The Cure XIII – The Cure (S/T)

Ich begann diese Reihe unter der etwas mutigen Prämisse, dass jedes Cure-Album gut ist. Und mit der nagenden Frage, ob ich diese These auch beim selbstbetitelten The Cure aufrechterhalten könnte. Bei allen anderen Alben wusste ich schon ungefähr, was ich schreiben würde. Ja, manche hatte ich seit einer zweistelligen Zahl von Jahren nicht mehr gehört und musste mir manche Songs erst wieder in Erinnerung rufen oder noch mal überprüfen, ob mein Eindruck mit zeitlichem Abstand geblieben ist, aber ich wusste sehr genau, was mich erwartet. Die The Cure hingegen hatte ich wirklich nicht mehr im Ohr und keinen greifbaren Charakter vor Auge. Diese Platte hatte damals offenbar nicht richtig gezündet. Ich erinnerte mich, dass ich sie anfangs gut fand und ich erinnerte mich, dass ich irgendwann im Laufe der Jahre mal dachte: Die ist wirklich nur mittelmäßig. Und dann las ich unlängst, das Robert Smith selbst sie als sein schlechtestes Album bezeichnet hätte.

Ich hörte diese Platte also mit etwas Sorge für dieses Review erneut. Natürlich mehrmals, direkt hintereinander und mit Abstand abermals und noch mal, ich nehme diesen Job hier ernst, meine Herrschaften. Und sehe meine These bestätigt. Es gibt vielleicht Probleme zu besprechen, aber auch The Cure ist sehr, sehr gut und rückblickend vielleicht sogar wegweisend. Wir müssen, um das zu behaupten, ein wenig vorgreifen und dann sogar in die Zukunft blicken*. Denn es ist schon einigermaßen absehbar, wie Songs Of A Lost World am 1. November klingen wird. Es gibt ja, neben Artwork und Marketing, bereits zwei Single-Auskopplungen und die sind langsam und traurig und düster. Das klingt sehr nach Bloodflowers-Material und es würde überraschen, wenn nach den düsteren Auskopplungen der Rest der Platte poppige Singlekandidaten wären.
Wir wissen aber noch etwas: Der Sound dieser Singles ist nämlich roh und spröde. So sehr, dass ein Freund sagte, das klinge, als wäre es noch nicht fertig gemischt und so sehr, dass ich sagte, dass das für mich eigentlich Raw-Blackmetal ist (was natürlich übertrieben war, aber die Richtung stimmt: hallig und verzerrt und atmosphärisch und kaputt). Sogar das schwarz-weiße Cover hat etwas Blackmetaliges.
Das war der Blick in die Zukunft. Der Vorgriff, ganz knapp: Auch die 4:13 Dream hat einen indiemäßigen, rockigen DIY-Sound, dazu nächstes Mal mehr.

Und im Wissen, dass The Cure sich offenbar zu einem aggressiveren, alternativeren, krachigeren Sound entwickeln, ist The Cure geradezu wegweisend. Nicht nur der erste Song, Lost – aber besonders er – ist von spektakulärer Brachialität, anscheinend sogar mit bewusst leicht verstimmten Instrumenten gespielt. Der Song hat keine greifbare Struktur, aber eine umso deutlichere Dynamik, immer verzweifelter und lauter und auswegloser. Smith singt, schreit immer wieder „I can’t find myself“, wie jemand, der in einem chaotischen Labyrinth gefangen ist. Und Labyrinth heißt dann auch gleich der zweite Song auf dem Album.
Überhaupt schreit Robert Smith auf dieser Platte mehr als auf jeder anderen. Er ist wirklich angepisst. So sehr, dass es sogar einen explizit politischen Song gibt, Us Or Them, in dem er ideologischen und religiösen Hetzern deutlich sagt, was er von ihnen hält. Das ist wirklich wütend. Und Never mit seinem verwirrenden Beat, dem hochgedrehten Distortion-Pedal und seinen repetitiven Elementen könnte auch gut von einer Noiserock-Band gecovert werden.

