Teil 2: ?Über Kooperationen und Aufgabenteilung nachdenken?

Teil 2 des Interview mit Frank Baranowski  – Hier geht zu Teil 1

?: Aber  unter der SPD geführten Landesregierung  unterschied sich  die Schuldenpolitik  zwischen den Regierungspräsidien auch.

Baranowski: Das ist mir schon klar. Aber die Landesregierung bestimmt die Politik, eine Bezirksregierung ist in diesem Zusammenhang die der Regierung nachgeordnete Behörde. Politik wird bei der Landesregierung gemacht. Und da stellt sich auch die Frage, welchen Ermessensspielraum man einer Stadt einräumt.

?: Oberhausen hat doch eine Wette auf die Zukunft gemacht: Schulden wurden aufgenommen, es wurde investiert und am Ende ging die Rechnung nicht auf.

Baranowski: Machen wir uns nichts vor: Es ist absehbar, wann die nächsten Städte in die Pleite laufen. Oberhausen ist doch kein Sonderfall. Der Kreis Recklinghausen klagt doch nicht umsonst gegen das Gemeindefinanzierungsgesetz. Wir brauchen eine bessere Finanzausstattung der Kommunen, sonst kommen wir alle in vergleichbare Situationen wie Oberhausen.

?: Vielleicht ist es ja auch ein Fehler, dass es im Ruhrgebiet so viele eigene Städte mit all ihren Verwaltungen und Kostenapparaten gibt. Viele Städte schrumpfen und haben doch gar keine Chance mehr, allein zu überleben. Warum legen wir, wenn es schon nicht zu einer Ruhrstadt kommt, nicht ein paar Städte oder zumindest Institutionen zusammen?

Baranowski: Ich bin sehr dafür, über Kooperationen und Aufgabenteilung nachzudenken. Dazu gehört aber mehr als Politiker und Bürgermeister, dazu gehört ein gesellschaftlicher Konsens. Was würde denn passieren, wenn wir nur im Kulturbereich die Aufgaben der Städte untereinander verteilen würden? Die einen machen ein tolles Konzerthaus, andere Museen, ein Dritter konzentriert sich auf Theater. Ich könnte Ihnen jetzt schon sagen, wer alles aufschreien würde und wie die veröffentlichte Meinung dazu wäre. Alle lokalen Medien würde laut aufschreien und sagen: „Das ist der kulturelle Ausverkauf !“ – und auf anderen Handlungsfeldern wäre es doch nicht anders.
Solange das aber so ist und es nicht als eine Bereicherung des gesamten Ruhrgebiets gesehen wird, wird es auch keine Zusammenlegungen und keinen Verzicht geben. Wir sollten mehr über Aufteilung sprechen, aber dazu gehört, dass nicht derjenige, der den ersten Schritt in dieser Richtung macht, an den Pranger gestellt wird – und das wird so kommen. Nehmen sie das Beispiel DFB-Fußballmuseum. Da stehen Dortmund und Gelsenkirchen im Wettbewerb miteinander – wissen Sie, was passiert, wenn sich eine Stadt freiwillig zurückzieht?

?: Ich möchte es mir in diesem Fall noch nicht einmal ausmalen. Was aber wäre denn, wenn nicht Dortmund oder Gelsenkirchen, sondern das Ruhrgebiet sagen würde: Wir wollen das Fußballmuseum, das sind unsere Standorte und jetzt wähle aus, DFB?

