This is not Detroit – Das Ruhrgebiet beschwört seine Zukunft

gemeinschaftsgarten

Das Zukunftsfest in Bochum an diesem Wochenende ist einer der Höhepunkte des Detroit-Projektes. Unter dem Motto „This is not Detroit“ wird eine bessere Zukunft beschworen.

Ende des Jahres wird in Bochum das Opel-Werk endgültig schließen. Von früher einmal über 20.000 Jobs werden am Ende noch gut 3000 übrig sein. Auch wenn der Satz von Herbert Grönemeyer „Bochum ist Opel und Opel ist Bochum!“ Unsinn ist, ist die Schließung des Werkes ein Einschnitt in die Geschichte des gesamten Ruhrgebiets. Die Opel Ansiedlung war, neben  der Gründung der Universitäten und Fachhochschulen, der größte Erfolg den das Ruhrgebiet im Strukturwandel der vergangenen Jahrzehnte erzielte. Und er war nicht der einzige: Zeitweilig gab mit Witten Gladbeck und Kamp-Lintfort es drei Standorte, an denen Siemens Telefone, Handys und andere Telekommunikationsprodukte herstellte. Nokia hatte in Bochum nicht nur ein Werk, sondern auch ein großes Entwicklungszentrum mit über 400 Ingenieuren. All das ist Geschichte und sie wird mit der Schließung des Opel-Werkes enden.

Theo Grütter, der Direktor des Ruhr Museums, zog im Programmbuch daraus einen interessanten Schluss:

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Was Grütter nicht schreibt ist, dass es genau dieser Energiesektor ist, der unter den wirtschaftlichen Auswirkungen der Energiewende am meisten zu leiden hat. Sicher, es hat schon fast etwas ironisches, dass das Ruhrgebiet, durch Subventionen jahrzehntelang gepeppelt, nun selbst der Verlierer der Subventionierung ist – dieses Mal der Erneuerbaren Energien. Aber an der Tatsache ändert das nichts: Es werden wieder tausende Arbeitsplätze abgebaut.

Viele  gute Gelegenheiten also auch für Künstler, sich des Themas anzunehmen. Das haben das Schauspielhaus Bochum und Urbane Künste Ruhr getan und dabei einen selbstbewussten Anspruch formuliert:

DAS DETROIT-PROJEKT will Strategien fördern, die Städte und ihre Einwohner dazu ermutigen, nicht Opfer, sondern Akteure industriellen Wandels zu sein. Partizipation, kreative Synergien, ungewöhnliche Maßnahmen und die Begegnung mit Kunst im öffentlichen Raum stehen im Zentrum des Programms. Künstler, Architekten, Planer und Wissenschaftler aus den beteiligten Opel-Städten hinterfragen Veränderungen und greifen vorhandene Entwicklungen auf.

Viel war dann in dem Programmheft und in den verschiedenen Diskussionsveranstaltungen von der postindustriellen Gegenwart und Zukunft die Rede.

„Europa ist auf dem Weg, postindustrielle, neue  Formen von Arbeit und Produktion zu entwickeln, und die Städte  sind im Wandel. Überall verändern sich alte Strukturen, und noch ist  nicht klar, welche zukünftigen Formen wir brauchen werden.“

Darüber hätte man reden können – und sich vielleicht auch mal fragen, ob denn die These mit der Postindustrie überhaupt so stimmt und wenn, ob es überhaupt wünschenswert ist, in einer postindustriellen Gesellschaft zu leben, was der Preis dafür sein wird und nicht zuletzt, wer, welche gesellschaftlichen Gruppe oder Schicht, ihn wird bezahlen müssen.

