
Ein islamistischer Thinktank, den Muslimbrüdern zugerechnet, hat eine „Fatwa“ erlassen, die zum Terror gegen Israel verpflichten will, zum „Dschihad“. Und die dann das BDS-Programm abspult. Wer wird hier mit wem vermählt?
„I am informing all brave Muslims of the world that the author of The Satanic Verses, a text written, edited, and published against Islam, the Prophet of Islam, and the Qur’an, along with all the editors and publishers aware of its contents, are condemned to death.“ Dies O-Ton der Fatwa, die Ayatollah Khomeini, Führer der Islamischen Republik Iran, am 14. Februar 1989 gegen Salman Rushdie erlassen hat: „I call on all valiant Muslims wherever they may be in the world to kill them without delay“ – ihn unverzüglich zu ermorden – , „so that no one will dare insult the sacred beliefs of Muslims henceforth“, auf dass niemand mehr wagt, den heiligen Glauben der Muslime zu beleidigen. „And whoever is killed in this cause will be a martyr, Allah willing.“
Die Order ist eindeutig, 32 Jahre und sechs Monate später hat Salman Rushdie – einer seiner Übersetzer war ermordet, zwei andere schwer verletzt worden, er selber hat jahrelang im Verborgenen gelebt – Khomeinis Fatwa beinahe mit dem Leben bezahlt, jetzt drohen seinem Killer, dem libanesisch-stämmigen US-Bürger Hadi Matar, 32 Jahre Haft. Während die Fatwa gegen den britisch-pakistanischen Schriftsteller – der sehr beharrlich mit keinem Nobelpreis geehrt worden ist bis heute – weiterhin „rechtsgültig“ sei, wie die iranischen Machtinstanzen mehrfach betont haben, eine Fatwa könne nur zurückgenommen werden von dem, der sie erlassen habe, Khomeini sei tot, Rushdie nicht.
Entschieden vage dagegen und durchaus verblümt, was die Internationale Union Muslimischer Gelehrter (IUMS) zum Zuckerfest, dem Ende des Fastenmonats Ramadan, als theopolitisches Rechtsgutachten – Fatwa – herausgegeben hat. Ihre Autorität gründet die IUMS – 2004 in London gegründet, längst ansässig in Katar – auf die Auskunft, sie spreche im Namen von 95 000 muslimischen Gelehrten und 67 islamischen Organisationen sowie im Geist von 7 der 8 islamischen Rechtsschulen, sunnitischen sowohl wie schiitischen. Ob solche Zahlen belastbar sind, steht dahin, die IUMS gilt, so etwa die Islam-Expertin Sigrid Herrmann, als „oberste Autorität der Muslimbruderschaft“, jenem Ideen-Pool des Terrors, dem auch Hamas entstiegen ist. In NRW rechnen die Verfassungsschutzbehörden 150 Personen – „oftmals aus dem gehobenen bürgerlichen Spektrum“ und mit je „erheblichem Einfluss innerhalb der hiesigen muslimischen Gemeinschaft“ – unmittelbar der Muslimbruderschaft (MB) zu, weitere 230 der Hamas. Ende der 70er Jahre habe die MB auf die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele „grundsätzlich verzichtet“, so das NRW-Innenministerium, für den Terror gegen Israel „gilt dieser Gewaltverzicht nicht“.
Was also bedeutet es, wenn die IUMS – dies der erste, der eigentliche Erlass der Fatwa, der dann in 14 weiteren Punkten entfaltet wird (hier im Original nachzulesen) – erklärt, es sei „für alle Muslime und muslimischen Nationen verpflichtend, den Dschihad gegen das zionistische Gebilde und alle, die im besetzten Land mit ihm kollaborieren (…) zu führen“?
„Verpflichtung zum Dschihad gegen das zionistische Gebilde“
Vorab verwischt die IUMS damit die entscheidende Grenze, an der sie bisher, ihrem legalistischen Anschein genügend, gesiedelt hat: die Grenze zwischen einem bewaffneten Dschihad – dem sog. „kleinen“ – und einem gewaltfreien, dem sog. „großen Dschihad“. Im einen Fall geht es um Kriegs-, im anderen um Lebensführung: hier Landesgrenzen, dort die islamische Weltweite, hier Regierungen, dort die Einzelnen, hier militärische Logik, dort der Gewaltverzicht. Was soll tun, wer sich weit weg von Gaza angesprochen fühlt? Muslimische Nationen hätten die „verbindliche Pflicht“, Hamas hochzurüsten und selber militärisch zu „intervenieren“, verordnen die IUMS-Gelehrten, und dann geht es bruchlos weiter: „Der Dschihad gegen die Besatzung ist eine individuelle Verpflichtung (fard ‚ayn) für jeden Muslim, der dazu imstande ist.“
Halten wir fest: Die Fatwa verpflichtet keineswegs auf einen „armed jihad“ gegen Israel, wie es bei Memri, dem Middle East Media Research Institute und zT auch bei der Deutsch-israelischen Gesellschaft zusammenfassend heißt, sondern hier wird, wer sich gemeint glaubt, im Unklaren gelassen: ob er zum bewaffneten Terror verpflichtet werde, ob zur gewaltaffinen Terror-Unterstützung oder zum gewaltfreien, dem „großen“ Dschihad (der allemal als verpflichtend gilt). Diese Mehrdeutigkeit dauert den gesamten Text hindurch an wie im Hütchenspiel, eindeutig nur die Frontlinie, die gezogen wird: auf der einen Seite Israel „und alle Kollaborateure“ – alle „Ungläubigen“, die „Juden und Christen“, alle seien sie „Verbündete untereinander“ – , ihnen gegenüber die „Einheit der Muslime“ und alle, „die die Menschen in Gaza unterstützen“.
