Nur dreißig Zuschauer können die Vorstellung im großen Saal sehen. Grund dafür ist die ungewöhnliche Bühnensituation von „Unlikely Creatures (drei) us hearing voices“, dem dreiteiligen letzten Teil einer Trilogie des Performanceduos Billiger & Schulz. Uraufgeführt wurde das Stück am Mousonturm in Frankfurt, am 17.5. hatte es Premiere in Düsseldorf am Tanzhaus NRW, das neben dem FFT Düsseldorf koproduziert hat.
Die Stühle sind von den Zuschauerrängen abmontiert, das Publikum nimmt in der Mitte des Bühnenraumes auf einem kleinen Podest Platz. Eine außergewöhnliche Rundumspielsituation, die dem Zuschauer Aktivität abfordert: Ständig muss er seine Position verändern, wachsam sein, in welcher Ecke des Raumes gerade etwas passiert, manchmal Platz machen, weil auch die Insel, auf der er sitzt, gelegentlich von den Performern gekreuzt wird.
Die gesamte Performance gliedert sich in drei jeweils exakt 75 Minuten lange Teile, die einzeln aber auch als Ganzes besucht werden können. Die Gesamttrilogie, zu der der Abend den Abschluss bildet, beschäftigt sich mit dem Tanz als Darstellungsmittel für den nichtmenschlichen Körper. Die ersten beiden Teile warfen dabei einen Blick in die Vergangenheit und Gegenwart. Nun also die Zukunft.
Die acht Performerinnen und Performer sowie drei Kinder formen zunächst aus Holzlatten eine ephemere architektonische Struktur, die vom Zuschauerpodest ausgehend sich in den Raum bewegt, über die Stufen der Tribüne wuchert und schließlich wieder an das Podest andockt. In einer Ecke des Raumes steht ein schlichtes Holzhaus, einige Videoscreens zeigen Aufnahmen von Blumen, später Tiere. Es ist eine freundliche Zukunft mit Vogelgezwitscher. Eine Zukunft, in der nicht wirklich viel passiert. Es werden Stühle und Tische durch den Raum getragen, jemand richtet sich mit einem Teppich oder einem Fell einen Sitzplatz her, auf dem er sich nieder lässt, die Kinder spielen pantomimisch am Tisch eine Familie beim Essen, ein Performer verausgabt sich an einer Rudermaschine oder macht Liegestütze. Nur ein zunächst kaum merkbares Grollen aus den Lautsprecher deutet an, dass möglicherweise nicht alles Idylle ist. Dann geben Texte, die von den Performern auf Englisch gesprochen werden, erste Hinweise darauf, welche Vorstellung von Zukunft hier zu Grunde liegt: 2300 hat die Klimakatastrophe die Welt völlig verändert, Grönland ist schon lange dicht besiedelt und zu einem der klimatisch attraktivsten Ort der Welt geworden. Die veränderte Welt erscheint nur in diesen Texten, das was auf der Bühne gezeigt wird, ist von frappierenden Normalität und Beiläufigkeit. Erst ganz am Ende fahren Billinger & Schulz das Aktivitätsniveau etwas hoch. Es wird zu Discomusik getanzt, die Nebelmaschine angeworfen, buntes Licht flackert auf. Und während in der einen Ecke im Licht getanzt wird, fallen im Dunkeln Menschen urplötzlich übereinander her, man sieht es kaum, aber man hört die Körper auf den Boden schlagen, die Sohlen auf dem Tanzboden quietschen, das Keuchen und Stöhnen der Ringenden. Dann sind die ersten 75 Minuten vorüber, was kaum zu bemerken ist, da die Performer nahtlos beginnen, das Holzhaus abzubauen.
Das Erstaunliche an besonders diesem ersten Teil ist, dass er nicht langweilt, dass selbst die nebensächlichste Tätigkeit noch interessant erscheint. Wenn die Performer irgendwo in einer Ecke Blicke tauschen, kurz miteinander flüstern, verschärft das nur das Geheimnisvolle, das über diesem Auftakt liegt. Bis zuletzt wird die Erwartung des Zuschauers nicht wirklich befriedigt und doch kann dieses Zusehen beim Belangloses höchst spannend sein.
Der zweite Teil beginnt in völliger Dunkelheit. Rund zehn Minuten lang gibt es schlichtweg nichts zu sehen, dann flackert gelegentlich mal eine Neonröhre müde auf. Wir befinden uns irgendwo im endlosen All. In Skianzügen, Imkerschutzbekleidung, mit Fechthelmen sind die Performer (nun ohne die drei Kinder) zu Astronauten geworden. Das Raumschiff strandet auf einem Planeten fern ab von allem Irdischen, wird zerstört, wie Schiffbrüchige treiben die Astronauten sich an Bruchstücke des Raumschiffes klammernd im All. Dann werden sie auf der Erde als Mensch-Maschine-Hybride wieder zum Leben erweckt. Sie erfahren ihre menschlichen Körper, ihre Haut, ihr Gewebe, die Gelenke als fremde, vielleicht sogar hinderliche Hülle.
Im dritten Teil folgt eine düstere Dystopie. Eine Gesellschaft nach dem Verfall des Sozialen. Nach einem viertelstündigen Auftakt mit Partytänzen, die zuletzt in erschöpfender Extase und konvulsivischen Zuckungen enden, wird die Bühne komplett umgebaut. Das Holzhaus vom Beginn wird an anderer Stelle wieder aufgebaut, Bauzäune trennen den Raum in drei Abschnitte, Wände und ein Teil des Bodens werden mit Bauplanen abgedeckt. Dieser Umbau nimmt eine halbe Stunde ein. Die Menschen in dieser verrohten Welt proben ständig die Selbsttötung, indem sie sich mit dünnen Schnüren zu erhängen suchen, oder sie traktieren sich gegenseitig, jagen sich, foltern, sperren sich gegenseitig ein.
Der dritte Teil des Abends ist mit Abstand der schwächste, weil er in den szenischen Mitteln zu konkret wird, zu stark erzählerisch, zu schauspielernd und dabei die Brutalität des Dargestellten nicht wirklich vermittelt. Zu wenig wird das Eingeschlossensein durch die Zäune wirklich erlebbar, zu deutlich ist die Menschenjagd einfach nur Theater. Das ist besonders schade, weil die beiden Teile davor in ihrer eigentlich enervierenden Langsamkeit, in ihrer völligen Verweigerung des Theatralischen, eine für den Zuschauer rätselhafte Sogwirkung entfalten.
Weitere Vorstellungen: 18. und 19.5.
Termine und Tickets: Tanzhaus NRW