Baranowski: So ein Verfahren fände ich gut, aber das ist nicht in allen gesellschaftlichen Gruppen akzeptiert, dass, wenn das Ruhrgebiet der Gewinner ist, die eigene Stadt ruhig auch mal auf etwas verzichten kann. Ich  merke das tagtäglich. Wenn ein Unternehmen die eine Stadt verlässt und sich in der Nachbarschaft niederlässt, wird das doch sofort als Verlust für die eigene Stadt wahrgenommen. Auch wenn man erklärt, dass die Firma ja dem Ruhrgebiet erhalten bleibt und die Bürger der eigenen Stadt keinen Job verloren haben. Vor allem diejenigen, die sich in Sonntagsreden für das Ruhrgebiet stark machen, fallen da schnell auf eine lokale Sichtweise zurück, und das, obwohl längst klar ist: Gelsenkirchen profitiert von Ansiedlungserfolgen in Marl, Bochum von Erfolgen in Essen und Herne von Erfolgen in Gelsenkirchen. Genauso sind die Probleme einer Stadt die Probleme aller Städte. Doch wenn es zum Schwur kommt, wird noch immer in sehr engen kommunalen Grenzen gedacht.

?: Wird sich das nicht abschleifen?

Baranowski: Ich glaube, das wird ein längerer Prozess werden.

?: Den man beschleunigen könnte?

Baranowski:
Dabei sind wir doch auf einem guten Weg und haben an Fahrt aufgenommen. Schauen sie sich die Kooperationen im Bereich der Unternehmensansiedlungen an. Mittlerweile kooperieren wir mit anderen Städten, wenn wir keinen Platz für eine Unternehmensansiedlung haben und teilen uns dann die Gewerbesteuer.

?: Bei dieser Entwicklung sollen Sie der entscheidende Motor gewesen sein.

Baranowski:
Das ist doch egal – Hauptsache, es funktioniert jetzt und das tut es. Immer mehr Städte haben sich dieser Initiative von Essen und Gelsenkirchen angeschlossen. Für mich ist der Erfolg des Gewerbeflächenpools ein Beispiel für die Richtung, in die wir gehen müssen. Die Städte fangen an, zusammenzuarbeiten und schließen Verträge miteinander ab. Das ist besser, als wenn man darauf wartet, dass etwas von oben nach unten geschieht.

?: Die Erfahrung lehrt etwas anderes. Beispiel Nahverkehr: Die Städte hätten hier immer kooperieren können und haben es nicht getan. Das Ergebnis ist ein teurer und schlechter Nahverkehr im Ruhrgebiet. Unter der einsamen Entscheidung der Vestischen, die Straßenbahnen abzuschaffen, leiden heute noch ganze Städte. Aus einer regionalen Sicht hätte man einen solchen Unsinn vielleicht nie gemacht, und Städte wie Gladbeck, Bottrop, Recklinghausen oder Herten wären heute ans U-Bahn-Netz  angeschlossen.

Baranowski:
Natürlich sind in der Vergangenheit auch aus meiner Sicht falsche Entscheidungen getroffen worden. Die U-Bahn in Gelsenkirchen hätte ich in Richtung Essen ausgebaut und nicht in Richtung Norden. Aber es ist müßig, sich darüber heute noch zu beklagen. Wir müssen daran arbeiten, dass die Probleme im Nahverkehr künftig gelöst werden.

?: Durch eine gemeinsame Nahverkehrsgesellschaft?

Baranowski: Perspektivisch ja, aber das wird ein langer Weg und wir müssen die Menschen, die heute in den Nahverkehrsunternehmen arbeiten, mitnehmen. Ein erster Schritt wird eine viel engere Zusammenarbeit sein, als es heute der Fall ist. Und wieder gilt: Wir brauchen Akzeptanz. Denn klar ist doch auch, ein solcher Weg wird Arbeitsplätze kosten. Angefangen bei der Putzfrau bis hin zu den Vorständen. Ich weiß nicht, ob wir uns das in der gegenwärtigen Situation leisten können.  So etwas kann man nicht von oben befehlen, das muss wachsen – aber es gibt keine Alternative zu dieser Entwicklung. Allein der Kostendruck wird dafür sorgen, dass die Städte sich langfristig die heutige Nahverkehrsstruktur nicht mehr leisten können.
Wir müssen lernen, auf  das Ruhrgebiet als Ganzes zu  schauen. Und das nicht nur in Fragen der Infrastruktur, sondern auch bei der Bildung oder den sozialen Verwerfungen im Ruhrgebiet –  aber das sehen die Bürgermeister der anderen Städte auch so.

