Tanz-Uraufführung auf PACT Zollverein: Sleep Technique von Dewey Dell

DeweyDell-SleepTechnique. (c)John Nguyen

Eine sanfte Bodenwelle in der Mitte der Bühne, ein flacher Durchgang in der Rückwand, durch den archaische Gestalten hervorkriechen, sich langsam, unsicher, schemenhaft und wie wirbellose Wesen auf der nur vom unscharfen flackernden Licht des Beamers matt erleuchteten Bühne bewegen, sich in einem quälenden Stadium der Entwicklung befinden als würden sie sich verpuppen und ihre niedere Vorexistenz abzustreifen versuchen, manchmal in exzessive mechanisch immer und immer wiederholte Bewegung verfallen. Die Compagnie Dewey Dell zeigte am 3.3. auf PACT Zollverein „Sleep Technique“ als Uraufführung.

Die junge Compagnie ist zum ersten Mal auf PACT Zollverein zu Gast. Drei ihrer Mitglieder heißen Castellucci mit Nachnamen und sind die Kinder des Regisseurs Romeo Castellucci, der bei der Ruhrtriennale „Le sacre du printemps“ mit tanzenden, Knochenstaub schleudernden Maschinen inszenierte und bei „Neither“ ein Haus durch die riesige Jahrhunderthalle fahren ließ. Auch wenn sich die Tanzcompagnie durch den Namen klar von ihrem berühmt-berüchtigten Vater absetzt, sind in der Ästhetik von „Sleep Technique“ deutliche ästhetische Spuren ihrer Abstammung zu finden. Zu allererst fällt die Vorliebe für Texteinblendung auf, dann die Neigung zum Archaischen, der Inszenierung des Rituals, zu großen Effekten in allen szenischen Mitteln. Neben dem überaus gelungenen Lichtdesign von Eugenio Resta werden die vor allem auch in der Musik von Demetrio Castellucci und Massimo Pupillo immer wieder geschaffen. Da kratzt, schabt und birst es im Soundtrack, oft nah am Sounddesign eines Horror- oder Actionfilms, da gibt es pathetisch sich auftürmende Akkord-Fanfaren und archaisch in sich versunkene Melodie-Fragmente. Die Musik alleine erzählt bereits eine eigene Geschichte.

Ausgangspunkt für die Choreographie ist die Beschäftigung mit der Höhle „Chauvet-Pont d’Arc“ in der Ardèche, in der sich die ältesten bis heute gefundenen Höhlenmalereien befinden. Entlang der einzelnen Kammern der für die Öffentlichkeit unzugänglichen Höhle entwickeln Dewey Dell ihr Stück ausgehend von der Innersten hin zum Eingang.

Das Erzählerische, was schon in der Musik zu finden ist, prägt auch die Choreographie. Die zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer erzählen tatsächlich eine durchgehende Geschichte. Es ist eine Form des Tanztheaters ohne Text aber im wörtlichen Sinne mit tatsächlichen Szenen, Dialoge, Handlungen. Dabei gerät die Tanzsprache häufig in die Nähe des Pantomimischen, wirkt manchmal fast wie eine neuerfundene Gebärdensprache. Das mag für den Tanzpuristen gelegentlich verstörend wirken, es macht aber den Abend auch sehr gut zugänglich. Die Geschichte ist die einer archaischen, vorgeschichtlichen und beinahe vormenschlichen Gesellschaft, in der die in roten Stoff verschnürte Matriarchin regiert, eine weitere Frau an ihrer Seite wie eine Hohepriesterin agiert. Auf der dritten Stufe der Gesellschaft steht ein Mann. Ganz unten ein von Außen kommender, der als Befruchtet der Matriarchin in die Gesellschaft aufgenommen wird. Ganz zuletzt im Kapitel „Entrance Chamber“ kriecht der Höhlenforscher durch den Eingang mit Helm und Kopflampe, doch er schafft es nicht bis zum aufrechten Gang und bleibt wurmhaft im schmalen Spalt stecken.

Die rund einstündige Performance ist im Zusammenspiel von Musik, Lichtdesign und Choreographie durchaus beeindruckend. Insbesondere in den lemurenhaften Fortbewegungsarten finden die Tanzenden großartige Variationen. Das manchmal überdeutlich Pantomimische ist Geschmacksache und in den mechanisch wiederholten schnellen Bewegungsabläufen treten gelegentlich technische Ungenauigkeiten der noch sehr jungen Performer zutage. Die Neigung zum großen Effekt in der Musik wie in der Choreographie schafft manches überzeugende und beeindruckende Bild, ist aber genauso oft auch etwas cheesy, ganz eben so wie auch Romeo Castellucci immer auf der Grenze zwischen Überwältigung und Peinlichkeit balanciert. Menschen mit großer Seherfahrung im modernen Tanz, werden möglicherweise mit diesem Abend nichts anfangen können. Wer einfach nur Lust auf spannendes junges Tanztheater hat, sollte noch die Möglichkeit nutzen, mit „Sleep Technique“ diese junge Compagnie zu entdecken.

Weitere Aufführung: 4.3., 20 Uhr, PACT Zollverein

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
1 Kommentar
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
trackback

[…] Eine sanfte Bodenwelle in der Mitte der Bühne, ein flacher Durchgang in der Rückwand, durch den archaische Gestalten … (Orginal – Story lesen…) […]

Werbung