25 Jahre Die Kassierer

Vor 25 Jahren wurden Die Kassierer gegründet. Morgen feiert die Band ihr Betriebsjubiläum in der Zeche Carl.

Helmut Kohl war noch ganz frisch im Amt, die DDR war noch die Ostzone und nicht die neuen Länder und niemand kannte den ukrainische  Ort Tschernobyl: Die Welt war eine andere als sich 1985 Die Kassierer gründeten. Die Punkband in ihrer Pressemitteilung zur eigenen Geschichte:

Im Underground schwelgen die vier Wattenscheider zwischen Anarchie und Kabarett seit einem Vierteljahrhundert und machten durch Aktionen wie die Kanzlerkandidatur von Sänger Wölfi bei der Bundestagswahl 2005 (aber es wurde ja dann Frau Merkel gewählt) oder durch gefakete Gastspiele bei Talkshowaltmeister Hans Meiser auf sich aufmerksam. Ihre Songs werden in Kneipen am Ballermann wie auch bei Parties im Studentenwohnheim in Dauerrotation gespielt – die schlüpfrigen Kassiererohrwürmer erfreuen alle, die dem weichgespülten Einerlei der Musiksender entfliehen wollen. Mittlerweile möchte selbst das größte Heavy-Metal-Festival, das Wacken Open Air nicht mehr ohne die Kassierer auskommen.
Darum gilt: Was im fernen 1985 aus einem Scherz heraus gegründet wurde, ist heute laut regelmäßigen Umfragen die populärste Punkband Deutschlands.
Und Morgen wird gefeiert: Ab 19.30 Uhr in der Zeche Carl in Essen.

Zehn Geschichten über Klaus Steilmann

Grafik: ruhrbarone, Foto: klick

"Der schönste Tag in meinem Leben", war für Klaus Steilmann der 11. Dezember 1992 – und zwar um zwanzig nach neun. Die SG Wattenscheid hatte den VfL Bochum durch zwei Tore von Suleyman Sané besiegt. Sowieso eine gute Spielzeit für Steilmann: Am Ende der Saison stieg Bochum ab. Und Wattenscheid schaffte als 14. den Klassenerhalt.

Der zweitbeste Tag Steilmanns Leben war dieser gewonnene Grand ohne vier, im März 1984. Manchmal ärgert er sich noch heute, nicht Re gesagt zu haben.

Seine beste Tat, verriet der Textilunternehmer nur engsten Vertrauten, war die Verpflichtung von Michael "Ata" Lameck für seinen Betrieb und die Klaus Steilmann Traditionsmannschaft. Weniger weil Lamek ein passabler Mittelfeldspieler ist, mehr weil er den Bochumern ihren Kultspieler ausspannte. "Seit fast zwanzig Jahren hat er mir so manches Törchen aufgelegt", kichert sich Steilmann eins.

So richtig traurig war Klaus Steilmann nur einmal, vor einem Jahr, seither kann er Samstags nicht mehr Fußball spielen – die Kraft ließ nach. "Ich konnte nicht mehr schlafen".

"Was ich am Fußball mag?", antwortete der Sportmäzen einmal: "Gut geschnittene, aber preisgünstige Trikots".

Fast hätte sich Steilmann damals vergessen: Wenn Neujahr 1975 nicht die Geschäfte zu gewesen wären, wer weiß, was passiert wäre? Steilmann, der in Wattenscheid seine Heimat fand, freut sich an den rigiden Ladenöffnungszeiten in Deutschland: "Sonst wäre ich mit all den Messers und Pistolen wohl richtig lange in den Kahn gewandert", grinst er erleichtert.

Auf seine drei Töchter ist Steilmann echt stolz – nur Britta ging (nicht nur) ihm ganz schön auf die Nerven mit ihrer indianischen Baumwollwäschekollektion. Gut, dass sie jetzt in Ratingen als Dekorateurin arbeitet, murmelt der Unternehmer morgens beim Rasieren.

Steilmann hat jede Menge Auszeichungen bekommen, er weiß auch wofür. Nur warum sie ihn "Weltbürger aus Wattenscheid" nennen, ist ihm schleierhaft: "Ich bin doch aus Vorpommern."

Als er auf Italienreise war, erkundigte sich Steilmann beim Taxifahrer nach Fußballvereinen in der italienischen Hauptstadt: "Do you know a Club of Rome?" Als der Kutscher ihn an einem Kongresshotel heraus ließ, staunte er nicht schlecht, ließ sich aber nicht lange bitten, als ihm die gut gekleideten Herren sofort die  Mitgliedschaft antrugen. Nach ein paar Stunden Vorträgen über Nachhaltigkeit und die Grenzen des Wachstums wurde es Steilmann dann aber zu bunt; – und das will was heißen. Er rief "Where is the Whistleblower?". Die Gesellschaft stutzte, dann verstanden sie: Ihnen fehlte Insiderwissen, da kam der erfahrene Unternehmenslenker aus Wattenscheid gerade Recht. Mann, haben sie ihm die Schulter platt geklopft! 