?: Können das die OBs denn leisten und brauchen wir nicht eine Institution, die eine regionale Sicht hat, damit nicht alles von den Kompromissen der OBs abhängig ist?

Baranowski: Ja, es muss eine solche Einrichtung geben – aber wenn, dann mit einer zweiten Kammer, in der die Städte vertreten sind. Es wäre fatal, wenn es auf der einen Seite Entscheidungen gäbe, die Finanzfolgen für die Städte hätten, ohne dass die Kommunen ein Mitspracherecht hätten.

?: Ist das nicht das Schicksal der Städte und weder auf Landes- noch auf  Bundesebene anders?

Baranowski: Das ist ja auch ein Fehler. Alle staatlichen Ebenen entscheiden auf Kosten der Kommunen, die aber als einzige Ebene gezwungen sind, zu konsolidieren. Das kann nicht gut gehen. Wenn Bund und Land uns ständig neue Aufgaben geben, müssen sie auch für eine vernünftige Finanzierung sorgen. Uns immer mehr Aufgaben zu übertragen, uns kein Geld zu geben  und uns gleichzeitig zum Sparen zu zwingen, nimmt uns alle Handlungsmöglichkeiten.

?: Und auf regionaler Ebene wollen sie dann Mitspracherecht?

Baranowski: Ich will es auf allen Ebenen, aber wenn wir jetzt im Ruhrgebiet etwas Neues schaffen, können wir doch gleich die alten Fehler vermeiden. Ich glaube, ein Ruhrparlament und eine Kammer für die Städte würde zu einer deutlich höheren Akzeptanz führen – wobei ich für einen ehrenamtlichen Rat an Stelle eines professionellen Parlamentes wäre. Wichtig ist auch, dass keine Region dominiert. Es gibt die Sorge in der Emscher/Lippe-Region, von den Städten im Zentrum dominiert zu werden.

?: Aber dann müssten konsequenterweise auch die Bürgermeister der kreisabhängigen Städte in einer solchen kommunalen Kammer vertreten sein, denn der RVR wird Planungshoheit bekommen und im Bereich der Planung sind ja die Landräte außen vor.

Baranowski: Man  muss sehen, wie so eine Kammer konkret aussehen wird. Nur gemeinsam mit den Kommunen und einer Instanz, die das ganze Ruhrgebiet im Blick hat, können wir die Zukunftsfragen der Region lösen.

?: Hängt die Beantwortung vieler Zukunftsfragen im Ruhrgebiet nicht vom demographischen Wandel ab? Immerhin gehören wir zu den wenigen Stadtregionen auf der Welt, die schrumpfen.

Baranowski: Ja, aber es gibt auch Rückzüge aus dem Münsterland, denn ab einem gewissen Alter merken die Menschen, dass sie dort nicht so gut leben können. Die Wege zum Arzt oder zum Einkaufen sind weit, man braucht vielleicht sogar zwei Autos. Wir müssen uns bemühen, hier eine Infrastruktur bereitzuhalten, die es ermöglicht, sich wohnortnah zu versorgen – auch mit attraktiven kulturellen Angeboten. Unser Blick auf die Bedürfnisse der Senioren ist mir im Übrigen viel zu undifferenziert: Alle ab 60 packen wir ein einen großen Topf – wohingegen wir bei Jugendlichen aus gutem Grund sehr genau differenzieren. Angebote für 60jährige müssen anders sein als für über 90jährige. Die Lebensphase „Alter“ ist sehr lang geworden und hat in jedem Teil ihre ganz eigenen Chancen und Probleme. Darauf müssen wir Antworten entwickeln.

?: Müssen wir uns nicht auch noch mehr Mühe geben, junge Familien im Ruhrgebiet zu halten?

Baranowski: Da haben alle Ruhrgebietsstädte viel Zeit verloren. Wir haben in Gelsenkirchen angefangen, Bauland für junge Familien bereit zu stellen, würden uns aber eine größere Nachfrage wünschen. Für mich steht aber fest: Der langfristige Trend der steigenden Energiepreise wird die Positionen der Städte gegenüber dem ländlichen Raum im Wettbewerb um junge Familien stärken – aber wir müssen für jungen Familien noch bessere Angebote schaffen.