Eine Frontlinie, quer durch die Weltweite gezogen. In diesem entgrenzten Dschihad seien – die IUMS hat solche Signalworte über den Text verteilt – „alle Anstrengungen“ gefordert „in irgendeiner Form“ und „mit allen verfügbaren Mitteln“, während ein Signalwort wie friedlich oder gewaltfrei fehlt. Anders noch als in früheren Aufrufen, in denen die IUMS – so etwa am 18. Oktober 2023, elf Tage nach den Hamas-Massakern an Israelis – auch „friedliche Demonstrationen und Sitzstreiks“ gefordert hat und „juristische Expertise“, werden gewaltfreie Handlungsoptionen jetzt beschwiegen. Was die IUMS auf diese Weise erschließt: einen assoziativen Raum, offen in alle Richtungen und abgegrenzt allein zu denen, die als „ungläubig“ markiert sind in ihm. Selbst „die Gelehrten“ – dies die Fatwa der IUMS an die Universitäten der freien Welt – seien fortan verpflichtet, „mit allen verfügbaren Mitteln zum Dschihad gegen den Besatzungsfeind aufzurufen“.

Mit allen möglichen Mitteln, es hat etwas von Sportpalast. Zwei Tage, nachdem die Fatwa der IUMS veröffentlicht wurde, hat die Diyanet – das türkische Amt für religiöse Angelegenheiten, Erdogan direkt unterstellt – eine Predigt herausgegeben, die in ihren mehr als 80 000 Moscheen in und außerhalb der Türkei – die der deutschen DiTiB offiziell ausgenommen – zum Ende des Ramadan gehalten wurde. Die Predigt ist freundlich, es geht um „Freude und Brüderlichkeit“, um „Toleranz und Solidarität“ und unvermittelt um die „tyrannischen Zionisten“ und „unsere Brüder und Schwestern in Gaza“, dann die Paränese, die Nutzanwendung: „Unsere Aufgabe ist es, sie (die Brüder und Schwestern in Gaza) weiterhin mit allen möglichen Mitteln – sowohl materiell als auch geistig – zu unterstützen.“
Kein Terroraufruf, den Diyanet erlassen hätte, aber auch hier ein Assoziationsraum, den sie erschließt und mit der nächsten Predigtvorgabe – wie gesagt, für deutsche Moscheen gibt es eine jeweils entpolitisierte Variante – in einen globalen Religionskrieg ausdehnt: „Wie Raubtiere über ihre Beute herfallen, fallen heute unsere Feinde über die islamischen Länder her“, lautet der vorgegebene Text, die Feinde versuchten allezeit, „Muslime gegeneinander aufzuhetzen und gegeneinander auszuspielen“ – und gleich wieder der Schwenk auf Gaza, die Assoziationen gewinnen Kontur, Hamas reiht sich der Umma ein. Und nun? Was soll tun, der dies hört? Diyanet bleibt vage, man möge sich „gegen diese Mörderbande und ihre Komplizen stellen und eine würdige Haltung zeigen“, heißt es. Was wiederum heißt: alle Optionen offen, Diyanet schließt keine aus.
Umso auffälliger das Programm, das die IUMS hineinschiebt in diesen assoziativen Freiraum. Von 14 Punkten, die erläutern, was „Verpflichtung zum Dschihad“ bedeute, lassen sich vier beiseite nehmen – ein „Appell an die US-Regierung“ ist ein Appell, eine „Danksagung“ eine Danksagung, „Bittgebete“ und die Forderung nach „lebenswichtiger Hilfe“ sind legitim – und von den zehn verbleibenden Punkten sind zwei exklusiv an „muslimische und arabische Staaten“ gerichtet („Aufruf zu einem vereinten Militärbündnis“ und „Überprüfung von Verträgen“ mit Israel).
Bleiben acht, es sind die eigentlichen Fatwa-Erlasse, die ein frommes Bewusstsein addressieren, indem sie das BDS-Programm rauf und runter spulen, es geht um:
- „Verbot der Normalisierung“, dies die Kern-Forderung von BDS
- „Vollständige Blockade“
- „Boykott des Besatzungsgebiets und seiner Verbündeten“, und zwar „wirtschaftlich, kulturell und wissenschaftlich
- „Verbot der Rohstoffversorgung“
- „Boykott unterstützender Unternehmen“
- „Finanziellen Dschihad“
- und nicht zuletzt um die „Gelehrten“, die „zum Dschihad aufrufen“ sollen.
Der Adressat dieses Katalogs? „Alle Muslime“ und ihre „rechtschaffenden Verbündeten“, sie werden gleich im Prolog der Fatwa unter göttlichen Schutz gestellt. Diese Fatwa richtet sich betont an sie, die BDS-affine Szene weltweit, die „rechtschaffend“ verbündet sei, es ist deren antisemitisches Programm, das hier abgesegnet wird. Keine Verpflichtung auf einen armed jihad, aber dessen Sanktion. Weit über die frommen Szenen hinaus, die sich im Einflussbereich der Muslimbrüder gebildet haben.
Wenn diese Lesart stimmt, verschärft sich die Bedrohung für die innere Sicherheit auch in Deutschland, davor hat die Deutsch-israelische Gesellschaft (DiG) bereits eindringlich gewarnt: Die Lehrautorität der IUMS reiche allein in diesem Land in weit über 1000 Moscheen hinein und sei eng mit Diyanet verbunden, so Volker Beck, Präsident der DiG. Dass es nun aber auch im BDS-Milieu attraktiv werden könnte, als „Mudschahid“ weggesegnet zu werden, als frommer „Kämpfer“, derart krauses Zeugs ist vorstellbar, seit man Baader und Meinhof – er cool, sie intelligent – in palästinensischen Trainingscamps durch Dreck robben sah.