Teil 3: Corona-Tagebuch aus einem israelischen Altenheim

Oliver Vrankovic im israelischen Altenheim Foto: Oliver Vrankovic

In den ersten beiden Teilen seines Tagebuchs hat unser Gastautor Oliver Vrankovic den Beginn von Corona in Israel nachgezeichnet und die Anstrengungen des Heims ein Eindringen und ein Verbreiten innerhalb des Heims zu verhindern, sowie den folgenden Rückgang der Infektionen.

Alle haben darauf gewartet, dass Umarmungen wieder erlaubt werden. Und dann…
Im zweiten Teil des Tagebuchs habe ich den Rückgang der Infektionen beschrieben und die langsame Öffnung des Heims im Zuge der vermeintlich überwundenen Covid-19 Krise. Was zu einer annehmbaren Realität noch fehlte, war die Erlaubnis, sich gegenseitig zu umarmen.

Doch Korona feierte ein tragisches comeback in Israel. Die Rückkehr zum Regelbetrieb in den Schulen und die wenig später in unverantwortlicher Weise beschlossene Öffnung von Festsälen für große Familienfeiern führte zu einem Wiederanstieg der Neuinfektionen, der die pessismistischsten Aussagen renommierter Virologen noch bei Weitem übertraf. Was noch zum Anstieg der Infektionsrate beigetragen hatte, war nicht nachvollziehbar, da alles viel zu schnell aufgemacht hatte, um nachvollziehen zu können, welche Öffnung zur Wiederausbreitung des Virus signifikant beigetragen hat.

Corona ist zurück

Ende Juni stieg die Anzahl der Neuinfektionen pro Tag auf das Niveau auf dem Höhepunkt der ersten Infektionswelle. Aufgrund der horrenden Arbeitslosenquote von ueber 20% (vor Corona 4%) war eine Rückkehr zum Corona Regime des Frühjahrs aber quasi vom Tisch.

Der Unmut über die Politik begann auf der Straße fühlbar zu werden. Zu den Schwarzen Flaggen, einem Protest gegen den Demokratierückbau, der nur wenig Aufmerksamkeit generieren konnten, kamen nun wütende Selbstständige, die eine Zerstörung ihrer Existenzgrundlage fürchten und viele junge Menschen, die Angst haben, um ihre Zukunft betrogen zu werden.
Zu den vielen verschiedenen Anliegen der Proteste gehört ganz prominent die Kritik an der Entkopplung der politischen Elite von der Realität, wie sie z.B. von Tzachi HaNegbi vom Likud yur Schau gestellt wurde, als dieser die Klage von immer mehr Israelis, nicht mehr genügend Geld für Nahrungsmittel zu haben, in einer beliebten TV Sendung als „Schwachsinn“ bezeichnete.

Im Heim wurde uns Angestellten viel ins Gewissen geredet die Tage. In einem an uns gerichteten Anschreiben Ende Juni hieß es, das die BewohnerInnen und ihre Familien darauf vertrauen, dass wir alles tun, um sie vor Infektionen zu schützen. Wir wurden in dem Schreiben dazu aufgefordert, uns auch außerhalb des Heims an die verbindliche Masken-, Abstands- und Hygienepflicht zu halten. Darüber hinaus wurden wir nachdrücklich aufgefordert, nur mit der Kernfamilie Kontakt zu haben und nur unvermeidliche Treffen wahrzunehmen und uns bei diesen besonders zu schützen, wozu auch gehört, Handschuhe zu tragen. Wir waren, wie im April, dazu angehalten in keine Supermärkte zu gehen und in Bussen Handschuhe zu tragen und Friseur und Nagelstudios nur zu besuchen, wenn diese den höchsten Anforderungen an die Infektionsprävention entsprechen.

Paradigmenwechsel

Im Heim fand eine krasser Paradigmenwechsel statt. Wurde uns Angestellten jahrelang eingebläut, dass es Tabletten gegen Kopfschmerzen und Fieber gibt und beides kein Grund ist, nicht zur Arbeit zu kommen und bei einer Lungenentzündung nicht mehr als paar wenige Tage Krank akzeptiert wurden, sind wir nun angehalten beim kleinsten Anzeichen von Unwohlsein zu Hause zu bleiben.