?: In Gelsenkirchen ist das einer der Schwerpunkte Ihrer Politik.

Baranowski: Ja, wir besuchen Familien gleich nach der Geburt eine Kindes, stellen Betreuungs- und Unterstützungsmöglichkeiten vor, bemühen uns auch nach Möglichkeiten,  Kindergarten-Gebühren niedrig zu halten, die Ganztagsangebote auszubauen und geben Schulkindern Bibliotheksgutscheine, um sie so ans Lesen heranzuführen. Wir haben auch das Jugend- und das Schulverwaltungsamt zusammengelegt. Sich intensiv um die Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen zu kümmern, ist für mich die Grundlage jeder sozialen Politik. Wir müssen darauf achten, dass vor allem Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien den Anschluss nicht verlieren und dass ihre Chancen gewahrt bleiben. Nur gut ausgebildete Kinder und Jugendliche haben später auch bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt – und gut ausgebildete Menschen machen eine Stadt nicht nur zu einer sozialen Stadt, sondern auch zu einer, die attraktiv für Investoren ist.

?: Der Arbeitsmarkt hat sich in Gelsenkirchen in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt. Sie konnten sogar, was die Arbeitslosigkeit, betrifft, zeitweise Dortmund hinter sich lassen.

Baranowski: Dass der Arbeitsmarkt sich bei uns gut entwickelt hat, freut uns. Das Ranking mit Dortmund ist nicht entscheidend. Alle Städte im Ruhrgebiet haben eine zu hohe Arbeitslosigkeit und einen viel weiteren Weg vor als hinter sich. Was nutzen solche Rankings einem Arbeitslosen in Dortmund oder Gelsenkirchen? Nichts. Werfen Sie lieber einen Blick auf die Gesamtlage im Ruhrgebiet.

?: Wenn  ich auf das gesamte Ruhrgebiet schaue, sehe ich, dass sich Gelsenkirchen gut entwickelt hat. Was haben Sie getan?

Baranowski: Wir arbeiten sehr eng mit der Arbeitsagentur zusammen. Wenn ein Unternehmen sich für Gelsenkirchen interessiert, tun wir alles dafür, um die möglichen Mitarbeiter passgenau zu qualifizieren. Und natürlich haben wir auch vom Aufschwung der vergangenen Jahre profitiert. Kommt es zur Krise, wie sie von Vielen erwartet wird, werden wir allerdings genau so wie alle in Deutschland schwere Rückschläge erleben – ich mache mir da keine Illusionen.

?: Warum hat Gelsenkirchen trotz der Erfolge der vergangenen Jahre noch immer ein schlechtes Image?

Baranowski: Es ist sehr schwer, etwas an diesem Image zu ändern. Ich habe mal zu Beginn meiner Amtszeit Journalisten von führenden Medien eingeladen, sich Gelsenkirchen näher anzuschauen. Wir sind mit dem Bus durch die Stadt gefahren und haben ihnen gezeigt, welches unsere Herausforderungen sind und wo wir uns auf einem guten Weg befinden. Das kam gut an – aber nach ein paar Monaten war kaum einer der Journalisten noch auf seinem alten Platz. Die Aktion ist also leider verpufft. Ich glaube, es wird noch sehr lange dauern, bis wir das Negativimage abgelegt haben. Solche Bilder wie „Verblühende Landschaften West“ sind leider sehr stabil.

 

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Mit-Leser
Mit-Leser
15 Jahre zuvor

Tolles Interview! Zeichnet ein genaues Bild der aktuellen Problemlage und geht – dank der regionalpolitischen Kompetenz beider Gesprächspartner – mehr in die Tiefe als die meisten anderen Veröffentlichungen zum Thema „Wandel an Rhein und Ruhr“.

