In einer Zeit der tiefen Verunsicherung hat heute der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble nachdenkliche und klare Worte gefunden.
Es bleibt zu hoffen, dass die Rede in Gänze ernst genommen, und nicht am Detail dekonstruiert wird.
In einer Zeit der tiefen Verunsicherung hat heute der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble nachdenkliche und klare Worte gefunden.
Es bleibt zu hoffen, dass die Rede in Gänze ernst genommen, und nicht am Detail dekonstruiert wird.
Wolfgang Schäuble ist sauer. Das kommt gelegentlich vor; aber diesmal ist er richtig sauer. Kein Wunder: wie hat er denn dagestanden, als letzten Freitag das geheime Euro-Krisentreffen in Luxemburg stattfand und die ganze Sache schon Stunden zuvor in Spiegel Online nachgelesen werden konnte?! So etwas kann nicht ohne Konsequenzen bleiben. Deshalb hat der Finanzminister heute, sechs Tage nach der Indiskretion, damit begonnen, den Maulwurf zu jagen. Und zwar mit allen Mitteln:
Es läuft nicht gut für Karl Theodor Guttenberg. Hochgepusht zum beliebtesten Politiker Deutschlands schlägt jetzt das eherne Gesetz der Mediendemokratie erbarmungslos zu. Ab sofort geht es auf der Achterbahn der Politbarometer steil abwärts. Ab sofort ist Guttenberg freigegeben. Doch sind wirklich „die Medien“ schuld, dass es jetzt für das „Phänomen Guttenberg“ so knüppeldicke kommt?
Es begann im Januar mit den drei Bundeswehr-Affären, die den Verteidigungsminister in die Bredouille brachten. Seinen exzellenten Umfragewerten konnten die beiden Todesfälle und das systematische Durchschnüffeln der Post zwar nichts anhaben. Guttenberg reagierte nichtsdestotrotz äußerst giftig, nach seinen eigenen Maßstäben also „unprofessionell“ auf die entsprechenden Anwürfe.
Bekanntlich gehört es zum Schicksal eines jeden Verteidigungsministers, früher oder später durch den Schlamm der Komissköppe in größte Schwierigkeiten gebracht zu werden. Auch wenn Struck, seinem Vor-Vorgänger, diesbezüglich größere Unbill erspart geblieben war, fällt es schwer anzunehmen, dass Merkel diesen Aspekt außer Acht gelassen haben könnte, als sie Guttenberg auf die Hardthöhe abkommandierte.
Nachdem all die Bundeswehr-Unstimmigkeiten dem Medienstar nichts anhaben konnten, legte letzte Woche Schäuble nach und verglich das „Phänomen Guttenberg“ mit einer dümmlichen Schlagersängerin. Es erschien wie ein Foul im üblichen Duell zwischen Finanz- und Fachminister; doch es war ein ungewöhnlich schweres Foul. Und vor allem: der Pfiff des Schiedsrichters, in diesem Fall der Schiedsrichterin, blieb aus.
Alles noch im Rahmen des gesetzmäßigen Medien-Auf-und-Abs? Und jetzt das! Guttenberg hatte bei seiner Doktorarbeit geschummelt. Wobei dies noch recht milde formuliert ist angesichts dessen, was Andreas Fischer-Lescano heute über die Süddeutsche Zeitung ans Licht gebracht hat. Das Material, was der Juraprofessor über die Fachzeitschrift „Kritische Justiz“ vorgelegt hat, ist schlichtweg erdrückend.
Gewiss, wir schreiben alle ab, bis dass die Schwarte kracht. Erst recht im Zeitalter von Google & Co.; doch erstens gebietet es der gute Stil, hier und da zumindest mal den ein oder anderen Satz ein wenig umzustellen. Und zweitens gelten für Dissertationen – aufgrund der magischen Bedeutung, die den zwei Buchstaben auch heute noch zugemessen werden – nun einmal etwas strengere Maßstäbe.
Guttenberg schreibt in seiner Doktorarbeit seitenweise ab, ohne die Quellen anzuführen. Obgleich er dabei sogar die Kommafehler eins zu eins übernimmt, erwähnt er das verwendete Material nicht einmal im Literaturverzeichnis. Prof. Fischer-Lescano und sein Kollege Dr. Felix Hanschmann, der sich als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht mit Plagiatsfällen beschäftigt hatte, sind sich deshalb ziemlich sicher, dass man Guttenberg seinen Doktortitel entziehen kann.
Um dem Plagiatsvorwurf zu entgehen: so steht es in der Süddeutschen Zeitung. Ob Guttenberg dem Plagiatsvorwurf wird entgehen können, steht dahin. Ein Promotionsausschuss wird darüber zu befinden haben. Genau vor einem Jahr ist Dieter Jasper, CDU-Abgeordneter aus dem Bundestagswahlkreis Steinfurt III, mit einer gekauften Dissertation aufgefallen. In der Folge wurde ihm der Doktortitel aberkannt, und der Fall war erledigt.
Bei Guttenberg liegt der Fall anders als bei Jasper. Was die Dissertation betrifft: Guttenberg hat sie nicht gekauft, sondern offenbar gefälscht. Was die Politik betrifft: Guttenberg ist eine andere Nummer als Jasper. Glaubte er jedenfalls. Glaubten wir jedenfalls. Glaubte das Volk unerschütterlich. Jetzt aber läuft es nicht gut für Karl Theodor Guttenberg. Der Ausgang ist ungewiss, der Promotionsausschuss ist der Rat der Götter. Was vor Gericht und auf hoher See gilt, gilt erst recht vor dem Promotionsausschuss und der hohen Generalität. Und vor Frau Merkel.