Einem Post des Bürgermeisters von Ramat Gan habe ich Mitte Juli entnommen, dass meine Annahmen korrekt waren. So gibt es im Börsenviertel, wohin ich Anfang Juni gezogen bin (nachdem die weitere Selbstisolation im Heim nicht mehr geboten schien) und wo das Tragen eines Mund- und Naseschutz Norm ist, relativ wenig Infizierte; in dem Viertel, in dem ich gewohnt habe, bevor ich ins Heim gezogen bin, und wo viele Maskenverweigerer unterwegs sind, viele Infizierte. Fünf Mal mehr.

Im Heim haben wir mit uns selbst gekämpft, um nicht der Nachlässigkeit zu verfallen und uns an die für diesse Ausnahmesituation notwendige Routine zu gewöhnen. In mehrere Heime in der Umgebung ist der Virus eingedrungen und spiegelte so die Notwendigkeit weiter penibel auf Abstands-, Masken- und Hygieneregeln zu achten . Eine erneute völlige Abschottung der BewohnerInnen konnte es nicht noch einmal geben.

Essen in Schichten und Marsmenschen

Für die Bewohner wurde verfügt in Schichten zu Mittag zu essen. Eine Gruppe um 12 Uhr und eine Gruppe um 13 Uhr. Wie unheimlich es sich im Heim lebte wurde jedes Mal augenscheinlich, wenn bei einem Bewohner erhoehte Temperatur gemessen wurde und darauf hin die Marsmenschen anrücken und ihn mitnahmen und alle angespannt warten mussten, wie der Korona Test ausfällt.

Die Wirtschaftskrise erreichte dystopische Ausmaße. Inzwischen rechnen viele Israelis nach, ob es für genügend Nahrungsmittel reicht. Die Mittelschicht, die gerade zu großen Teilen abrutscht, hat auch vor der Krise schon geächzt. Von den bei den Sozialprotesten 2011 angeprangerten Missständen wurde keiner behoben, weder die ungleiche Lastenverteilung, noch die exorbitant hohen Lebenshaltungskosten.

Die Proteste gegen die Regierung sahen immer stärkeren Zulauf. Die völlig gescheiterte Eindämmung der Ausbreitung des Virus und die brutale Schädigung der israelischen Wirtschaft geht auch darauf zurück, dass Maßnahmen zur Seuchenprävention und zur Belebung der Wirtschaft politischen Anliegen untergeordnet werden und politische Auseinandersetzungen ein völlig chaotisches Hickhack produziert haben.

Infektionsherd Fittnesstudio

Fitnessstudios wurden ein paar Tage nachdem sie geöffnet wurden und obwohl der parlamentarische Corona Ausschuss sich dagegen ausgesprochen hat, wieder geschlossen. Und hier zeigte sich das Problem des Krisenmanagement sehr deutlich. Zwei Meinungen – Fitnessstudios sind Infektionsherde vs. Fitnessstudios sind unbedenklich – trafen aufeinander ohne dass eine Seite ihren Standpunkt durch die Daten epidemiologischer Nachverfolgung unterbauen konnte. Diese war nämlich aufgrund von Personalmangel so unzureichend, dass Beschlüsse quasi ohne wirkliche Datengrundlage gefasst wurden. Der parlamentarische Corona Ausschuss hat den Kabinettsbeschluss zur Schliessung der Fitnesstudios später erneut überstimmt.

Das volle Chaos zeigte sich hinsichtlich der Restaurants, die am WE zu sein sollten und überhaupt geschlossen werden sollten bis auf take away und dann doch offen sein sollten aber nur draußen. Am Ende entschlossen sich die Restaurantbesitzer zu öffen, ohne sich um die Restriktionen zu kümmern. Und so sah man und sieht man heute, wenn man durch die Dizengoff in TA geht oder durch die Katzenelson in Givatayim, dass alles so offen und voll ist als waere Israel nicht von einer zweiten Welle und von keiner Wirtschaftskrise getroffen. Tatsaechlich haben auf der Katzenelson in den letzen Monaten eine Reihe neuer Restaurants und Bars aufgemacht. Ganz offensichtlich tut sich gerade ein Graben auf zwischen den von Corona finanziell geschaedigten und den von der Krise nicht betroffenen.

Ende Juli lag die Anzahl der akut Infizierten fast fünf Mal über der Anzahl der akut Infizierten in Deutschland – in absoluten Zahlen, nicht relativ zur Bevölkerung. Die Anzahl der Neuinfektionen/Tag ueberstieg die Anzahl der Neuinfektionen/Tag auf dem Hoehepunkt der ersten Welle um ein dreifaches.

