„Anne Castroper“ Straße in Bochum, da am Kiosk hoch, zwei Pilsbier weggesteckt, da steht sie, die Arena in der Stadt. Die einzige Innenstadtarena des Reviers. Hier wo der VfL spielt, und die Leidenschaft Leiden schafft. BOCHUMMMM ICH KOMM AUS DIEEEEER.
100 Jahre wird hier gekickt. Und wie heute, so geht es hier oft um alles oder nichts. Erste Liga Aufstiegsfeier oder tränenreich das Ziel verfehlt?
Henry Wahlig, David Nienhaus und Christian Schönhals haben ein Buch über das Stadion „Anne Castroper“ geschrieben. Ein einzigartiges Buch. Eines, das zum Stadion passt. Ein Buch über ein Jahrhundert Fußball mitten in Bochum.
Beim Blättern merkt man, dass auch die Autoren die Leidenschaft erfahren haben. Sie geben sich Mühe bei der Fotoauswahl. Haben einzigartiges aus der Bauzeit des neuen Stadions ausgegraben. Haben der Vergangenheit des Bolzplatzes nachgespürt. Sind eingetaucht in die Stadtplanung um die vorletzte Jahrhundertwende.
Was mir persönlich sehr gefallen hat, waren die vielen Details, die Liebevoll zusammengetragen werden. Stories, Geschichten, Fotos und Devotionalien. Selbst die Nazivergangenheit haben Henry, David und Christian nicht ausgeblendet, sondern sind den Spuren nachgegangen. Samt bislang für mich komplett unbekannter Bilder von Naziaufmärschen im Stadion und des mangelnden Zusammenhaltes im Club. Der Club wurde Teil des Nazi-Propaganda-Apparates.
Mutig ist die Naziaufklärung heute nicht mehr wirklich. Die Vergangenheit sollte überall offen kommunizierbar sein. Aber gerade deswegen ist es schön, dass die Autoren auch hier genau hinsehen und und nicht drüber wegsehen und auch die Geschichte der fast vergessenen Helden des jüdischen Fussballvereines Hakoah Bochum aufgeschrieben haben, die auch ihre Heimat an der Castroper Straße hatten.
Die Leidenschaft für den Kick hat Henry, David und Christian nicht blind gemacht. Kompliment.
Am schönsten jedoch waren für mich die Berichte von den Spielen aus den späten sechziger und siebziger Jahren. Als der Fußball noch gefühlt unser war, die Helden nicht reiche Spielertouristen und auch sonst alles schwarz-weiß: die Fotos und die Luft sowieso.
Klar stimmt das alles nicht. Aber ich mag die Stories aus dieser Zeit eben am liebsten. Keine Ahnung warum, vielleicht weil man das Gefühl hat, das früher sowieso alles besser war. Auch wenn die Lebenserwartung deutlich geringer war und Leute an Staublunge krepiert sind. Und es nur Ascheplätze gab, mit roter Kupfererde, die Krebs macht.
Ist ja auch egal. Es gab jedenfalls haufenweise Skandale und Skandälchen in der Zeit. Affären und Schiebereien. Und grandiose Siege gegen die Bayern und ein neugebautes Stadion und die ersten Farbfotos und Ata Lameck. Alles also, was Fußball spannend macht.
Auch was dann sonst noch da ist in dem Buch ist gut. Die Statistiken und Trickots etwa, oder die Beschreibungen der Jahrhundertspiele. Wie das gegen Hannover 96 vom 22. Mai 2004. Bochum gewinnt 3:1 und zieht in den UEFA-Cup ein. Europa wir kommen.
Hoffen wir, dass heute wieder eine Feier steigt. Eine Aufstiegsfeier. Denn das ist das höchste der Gefühle in Bochum.
Denn wirkliche Erfolge, also Meisterschaften, Pokaleroberungen oder sonst was hat der VFL ja nicht zu bieten. Der Wimpel des Clubs ist der traurigste der ganzen Liga. NIX DRAUF.
Ach, den weiten Tränentälern des VFL gegenüber liegen ja nur diese kleinen Hügel der Hoffnung. Auf den Aufstieg, den Wiederaufstieg, den Einzug in den Europapokal. So lasset uns hoffen. Auf die nächste Messe „ANNE CASTROPER“.
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„Anne Castroper“, Ein Jahrhundert Fußball mitten in Bochum, Henry Wahlig, David Nienhaus, Christian Schönhals, Verlag die Werkstatt, 176 Seiten, ISBN: 978-3-89533-779-6
Bestellen kann man das Buch hier: klack
Ja, das stimmt. Bochums Wimpel ist wirklich der traurigste aller Zeiten. Auf unserem steht wenigstens: Vizepokalsieger 1966, 1975, 1998, 2011.
In Düsseldorf-Flingern gibt es heute tausende gedrückte Daumen für die Blauen! Gladbach soll absteigen. Grüße eines Fortunen (rot-weißer Wimpel, etwas vergilbt: Deutscher Meister, zweifacher Pokalsieger)