Die Antworten fielen oft schlicht aus: von Kreativwirtschaft war die Rede, von  Öko-Projekten. Ideen aus anderen Regionen und Städten wurden übernommen und ein Hipster -Denken beschworen, das, bis auf wenige Hotspots, nicht nur oberflächlich sondern heute schon veraltet anmutet: Das Kunst und Kreativwirtschaft die Lösung der Probleme des Ruhrgebiets sind, wurde schon im Zuge der Kulturhauptstadt 2010 immer wieder behauptet. Es war damals schon falsch und ist seitdem nicht richtiger geworden. Kay Voges hat mit dem Schauspiel Dortmund diese Thesen mit seiner Reihe „Stadt ohne Geld“ genüsslich und klug zerlegt. Wie man vier Jahre später dahinter zurückfallen kann, bleibt  ein Rätsel. Auch Hippe-Accessoires wie die Gemeinschaftsgärten, einer war monatelang als eine Art Installation vor dem Bochumer Theater aufgebaut, haben zwar allemal das Zeug, ökologisch gesonnenen Fraktionen des bürgerlichen Nachwuchses nicht nur die Möglichkeit zu geben unter freiem Himmel Tomaten anzupflanzen, sondern sich irgendwie bedeutend zu fühlen. Aber für die Zukunft der Region werden sie nicht entscheidend sein. Und diese Gärten im Zusammenhang mit Detroit zu nennen ist obendrein auch noch zynisch. In  Katja Kullmanns Buch „Rasende Ruinen“ kann man nachlesen, was Urban-Gardening in Detroit bedeutet: Die Versorgung der Armen mit Gemüse. Mit symbolischer Spielerei hat das dort nichts zu tun. Da ist es ernst.

Und mehr Ernsthaftigkeit hätte auch dem Detroit-Projekt gut getan. So nett es ist, vor dem Bergbaumuseum zu grillen oder auf dem Zukunftsfest an diesem Wochenende ein paar Bands zu hören und Leuten beim Malen zuzuschauen – eine Diskussion über die Zukunft, die relevante Antworten hervorbringt, ja eventuell sogar Ideen, die aus dem Ruhrgebiet heraus über das Ruhrgebiet hinaus wirken, ist das alles nicht.

Natürlich haben sich die Macher große Mühe gegeben – sie haben versucht, ihren Anspruch zu erfüllen, sind aber wie sie oft an der Unsicherheit und Oberflächlichkeit gescheitert, die leider so typisch für das Ruhrgebiet und vieler seiner Protagonisten sind. Anstatt an vorhandene Diskussionen und Debatten anzuknüpfen und eigene Beiträge zu liefern, wiederholt man, was es anderswo schon gab. Das gibt den Handelnden das Gefühl, auf der Höhe der Zeit zu sein. Aber  für eine Region wie das Ruhrgebiet ist das zu wenig. Wenn wir hier ernst genommen werden wollen, müssen wir nicht die Debatten andere Regionen wiederholen, sondern sie aufgreifen und eigene Beiträge erarbeiten, die ihre Glaubwürdigkeit aus unserer Geschichte und der Kenntnis unserer Probleme gewinnen. Wer hinter diesem Anspruch zurück bleibt, kann nicht erwarten, ernst genommen zu werden.

 

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WALTER Stach
WALTER Stach
10 Jahre zuvor

Stefan, ja, wir müssen unsere Probleme mit unseren Ideen, Mitteln und Möglichkeiten zu lösen versuchen.

Aber……
wir müssen, nicht wir können, uns weltweit darüber informieren, wie vergleichbare Probleme jeweils den dortigen Gegebenheiten entsprechend gelöst worden sind und das dann einfließen lassen in unsere Ideen und bezogen auf die „richigen Mittel und Möglichkeiten“, die es im Ruhrgebiet einzusetzen gilt.

Ob das Zukunftsfest in Bochum etwas für Bochum und das gesamte Ruhrgebiet
b e w i r k e n wird?

Ich weiß es nicht.

schwarzbart
10 Jahre zuvor

Natürlich greift so was zu kurz. Und die – fertigen – technischen Entwicklungen der letzten Jahre spielen dabei nicht den Hauch einer Rolle. Ich nenne mal nur die Highlights:

** 3D-Drucker
** Skyfarmen
** autonome Roboter
** autonome Fahrzeuge
** Lieferdrohnen

aber auch spin-offs wie elektrisch gestützte Lastfahrräder im Kurzstreckenbereich usw usf.
Das Ruhrgebiet hat – innerhalb Europas – die Grösse und das Gewicht, ein Pilotprojekt zu sein für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Mit einer Politischen Klasse, deren Kernkompetenz sich in Palastintrigen erschöpft, wird das aber wohl grandios scheitern.

Wolfgang Wendland
10 Jahre zuvor

Na etwas positives hat das Detroit-Projekt schon bewirkt:
Diesen Artikel 🙂 Wegen des Fotos in Kombination mit der Bildunterschrift liege ich wohl noch den ganzen Abend lachend unter dem Schreibtisch.

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
10 Jahre zuvor

Warum wird eine Verbindung zu Detroit geschaffen?
Dass ein „not“ nicht bemerkt wird, sollte doch bekannt sein.

