Vergleichstest BDS: Erst Documenta, demnächst Weltkirchenrat

Emigration: Felix Nussbaum (1904-1944), Fähre von Dover, 1935; Public Domain

Auf Kunst in Kassel folgen Kirchen in Karlsruhe, dorthin beruft Ende August der World Council of  Churches, der Ökumenische Weltkirchenrat, seine Vollversammlung ein, die elfte seit seiner Gründung 1948, die erste in Deutschland. In den Kirchen und ihren Theorien, mit denen sie Gott und Welt erklären, markiert das Verhältnis zu den Juden seit jeher die Mitte, das ist in jüdisch informierten Theologien genauso wie in antijüdischen. Daher wie schon im Vorfeld der Documenta die begründete Sorge, dass BDS, die antisemitische Hetzkampagne, abgefeiert werden könnte, ohne auftreten zu müssen. Wird die nächste ‚Judensau‘ durch eine mittelgroße deutsche Stadt getrieben?

Juden, die an Säuen saugen, das Motiv wurde zwischen dem 13. und 16. Jh an den Außenmauern von knapp 50 Kirchen in Mitteleuropa plakatiert. Wie mit solch verhetzenden Motiven im öffentlichen Raum heute umgegangen und, falls überhaupt möglich, Demagogie in Aufklärung umgewandelt werden kann, das Nachdenken darüber verläuft zäh. Dies vor allem macht es für viele Juden so schmerzhaft, es geht, wenn es um sie geht, mal wieder nicht um sie, es nimmt grundsätzlichen Charakter an. Juristisch, theologisch, aber auch, was ein ästhetisches Bewusstsein für Öffentlichkeit angeht. Mitten in diese Diskussion hinein stellte die Documenta, Ausstellung für die Kunst des 21. Jahrhunderts, Juden als Schweine aus.

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Documenta: Charles Esche, Findungskommissar, und die Salon-Antisemiten vom BDS

Die Säulen des Fridericianums bemalt von Dan Perjovschi | C. Suthorn cc-by-sa-4.0

Der Kampf gegen den Antisemitismus“, hat Claudia Roth (GRÜNE) dem Kulturausschuss des Bundestages bekannt, „muss so global sein wie der Antisemitismus selbst.“ Der Satz der Staatsministerin ist falsch formuliert  –  Antisemitismus ist global, muss aber nicht –  und dennoch richtig, die hessische Kulturministerin Andrea Dorn, ebenfalls GRÜNE, hat ihn gleich nachgesprochen. Klarer Lernerfolg, grüne Kulturpolitik trifft auf eine Szene innerhalb der Welt der Kunst, die schon länger daran arbeitet, eine „globale Poesie“ zu entwickeln und eine passend modulierte „globale Politik“. So formuliert es einer ihrer Vordenker, Charles Esche, graue Eminenz im Kassler Wald, in den er die Documenta gelockt hat. Jetzt steht der Wald schwarz und schweiget, niemand, der sich aus den Büschen traute, auch Esche nicht, der neulich noch gemeint hat, wer BDS nicht auf die Bühne hole, die antisemitische Hetzkampagne, der betreibe „racial profiling“. Hier ein Versuch, sich vorzutasten in eine Gedankenwelt, in der sich alles um Israel dreht, Israel aber keine Rolle spielt, Palästinenser eh nicht, Esche sehr wohl. Etwas gruselig, das Ganze, eine BDS-Geisterbahn, man findet wieder heraus, viel Spaß.

Vor vier Jahren, am 12. Juli 2018, präsentierte die Kassler Documenta, weltweit geachtete Ausstellung für zeitgenössische Kunst, die Mitglieder der Findungskommission, deren Aufgabe es war, die kuratorische Leitung der kommenden Documenta und also deren grundsätzliche Ausrichtung zu bestimmen. Maßgeblich beteiligt an der Findung der Findungskommission: Sabine Schormann, generös verhinderte Generaldirektorin. Einer der acht von ihr gefundenen Findungskommissare: Charles Esche, britischer Staatsbürger aus einer DDR-deutschen Familie, der sich  –  so stellte ihn die ZEIT 2011 einem deutschen Publikum vor  –  „in den achtziger Jahren enttäuscht von den radikalen Linken abwandte und sich in die Kulturszene stürzte“. Für ihn, so die ZEIT, müsse Kunst „vor allem eines leisten: Provokation. Kunst dürfe nicht dem Kapitalismus ‚als Mittel der Ablenkung des Widerstands von angemesseneren Aktivitäten dienen‘“.

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Debatte über die Documenta im Bundestag: Hat jemand BDS gesagt?

The Wall. Documenta 15 by C. Suthorn cc-by-sa-4.0

Im Kulturausschuss und im Bundestag wurde am Mittwoch und Donnerstag über Antisemitismus auf der Documenta diskutiert. Während die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann die Hintergründe des Skandals aufzeigte, stellten sich die Abgeordneten von SPD, Grünen  und FDP vorbehaltlos hinter Kulturstaatsministerin Claudia Roth und taten alles, um das Thema BDS aus der Debatte rauszuhalten. Von Thomas Wessel und Stefan Laurin.

