auch die externen Abschlüsse, z.B. hier am Gymnasium (…)

– und wir hatten natürlich noch Russisch als zweite Fremdsprache, wo man als Jugendlicher natürlich auch nicht so gern mitmacht.“

„Man bleibt gern unter sich“ – Besserverdienende wollen eine Schule ohne Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen und ohne Ausländer.

Spricht man mit Eltern über deren Beweggründe, sich für eine Waldorfschule zu entscheiden, so hört sich das oft so an, als lese man eine Imagebroschüre der Waldorfschulen. Fragt man freundlich aber beharrlich nach, so lösen sich die pastellfarbenen Traumbilder nach und nach in Luft auf. Und schliesslich hört man: „Ich wohne in (Berlin) Kreuzberg. Da schicke ich mein Kind doch nicht in eine Schule mit hohem Ausländeranteil!“

Richtig, das hat der Autor so erlebt. Nur ein „Einzelfall“? Der ehemalige Waldorfschüler und Anthroposoph Sebastian Gronbach schreibt im anthroposophischen Magazin „info 3“, Zitat:

„Ich konnte vor einigen Tagen erleben, wie die neuen Erstklässler eingeschult wurden. Zwei Schulen, zwei Bilder: Die Grundschule, eine Regelschule, feierte diesen Tag und begrüßte unter den Neuen ein gutes Drittel Kinder, mit dem, was man heute »Migrationshintergrund« nennt. (…)

Der gleiche Tag, wenige Kilometer weiter. Eine Waldorfschule. Auch hier werden die neuen Kinder begrüßt. Das Bild unterscheidet sich kaum von dem in den vergangenen Jahren an dieser Waldorfschule: Kein einziges Kind mit Migrationshintergrund – doch; vor einiger Zeit gab es mal das Kind einer Anwaltsfamilie. Alle Kinder sprechen reines Deutsch. (…)

Heute sind Waldorfschulen Eliteschulen (…)“

Was Gronbach schildert, bestätigt auch eine Statistik des „Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen“ (KFN). In der „Studie 2005 – spezielle Befunde zu Waldorfschulen“ wurde der ethnische Hintergrund der Schüler erhoben.

In der 4. Klasse der untersuchten Schulen betrug der Ausländeranteil:

– staatliche Grundschule: 22,6 %

– Waldorfschule: 2,8 %

In der 9. Klasse der untersuchten Schulen betrug der Ausländeranteil:

– Gesamtschule: 30,3 %

– Waldorfschule: 4,0 %

Die Studie des „Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen“ belegt auch, dass es in Waldorfschulen kaum Kinder aus „sozial benachteiligtem Milieu“ gibt. Waldorfschulen liegen meist in einer „besseren Gegend“, aber selbst auf der Clay Allee im Villenviertel Berlin-Dahlem bildet sich ein allmorgendlicher Stau, wenn die reichen Mamas ihre Kinder in die Rudolf Steiner Schule Berlin bringen und in der zweiten Reihe halten.

Wie sieht es aber im „Märkischen Viertel“ in Berlin aus, in einem Hochhausviertel, das eher von sozial schwachen Bürgern und Ausländern bewohnt wird (50 % sozialer Wohnungsbau)? An der Waldorfschule Märkisches Viertel machte ich mein Praktikum während meiner Ausbildung zum Waldorflehrer und … Ausländer oder Kinder aus dem Viertel konnte ich dort nicht entdecken.

Eine ehemalige Schülerin schreibt mir dazu in einer e-mail:

“Hallo Andreas,

also ich kann Ihre Wahrnehmung durchaus bestätigen. KEIN Schüler kam aus dem Märkischen Viertel oder aus benachteiligtem Milieu. Ich hatte mal eine Mitschülerin in der sechsten oder siebten Klasse, doch diese war genauso schnell wieder dort wo sie herkam: Nämlich auf einer Schule im MV. (…)”

Im Grundgesetz heisst es aber, GG, Artikel 7, Absatz 4, Satz 3: „Die Genehmigung [von Privatschulen] ist zu erteilen, wenn (…) eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird.“

Natürlich würden die Waldorfschulen niemals zugeben, dass sie gegen das Grundgesetz verstossen. Gründe, Schüler abzulehen, finden sich viele, zum Beispiel dieser von der Psychologin Aiga Stapf beschriebene:

„Eltern berichteten wiederholt, dass Kinder vom Waldorfkindergarten und der Waldorfschule abgelehnt wurden. Die Kinder mussten u. a. bei dem Aufnahmegespräch etwas malen: ein Sechsjähriger malte z.B. ein Haus ohne Tür, wozu er kommentierend auf Nachfrage der Waldorfpädagogin sagte: »Die Tür ist hinten.« Dies wurde von ihr als ein »Anzeichen« dafür gedeutet, dass das Kind seine Seele nicht öffnen will, sie lehnte die Aufnahme ab.”

„Man bleibt gern unter sich“ – in der Waldorfschule teilt man die „alternativen“, esoterischen Überzeugungen der Eltern.

Wie ermittelt man, ob eine bestimmte „Soziale Gruppe“ die selben Überzeugungen teilt? Mit umfangreichen Befragungen? Für die Waldorfschule – bzw. Anthroposophen – könnten das beispielsweise solche Fragen sein:

– „Glauben Sie an Karma?“

– „Glauben Sie, dass Ihr Kind, als es noch ein Geistiges Wesen war, Sie für seine Inkarnation als Eltern ausgewählt hat, weil Sie ihm die besten Voraussetzungen für die Erfüllung seines Karmas bieten?“

Wer antwortet darauf wahrheitsgemäss? Dieses Verfahren scheint doch sehr fehleranfällig. Gibt es vielleicht irgendein objektives, gemeinsames Kennzeichen, das man wissenschaftlich, statistisch, erfassen könnte? Ja:

Im März 2008 reist das Schulorchester einer Schweizer Rudolf-Steiner-Schule, der „Freien Oberstufenschule Baselland“ in Muttenz, zu einem Konzert in die Salzburger Rudolf Steiner Schule. Der Gastauftritt findet internationale Beachtung: Nicht nur in Salzburg, nein, in ganz Österreich, in Deutschland und Norwegen – überall brechen die Masern aus.

Im April 2010 lese ich von Masern in Mettmann, NRW. Als ich der Pressestelle des Kreisgesundheitsamtes sage, dass ich mich für den Masernausbruch interessiere, fragt man: „Wieso? Die Masern sind doch schon wieder vorbei.“ Ich sage: „Das mag sich vielleicht merkwürdig anhören, aber ich möchte wissen, ob eine Waldorfschule betroffen war.“ Am anderen Ende der Leitung macht es „aaah“, man weiss sofort Bescheid und sagt: „Dann ist es wohl am besten, wenn Sie Frau Kohnert zurückruft.“ Das tut Regina Kohnert, stellvertretende Leiterin des Kreisgesundheitsamtes Mettmann, und bestätigt mir, dass alle Masernfälle in Waldorfschulen aufgetreten sind. Die Kinder hätten Kontakt zur Waldorfschule in Essen gehabt, auch dort gibt es die Masern …

„Masern werden von Waldorfschule zu Waldorfschule übertragen …“, aber da sage ich Frau Kohnert wirklich nichts neues.  J E D E R  der mit Impfprävention zu tun hat, weiss das.

So warnt Dr. Axel Iseke vom Gesundheitsamt Münster Ende April: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass es über die Waldorfschule auch in Münster zu einem größeren Masernausbruch kommt.“ Denn in Essen sind die Masern ja schon, und Zitat Presseerklärung Münster: „Familien aus dem Umfeld von Waldorfschulen seien häufig überregional vernetzt.“

Doch wer weiss genaueres über die Infektionskette Waldorfschule? Doch sicher das „Robert Koch Institut“ (RKI), „die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention“. Dort müssen seit der Einführung der Masern-Meldepflicht im Jahr 2001 alle Fälle gemeldet werden. Ich spreche mit der Epidemiologin Dr. Anette Siedler. Doch sie überrascht mich, meint, dass das RKI nicht den Verursacher der Krankheit ermittetele, der weltanschauliche Hintergrund einer Schule nicht berücksichtigt werde. Auch die entscheidende Information kann Dr. Siedler nicht liefern, sie sagt: „In Deutschland gibt es keine verlässlichen Zahlen zur Impfrate in Waldorfschulen bzw. öffentlichen Schulen.“

In der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ werden Zahlen genannt, sie sollen hier als Orientierung dienen, auch wenn sie sich auf Schweden beziehen:

Geimpft waren gegen MMR (Masern-, Mumps-, Röteln- Kombinationsimpfung):

– in öffentlichen Schulen: 93 %

– in Waldorfschulen: 18 %

61 % der Waldorfschüler hatten eine Masernerkrankung durchgemacht.