Im Heim wurde die Distanz-, Masken- und Hygienepflicht in den letzten Tagen des Juli einem Stresstest unterzogen.

Wir und die BewohnerInnen müssen uns (wie im ersten Teil beschrieben) seit Monaten so verhalten, als ob wir uns unwissentlich infiziert hätten. Falls sich Jemand tatsächlich unwissend infiziert, soll so die Ausbreitung innerhalb des Heims eingedämmt werden. Schließlich wurde aus der Antizipation des Eindringens der Seuche ins Heim bittere Wirklichkeit. Eine Mitarbeiterin wurde positiv getestet. Da Corona für viele BewohnerInnen des Heims einem Todesurteil gleich kommt, wurde aus Sorge Angst. Für den folgenden Tag wurde ein Test für alle BewohnerInnen, MitarbeiterInnen, private BetreuerInnen und zuletzt im Heim Beschäftigte angeordnet. Wie wurden aufgefordert, bis auf Weiteres jeden Kontakt auch außerhalb des Heims zu vermeiden und die Bewohner wurden in ihre Wohneinheiten verbannt, ähnlich den Maßnahmen auf der Höhe der ersten Infektionswelle im Frühjahr. Alle Vorträge und die meisten Mitmachangebote wurden ausgesetzt und der Speisesaal, in dem zuletzt in zwei Schichten zu Mittag gegessen wurde, blieb für die BewohnerInnen ab dem Vormittag geschlossen. Mittag-  und Abendessen wurde in Einweg abgepackt in die Wohneinheiten gebracht. Zwischen dem Bekanntwerden der Infektion und den Testergebnissen lagen Tage angespannten Wartens. Der Test fiel bei Allen negativ aus. Es scheint als haben wir alles soweit richtig gemacht, so anstrengend und nervenaufreibend es auch über die Dauer von mehreren Monaten ist, im Krisenmodus zu arbeiten.

Hoffnung

Etwas Hoffnung kam in Israel mit der Ernennung des Corona Zars Gamzu auf. Die Hoffnung bezog sich darauf, dass Entscheidungen fortan tatsächlich im Sinne der Infektionsprävention getroffen werden.

Wie möchte Gamzu den Karren aus dem Dreck ziehen?
Ein Ampelsystem soll jede Stadt in grün, gelb und rot einteilen. Damit einher geht der Entscheidungsspielraum für den Gemeinderat und Bürgermeister. In grünen Städten könnten diese eine weitgehende Rückkehr zur Normalität beschließen. In roten Städten hätte die Heimatfront das Sagen. Überhaupt möchte Gamzu mehr Kompetenzen an die Armee übertreten, von der ohnehin jeder Israeli glaubt, dass sie kompetenter ist als das Gesundheitsministerium.
Die Armee soll auch sicher stellen, dass die Kontaktnachverfolgung besser funktioniert, eine Datengrundlage für Entscheidungen geschaffen wird und – am Wichtigsten – alle Restriktionen nachvollziehbar werden. Restriktionen, deren Logik nicht nachvollziehbar ist, soll es nicht mehr geben. Die Hoffnung: Die Israelis werden wieder mittun.

In den letzten Tagen wurde aber deutlich, dass die Seuchenprävention wohl auch weiter mit anderen Interessen abgeglichen werden wird. So wurde Tausenden Religionsschuelern aus den Krisenherden der USA die Einreise genehmigt und die Pilgerreise nach Uman zum juedischen Neujahrsfest scheint ueber die Buehne zu gehen.

Die Geduld in weiten Teilen der Bevölkerung ist überstrapaziert. Und Ende August verzeichnet Israel wieder mehr als 2000 Neuinfektionen/Tag.

Im Heim werden wir Angestellten jetzt wöchentlich getestet. Die Vorträge gibt es doppelt, damit die Anzahl der ZuhörerInnen halbiert werden kann und zu Mittag wird auch weiter in zwei Schichten gegessen.

Nach wie vor erinnert jeder Bewohner und jede Bewohnerin, die vom Roten Davidstern in voller Schutzmontur abgeholt wird, sobald erhöhte Temperatur festgestellt wird, daran, dass nix normal ist an dieser neuen Normalität. Und mit dem Schulbeginn und den anstehenden Hohen Feiertagen sieht sich Israel mit neuen Herausforderungen konfrontiert.

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