Eine antisemitische Global-Erzählung, übergroß ins Zentrum der Documenta gerückt, der Ausstellung für zeitgenössische Kunst, die sich als Schaufenster des Westens inszeniert, das wirft Fragen auf, deren Flugkurve bis in den Kulturausschuss des Bundestages reicht. Auf der Suche nach Antworten hatte der Ausschuss am Mittwoch ein „Fachgespräch“ angesetzt, dessen öffentlicher Livestream machte staunen gleich zu Beginn: Der Kassler OB Christian Geselle (SPD) ließ sich hasenherzig entschuldigen. Ade Darmawan, Sprecher des Kuratoren-Kollektivs der Documenta und seit Wochen wie verschluckt, war tatsächlich einmal erschienen. Ihm zur Seite platziert wurde Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland: Seit sechs Monaten warnt Botmann davor, dass eine Documenta mit Darmawan den schicken Hass auf Israel unters verständige Kunstvolk bringen könnte, die Warnung war nicht aus der Luft gegriffen: Vor einem Jahr erst hatte Darmawan erklärt, der jüdische Staat sei seit 1948, dem Jahr seiner Gründung, „ein einziges Apartheid-System“.

Mit dem von Darmawan unterzeichneten „Letter of Apartheid“, seit Juni 2021 in der internationalen Kunstwelt verbreitet und von derzeit 17 370 Kunstweltbewohnern signiert, fordert Darmawan sämtliche Regierungen dieser Welt auf, „to cut trade, economic and cultural relations“ mit Israel.

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Der Müll, die Stadt, die Documenta: „Es bleibt folgenlos“

Rückseite eines antisemitischen Weltbildes: Documenta 15 Impression by C.Suthorn cc-by-sa-4.0

Was die Ausstellung für zeitgenössische Kunst bisher zeigt: wie einsam es um Juden steht in Deutschland. Und in der Weltweite der Kunst. Monatelang hatten Repräsentanten des Judentums das Gespräch gesucht, sie wurden abgewimmelt. Eingelassen dagegen, und das mit Kusshand, die antisemitische Hetzkampagne BDS. Erst jetzt, wo die Documenta am seidenen Faden und das BDS-Bild abgehängt ist, wird der Dialog gesucht, genauer: er wird eingefordert. Juden wird ein Platz gewiesen am Tisch, an dem BDS in Mannschaftsstärke sitzt. Ein Nachtischbericht

„Antisemitismus in der Kunst“ war der Talk betitelt, den die Documenta   –  und zwar nicht etwa deren Kuratoren, sondern deren Gesellschafter zusammen mit der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank  –  angesetzt hat. Die live gestreamte Diskussion am Mittwochabend sollte den Skandal bedenken, den ein 96 qm großes Banner auf dem zentralen Platz der renommierten Kunstausstellung ausgelöst hatte: Auf dem Bild, nach drei Tagen abgehängt, waren nicht nur zwei antisemitisch gemalte Figuren ausgestellt, sondern ein geschlossen antisemitisches Weltbild (hier eine Bildbetrachtung). Kurz darauf wurde öffentlich, dass auch die Judenmörder von PFLP und der Japanischen Roten Armee abgefeiert werden, pure Killerkommandos. Erstmals, dass hiesige BDS-Versteher erschrocken zusammenfuhren.

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„Israel-Boykott kommt Existenzverweigerung gleich“: Was BDS und Documenta mit Terror verbindet

Israel-Boykott 1933 | Bundesarchiv CC BY 3.0

„Wir sind Menschenfreunde“, sagt Wilfried Böse im Film, der nachstellt, wie er Juden selektiert. Böse und Brigitte Kuhlmann, seine Genossin, verstanden sich als „Revolutionäre Zelle“, zusammen mit einem Team der PFLP, der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“, hatten sie eine Air France Maschine ins ugandische Entebbe entführt. Dort sortierten sie gemeinsam alle aus, die einen israelischen Pass besaßen oder einen Namen, der ihnen irgendwie jüdisch vorkam, es sollten jüdische Geiseln sein, die sie erschießen. Seitdem sind Kuhlmann und Böse tot, die PFLP sitzt im Lenkungsausschuss des BDS, und BDS, die antisemitische Boykott-Kampagne, sitzt in den Gremien und Ateliers der Documenta, auf ihr werden Israelis als Schweine und Juden als teuflische Macht ausgestellt und die PFLP als „Popular Front for the Liberation of Fried Chicken“ verhübscht. Kurz sind die Weg zwischen Terror und Kunst: Tatsächlich geht nicht nur die Idee, Israelis zu selektieren, auf die „Revolutionären Zellen“ zurück, ebenso die, Israel zu boykottieren. BDS ist eine sehr deutsche Geschichte.

Seit den frühen 70er Jahren hatten sich die „Revolutionären Zellen“ (RZ) in einem linken Milieu gebildet, ein Terror-Netzwerk wuchs heran, das sich nicht im Untergrund verbarg, sondern hinter einer oft bieder-bürgerlichen Fassade. In diesem Milieu galt Terror als Moment einer Politik, auf die alle Kriterien zutrafen, wie man sie heute auf Prozesse des Empowerments anlegt: Selbstbestimmt sollten legale und illegale Strategien ineinandergreifen, gewaltfreie und mörderische Aktionen sich in freier Selbstverantwortung ergänzen. Die drei Punkte des RZ-Programms: (1) Aktionen für „Arbeiter, Jugendliche und Frauen“, (2) „anti-imperialistische Aktionen“ und (3) „anti-zionistische Aktionen“.

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