Warum untergraben Waldorfschulen das Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Masern bis 2010 in Europa auszurotten? Und warum werden Menschen dem Risiko einer Infektion mit einer schweren Krankheit ausgesetzt?

Masern sind nämlich keinesfalls eine „harmlose Kinderkrankheit“:

– bei etwa 20–30 % der Masern-Fälle kommt es zu Komplikationen. Durchfall, Mittelohrentzündungen und Lungenentzündungen sind dabei am häufigsten, oft ist eine stationäre Aufnahme erforderlich.

– Die Meningoenzephalitis ist selten (bei 0,1 % der Erkrankungen), verläuft jedoch in 15–20 % der Fälle tödlich. In weiteren 20–40 % bleiben dauerhafte Schädigungen des Gehirns zurück.

– Die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) ist eine sehr seltene Spätkomplikation nach Maserninfektion, verläuft nach langem Siechtum aber immer tödlich.

In Waldorfschulen treffen sich 2 Gruppen von Impfverweigerern, Zitat Dr. Georg Vogt, Gesundheitsamt Duisburg: die „ideologisch verhärteten Anthroposophen“ und die „oberkritischen Gebildeten“.

Anthroposophen – natürlich auch der anthroposophische Schularzt der Waldorfschulen – folgen Rudolf Steiner. Steiner begründet, warum die Masern eine Krankheit sind, die man durchmachen muss, so:

Ein Mensch hat in seinem letzten Leben zu viel „gegrübelt“, was zu einer „Schwäche der Seele“ führt. Die Masern sind die „physisch-karmische Wirkung“ dieses Fehlverhaltens im letzten Leben. Die Masern macht man durch, „um organische Selbsterziehung zu üben“, „die Krankheit kann in einen geistigen Prozeß zurückverwandelt werden“ …

Wer meint, dies sei aber eine völlig idiotische Zusammenfassung, der überzeuge sich selbst: Im „Anhang“ gibt es Steiners Karma-Masern-Quacksalberei im Original zu bestaunen.

Und was ist mit der zweiten Gruppe der Waldorf-Impfverweigerer, den „oberkritischen Gebildeten“, für die Entscheidungen von Medizinern und Gesundheitsbehörden nicht gelten?

Im Januar 2010 durften rund 260 Kinder der Rudolf Steiner Schule Berlin zu Hause bleiben. Als Quarantäne-Massnahme wurde der Schulbesuch vom Gesundheitsamt Steglitz-Zehlendorf untersagt, nachdem in der Waldorfschule Masern aufgetreten waren. Ein Vater, von Beruf Anwalt, klagte gegen den Ausschluß der Schüler beim Verwaltungsgericht und verlor:

„Das Gericht gab der Behörde Recht. Die Kinder könnten bei einer Erkrankung Mitschüler anstecken, bevor sie selbst sichtbare Symptome zeigen, hieß es zur Begründung. Ihr Interesse am Schulbesuch müsse angesichts der Ansteckungsgefahr der mitunter sogar tödlich verlaufenden Krankheit zurücktreten.“

Vorher hatte der Vater der zuständigen Berliner Stadträtin in einem Brief geschreiben:

„Allein die Tatsache, dass Masern auch tödlich verlaufen können, gibt der Gesundheitsverwaltung meines Erachtens nicht das Recht, derartig einschneidende Maßnahmen zu ergreifen.“

Fazit und Fragen

– Kultusministerien beschließen Gesetze, die die Waldorfschulen bevorzugen. Das Grundgesetz findet bei den Waldorfschulen keine Beachtung.

– Eine „Elite“ lebt auf Kosten der Allgemeinheit: Waldorfschulen werden zum grössten Teil aus öffentlichen Steuermitteln finanziert, sind aber eine geschlossene Gesellschaft von Privilegierten.

– Aus ideologischen Gründen setzen die Waldorfschulen die Gesundheit von Menschen aufs Spiel. Die Gesundheitsbehörden engagieren sich zwar sehr bei der Minimierung der Risiken für die Allgemeinheit, bekämpfen aber nicht die eigentliche Ursache des Problems.

Kann sich eine demokratische Gesellschaft wie die Bundesrepublik Deutschland eine Parallelgesellschaft Waldorfschule leisten? Ist diese Parallelgesellschaft politisch gewollt?

Anhang:

Rudolf Steiner begründet, warum Masern eine Krankheit sind, die man durchmachen muss:

„Nehmen wir an, im späteren Leben bekommt eine Persönlichkeit Masern, und wir suchen nach dem karmischen Zusammenhang dieses Falles. Wir finden dabei, daß dieser Masernfall aufgetreten ist als eine karmische Wirkung von solchen Vorgängen in einem vorangegangenen Leben, die wir etwa so beschreiben können: Die betreffende Individualität war in einem vorhergehenden Leben eine solche, die sich nicht gern um die äußere Welt bekümmert hat, sich nicht gerade im grob egoistischen Sinne, aber doch viel mit sich selber beschäftigt hat; eine Persönlichkeit also, die viel nachgeforscht hat, nachgedacht hat, aber nicht an den Tatsachen der äußeren Welt, sondern die im inneren Seelenleben geblieben ist. Sie finden auch heute sehr viele Menschen, welche glauben, daß sie durch In-sich-abgeschlossen-Sein, durch Grübeln und so weiter zur Lösung von Welträtseln kommen können. Bei der Persönlichkeit, die ich meine, handelte es sich darum, daß sie mit dem Leben so fertigzuwerden suchte, daß sie innerlich nachgrübelte, wie man sich in diesem oder jenem Falle verhalten soll. Die Schwäche der Seele, welche sich daraus ergeben hat im Verlaufe des Lebens, führte dazu, daß im Leben zwischen Tod und neuer Geburt Kräfte erzeugt wurden, welche den Organismus in verhältnismäßig später Lebenszeit noch einem Masernanfall aussetzten.

Jetzt können wir uns fragen: Wir haben auf der einen Seite den Masernanfall, der die physisch-karmische Wirkung ist eines früheren Lebens. Wie ist es denn aber nun mit dem Seelenzustand? Denn das frühere Leben gibt ja als karmische Wirkung auch einen gewissen Seelenzustand. Dieser Seelenzustand stellt sich so dar, daß die betreffende Persönlichkeit in dem Leben, wo sie auch den Masernanfall hatte, immer wieder und wieder Selbsttäuschungen unterworfen war. Da haben Sie also die Selbsttäuschungen anzusehen als die seelisch-karmische Folge dieses früheren Lebens und den Eintritt der Masern als die physischkarmische Folge jenes Lebens.

Nehmen wir nun an, dieser Persönlichkeit wäre es gelungen, bevor der Masernfall eintrat, etwas zu tun, um sich gründlich zu bessern, das heißt, um eine solche Stärke der Seele sich anzueignen, daß sie nicht mehr ausgesetzt wäre allen möglichen Selbsttäuschungen. Dann würde diese dadurch heranerzogene Seelenstärke dazu geführt haben, daß die Masernerkrankung hätte unterbleiben können, weil das, was im Organismus schon hervorgerufen war bei der Bildung dieser Organisation, seinen Ausgleich gefunden hätte durch die stärkeren Seelenkräfte, welche durch die Selbsterziehung herangezogen worden wären. Ich kann natürlich nicht ein halbes Jahr über diese Sachen reden; aber wenn Sie weit im Leben herumschauen und alle Einzelheiten, welche sich als Erfahrungen darbieten, von diesem hier gegebenen Ausgangspunkt aus betrachten würden, so würden Sie immer finden, daß das äußere Wissen voll bestätigen würde – bis in alle Einzelheiten -, was hier gesagt worden ist. Und was ich jetzt gesagt habe über eine Masernerkrankung, das kann zu Gesichtspunkten führen, die erklären, warum Masern gerade zu den gebräuchlichen Kinderkrankheiten gehören. Denn die Eigenschaften, die genannt worden sind, kommen in sehr vielen Leben vor. Insbesondere in gewissen Zeitperioden haben sie in vielen Leben grassiert. Und wenn dann eine solche Persönlichkeit ins Dasein tritt, wird sie so schnell wie möglich Korrektur üben wollen auf diesem Gebiet und in der Zeit zwischen der Geburt und dem gewöhnlichen Auftreten der Kinderkrankheiten, um organische Selbsterziehung zu üben, die Masern durchmachen; denn von einer seelischen Erziehung kann ja in der Regel in diesem Alter nicht die Rede sein.