Die durchdachten und realitätserprobten Antworten von Baranowski zeigen auch gut auf, warum die Ruhrstadt nicht so einfach von oben verordnet werden kann – sie aber auf lange Sicht betrachtet unausweichlich ist. Und zwar nicht um die größenwahnsinnigen Metropolen-Träume minderwertigkeitskomplex-beladener Oer-Erkenschwicker zu erfüllen, sondern einfach nur um die strukturellen Probleme der Region endlich einmal in den Griff zu bekommen.

Vielen Dank an beide Interviewpartner.

Malte
15 Jahre zuvor

Von mir auch, danke für die Arbeit die Ihr euch damit macht! Ich kenne da eine Zeitung, die könnte sich ein Beispiel daran nehmen :o)

M.

Arnold Voß
Arnold Voß
15 Jahre zuvor

Baranowski, obwohl nach diesem Interview für mich ein echter Hoffnungsträger für Ruhr, drückt sich, wenn auch aus verständlichen Gründen, vor dem zentralen Problem: Ruhr kann einfach nicht länger auf die integrative Kooperation seiner Städte warten.Ohne mehr Druck, ohne zusätzlichen Zwang von Oben, wird nachwievor nichts Entscheidendes passieren. Nur auf den Zwang der Verhältnisse und die wachsende Lernbereitschaft von Unten zu setzen ist schlicht zu langwierig. Dazu stehen, was Baranowski sehr hellsichtig formuliert, zuviele Eigeninteressen dagegen.

Dass er sich als Bürgermeister dabei im Kampf gegen diese lokalen Egoismen nicht zu sehr mit seinen Kollegen in Ruhr anlegen möchte, ist zwar nachvollziehbar. Aber wie lange soll Ruhr z.B. noch auf einen einheitlichen und perfekt abgestimmten Nahverkehr warten? Wie lange will Ruhr z.B. noch lokale Wirtschaftspolitik treiben? Wie lange noch will z.B. jede Gemeinde auf eine eigene touristische Vermarktung bestehen? Da bleiben die Aussagen des Gelsenkirchener Oberbürgermeisters ausgesprochen nebulös.Und das reicht in Anbetracht des dramatisch zunehmenden Problemdrucks einfach nicht.

Mit-Leser
Mit-Leser
15 Jahre zuvor

@Mr.Voss: Gerade deswegen finde ich das Interview ja sehr gelungen. Nicht, weil sich Baranowski in ihm zu einem obama-artigen Prophet des Wandels aufschwingt (und sich damit lokalpolitisch auf ein Abstellgleis stellt), sondern weil das Gespräch ein gutes Abbild der aktuellen politischen Situation zeigt. Es zeigt exakt auf, wo die Ruhrstadt-Debatte steht und weshalb die Ruhrstadt überhaupt zur Debatte steht. Und es zeigt auch, dass die Ruhrstadt inzwischen ein Thema geworden ist, dass von der Politik nicht mehr einfach so weggewischt werden kann.

Probleme wie der Nahverkehr werden von Barnowski ja angesprochen (und ich kann seine Position erkennen) – doch er betont auch, dass es bei solchen Veränderungen ebenfalls um Arbeitsplätze geht. Und jeder, der seinen Arbeitsplatz aufgrund so einer Maßnahme verliert (sowie seine Angehörigen bis hin zu den Betreibern jener Pommesbude wo Mittags gegessen wird) ist ein potenzieller Wähler.

Ich persönlich lebe nicht mehr im Ruhrgebiet. Doch die Signale, die ich von der Ruhr empfange haben sich deutlich geändert. Von dem Thema Zusammenarbeit ist immer häufiger zu hören und zu lesen. Dies bedeutet, dass sich die Verhältnisse langsam ändern. Schneller wird es nicht gehen. Wenn es aber so schnell geht, wie jener Prozess, der zu dem Euro geführt hat, dann wäre dies schon eine wirklich gute Sache.

