The Cure XIV – 4:13 Dream

Es liegen jetzt Rankings aller Cure-Alben im Trend. Rolling Stone hat eines, das Far Out Magazine und weitere, und überall liegt das großartige 4:13 Dream auf dem letzten oder vorletzten Platz. Die sind so dumm!, schreie ich da laut. Ich räume ein, dass ich so auch bei jedem anderen der besprochenen Alben reagieren würde, das den letzten Platz bekommt. Ein Ranking muss naturgemäß die Behauptung aufstellen, eines der Werke wäre besonders schlecht, während ich hier ja den Beweis führen will, dass jedes gut ist.

Von 4:13 Dream war ich sofort begeistert: Es brauchte keine lange Kennenlernzeit. Und bin es bis heute: Es hat sich nicht abgenutzt. Diese Platte setzt die indierockige Entwicklung fort. Es gibt keinen Keyboarder mehr, zum ersten Mal seit dem Debut. Da, wo wir synthetische Klangflächen hören, kommen sie durch Effekte auf Smith’s Stimme zustande. Die ganze Produktion hat einen bodenständigen DIY-Charme, der sich eher an Steve Albini orientiert als an Hochglanzstudios. Und passend dazu gibt es viel lässige Musik, Upbeat, etwas nölig vorgetragen und ganz oft auf der Grenze zum Sprechgesang, eher skandierend als intoniert. Smith deutet die Melodien nur an, es ist mehr ein atemloses Erzählen als ein artiges Vortragen einer vorab komponierten Tonfolge. Das alles ist, ich will es noch mal betonen, kein Versehen, ich habe schon bei der Wild Mood Swings die Breeders erwähnt. Die Journalisten, die all die neuen Alben auf die hinteren Plätze ihrer Rankings verweisen, möchten eine alte Band hören, die es im letzten Jahrtausend gab. Die Cure dieses Milleniums haben aber ihren eigenen Sound und der ist stellenweise rotzig und roh.

Das angebliche Fehlen der Melodien haben die Kritiker ja auch schon auf der The Cure bemängelt. Dabei sind sie da, sie werden eben nur nicht immer glockenklar produziert und für den Hörer zweifelsfrei ausbuchstabiert, sondern beiläufig skizziert. Die Songs sind fast durchgehend Ohrwürmer, auch wenn sie sich entwickeln, auch wenn sie allesamt nicht ohne Reibung, überraschende Harmonien oder kalkulierte, indiemäßige Nachlässigkeit sind. Freakshow ist dabei tanzbarer, The Only One oder The Perfect Boy verträumter, The Real Snow White oder This. Here And Now. With You sind rockiger und cooler, in Tradition von The Club America oder alt.end. Der wunderschönste Song seit Strange Attraction ist The Hungry Ghost, komischerweise keine Single, obwohl Material für die Ewigkeit, auf Augenhöhe mit Just Like Heaven und ähnlichen zeitlosen Klassikern.

Erwähnenswert ist Sleep When I’m Dead, das – obwohl wir diesmal keine Keyboards haben – ausgerechnet an die Synthpophymne The Walk erinnert. Es hat einen ungewöhlichen Gothicvibe, der Refrain klingt nicht wie eine typische The-Cure-Melodie. Sleep When I’m Dead fällt auf. Noch mal zurückblickend auf die letzte Folge muss ich Folgendes einräumen: Derart instant im Ohr bleibende Überhits wie hier sind auf der The Cure (s/t) wirklich nicht vertreten. Das Vorgängeralbum besticht durch seine ungewöhnliche Härte, die Konsequenz, mit der es sich vom erwarteten Wohlklang löst, aber nicht durch die größten Popsingles der Bandgeschichte.

4:13 Dream wäre kein Cure-Album, wenn wir mit den genannten Songs schon alles beschrieben hätten. Scream ist ein emotionaler Ritt, den wirklich nur innerlich tote Hörer ohne Gänsehaut durchlaufen können. Er könnte eigentlich das Album ausläuten, aber es folgt das treibende, wenig greifbare It’s Over, das – entgegen seinem Titel – eher Aufbruchstimmung vermittelt und einen auf der Stuhlkante sitzend zurücklässt, halb auf dem Sprung zu irgendetwas. Ironisch, das es nach diesem offenen Ende sechzehn Jahre nicht weiterging.

Wir springen daher noch mal an den Anfang des Albums. Der Opener Underneath The Stars ist wegweisend oder sagen wir: beschreitet den Weg weiter, der, wie mir selbst erst durch diese Review-Serie wirklich klar geworden ist, durch die Bloodflowers geebnet wurde. Ein Song, der sich entwickelt, mäandert, der sich der klaren Form entzieht, keiner offenkundigen Logik folgt. Es gab auch schon vor der Bloodflowers lange Stücke, die sich aufbauten, Zeit ließen, beginnend vielleicht mit Push. Auch The Kiss entwickelt sich, aber im Sinne einer stetigen Steigerung, die großartig ist, aber gewissermaßen vorhersehbar. Und die Songs auf der Disintegration sind freilich lang, aber in sich sehr kohärent. Bis zur Bloodflowers hatten wir es (bei den langen Stücken) mit Musik zu tun, die entweder eine ansteigende Spannung durchlief oder eine zyklische, repetitive Struktur hatte, hypnotisch und einlullend.
Natürlich wiederholen sich auch auf Bloodflowers oder Underneath The Stars Elemente, die man als Thema, Refrain oder Strophe kategorisieren kann, aber diese Songs haben eine viel losere Struktur, enthalten plötzliche Abfälle in der Spannung und Dichte oder harmonische Ausflüge, die man nicht erwartet, ein Anschwellen und Abschwellen, das keine leichte Orientierung bietet. Sie schweben gewissermaßen, nebulös und dennoch schwergewichtig. Und das ist eine Kunst, die wahrscheinlich erst ein reiferer Songschreiber beherrscht, nachdem er die greifbareren Formen bereits gemeistert hat. In der nächsten und letzten Folge werden wir davon noch mehr hören.

 

Hier gibt es die bisherigen Teile:

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