Daraus sehen Sie, daß  wir wirklich davon sprechen können, daß die Krankheit in gewisser Beziehung wieder zurückverwandelt werden kann in einen geistigen Prozeß. Und das ist das ungeheuer Bedeutsame, daß wenn dieser Prozeß in die Seele als Lebensmaxime aufgenommen wird, er eine Anschauung erzeugt, die gesundend auf die Seele wirkt. In unserer Zeit braucht man sich nicht besonders zu wundern, daß man so wenig auf die Seelen wirken kann. Und wer die Zeit heute vom geisteswissenschaftlichen Standpunkt aus durchschaut, der wird es begreifen, daß so viele Mediziner, so viele Ärzte Materialisten werden (…)“

Rudolf Steiner, „Die Offenbarungen des Karma“, GA 120, FÜNFTER VORTRAG, Hamburg, 20. Mai 1910, S. 102ff

Die Waldorfschule, Rudolf Steiner und die Anthroposophie

Die erste Waldorfschule wurde 1919 in Stuttgart vom Anthroposophen Emil Molt, Besitzer der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, als Betriebsschule gegründet. Molt beauftragte Rudolf Steiner mit der pädagogische Leitung der neuen „Waldorf“-Schule.

Rudolf Steiner (1861–1925) promovierte 1891 mit der schlechtmöglichsten Note „rite“ in Philosophie; die 1894 versuchte Habilitation scheiterte. Um 1900 kam er in Kontakt mit Helena Petrovna Blavatskys esoterischer „Theosophie“. Von 1902 bis 1912 leitete Steiner die deutsche Sektion der „Theosophischen Gesellschaft“, die er 1912/13 abspaltete und unter dem Namen   „Anthroposophie“ neu gründete.

Steiner ist nach eigener Aussage Hellseher. Er behauptet, in der „Akasha-Chronik“, einem allumfassenden „Geistigen Weltengedächtnis“ im „Äther“ lesen zu können. Steiner erklärt: „Erweitert der Mensch auf diese Art [d.h. durch Steiners Anthroposophie] sein Erkenntnisvermögen, dann ist er (…) nicht mehr auf die äußeren Zeugnisse angewiesen. Dann vermag er zu  S C H A U E N , was an den Ereignissen nicht sinnlich wahrnehmbar ist (…).“ Die Anthroposophie schöpft damit aus esoterischen, okkulten Quellen, die für Nicht-Anthroposophen reine Fiktion sind.

Die Waldorfschule war für Steiner von Beginn an ein wirksames Instrument zur Verbreitung seiner esoterischen Heilslehre „Anthroposophie“. Und die „Anthroposophie“ ist bis heute verbindliche Grundlage des Unterrichts jeder Waldorfschule, Rudolf Steiner deren unangefochtene Autorität. Wie weit die Verehrung geht, mag man am Umfang der Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe ermessen: Sie hat zurzeit 354 Bände.

Waldorfschule: Curriculum und Karma – das anthroposophische Erziehungsmodell Rudolf Steiners

klaus_prangeDie anthroposophische Pädagogik ist eine Mogelpackung für Herrschaft. Sie beutet das vielfach anzutreffende Orientierungsbedürfnis aus, um die Herrschaft einer selbsterwählten Elite zu begründen. Von unserem Gastautor Klaus Prange.

Es gibt eine amüsante Anekdote, die mit dem großen dänischen Physiker Niels Bohr verbunden ist. Bohr hatte in den Bergen eine Hütte, und über der Tür zu dieser Hütte war ein Hufeisen angebracht, ein altes magisches Zeichen zur Abwehr böser Geister. Als nun Bohr einmal von Fachkollegen und Schülern besucht und gefragt wurde, ob er etwa an solchem Spuk und Aberglauben festhalte, hat er geantwortet, nein, natürlich nicht, er glaube nicht daran, dass das Hufeisen wirklich das Unglück vertreibe; aber sein Nachbar habe ihm gesagt, es wirke auch dann, wenn man nicht daran glaube. 

Diese Anekdote beleuchtet zunächst einmal, wie es sich für Anekdoten gehört, die Eigenart des Mannes, diese spezifisch dänische Mischung aus Verstandesklarheit und Verschmitztheit. Sie beleuchtet aber auch noch etwas anderes, viel Allgemeineres: Bei aller Rationalität und wissenschaftlichen Skepsis gegen Aberglauben, angebliche Volksweisheit und alte Weistümer bleibt doch ein Rest, der sich nicht auflösen lässt, eine Ungewissheit und Unsicherheit, der man mit Vernunft und Wissenschaft nicht beikommen kann. Die große Hoffnung der modernen Wissenschaft, die metaphysischen Gewissheiten durch einsehbare, nachprüfbare und distinkte Bestimmungen zu ersetzen, hat sich nicht erfüllt; vielmehr hat sich gezeigt, dass die Wissenschaft das Problem der praktischen Orientierung im Leben nicht bewältigen kann. Sie belehrt uns darüber, was wir wissen, und je genauer sie das tut, desto genauer wird auch die Grenze erkennbar, die dieses Wissen mit sich führt. Hans Blumenberg hat in seinem 1986 erschienenen Buch über Lebenszeit und Weltzeit überzeugend ausgeführt, dass jene Hoffnung der neuzeitlichen Reflexion illusorisch war, eine produktive, ergiebige Illusion, gewiss, aber doch mit dem Ergebnis, dass die Fragen des Lebens sich nicht in Reflexion ohne Rest und Bruch auflösen lassen. (1) Und genau dies ist ein Ergebnis des organisierten Wissens, auf das man nun unterschiedlich reagieren kann, nicht nur ironisch-verschmitzt wie Bohr, sondern auch resolut, indem man die Wissenschaft und ihre Ergebnisse umdeutet. In jedem Falle ist es so, dass gerade eine selbstkritisch sich bescheidende Reflexion dem “Glauben Platz schafft”, so das ausdrückliche Programm Kants, der dieses Problem scharf und deutlich gesehen und ausgesprochen hat. Aber dieser Platz wird nicht nur von dem gefüllt, was nach Kant allein übrig blieb, jenem spezifischen Vernunftglauben, der das Verfahren der Vernunft auf die Bestimmung der moralischen Handlungsgründe anwendet und eine menschliche Welt erzeugt, sondern auf diesem Platz tummeln sich auch ganz andere Konzepte. Die Philosophen interessieren sich in der Regel nicht allzusehr dafür, was es alles an metaphysischen Überlebseln gibt, aber der Pädagoge, der es ja nicht nur mit Akademikern zu tun hat, kann daran nicht vorbeigehen.

Was ich damit meine, lässt sich leicht illustrieren und aktualisieren. Man sieht es in den Buchhandlungen und an den Verlagen: Esoterisches kommt gegenwärtig gut an, Mystik und Mythisches zu herabgesetzten Preisen, ob es sich nun um die Apotheke des lieben Gottes handelt oder um computergestützte Astrologie oder eben auch um Anthroposophisches. Es gibt eine Renaissance vormoderner Weltweisheit, Totallösungen und gebrauchsfertige Sinnangebote, die der Nachfrage nach Orientierung und Sinn entsprechen. Offenbar besetzt die Nachhut der Vormoderne Positionen, die eine resignativ in sich selber verstrickte Rationalität freigegeben hat. Dabei gibt es durchaus Rangunterschiede: auf der oberen Etage wird die “Wahrheit des Mythos” restauriert, (2) und ganz unten haben die Jugendsekten, die indisch kostümierten Guru-Weisheiten, die Scientology-Bewegung u.a. ihren Markt. Man hat zwar gesehen, dass am Ende auch ein Bhagwan nur von dieser Welt ist, aber solche Desillusionierungen sind nicht von Dauer; es ist vielmehr damit zu rechnen, dass es eine Anfälligkeit für totale Sinnangebote gibt, für Schlüsselattitüden und vorreflexive Gewissheiten.