Die Moderne, die Postmoderne, der Wandel der Zeiten. Dem großartigen Matthias Beltz verdanken wir hierzu die Einsicht, dass die Leninsche Schlüsselfrage „was tun?“ (Moderne) abgelöst wurde durch das empathische „wie geht’s?“ (Postmoderne). Beltz ist viel zu früh gestorben; selbst einer wie er konnte nie und nimmer ahnen, zu welch grandiosen Weiterentwicklungen in Sachen menschlicher Wärme und so die spätkapitalistische Gesellschaft noch in der Lage sein würde. „Wie geht’s?“ – Mein Gott, wie unpersönlich!
Okay, auch Matthias Beltz war nur ein Kind seiner Zeit. Was hätte er sonst tun sollen, als die Umgangsformen seiner sozialen Außenwelt zu analysieren. Der angeführte Quantensprung vom „Was tun?“ zum „Wie geht´s?“ liegt dreißig Jahre zurück. Mindestens. Beltz hatte seine Erkenntnis bereits Anfang / Mitte der 1980er Jahre der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. „Wie geht´s?“ – pah! „Wie fühlst Du Dich?“ So muss das heißen! „Wie geht´s?“ heißt ja schließlich nichts Anders als „Wie geht es?“ Wenn man – aus heutiger Sicht – so recht drüber nachdenkt: eine Unverschämtheit.
„Wie fühlst Du Dich?“ – Ja, es hat sich ganz schön was getan in den letzten Jahrzehnten. Heute lässt sich eine solche Frage – gleichsam ein Dokument der Humanität – ganz unbefangen stellen, ohne dass man Angst haben müsste, seinem Mitmenschen zu nahe zu treten. Aber damals? 80er Jahre. Diese ganzen Typen damals; wir brauchen keine Namen zu nennen. Halten wir uns schlicht vor Augen, wen es damals alles noch nicht gab. Zum Beispiel unser aller Lena. Die gab es überhaupt noch nicht. Unvorstellbar.
Oder bei den Politikern. So einen wie unser aller Baron von und zu Guttenberg. Okay, den gab es zwar schon, jedoch nur in Ansätzen und noch nicht als Politiker. Was war das damals bloß für eine öde Zeit! Keine Lena, kein Ken, und „Wie fühlst Du Dich?“ konnte man außerhalb der Sponti-Szene irgendwie auch nicht so ohne weiteres bringen. Ehrlich gesagt: mir ist das damals gar nicht so aufgefallen. Ich musste schon über Beltz´ „wie geht´s?“ lachen. Mein Gott, was waren wir damals alle kaputt! Total gefühllose Knochen. Entsetzlich.
Wie gut, dass wir heute zivilisatorisch einen Riesenschritt weiter sind. Doch seien wir wachsam! Der Prozess der Zivilisation vollzieht sich bekanntlich auf dünnem Eis. Und unter der Oberfläche der Freundlichkeit ist das Alte noch da. Mitunter auch über der Oberfläche, mitunter auch der Alte. Schäuble zum Beispiel, so ein Politiker der 80er Jahre. Übrig geblieben. Wie der schon aus der Wäsche guckt, macht klar, dass er nicht vorhat, noch einmal als Top-Kandidat in einem Wahlkampf vor sein Volk zu treten.
Dem passt das alles nicht. Den braucht man auch gar nicht erst zu fragen: „Wie fühlst Du Dich?“ Ein Blick in sein Gesicht erübrigt jede Frage, und es hätten sich noch eindrucksvollere Bilder finden lassen als dieses Artikelbild hier. Jetzt hat der alte Knötteropa der „Zeit“ ein Interview gegeben und darin das gesagt, was das ZDF freundlicherweise – siehe Artikelbild – in der Sendung „Berlin direkt“ ganz fett auf den Bildschirm gestellt hat: „Gucken Sie sich nur den Zirkus mit Lena auf der einen Seite oder das Phänomen Karl-Theodor zu Guttenberg auf der anderen Seite an.“
Die Leute vom ZDF hatten es sich nicht nehmen lassen, das Phänomen Guttenberg höchstselbst zu fragen, was er denn so von diesem Vergleich halte, den Kabinettskollege Schäuble mal so ganz nebenbei eingeworfen hatte. Ken – ganz cool lächelnd – „fand das einen wunderbaren Vergleich“. Sie können mir ruhig glauben, ansonsten klicken sie sich einfach bei Minute 14:00 in „Berlin direkt“ hier ein. Die Frage ist freilich, ob man Guttenberg glauben kann. „Wunderbarer Vergleich“ – na, sag´ mal! Ken, wie fühlst Du Dich? Originalton Guttenberg – kein Witz, echt passiert: „Ich fühle mich wie Karl Lena Meyer Guttenrut.“
Wie fühlst Du Dich? Der Bundesminister der Verteidigung fühlt sich wie Karl Lena Meyer Guttenrut. Daraus ergibt sich – m.E. zwingend – die Frage: „Wie geht´s?“ An ihn. Und an uns: „Was tun?“