Es gibt, wie sich das gehört, die ganze Bandbreite von Songs auf diesem Album, langsame Popsongs, schnellere Popsongs, Pendants zu High oder Lovesong – Lieder, die zwischen Eingängigkeit und Melancholie changieren und die, wenn man sie oft genug gehört hat, auch auf der Wish gewesen sein könnten. Man kennt sie halt nur nicht so gut wie die Whish. Ich sage hier man, weil ich unterstelle, dass eine Vielzahl der Cure-Fans in einem ähnlichen Alter ist wie der Rezensent und The Cure in einer anderen Lebensphase kennengelernt hat, in der man Alben generell nicht mehr so gründlich hört.

Dabei lohnt es sich in allen Richtungen. Anniversary ist hypnotisch, alt.end ist cool und groovend wie Club America oder Gone (was nicht gegen The Cure sondern für Wild Mood Swings spricht – das ist eben kein zielloses Herumexperimentieren, wie Kritiker behaupteten, sondern eine konsistente stilistische Entscheidung). Mindestens einige der erwähnten Popsongs wie Taking Off oder Before Three dürften jeden Freund der poppigen Cure-Seite zufriedenstellen. Ob das auch für (I Don’t Know Whats Going) On gilt, ist hingegen fraglich. Dieser Song ist der Tiefpunkt des Albums, einfallslos, uninspiriert, als hätte das Management der Band darauf bestanden, noch irgendetwas in Richtung Friday I’m In Love hinzuzufügen und Robert Smith hätte gesagt: „Leckt mich am Arsch, hier habt ihr es, hat fünf Minuten gedauert.“ Ich glaube, dass der Song alleine für meinen zeitweilig schlechten Eindruck des Albums verantwortlich war.

Es wird dann nämlich zum Ende hin wieder ganz stark, The Promise entwickelt sich langsam und tektonisch über zehn Minuten als wäre er von der Bloodflowers, noch ein Element, das wir jetzt als etabliert bezeichnen können und das uns zeigt, dass sich diese Band tatsächlich auch im damals 25. Jahr noch entwickelt. Kritiker haben sich darüber lustig gemacht, dass The Cure auf The Cure sich jetzt an Indierock versuchen würden. Da zeigt sich ein Phänomen, das fast schon lustig ist. Denn es sind ja im Allgemeinen die Kritiker, die sich die Genrebezeichnungen erst ausdenken und die sich dann beschweren, wenn Bands sich nicht an diese von ihnen erdachten Grenzen halten. The Cure haben sich aber nie an Grenzen gehalten. Und wenn überhaupt, sind sie originär eine Postpunk-Band. Die Entscheidung für den Produzenten Ross Robinson, der sonst in erster Linie New Metal und Postcore produziert hat, dürfte kein Zufall gewesen sein. Wie eingangs erwähnt, entwickeln sich The Cure zurück zu einem punkigeren, roheren Sound, ruhen sich eben nicht auf einem festgeschriebenen Konzept aus. Täten sie es, würden die Kritiker genau das bemängeln.
The Cure klingt nicht nach frühen Cure, es klingt auch nicht nach Disintegration-Cure, sondern es klingt wie eine Mischung aus Wild Mood Swings, Bloodflowers und 4:13 Dream. Das erkennt aber nur, wer die Band als lebendig betrachtet und an ihren (in den Nullerjahren) gegenwärtigen Werken misst, statt sie auf die eigene Vergangenheit festzunageln.

Von diesen genannten Bezugspunkten ist die The Cure die wütendste, punkigste, angepissteste. Dazu passt auch das krakelige Cover (das übrigens tatsächlich von Smiths Nichten und Neffen gemalt wurde) und dazu passt dann irgendwie auch die LMAA-Haltung von On. Vielleicht mag Robert Smith die Platte selbst nicht so, weil sie ihn an seine damals offenbar eher schlechte Laune erinnert. Vielleicht hat er sie auch selber lange nicht gehört. Sie sollten es jedenfalls tun.

*Die Fertigstellung dieses Textes hat sich um ein paar Tage verzögert. Da ich Songs Of A Lost World noch nicht besprochen habe und den chronologischen Charakter dieser Reihe nicht stören will, tue ich einfach so, als wäre noch Oktober.

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