Genau das ist mein Thema. Ich möchte wie in einem klinischen Fall an der Anthroposophie und der anthroposophischen Pädagogik zeigen, dass sie dem Bedürfnis nach einer ganzheitlichen Weltdeutung und Sinnorientierung entspricht, nach einem Weltbild, in dem sich auch sagen lässt, was es mit diesem menschlichen Leben auf sich hat. Dazu eine Bemerkung in eigener Sache. Ich werde des öfteren gefragt, weshalb ich mich mit der Waldorfpädagogik befasst habe und dann auch noch so “kritisch” und ausgesprochen negativ. (3) Die Leute hätten mir doch gar nichts getan und verdienten solche Unfreundlichkeit nicht. In einigen Waldorf-Rezensionen wird auch gleich Motivforschung getrieben: Welchen Defekt hat jemand, der den Sinn der Waldorfpädagogik in Frage stellt, die doch wirklich das Beste für die Kinder will, eigentlich viel mehr als die reglementierte und verkopfte Staatsschule. Meine Antwort dazu ist: ich betrachte die anthroposophische Pädagogik als Beispiel für eine absolute Pädagogik, keineswegs das einzige, aber eben ein guter Fall, so wie ein Kliniker oder Analytiker sich über eine reine Konversionshysterie freut, nicht weil er Neurosen gut findet, sondern weil er an ihr untersuchen kann, wie der Mechanismus dieser seelischen Krankheit zu verstehen ist. In der Tat halte ich die Waldorfpädagogik für einen Irrgang, und die ambivalente Rezeption und Behandlung dieses pädagogischen Konzepts durch die Erziehungswissenschaft wirft ein Licht auf die Anfälligkeit der Pädagogik für “absolute Metaphern” (Blumenberg) und theoretisch nicht ausweisbare Sinnantworten, auch: ihre Anfälligkeit und Schutzlosigkeit gegen politisch-totalitäre Zumutungen.

Soviel zum Hintergrund. Im Folgenden werden drei Punkte behandelt, die ich vorweg als Thesen formuliere:

These I: Die Anthroposophie ist eine Heilsbotschaft für Verlassene und Enttäuschte, für Sinnsucher und Heimatlose.

These II: Die Waldorfpädagogik und die Waldorfschule sind der Versuch, diese Heilsbotschaft über Erziehung auf Dauer zu stellen.

These III: Die anthroposophische Pädagogik ist eine Mogelpackung für Herrschaft. Sie beutet das vielfach anzutreffende Orientierungsbedürfnis aus, um die Herrschaft einer selbsterwählten Elite zu begründen.


Die Anthroposophie als Heilsbotschaft

Dazu nehme ich eine Überlegung auf, die Sigmund Freud vorgetragen hat. Freud hat die Frage gestellt, welche Zukunft die traditionellen Glaubenssysteme noch haben. Bisher haben sie dem Menschen geholfen, seine Hilflosigkeit zu meistern; sie geben Sicherheit und Gewissheit in einem Meer von Gefahr und Übermacht. Aber die Menschen ahnen, dass sie einer Illusion aufsitzen. Sie ahnen und wissen es deshalb, weil die modernen Wissenschaften ihnen drei schwere Enttäuschungen bereitet haben, drei schwere “Kränkungen”, wie Freud auch sagt. (4) Die erste, “kosmologische” Enttäuschung stammt aus der Astronomie, seit sich die Lehre des Kopernikus durchgesetzt hat, dass die Erde keineswegs der Mittelpunkt der Schöpfung, also der Mensch auch nicht der Mittelpunkt der Welt ist. Galilei, der das ungeschminkt aussprach, wurde dafür verdammt und musste gegen seine Überzeugung widerrufen. Die zweite, “biologische” Enttäuschung hat uns Darwin beschert: der Mensch ist nicht fertig und einigermaßen mit Vernunft begabt geschaffen worden, sondern in einem sehr langen Naturprozess entstanden. Es gibt ihn ohne Zielbestimmungen und ohne Schöpfer, der sich den Menschen ausgedacht hat; das ist die revolutionäre Pointe der Evolutionstheorie. Und die dritte Enttäuschung besteht darin, so Freud, dass die analytische Psychologie zeigt, dass wir nicht einmal über uns selbst verfügen, uns mit uns selbst nicht auskennen und dass unsere Vernunft nur ein schwaches Rohr im Wind unserer vorrationalen Antriebe ist. Es gibt nach alledem keine Vorzugsstellung des Menschen, sei es als Zentralwesen des ganzen Kosmos, sei es als Krone der Schöpfung, sei es als Vernunftwesen mit absoluter Mitte in sich selbst. Man kann das in der Konsequenz auch so formulieren: alles könnte auch anders sein, unser Wissen sowieso, aber auch unser Handeln und Denken, unsere moralischen und ästhetischen Präferenzen, unser Charakter und das, was wir für unser Wesen halten. Dies sind Varianten des Satzes von Nietzsche: Gott ist tot. Das gegenwärtige Stichwort dafür lautet: Kontingenz. Alles könnte auch anders oder gar nicht sein. Wenn das so ist, wenn Gott tot ist, wenn die Entzauberung der Welt nicht rückgängig zu machen ist, so Max Weber, wie kann man dann mit diesem Tatbestand fertig werden? Ein Weg ist, und Freud hat es vorgemacht: Man kann tapfer sein, d. h. Schritt für Schritt versuchen, ein wenig und immer mehr Licht in die seelischen und intellektuellen Konstellationen zu bringen, theoretisch gesprochen: das Kontingente durch Relationierungen zu bewältigen, nicht endgültig und für immer, aber auf Zeit. Man kann aber auch die Augen schließen und Gott noch einmal einen guten Mann sein lassen, so tun, als ob alles irgendwie zusammenpasst. So verhalten sich die meisten, angesichts des Umstands, dass kein endliches Bewusstsein umfassen kann, was überhaupt relevant ist. Die Zeitschere von Lebenszeit und Weltzeit ist prinzipiell nicht zu schließen, schreibt Blumenberg. Man kann aber auch, und das ist der Weg Steiners, die Augen offen halten und doch träumen, um resolut darauf zu bestehen, alles sei vorgeordnet, nicht nur die Banalitäten hier, sondern auch der Sternenlauf, die Geschichte von Anbeginn und Ende, die Beziehung von allem und jedem, und zwar so, dass dann auch das kleine und nichtige, belanglos-zufällige Leben einen großen, unverzichtbaren Sinn hat, der sich dem erschließt, der Steiners Wachtraum mitträumt. Steiners Suggestion und offenbar nach wie vor anhaltende Wirkung beruhen auf dem ungestillten Sinnbedürfnis und darauf, dass er sich als einer präsentiert hat, der die Antwort und das Lösungswort weiß, die Antwort auf ein Rätsel, das in Wahrheit gar keines mehr ist.

Wie sieht Steiners Lösungsformel aus? Nun, Steiners Grundgedanke ist simpel und zugleich höchst abstrakt. Er hat ein archaisches uraltes Bild aus der Kindheit der Menschheit aufgenommen und modern inszeniert. Der einzelne Mensch ist ein Kosmos im Kleinen, der Kosmos ein Mensch im Großen. Das ist nicht als Bild gemeint, das auch anders sein könnte, sondern es ist wirklich so. Es gibt eine Grundbeziehung zwischen dem Endlichen und Irdischen hier und dem Ewigen und Kosmos dort. Man kann hin und her gehen. Wie wir uns als Menschen erkennen mit Kopf, Rumpf und Gliedmaßen, so ist die Welt im Ganzen, und schauen wir auf Sonne, Mond und Sterne, auf Stein, Pflanze und Tier, dann erkennen wir uns selbst. In seiner Selbstdarstellung unter dem Titel Mein Lebensgang (5) hat Steiner geschildert, wie er zu seinen Ansichten gekommen ist oder besser: wie sich ihm das Weltgeheimnis erschlossen hat und zuteil geworden ist.

