Theater Oberhausen: Das Käthchen von Heilbronn

Foto: Laura Nickel
Foto: Laura Nickel

Vor Beginn der Premiere tritt Dramaturg Rüdiger Bering vor den Vorhang. Er erklärt die Funktion der Nachtsichtgeräte, die jeder Zuschauer am Eingang erhalten hat. Die erste Szene von Kleists „Käthchen von Heilbronn“ spiele in einer Höhle und in Höhlen sei es nun mal dunkel, sagt Bering, deshalb sei es auf der Bühne in dieser Szene auch dunkel. Nun ja, ob Heinrich von Kleist sich wirklich vorgestellt hat, dass das Femegericht tatsächlich in völliger Dunkelheit abgehalten wird, bleibt dahingestellt. Ein spannendes Experiment ist es allemal. Und dann ergibt sich eine weitere Assoziation, denn Regisseur Bram Jansen stellt seiner Inszenierung ein Zitat Kleist voran: „Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün – und nie würden sie entscheiden können, ob ihre Auge ihnen die Dinge zeigt, wie sie sind, oder ob es nicht etwas hinzutut, was nicht ihnen, sondern dem Auge gehört. So ist es mit dem Verstande. Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint.“ Aha, ein Erkenntnisphilosophischer Ansatz schlummert also in dem Blick durch das Nachtsichtgeräte. Oder doch nur ein Effekt? Nun ja, hat man einmal sein Gerät scharf gestellt und sich an den einäugigen Blick (für Brillenträger wenig komfortabel) gewöhnt, sieht man eine recht konventionell auf die Bühne gestellte Gerichtsszene in schwarzweiß. Und weil der Arm irgendwann lahm wird, macht man am besten das Gerät einfach aus und hört dem Kleistschen Text zu.

Das „Käthchen von Heilbronn“ ist ein Bastard. Und seit Jahren darf man sich darüber wundern, warum so viele Regisseure sich daran abarbeiten. Kleist schrieb das Ritterspektakel, um dem Zeitgeschmack zu entsprechen und endlich einmal Geld zu verdienen. Von abbrennender Burg, über politische Ränke, die hexenhafte Kunigunde bis zu Engelserscheinungen packte er alles hinein, was es für eine ordentliche Mittelalter-Soap braucht. Und dann würzte er es noch mit seiner ureigenen Weltsicht. Zu viel für ein Stück. Natürlich geschieht das alles in Kleists wunderbarer Sprache, aber die Stringenz eines Krugs, Prinzen von Homburg, einer Hermannschlacht oder Penthesilea geht dem Käthchen ab. Und oft genug fällt es schwer, die krude Story ernst zu nehmen, wie man ja auch die beliebige Soap-Folge nicht wirklich ernst nehmen kann. Auch Bram Jansen nimmt nicht alles ernst in diesem Stück und findet tatsächlich ein paar herrliche Witze, die vor allem Eike Weinrich als Gottschalk zum Besten geben darf. Doch wer das Käthchen inszeniert, tut dies sicher nicht, um das Stück zu diskreditieren. Er muss eine Haltung dazu entwickeln und diese auch auf die Bühne bringen. Ein sehr deutliches Statement ist, dass in Oberhausen nicht die große Bühne Ort des Spektakels ist, sondern der intime Malersaal. Es geht also wohl nicht um die große Show, wenn es auch beim Brand der Burg ganz ordentlich qualmt. Stattdessen greift Bram Jansen zu etwas, um das zunächst niemand herum kommt, der sich mit Kleist auseinandersetzt: Dessen Aufsatz über das Marionettentheater. In Oberhausen tragen die Darsteller stocksteife Playmobil-Perücken und starre Schaumstoffkostüme. Soso, es sind also alles nur Puppen, Marionetten, die von Kleist oder dem Schicksal in der Geschichte hin und her geschoben werden. Wer gerade nicht spielt, hängt schlaff und abgeschaltet in einem Gestell. Lediglich das Käthchen von Laura Angelina Palacios darf von Beginn an als richtiger Mensch zwischen diesen Automaten agieren. Schnell legt aber auch Jürgen Sarkiss als Graf Wetter vom Strahl sein Playmobil-Kostüm ab. Ja, die Leidenschaft macht uns halt erst zu richtigen Menschen. Und zum Happy-End zieht Sarkiss sich dann doch wieder die Playmobil-Haube auf: Denn das Happy-End ist halt auch nur dem Zeitgeschmack geschuldet und die Hochzeit mit Käthchen gar nicht das Fest der Leidenschaft.

In 1 3/4 Stunden Aufführungszeit schnurrt die Geschichte recht rasant ab. In Teilen wohl etwas zu rasant. Da ist nicht wirklich nachvollziehbar mit welcher Ausdauer das Käthchen ihren Grafen stalkt, da kommt die legendäre Kunigunde-Szene, in der sie im Bade ihre künstliche Schönheit ablegt, arg kurz, weil vorher nie ihre Reize thematisiert wurden. Da sitzt der Brand der Burg merkwürdig in der Mitte des Stückes und alles was danach kommt, wirkt etwas zäh. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass das starre Konzept der Inszenierung eben auch über die gesamte Spielzeit nicht trägt. Ein Makel, den weder Palacios und Sarkiss ausgleichen können, noch das komödiantische Talent von Weinreich, Torsten Bauer oder Hartmut Stanke. Angela Falkenhahn hat insgesamt die geringste Gelegenheit, ihr Können als Kunigunde in diesem Setting zu entfalten. Und irgendwann hat man nur noch Mitleid mit Peter Waros, der wenig zu spielen hat und dafür um so länger in seiner Halterung hängen muss. Insgesamt zeigt diese Inszenierung, dass der nach seiner „Anatol“-Version bereits gefeierte Bram Jansen doch noch ein sehr junger Regisseur ist, der zwar viel will und nicht vor starken Konzepten zurück schreckt, aber doch auch noch einiges an Handwerkszeug lernen muss, um diesen intellektuellen Konzepten auch szenisches Leben einzuhauchen.

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Lula
Lula
10 Jahre zuvor

Wenn aus Sarkiss im nächsten Satz Sarges wird und Käthchen ein Kätzchen, dann sollten Sie Ihre Kritiken in Zukunft noch einmal überlesen, bevor sie veröffentlicht werden. Ich zweifle sonst an der Glaubwürdigkeit. Inhaltlich stimme ich Ihnen voll und ganz zu.

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