Auf Klaus Steilmanns Schreibtisch finden sich immer noch ungewöhnliche Dinge aus anderen Erdzeitaltern: Zigarettenstangen der Marken Lux oder Atika. Anfragen vom Kardinal Hengsbach. Briefpapier der Stadt Wattenscheid. Lederfett. "Dabei hab ich das Rauchen leider dran geben müssen!", ärgert er sich.

Was Klaus Steilmann richtig wurmt, dass sein Betrieb ausgerechnet rund um seinen achtzigsten Geburtstag von Bochum, sorry: Wattenscheid nach Bergkamen verlagert wird. "Mit Italienern hab ich ja so meine Erfahrungen machen können", grummelte der schlanke Senior. Der Verkauf an den Modekonzern Radici geht dem Textilfachmann noch immer gegen die Naht.    

Und hier noch zwei Geburtstagslinks: klick, klack.

Olympische Krieger

Ich boykottiere die Olympischen Spiele nicht. Ich glaube, es ist egal, ob ich mir um drei Uhr morgens den Wecker fürs Fernsehen stelle oder die Sache ignoriere. Ob ein bundesdeutscher Mediennutzer die Peking-Spiele Diktatur-Spiele sein lässt, global gesehen ist das ungefähr so wichtig, als wenn in China ein Sack Reis umfällt. Wie übersetzen sich das eigentlich die Chinesen? In Frankreich ein Sack Kartoffeln? In den USA ein Sack Mais? In Deutschland ein Fernseher?

Ich finde olympische Spiele, so staatsbefrachtet sie auch sein mögen, lehren Demut. Wie viele Menschen in der Welt die gleiche Sportart betreiben, wie jung und schön und gut gelaunt die sind, wie schnell, groß, geschickt, schlau. Und wie dumm der Beobachter bleibt, den nur interessiert, ob sein Land Bronze, Silber und Gold abräumt. Schön, dass es das digitale Fernsehen, dass es dafür Zattoo gibt, denn ZARDF zeigen wenigstens auf ihren digitalen Ablegern Wettkämpfe, ganz unabhängig davon ob nun ein deutscher Athlet dabei ist oder nicht.

Ohne das medienwissenschaftlich erhärten zu können, scheint es mir, dass es früher im kalten Krieg fairer zu ging. Da wurde moderner Fünfkampf gezeigt, obwohl immer ungarische Soldaten gewannen. Da lief Frauenturnen zur Primetime ohne FRA, oder Keirin ohne Brustring. Erst recht bei den Winterspielen, der DDR-Domäne. Die Welt mag globaler geworden sein, die Aufmerksamkeit hat sich verengt. Die USA haben mir das vorgemacht. Als ich dort in den Achtzigern ein Frühjahr verbrachte und wirklich sehr, sehr viel Fernsehen guckte, erinnere ich mich an zwei Meldungen aus Europa: eine Geiselnahme in einer Londoner Botschaft und einen Straßenlauf aus Paris, es siegte ein US-Amerikaner. Die einzigen beiden Deutschen, auf die ich angesprochen wurde, waren Hitler und "The Albatross" Michael Gross.

Demut lehrte dann auch die Eröffnungsfeier in Peking. Wie grandios die denken, wie anders, wie hypnotisierend und wie entlarvend die Trachtenkinder vorgeschickt wurden. Autokratische Systeme erkennt man an ihren Kindergesichtern. Immerhin, sie haben die Friedenstauben weggelassen. War es in Athen, als die Vögel in der olympischen Flamme geröstet wurden? Tauben waren gestern wirklich nicht angesagt. Ist es der erste vorolympische Krieg, der dort im Kaukasus, unweit des Austragungsortes der 22. Winterolympiade ausgebrochen ist?

Es ist natürlich kein Zufall, die Marschbefehle, Mobilmachungen, Maschinengewehrsalven ausgerechnet am Eröffnungstag. Es geht auch um Sotschi, um Putins-Gazproms-Olympiastadt 2014 an der Grenze zu Abchasien. Lang vor dem Krieg gab es in der Region ja schon einen Städtewettkampf. Georgien hatte sich mit Bordschomi auch um die Spiele 2014 beworben und war in der Vorschlussrunde ausgeschieden. Jetzt am 8.8.8 hat die georgische Regierung wohl darauf gesetzt, dass sich Russland als künftiger Gastgeber zurückhält, zurückhalten will oder muss; es galt ja mal Friedenspflicht, wenn das olympische Feuer brannte. Und Russland fördert die Separatisten von Südossetien, von Abchasien auf der anderen Seite der Grenze, auch weil es den Einfluss vergrößern würde, das Hinterland der Langlaufwettbewerbe.

Demut – und doch ein wenig Übermut: Warum Olympia auch Spaß macht? Im Ruhrgebiet? Wenn eine Fußballerin aus Wattenscheid für die ersten positiven Schlagzeilen sorgt. Wattenscheid, auch dass gibt es nur noch bei olympischen Spielen.

Werbung