Die angegebene Grundbeziehung lässt sich endlos variieren und instrumentieren. Der Knochenbau des menschlichen Arms enthält nach Steiner die klassische Tonskala, der Zahnbestand deutet auf die intellektuelle Verfassung, die Geometrie ist aus dem Kosmos und aus dem Skelett des Menschen herausgeholt, die Elemente spiegeln die Temperamente, die Temperamente die Weltzeitalter, beides ist in die musikalischen Haltungen verwoben, so dass man einem Kinde das richtige Instrument zuordnen kann: alles hängt mit allem zusammen, ein Zaubergarten, wo eine kleine Bewegung hier eingreift in den großen Weltenplan, so wie sich ja auch die archaischen Völker vorstellen, dass sie mit der symbolischen Darstellung des Regens im Tanz auch wirklich den Regen herbeiführen können. Das Fernste und Entlegenste ist nah, das Nächste und Banalste abgrundtief bedeutsam, was auch immer es sein mag. Im letzten Band einer 1985 herausgekommenen Steiner-Ausgabe sagt das Kurt E. Becker so: “Den individuellen Mensch im Mittelpunkt entfaltet sie [die Anthroposophie, K.P.] – ganz ohne dogmatischen Impetus – ein allumfassendes Koordinatensystem vom Besonderen zum Allgemeinen, vom Kleinsten zum Größten, vom Vergangenen zum Zukünftigen.” (6) Ganz ohne Dogma? Wohl kaum. Aber man kann schnell sehen, worin der ästhetische Reiz dieses Weltbildes liegt, dieser Harmonie von Mensch, Welt und Geschichte, vor allem dann, wenn der Eingeweihte als ein Visionär verstanden wird, “verbunden mit dem Urquell allen Seins”, wie es da weiter heißt. (7) In diesem Netz der Analogien und Korrespondenzen fehlt nichts, passt alles und hat eine tiefe, bleibende, den Menschen recht würdigende Bedeutung.

In der Tat: Wer hätte nicht gern ein solches Weltbild, das ihn in den Mittelpunkt stellt, wo alles, wie in der Kinderwelt, auf alles einen Reim gibt, wo sich alles um den Einzelnen dreht und nichts mehr zufällig, sondern alles schicksalsnotwendig ist, karmisch-kosmisch, eben anthroposophisch. Nichts geht verloren, keine Geste, kein Wort und kein Opfer, die Gesamtrechnung geht auf ohne Rest und Bruch, so wie Bilder fertig und umschlossen sind, während Verstand und Gedanke immer diskursiv unterwegs und relativ bleiben. Mit der Logik solcher Bilder mag es schlecht bestellt sein, aber ihre Psychologie ist machtvoll, weil sie einem tiefen Bedürfnis, der Sehnsucht nach Sinn, Bedeutung und Relevanz entsprechen. Man sieht hier auch, dass Steiner nicht einfach nur eine Erkenntnislehre und Kosmologie präsentiert hat, sondern eine Lebenslehre und einen Lern- und Erziehungsweg. Die Anthroposophie ist pädagogisch durch und durch. Ja, sie entspricht dem kindlichen Bewusstsein auf eine sublime Weise.

Als Kinder erleben wir unsere Umgebung als Agenten und Opfer; wo die Dinge leibhaft nah begegnen, erscheinen sie wie redende, fühlende Wesen. Das ist, wie es Jean Piaget genannt hat, der Egozentrismus des Kindes, nicht im moralischen Sinne, sondern als Form der Welterfassung. Zu den Enttäuschungen im fortgehenden Leben und Lernen gehört, dass diese Nähe falsch ist. Sonne, Mond und Sterne gehen ihren eigenen Gang, die Dinge sind herzlich unbekümmert und indifferent, durch Tränen nicht und nicht durch Zureden zu bewegen, und selbst die anderen Menschen, die bekannten und unbekannten, sind Fremde in ihren eigenen Welten. Wir möchten das nicht wahrhaben, und Steiner lehrt, dass wir das Weltbild des Kindes als Weltanschauung für Erwachsene bewahren können.

Aber kann man als Erwachsener ernsthaft und nicht nur im symbolischen Spiel solche Kindlichkeit wiederherstellen oder aufrechterhalten, ohne kindisch zu werden? Man kann, Steiner hat es vorgemacht. Natürlich geht das nicht direkt, nicht mehr mit den Gebärden alter Wahrsager und im Prophetenmantel, auch nicht mit wallender Künstlermähne, nein, man muss sich als Wissenschaftsmann im Laborkittel präsentieren, aber eben einer anderen Wissenschaft. Dass Steiner alles erlebt und gesehen hat, die nachtodlichen Lebensgänge von Freunden und Bekannten, auch von Goethe und Schiller, soll eben nicht nur seine Sache sein, sondern wissenschaftlich-methodisch gesichert werden, wie es der Zeitstil verlangt. Der abenteuerliche Gedanke einer kosmisch-biographischen Gesamtrechnung, wo jeder Posten bekannt ist, wird nicht als Glaube, sondern als Ergebnis ernster, bescheidener Sachforschung vorgetragen. Jeder kann es lernen, und die Waldorfschule ist die Vorschule zur Einstimmung in die Erkenntnis der höheren Welten und der Einweihung in die übersinnlichen Reiche. Man will nicht nur blind phantasieren, sondern methodisch phantasieren, dass der “ganze Mensch als kleinster Baustein einer Einheit der Welt und gleichzeitig als Abbild kosmischer Gesamtheiten gelten darf”. (8)

Dazu dienen nun die Schulungsschriften, zur Erlangung der “Erkenntnis höherer Welten”, (9) in denen Steiner seine Gedankenspiele allgemein präsentiert hat. Aber es steht seltsam mit diesem Curriculum fürs Okkulte: zuletzt muss man immer auf die Autorität ihres Erfinders vertrauen, “in devotioneller Haltung” und demutsvoll, und auch dann soll der Initiant immer nur soviel erfahren, wie ihm der Meister zutraut und wessen er würdig ist. Eine kuriose Schule, in der man erst versichern muss, recht brav zu sein, ehe man wissen darf. Aber zuletzt hat der Meister dann doch das Beste für sich behalten, nämlich welche Inkarnation er denn nun eigentlich gewesen sei – ein neuer Christus oder Buddha? Ein wiedererstandener Franziskanerspiritual oder nichts von alledem, sondern nur ein belesener Eidetiker mit dem zweiten Gesicht?

Die Anhänger und Glaubenswilligen kann dieser Schleier über dem Mysterium des Dr. Steiner nicht anfechten; im Gegenteil. Nicht wenige haben größere Sympathie mit dem, was sie nicht begreifen, als mit dem Verständlichen, von dem sie wissen, dass es wenig genug ist. In einer Lage, wo keiner weiß, was alle zusammen wissen, und alle zusammen nicht wissen, was noch erforscht und in Zukunft gewusst werden wird, erscheint für viele der Ausweg verlockend, gleich an der Stelle Halt zu machen, wo sie gerade sind und sich damit zu beruhigen, ein anderer habe alles gewusst, gesehen und geschaut.

Der Anfang als Ende und Erfüllung: es gibt keinen besseren Immunschutz gegen die immer neuen Zumutungen, Innovationen und wechselnden Perspektiven, gegen den Dauerstreit um Werte und Positionen und gegen die technischen Folgen eines losgelassenen Wissens. Probleme und Fragen gibt es genug und übergenug; bei Steiner ist Ankunft, Erfüllung und Ende – eben das Weltbild des Kindes als Weltanschauung für Erwachsene. Und es dürfte nicht nur die Gunst der gegenwärtig vielfach bemerkbaren Wende-Stimmung sein, die dem Rezept gegen Wandel, Neuerung, Unsicherheit einen wachsenden Markt verschafft. Sinn wird auch in Zukunft ein knappes Gut bleiben, und solange die falsche Erwartung besteht, man könne Sinn bei Institutionen oder Personen wie vorgefertigt abholen und sich bedienen lassen, dürfen auch die Propheten und die Missionare, die Bhagwans und ebenso die Dornacher Geisterforscher davon ausgehen, dass sie nicht auf ihrem Angebot sitzen bleiben.

Soviel zum Allgemeinen, jetzt zur Anthroposophie als Erziehungslehre.

Die Waldorfschule als Bekenntnisschule

Mit der zweiten These möchte ich zeigen, dass die Waldorfpädagogik den Einstieg in die Anthroposophie darstellt und dass die Waldorfschule eine Bekenntnisschule ist. Das ist aber etwas, was die Anthroposophen bestreiten. Sie stellen ihre Schularbeit als selbstlosen Dienst hin und weisen es weit von sich, dass sie ihren Nachwuchs über schulische Bildung rekrutieren. Anthroposophie werde nicht “gelehrt”. Das mag richtig sein, insoweit nämlich, als Anthroposophie überhaupt nicht gelehrt wird wie der Satz des Pythagoras oder die Hauptsätze der Thermodynamik. Sie wird eingeübt und der Schüler soll mitgehen und eintauchen, er soll die Grundbewegung und die Optik miterlebend nachvollziehen; das gilt für die höhere Schulung, und es gilt für die Vorschule der Anthroposophie, die Waldorfschule. Steiner hat das auch klar gesagt: Wer die Waldorfschule kennen lernen und verstehen wolle, der solle nicht hospitieren, um sich mal einen Eindruck zu verschaffen, das sei naiv; er würde das Eigentliche gar nicht bemerken. Das könne er erst, wenn er Anthroposophie gelernt und studiert habe. Darin ist Steiner beizupflichten; man muss den anthroposophischen Blick wenigstens probeweise übernehmen, sonst versteht man gar nicht, wie das gemeint ist, was man da zu sehen bekommt. Das gilt für die Waldorfschule, das gilt im Übrigen auch sonst für Hospitationen. Daraus folgt aber nicht, dass man nicht kritisch und distanziert beobachten könne und nur versteht, was einem von Herzen zusagt.