Wir sollten uns fragen, was im Post-Lagerhallen-Zeitalter, in dem es auch nicht mehr notwendig sein wird, die in Asien produzierten Güter durch das Land zu transportieren, noch an Jobs, Ideen etc. benötigt wird.

Einige zukünftigen Entwicklungen wurden unter 2 angesprochen, und die digitale Welt mit ihren Entwicklungen benötigt kreative und intelligente Köpfe, denen die Städte etwas jenseits von guten Sozialleistungen bieten müssen.

Die Dynamik Asiens, der Lifestyle der Westküste ist für viele attraktiver als ein Leben im Ruhrgebiet.

Wir müssen die Köpfe, die wir haben, zur Selbständigkeit und Innovation bewegen.
Die Heterogenität der Bevöklerung kann hier helfen. Nur müssten dafür die Bildungseinrichtungen auf einem höheren Niveau arbeiten, und auch Unternehmertum muss wieder gefördert/angestrebt werden.

Bei vielen Projekt im Kunst-Bereich ist der Nutzen doch sehr fraglich.

JR
JR
10 Jahre zuvor

Die Politik ist am Ende, nun übernimmt die Kultur, mit dem ihr eigenen Instrumentarium. Das Ergebnis ist, bei aller Liebe, ein Sammelsurium von Übersprungshandlungen für einen arg begrenzten Teil der sowieso wenig kulturaffinen Bevölkerung, das im Resultat bestenfalls etwas Balsam für die geschundene Wirtschaftsverliererseele sein kann.
Der Masse der Menschen im Ruhrgebiet muss man bekanntlich mit dem traditionellen Arschleder vor dem Gesicht herumwedeln um sie abzuholen, und das endet dann auch bloß in einer Übung in Rückwärtsgewandheit, sei es die bescheuerte Idee, die ganze Gegend per Weltkulturerbe-Status in ein Geistermuseum zu verwandeln, dem Aufschrei, wenn in Wattenscheid ein überflüssiger Förderturm vergammelt, die Fassade des Ostringgymnasiums unbedingt in den Neubau des Justizzentrums integriert werden muss oder die nutzlose Marienkirche Teil des Bochumer Musikzentrums werden muss, so dass das ganze Ensemble hinterher aussieht wie eine schlechte Kopie des Leninmausoleums mit dem Kreml im Hintergrund.
Überregional tauchen wir gern mal in der Presse auf, wenn jemand einige Jahrzehnte einen Aal in der Badewanne hält oder wie kürzlich in der NY Times, wenn der Nazi-Spuk in Dortmund überhand nimmt.

Wir haben ein Imageproblem, gar keine Frage. Abgesehen davon könnte man aber einfach mal radikal die Gewerbesteuer senken und schauen, ob irgendein Unternehmen sich davon beeindrucken lässt. In Monheim scheint es geklappt zu haben (ja, die Lage lässt sich nicht direkt vergleichen, ich weiß), und auf die paar Millionen Haushaltsdefizit mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an.

schwarzbart
10 Jahre zuvor

Wichtig wäre z.B. – statt Steuergelder in die monströse Vergrösserung von Autobahnparkpätzen zu verschwenden – geeignete grosse Logistikhöfe zu planen und anzulegen. Denn eines kann man als sicher ansehen: Der Autobahnbasierte LKW – Verkehr läuft in spätestens 10 Jahren fahrerlos.

JR
JR
10 Jahre zuvor

@Schwarzbart: Sportlicher Zeitplan. Und was passiert dann auf den Logistikhöfen so? Ein Revival des mittelalterlichen Stapelrechts?

schwarzbart
10 Jahre zuvor

Quasi. Nur diesmal mit Datenverarbeitung…

JR
JR
10 Jahre zuvor

@Schwarzbart: The mind boggles.

Jan
Jan
10 Jahre zuvor

Auch wenn ich den Titel der Aktion „This is not Detroit“ nicht schön finde, finde ich die Aktion doch gelungen. Die Künstler sorgen für Aufmerksamkeit, bieten Platz für Austausch und stellen Öffentlichkeit her. Die Aktionen hätte ruhig provokanter und krasser ausfallen können, aber auf keinen Fall, so wie der Autor des Artikels es fordert, ernsthafter oder realistischer. Es handelt sich ja immer noch um Kunst.

schwarzbart
10 Jahre zuvor
AntiCo
AntiCo
10 Jahre zuvor
Ben
Ben
10 Jahre zuvor

Das Projekt hatte lange meine Sympathie, aber als man dann zum Liegestuhl basteln auf dem FKT-Gelände lud, waren meine Sympathien erloschen. Es ist sinnlos, es bringt niemandem etwas und es gelingt den Beteiligten einfach nicht, die Bochumer wirklich ins Boot zu holen – eben weil die einfach andere Probleme haben als sich am hippen Gemeinschaftsgarten beschallen zu lassen oder Liegestühlen zu basteln. Das Detroit-Projekt ist eine Blase – und die ist mit dem Zukunftsfest nun auch geplatzt.