Ich verstehe aber auch ihre Ungeduld, Herr Voss. Sie leben vermutlich gerade im Ruhrgebiet – und bekommen den dort herrschenden Kirchturm-politischen Wahnsinn jeden Tag mit. Doch die Ruhrstadt ist ein historischer Prozess. 1848 ist aus einem demokratischen Deutschland auch erstmal nichts geworden. Starke und sinnvolle Ideen setzten sich jedoch am Ende immer durch. Dies war beim Euro so, der Zollunion und es wird auch bei der Ruhrstadt so sein.

Und verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich möchte damit nicht zur Passivität aufrufen. Sie tuen schon genau das Richtige: Stimmung machen und Position beziehen. Doch Sie dürfen sich nicht zuviel erwarten. Wir werden die Gründung einer Ruhrstadt wohl nicht mehr erleben. Wir sind nur der Anfang – aber es ist ein guter Anfang. Und das Interview zeigt deutlich, welche Stimmungen und Strömungen in der Anfangsphase herrschten. Daher habe ich Herrn Laurin gratuliert. Denn ihm ist als Journalist damit ein handwerklich gelungenes Stimmungsbild gelungen.

Aus aktuellem Anlass möchte ich jedoch nich hinzufügen, dass Herrn Laurin diese gute journalistische Qualität jedoch nicht bei jedem Thema gelingt. In seinen Beiträgen zu dem aktuellen Gaza-Konflikt agiert er mehr wie eine Spielfigur. Was ich übrigens sehr schade finde. Denn hier fehlt die Bereitschaft zur ganzheitlichen Objektivität und die von Berufswegen notwendige Gelassenheit. Aber eventuell hat er sich das Thema auch nicht so einarbeiten können, wie in das Thema Ruhrstadt.

Arnold Voss
15 Jahre zuvor

Gott im Himmel, ich lebe schon fast 60 Jahre in Ruhr! Wenn auch seit längerer Zeit nicht nur da. Die Nahverkehrsdebatte z.B. kenne ich bewußt schon seit über 30 Jahren.Der Nahverkehr ist in dieser Zeit auch besser geworden. Aber die für einen echten Qualitätsdurchbruch notwendige Einheitsgesellschaft ist nie an den dadurch wohlmöglich wegfallenden Arbeitsplätzen gescheitert. Zumindest nicht an denen im eigentlichen Dienstpersonal. Die wären nämlich gar nicht weggefallen, weil ein besser Nahverkehr natürlich mehr Arbeitsplätze z.B. für Busfahrer schafft, weil er von viel mehr Leuten benutzt würde. Er ist an den „Pöstchen“ gescheitert,sprich an der Leitungsstruktur und am Leitungspersonal, dass dann wirklich radikal weniger geworden wäre.

Da klingt es dann strategisch klug und sozial rücksichtsvoll, wenn das Problem unter dem Motto „Man kann den Leuten doch nicht einfach ihre Arbeitsplätze wegnehmen“ abgehandelt wird. In Wahrheit fehlt es am Mut, sich mit den wenigen Leuten anzulegen, die seit Jahrzehnten wegen ihres ganz persönlichen Vorteils (natürlich immer getarnt hinter Allgemeinwohlplatitüden)eine Verbesserung für die Mehrheit verhindern.

Aber glücklicher Weise gibt es auch in den Führungsetagen der Verkehrsbetriebe mittlerweile (wenn auch viel zu wenige), die endlich zu einer Änderung bereit sind.

Mit-Leser
Mit-Leser
15 Jahre zuvor

@Arnold Voss: Ich gebe Ihnen in allen Punkten Recht. Aber wie gesagt: es ist ein Prozess – und ihr letzter Satz zeigt ja auf, dass die Verkehrsbetriebe langsam den richtigen Weg einschlagen. Ich hoffe jedenfalls, dass sie bald besser Bus fahren können. Oder vielleicht hat das Ruhrgebiet ja sogar Glück und es erhält irgendwann, in ferner Zukunft, ein gut vernetztes U-Bahn-System wie der Großraum London. Ich würde es ihren Ur-Enkeln wünschen. 🙂

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