Was ist nun das Besondere des Waldorfunterrichts? Jeder Unterricht, egal ob in der Waldorfschule oder sonst, hat es mit drei Momenten zu tun. Es gibt immer etwas, was gelernt werden soll, das Thema, es gibt den oder die Lernenden und den Lehrer, der zwischen dem Thema und dem Schüler vermittelt. Man hat das auch das didaktische Dreieck genannt. Egal, ob ich jemandem beibringe, wie er ein Auto fährt oder Horaz übersetzt, wie man Gleichungen mit zwei Unbekannten löst oder wie man höhere Welten erkennt, immer geht es um das dreiseitige Verhältnis zwischen Lernthema, Schüler und Lehrer. Das Entscheidende ist, wie diese drei Momente jeweils aufeinander bezogen werden, wie sie relationiert werden. Wenn ich die Bergpredigt als göttliche Weisung behandle, bin ich Pastor und verkündige, die Schüler werden zu Hörern des Worts; betrachte ich die Bergpredigt als literarischen Text einer bestimmten Zeit und Autorenschaft, dann bin ich Lehrer im sokratischen Sinne, einer der klar macht und einordnet, und es dem Schüler überlässt, was er nimmt und daraus macht; und betrachte ich die Bergpredigt wie Franz Alt als Rezept zur Lösung der Weltfriedensfrage, dann präsentiere ich mich als Ratgeber für Klienten, die ein bisher ungelöstes, aber lösbares Problem haben.

In allen drei Varianten richtet sich das Lehrer-Schüler-Verhältnis einerseits nach dem Verständnis des Themas; aber auch das Thema (der so genannte Lehrstoff) erscheint andererseits so, wie er präsentiert wird, das heißt: je nachdem, ob sich der Lehrende als Sprachrohr ewiger Wahrheiten oder als Informator über Sachverhalte oder als beratender Trainer für Lebensprobleme versteht und inszeniert. Wie bringt also der Waldorfunterricht Thema, Lehrer und Schüler zusammen? Wie werden die didaktischen Grundgrößen relationiert? Ich gehe von dem Thema aus. Anders als viele meinen, hat die Waldorfschule wie üblicherweise alle Schulen ein Curriculum, d. h. einen festen Themen- und Lehrplan mit wohldefinierten Fächern und spezifischen Themen in den Fächern. (10) Der alles entscheidende Punkt ist nun, wie die Themen eingeführt werden, weil dadurch eben auch bestimmt wird, ob wir es im Unterricht mit dem Verhältnis von Lehrer und Schüler wie bei Sokrates zu tun haben, oder um das Verhältnis von Meister und Jünger wie in einem Noviziat. Das Besondere der Waldorfschule ist, dass sie entschieden und einseitig das Weltbild und Menschenbild der Anthroposophie über den Sach- und Fachunterricht transportiert. Aber sie tut das nicht direkt, so dass man prüfen und wählen kann, sondern indirekt, sie tut es nicht ausdrücklich und offen, sondern gewissermaßen subversiv über die Methode des Unterrichts. Es ist die Methode der Ausbildung von Bildern, das Hineinbilden in das Weltbild der Anthroposophie, in ihren Grundgestus und ihre Haltung devotioneller Stimmungen. Steiner hat sich dazu auch ganz klar ausgesprochen. Wir müssen, sagt er, die späteren Gedanken und Urteile durch Bilder vorbereiten, er sagt dazu auch: “infiltrieren”. Es kommt für das Kind im Schulalter, also zwischen dem sechsten Lebensjahr und der Pubertät nicht darauf an, alles zu begreifen und begrifflich zu erfassen, sondern es muss mit Bildern ergriffen werden, die es übernimmt, weil es dem Lehrer glaubt. Wenn also z. B. die Raupe behandelt wird, dann geht es nicht allein um die Raupe, sondern in dem Bild, wie die Raupe aus dem Kokon herausschlüpft, gibt man ein Bild dafür, wie die Seele aus dem Körper entweicht und dann weiterlebt. (11) Das ist aber nicht nur ein Bild, das auch anders sein könnte, nicht nur ein beliebiges Gleichnis, sondern das ist wirklich so – natürlich nur für einen Anthroposophen. Und dem Kind soll nicht etwas suggeriert werden, was der Lehrer besser und anders weiß, sondern auch der Lehrer weiß, dass in der Raupe ein Analogon der Unsterblichkeit vorliegt; denn wir wissen ja schon: Alles Endliche, was wir sehen, ist eine Parallelaktion zu einem Unendlichen und Ewigen, das wir noch nicht sehen.

Die Grundform des Unterrichts in der Waldorfschule ist deshalb das “Charakterisieren”, das schärft Steiner immer wieder ein. Charakterisieren ist Darstellung einer Sache unter wertenden Gesichtspunkten. Es wird charakterisierend erzählt, und was erzählt wird, wird nachvollzogen, miterlebt, gestaltet und in Darstellung umgesetzt, sei es leibhaft-rhythmisch in der Eurhythmie, sei es im gestaltenden Malen oder Schnitzen oder Plastizieren. Man muss Bilder geben und Bilder erzeugen, nicht Begriffe und Urteile; denn Bilder motivieren, führen zusammen, sie geben Einheit, weil Bilder ein Ganzes sind, sinnlich erfahrbar und seelisch erlebbar. Später dann sind die Bilder Grundlage und Fundus der Gedanken und Urteile, aber zuerst bedarf es gleichsam einer Auffüllung mit inhaltlich und moralisch gehaltvollen Anschauungsbildern. Ich will auf diesen Punkt besonders eingehen. Er enthält eine wichtige Einsicht und erklärt die relativen Erfolge der Waldorfschule. Er enthält aber auch eine gefährliche Nuance. Davon gleich. Dass Bilder und auch Scheinbilder, sozusagen semantische und syntaktische Metaphern, motivieren, kann man sich leicht klarmachen. Wenn wir uns für allgemeine Zwecke begeistern oder begeistert werden sollen, dann können wir rufen: “Hoch lebe Kaiser Wilhelm!” oder im Fußball etwa: “Deutschland vor!” oder auch: “Rettet das Vaterland!”; wir würden es aber als ganz unnatürlich und ziemlich wirkungslos empfinden, wenn uns zugerufen würde: “Hoch lebe das kommunikative Apriori des herrschaftsfreien Diskurses” oder “Kämpft für die pluralistische, im Grundgesetz durch Konsens formulierte Gesellschaft nach den Regeln des demokratischen Verfassungsstaates”. Das sind rationale Nachträge und Erläuterungen, nicht Motive. Man schwört auf die Bibel oder eine Fahne, nicht auf Theoreme. Bilder motivieren, nicht Argumente, und wenn Argumente motivieren und etwas bewegen sollen, muss man sie in schlagkräftige Slogans und Bildkürzel umwandeln: “Nieder mit den Kapitalisten!” oder “Schlesien ist unser!” Die Frage ist, welche Bilder sollen gelten und wie soll man sich zu ihnen stellen? Das lässt sich unterschiedlich beantworten, und ich will das noch einmal vergleichend verdeutlichen, indem ich auf eine Quelle eingehe, die sowohl Steiner wie Freud benutzt haben. Beide sind schon in ihrer Schulzeit mit der Psychologie Johann Friedrich Herbarts bekannt geworden. Das lag an dem österreichischen Schulsystem und dem Lehrplan der Zeit. (12) Herbart hat eine Lehre von den Vorstellungen aufgestellt, die die Grundlage seiner Pädagogik ist. Der Kerngedanke ist: wir können uns nicht nichts vorstellen. Ich sage jetzt das Wort “Hund” oder “Baum”, und Sie haben ein Vorstellungsbild. Das nehme ich wenigstens an. Und wo ein Vorstellungsbild ist – Herbart sagt: wo Schein ist, denn das Bild ist ja nicht die Wirklichkeit –, da muss auch Sein gegeben sein. “Wieviel Schein soviel Hindeutung auf das Sein”, heißt es bei Herbart. (13) So wie es eine Fotografie von einem Menschen nur gibt, wenn es den Menschen gibt, so kann es Bilder nur mit einem Grund geben, dem Sein. Man kann auch volkstümlich sagen: Wo Rauch ist, muss auch Feuer sein. Fragt sich nur, welches Feuer – nämlich ein wirkliches oder nur ein eingebildetes Feuer. Das ist der entscheidende Punkt, wo Steiner und Freud auseinandergehen. Man kann den Bildern nicht einfach trauen; sie enthalten auch unerklärte, verworrene, destruktive Motive. Freud hat deshalb auch die Wahnbilder und Trugbilder untersucht und aufzulösen gesucht, die Verschiebungen und Verdeckungen, um ihrem Bann zu entgehen, Steiner bestärkt ihren Bann und führt so in sie ein, dass man ihnen nicht mehr entrinnen kann.