Arnold Voss
Arnold Voss
10 Jahre zuvor

Kunstprojekte nutzen vor allem den beteiligten Künstlern,Kuratoren und Organisatoren und dagegen ist nichts zu sagen. Durch Kunst wird aber Niemand zum „Akteur des industriellen Wandels“. Wenn überhaupt, versteht er ihn vielleicht besser. Aber auch dazu gibt es klügere Ansätze als das, was üblicherweise bei solchen Projekten in mehr oder weniger schlecht besuchten Veranstaltungen von immer den gleichen Leuten abgesondert wird. Ich kanns einfach nicht mehr hören, weil es weltweit immer die gleichen Floskeln und die gleichen Schlagwörter sind. Vergessen wir es einfach.

teekay
teekay
10 Jahre zuvor

…und 3 oder so postings darunter steht dann, dass der VRR einen Premiumtarif einfuehren will, was wahrscheinlich mehr Schaden anrichtet als eine gut gemeinte Veranstaltung jemals an Nutzen haben kann. ‚NRW fuehrt steuerfinanzierten ‚kostenlosen‘ ÖPNV ein‘-damit kriegst du Aufmerksamkeit, nicht mit dem 97. Urban Gardening Projekt-das kann ich ueberall haben. Wie kann ich Talente im Ruhrgebiet halten, wie kann ich Talente anlocken?!

der, der auszog
der, der auszog
10 Jahre zuvor

Auf die bescheuerte Idee, eine Region, die voll ist mit Schrebergärten und in der sich über Generationen eine außergewöhnlich dichte Kleingartenkultur etalbliert hat, mit „Urban Gardening“ aufzupeppen, muss man erst einmal kommen.

Und wenns heute mit dem Detroit-Projekt nicht klappt, dann warten wir morgen halt auf den Bilbao-Effekt. Hauptsache das Ding klingt nach großer weiter Welt…

TuxDerPinguin
TuxDerPinguin
10 Jahre zuvor

Kultur ist immer gut und erhöht die Attraktivität des Ruhrgebiets (was für mich innerhalb Deutschland eh schon das attraktivste Gebiet zum Leben ist).

Das Projekt hat die letzten Monate die Lebensqualität ein Stück weit erhöht. Dass dabei nichts langfristiges rauskommt… so what. Gibt bisher niemanden, auch nicht die Ruhrbarone, mit Antworten zu den Anforderungen, die im Artikel genannt werden.

Wolfgang Wendland
10 Jahre zuvor

@ TuxDerPinguin
Das für das „Detroit-Projekt“ eingesetzte Geld hätte ausgereicht ein kleines Kulturzentrum in Wattenscheid, wie ich es in einem Bürgerantrag an die Stadt Bochum 2006 beschrieben habe gut 10 Jahre zu betreiben.

Arnold Voss
Arnold Voss
10 Jahre zuvor

@ TuxDerPinguin # 20

Kultur ist nicht immer gut und erhöht auch nicht in jedem Fall die Attraktivität der Gegend in der sie stattfindet. Es wird höchste Zeit, dass das auch das Ruhrgebiet lernt.

JR
JR
10 Jahre zuvor

@Arnold Voss: Natürlich steigert (vielfältige) Kultur grundsätzlich erstmal die Attraktivität einer Region. Allerdings nicht für Controller, die neue Unternehmensstandorte suchen.

schwarzbart
10 Jahre zuvor

@JR : Nicht für diese enthirnten Controller, aber für Personaler, die wissen, daß sie akademisch gebildetes Personal brauchen.

JR
JR
10 Jahre zuvor

@Schwarzbart: So richtig das Argument sein mag, so wenig zählt es. Personaler entscheiden nicht über Firmenstandorte. Zumal es bei den vielen Unis und der Arbeitsmarktlage hier kaum Probleme geben dürfte, Personal zu finden.

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