„Teilhabeausweis“ ist Augenwischerei

Teilhabeausweis
Bald ein „Teilhabeausweis“? Ceci n’est pas une pipe.

Die FDP will den Schwerbehinderten-Ausweis in „Teilhabeausweis“ umbenennen, die AfD sorgt sich in bester rassehygienischer Tradition um die deutsche Volksgesundheit, doch über das von Andrea Nahles in den Sand gesetzte Bundesteilhabegesetz und die materielle und soziale Situation von Behinderten will niemand reden. Dabei wäre es bitter nötig.

Letzten Herbst wünschte sich die damals 14-jährige Hannah Kiesbye aus Schleswig-Holstein in einem Text im Magazin „KIDS aktuell“, dass ihr Schwerbehinderten-Ausweis in „Schwer in Ordnung Ausweis“ umbenannt wird, da sie findet, dass „Schwerbehinderten-Ausweis“ nicht der richtige Name für ihren Ausweis sei. Was als verständlicher und berechtigter Wunsch einer jungen Behinderten nach Anerkennung und Wertschätzung begann, entwickelte sich für einen Großteil der deutschen Politik offensichtlich zu einer veritablen gesellschaftspolitischen Geheimwaffe. Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Hamburg und Niedersachsen stellen inzwischen Ausweishüllen mit dem Aufdruck „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“ zur Verfügung. Umbenennen konnten die Bundesländer den Ausweis nicht, da die Entscheidung darüber beim Bund liegt. Die FDP will da Abhilfe schaffen und beantragt nun im Bundestag die Umbenennung des Schwerbehinderten-Ausweises in „Teilhabeausweis“.

Das Problem bei der Sache ist, dass Behinderte in Deutschland nicht diskriminiert und systematisch ausgegrenzt werden, weil der Schwerbehindertenausweis heißt wie er heißt und sich durch eine Umbenennung die Lebensumstände keines einzigen Behinderten verbessern. Aber das stellt ja gerade den Reiz dieser ebenso kostengünstigen wie wirkungslosen Maßnahme dar: wenn es einen nichts kostet, ist es auch billig großzügig zu sein. Es ist mir völlig egal, welchen Namen mein Schwerbehinderten-Ausweis trägt, wenn sich an meiner materiellen und sozialen Situation als Behinderter nichts ändert.

Teilhabeausweis: Sprachmagie statt substantielle Verbesserungen

Doch nach der Linken scheint nun auch die bürgerliche Mehrheit der Gesellschaft den Reiz von Sprachmagie und Identitätspolitik entdeckt zu haben und selbst die erzkapitalistische FDP kommt im postmaterialistischen Zeitalter an. Googlet man nach „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“ kommt man auf immerhin 243.000 Treffer. Googlet man hingegen nach „Bundesteilhabegesetz“ kommt man lediglich auf 84.600 Treffer. Über den Namen des Ausweises wird also gut dreimal so viel gesprochen wie über das Bundesteilhabegesetz, obwohl dieses erhebliche Mängel und eine erheblich größere Wirkung auf das Leben vieler Behinderter hat.

Petra Wontorra, die Behindertenbeauftragte des Landes Niedersachsen begründet die Ausgabe von „Schwer-in-Ordnung“-Hüllen in Niedersachsen damit, dass viele Menschen weinen würden, wenn sie den Ausweis in der Post hätten. Woher sie das wissen will sei mal dahingestellt, aber ob jemand wegen des Namens des Ausweises weint, ist doch zumindest fraglich. Ist der Grund für die Tränen nicht vielleicht eher das Gefühl der Erniedrigung, als etwas ausgewiesen zu sein, das unsere Gesellschaft immer noch für irgendwie minderwertig hält? Ändert sich durch die Benennung des Ausweises etwas daran, wie unsere Gesellschaft über Behinderung und Behinderte denkt?

AfD sorgt sich um Gesundheit des Volkskörpers

Der Bundestagsabgeordnete Jens Beeck (FDP) bringt den Antrag seiner Fraktion zur Umbenennung des Ausweises in Verbindung mit einer Anfrage der AfD an die Bundesregierung, in der die AfD wissen wollte, ob durch Inzucht betreibende muslimische Einwanderer die Zahl an Behinderten in Deutschland gestiegen sei. Er wirft der AfD vor, „nicht eine ernstzunehmende Idee“ in der Sozialpolitik präsentiert zu haben. Wohlgemerkt sagt das der Mann, dessen ernstzunehmende Idee für die Verbesserung der Situation von Behinderten die Umbenennung ihres Ausweises ist.

Nichts desto weniger ist natürlich die Anfrage der AfD Ausweis einer Ideologie, die Behinderte in erster Linie als Bevölkerungsgruppe betrachtet, deren Zahl zu verringern ist. Diese Ideologie nennt sich „Eugenik“, oder auf gut deutsch „Rassenhygiene“. Wie man das Ziel der Verringerung der Anzahl an Behinderten erreicht, mag man heutzutage andere Pläne haben als vor 80 Jahren, doch die Eugenik bleibt eine menschenverachtende Idee. Einer AfD-Abgeordneten war das immerhin so peinlich, dass sie im Nachhinein noch ihren „versehentlich“ auf die Anfrage geratenen Namen streichen ließ. Die Initiatorin der Anfrage, die AfD-Politikerin Nicole Höchst versuchte Kritik abzuwehren indem sie darauf hinwies, dass ihr Sohn behindert sei.

Nun soll also mein Schwerbehinderten-Ausweis in „Teilhabeausweis“ umbenannt werden. Für mich ändert sich dadurch rein gar nichts. Deutschland bleibt ein Land, in dem ein Gericht feststellte: „Die sichtbare Anwesenheit von Behinderten am Urlaubsort schmälert den Erholungswert des Urlaubs“. Der Ausweis hat also vielleicht bald einen neuen Namen. Mehr darf man von Deutschland vermutlich auch nicht erwarten.

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[…] griff die FDP mit ihrer Forderung den Behindertenausweis in Teilhabeausweis umzubennen, daneben (wir berichteten). Nun hat sie sich beim Thema Behinerung erneut in die Nesseln gesetzt. Seit kurzem kursiert in […]

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[…] interessant. Persönlich stehe ich klassischen Sichtbarkeits- und Repräsentanz-Maßnahmen mit gemischten Gefühlen gegenüber. Natürlich ist es ganz nett, wenn eine Puppe in der Sesamstraße im Rollstuhl sitzt – aber davon […]

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