Dazu ein Beispiel ohne jeden Nimbus und weihevolles Tabu. Wir alle kennen die Rede vom Weihnachtsmann. Ich unterstelle einmal, dass es Weihnachtsmänner nicht gibt, aber es gibt das Bild des Weihnachtsmanns, und es ist für Kinder höchst wirkungsvoll, eingebunden in Geschichten, Träume und Erwartungen, nicht eigentlich wirklich, aber eben doch wirksam. Im Übrigen für manche Eltern auch pädagogisch praktisch; man kann damit drohen und locken, solange das Kind an den Weihnachtsmann glaubt, und man nimmt dem kleinen Kind auch etwas, wenn man die Weihnachtsmannfiktion nicht anbietet, weil es ihn ja nicht gibt, so wie man ihm etwas nimmt, wenn man ihm keine Märchen als Identifikationsobjekte anbietet, weil Märchen nur Märchen sind. Dann lernt das Kind aber, dass es Weihnachtsmänner nicht gibt, das Bild verliert seine Kraft, es motiviert nicht mehr direkt. Das ist Verlust und Gewinn, Verlust einer wohltätigen Illusion und Gewinn an Realitätssinn.

Die Pädagogik der Waldorfschule ist, mit Verlaub, eine Weihnachtsmannpädagogik. Sie führt ein in die Bilderwelt, als ob sie unmittelbar wahr seien, sozusagen Fotografien des Absoluten. Es wird wie in Steiners Erkenntnislehre laufend von der Wirklichkeit des Vorstellens auf die Wirklichkeit des Vorgestellten geschlossen. Das ist die Logik des eingebildeten Kranken, der zwar seine Schmerzen hat und unter Leidensdruck steht, aber nachprüfbar eben doch nicht krank ist. Um die Realität der Bilder tief einzuprägen, verfährt die Waldorfpädagogik ausdrücklich charakterisierend, bietet Bilder, vermeidet ihre Erklärung, das würde ihren Bann aufheben, und dazu braucht sie, wie jeder weiß, der erzählt und charakterisiert, auch eine spezifische Autorität des Lehrers, die so genannte geliebte Autorität; in Wahrheit, so wird es auch gesagt, ist es eine weihepriesterliche Stellung und Selbstauffassung des Lehrers, nicht das sokratische Vorbild des Gesprächsführers, sondern das religiöse Vorbild des Seelenführers. Aus diesem didaktischen Grundverhältnis ergibt sich alles Weitere: die Organisation der Schule, die Verachtung prozeduraler Sicherheiten und Revisionsmöglichkeiten, die tief gelagerte Verhaltenssicherheit, das Einlehrerprinzip, um die Einheitswirkung der Bilder und einer bestimmten Bilderreihe zu garantieren, daraus ergibt sich auch die Form der Zeugnisgebung.

Der Lehrer unterrichtet nicht nur und prüft, was gelernt ist, sondern er erfasst das Kind wesensmäßig und gibt ihm das Bild zurück, das er von ihm hat. So wie der Unterricht in Hinsicht auf die Themen und Stoffe charakterisierend verfährt, um Motivdepots zu installieren, so verfährt der Lehrer in Hinsicht auf das Kind, indem er ihm z. B. im Zeugnisspruch ein Wesen zuspricht, indem er sagt, wie es lernt, wie es teilnimmt, wie es einschwingt in Bezüge und wie es die Geschichten aufnimmt, die es zu hören hat. Das Kind wird nicht daran gemessen, wie es definierten Standards der Aneignung eines Lehrgutes entspricht, sondern wie es dem Lehrer entspricht und dem, wofür er einsteht. Das Waldorfzeugnis ist eine erweiterte und spezifizierte Form der Beurteilung des Verhaltens und des Betragens, der Beteiligung am Unterricht und der Form, wie der Lernende sich auf den Unterricht einlässt. Er wird am Lehrer gemessen, nicht daran, ob er Geometrie oder Geschichte erkennbar gelernt hat. Die neuere Forschung zur sozialen Interaktion hat gezeigt, wie solche Zuschreibungen oder Etikettierungen stabilisiert werden können, z. B. über Ritualisierung, über den Ausschluss alternativer Orientierungen, über die Androhung und Anwendung von Sanktionen. Aus Zuschreibungen, aus der Art, wie jemand gesehen und behandelt wird, werden Eigenschaften, die er sich selbst zurechnet. Er wird so, wie er gesehen wird, und so soll er ja auch werden. Und das umso mehr, als ja das Widerlager einer Kompetenz fehlt, die unabhängig von der persönlichen Beziehung zum Lehrer begründet ist.

In der Kritik an der gängigen Zensurengebung wird zu Recht vorgetragen, dass in die Zensur ein Übermaß an persönlicher Meinung, an Sympathie oder Antipathie eingeht; es gibt nicht genug Sicherungen gegen das subjektive Urteil und deshalb muss man sich bemühen, die Zensur auf das Prüfbare zu beschränken und Formen der objektiveren Beurteilung zu finden. Die Waldorfschule verfährt von vornherein subjektiv und spricht dem Lehrer in seiner weihepriesterlichen Stellung als Seelenführer von vornherein die Aufgabe und Fähigkeit zu, das Wesen des Kindes zu erfassen und formulieren zu können. Sie ist der üblichen Zensurengebung nicht überlegen und voraus; sie hat vielmehr einen Modus der Personenbeschreibung und charakterlichen Würdigung festgehalten, der vormodern ist; die Zensurengebung und Zeugnisgebung ist überschwänglich; so musste man sich in der Feudalzeit das Empfehlungsschreiben einer Reputationsgröße verschaffen.

Ich fasse diesen Punkt so zusammen: Die Pädagogik der Waldorfschule beruht auf der Technik der Indoktrination. Sie besteht darin, Lerninhalte, Verhalten und Gesinnungen fest zu verkoppeln. Sie wird gestützt durch Gewissheiten, die gläubig und Glauben fordernd vorgetragen werden; Gewissheiten, die einzig und allein auf der Annahme beruhen, der “Doktor” habe als Fotograf des Übersinnlichen etwas festgehalten, was die blinden Sinnenwesen irgendwann auch einmal sehen werden. Es gibt keine andere Pädagogik, die mit solcher Einseitigkeit auf die Behauptungen eines Einzelnen gestellt sind, darunter solche von höchster Bedenklichkeit, die im Herrschaftston überweltlicher Weisheit und Einsicht verkündet werden. Als Beleg und zur Illustration nur dieses Beispiel: Warum sind einige Menschen nicht “weiß”, wie die meisten Europäer, sondern dunkel bis schwarz? Die wissenschaftliche Antwort wird üblicherweise in der Physischen Anthropologie gesucht. Dr. Steiner jedoch weiß es besser und tiefer. Dass jemand dunkel auf die Welt kommt, liegt daran, dass er in seinem vorherigen Leben ein “dunkles”, verderbliches Leben geführt hat. (14) Mehr noch: Er könne jetzt schon bei einigen Zeitgenossen voraussagen, dass sie in der nächstfälligen Inkarnation als Schwarze auf die Welt kämen, zur Strafe für ihre Schandtaten. Das ist die feine anthroposophische Art des Rassismus. Ebenso werden Krankheiten, Missbildungen, Geistesstörungen als Ergebnis früherer moralischer Verfehlungen gedeutet.

Die Zukunft einer Illusionierung

Damit bin ich beim dritten und letzten Punkt, der sich kurz abhandeln lässt. Es ist nach allem klar, dass die Aufklärer und Kant, dass die furchtlosen Kritiker des Aberglaubens, die z. B. gegen den Wahnsinn der Verfolgungen und Gesinnungsschnüffelei Front gemacht haben, für die Waldorfpädagogik umsonst gelebt haben. Der Geist der Prüfung und offenen Erörterung, der Kritik und Selbstkritik ist nicht der Geist des Dr. Steiner und seiner Anhänger, auch nicht der Geist der Differenzierung und der weitergehenden Forschung. Das aber ist der Geist der Demokratie und einer “offenen Gesellschaft” (Karl Popper), um es kurz zu sagen. Er beruht nicht auf Offenbarungen und ewigen Ordnungen, sondern er rechnet mit der Fehlbarkeit und Irrtumsanfälligkeit eines jeden, so dass auch keiner ein für allemal das letzte Wort haben und kein Amt unwiderruflich und auf unbeschränkte Dauer vergeben werden darf. Wir handeln unter Bedingungen der Ungewissheit und Unsicherheit. Deshalb müssen wir uns vorher beraten und uns hinterher prüfen lassen, um uns korrigieren zu können.

Doch diese prinzipiell unaufhebbare Vorläufigkeit in allen Dingen, die unseren gemeinschaftlichen Umgang betreffen, erscheint vielen als unbefriedigend und als Störung ihres Wunsches, ihr Leben unter Kontrolle zu haben. Sie erscheint aber vor allem dann als unliebsame Blockade, wenn man andere regieren und über sie herrschen will. Das erste betrifft Steiners Gefolgschaft, das zweite ihn selbst. Diejenigen, die nach letzter Sicherheit und Gewissheit streben, bringen die Chancen des Urteils und eigener Prüfung als Morgengabe ihrer Unterwerfung unter das Diktat derer, die diese Unsicherheit ausbeuten und im Namen des Dienstes, der Liebe und der huldreichen Zuwendung ihre Herrschaft aufrichten. Es verhält sich hier wie mit der tief verdächtigen Selbstbeschreibung der Papstautorität als servus servorum: Die gesteigerte Dienstfertigkeit ist die Maske des Unterwerfungsanspruchs. Man sollte meinen, dass das letzte Jahrhundert genug Machtmissbrauch, regellose Herrschaft und blanke Gewalt im Namen des wahren Fortschritts, der Freiheit und des allgemeinen Menschenglücks erlebt hat, als dass es noch erlaubt wäre, auf totale Antworten und letzte Lösungen zu setzen.

Das Problem heißt aber nicht Rudolf Steiner. Seine physikalischen, historischen, psychologischen Ansichten werden in der Wissenschaft nicht beachtet; das Problem ist die Folge- und Unterwerfungsbereitschaft derer, die im Namen von Wissenschaft ihre Aufhebung wollen und faktisch betreiben. Die Nutznießer sind die Gurus und Seelenführer, die Agenten des Okkultismus und – um dies mit aller Deutlichkeit zu sagen – auch diejenigen Pädagogen, die glauben, den Kindern zu helfen, das Leben zu bestehen, indem sie ihnen eine Welt präsentieren, die nur in ihrer Phantasie besteht. Der Lehrer bleibt in der Waldorfwelt, aber die Kinder und die Schüler müssen sie verlassen und haben in vielen Fällen schwer daran zu leiden, es sei denn, dass sie als Lehrer in den sicheren Hafen der Waldorfwelt zurückkehren.

Dennoch bleibt das Problem bestehen, mit dem ich begonnen habe: Wir finden uns nur schwer in einer sich wandelnden Welt zurecht, die keine bleibenden Sinnangebote bietet und dem Einzelnen zumutet, seine individuelle Gleichung von Fall zu Fall selber zu finden. Doch eben damit müssen wir wohl oder übel zurechtkommen und sei es mit dem Zwinkern der Auguren, an das die Bohr-Anekdote erinnern sollte. Es mag noch andere Formen der Kontingenzbewältigung geben, aber eines scheint mir sicher: Dr. Steiner und die Seinen haben dafür keine vertretbare Antwort.

Zum Autor: Prof. em. Dr. Klaus Prange, Jahrgang 1939, Emeritierter Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Tübingen. Arbeitsschwerpunkte sind u. a. Pädagogische Anthropologie als Anthropologie des Lernens und die Pädagogische Ethik.

Kontakt zu Klaus Prange: via Stefan Laurin, stefan.laurin(at)ruhrbarone.de

Zum Text: erschienen in „Mission Klassenzimmer. Zum Einfluss von Religion und Esoterik auf Bildung und Erziehung“, Alibri Verlag, Aschaffenburg, 2005, ISBN 3-932710-78-9

Fußnoten:

[1]              Vgl. Blumenberg, Hans: Lebenszeit und Weltzeit. Frankfurt a.M. 1986.

[2]              Vgl. Hübner, Kurt: Die Wahrheit des Mythos. München 1985.

[3]              Vgl. Prange, Klaus: Erziehung zur Anthroposophie, Bad Heilbrunn 32000.

[4]              Freud, Sigmund: Die Schwierigkeit der Psychoanalyse (1917), in: Gesammelte Werke, Bd. 12, London 1947.

[5]              Steiner, Rudolf: Mein Lebensgang [1923-1925]. Dornach 1962. (Steiner-Gesamtausgabe, Bd. 28)

[6]              Becker, Kurt E.: Im Mittelpunkt: der Mensch, in: Rudolf Steiner: Ausgewählte Werke, Bd. 10. Hrsg. von K. E. Becker und H.-P. Schreiner, Frankfurt a.M. 1985, S. 17.

[7]              Ebd., S. 18.

[8]              Becker, Kurt E.: Im Mittelpunkt: der Mensch, S. 17.

[9]              Vgl. Steiner, Rudolf: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? (1904), in: Steiner-Gesamtausgabe, Bd. 10, Dornach 1975.

[10]              Vgl. Brügge, Peter: Die Anthroposophen. Hamburg 1984, S. 96.

[11]              Vgl. Steiner, Rudolf: Erziehungskunst. Methodisch-Didaktisches [1919], in: Steiner-Gesamtausgabe, Bd. 15, Dornach 1932.

[12]              Vgl. Prange, Klaus: Fermenta cognitionis – Zur Herbart-Rezeption in Kakanien, in: “Knaben müssen gewagt werden” – Johann Friedrich Herbart gestern und heute. Hrsg. von K. Klattenhoff, Oldenburg 1997.

[13]              Herbart, Johann Friedrich: Hauptpunkte der Metaphysik [1806], in: Sämtliche Werke, Bd. 2, Aalen 1964, S. 187.

[14]              So nachzulesen in den “Konferenzgesprächen” (Bd. 300 c der Gesamtausgabe, Dornach 1975, S. 71).

Literatur

Becker, Kurt E.: Im Mittelpunkt: der Mensch, in: Rudolf Steiner: Ausgewählte Werke (10 Bände), Bd. 10, hrsg. von K. E. Becker und H.-P. Schreiner. Frankfurt 1985.

Blumenberg, Hans: Lebenszeit und Weltzeit. Frankfurt 1986.

Brügge, Peter: Die Anthroposophen. Hamburg 1984.

Freud, Sigmund: Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse [1917], in: Gesammelte Werke, Bd. 12, London 1947.

Herbart, Johann Friedrich: Hauptpunkte der Metaphysik [1806], in: Sämtliche Werke, Bd. 2, Aalen 1964.

Hübner, Kurt: Die Wahrheit des Mythos. München 1985.

Prange, Klaus: Erziehung zur Anthroposophie. Darstellung und Kritik der Waldorfpädagogik. Bad Heilbrunn 32000.

Prange, Klaus: Fermenta cognitionis – Zur Herbart-Rezeption in Kakanien, in: “Knaben müssen gewagt werden” – Johann Friedrich Herbart gestern und heute, hrsg. von K. Klattenhoff, Oldenburg 1997.

Steiner, Rudolf: Mein Lebensgang [1923-1925], Steiner-Gesamtausgabe (= GA), Bd. 28, Dornach 1962.

Steiner, Rudolf: Erziehungskunst. Methodisch-Didaktisches. Ein Vortragskurs bei der Begründung der Freien Waldorfschule in Stuttgart 1919, in: GA, Bd. 15, Dornach 1932.

Steiner, Rudolf: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? [1904], in: GA, Bd. 10, Dornach 1975.

Foto: Uni Oldenburg