Türkische Spione: Agenten mit Diplomatenpass

Webseite des türkischen Generalkonsulats in Düsseldorf Bild: Screenshot


Agenten Erdogans bedrohen Oppositionelle und spionieren sie aus. Die Bundesregierung kann nicht viel dagegen tun: Die mutmaßlichen Täter sind häufig durch ihren Diplomatenpass vor der Strafverfolgung in Deutschland geschützt.

Was im Oktober 2017 in Hamburg geschah, hatte Seltenheitswert: Der türkische Journalist Fatih S. wurde vom Landgericht wegen Spionage zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Das Gericht sah es als bewiesen an, das S. 2016 im Auftrag des türkischen Geheimdienstes „Millî Istihbarat Teşkilâtı“ (MIT) Kurden in Deutschland ausspionierte. Für seine Tätigkeit erhielt er 20.000 Euro. Die musste er zusätzlich zu den Gerichtskosten als Strafe zahlen.

Niemand weiß, wie viele Agenten des MIT in der Bundesrepublik aktiv sind. Das Bundesinnenministeriums, das zumindest eine grobe Ahnung haben könnte, war auf Anfrage der Jungle World nicht bereit, die ihr vorhandenen Zahlen zu nennen: „Diese Fragen betreffen schützenswerte nachrichtendienstliche Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz.“ Ein Bekanntwerden der Erkenntnisse ließe Rückschlüsse auf Schwerpunkte und operative Ansätze des Verfassungsschutzes zu.

Es ist andere Staaten verboten, in der Bundesrepublik Agenten einzusetzen. Nach Paragraph 99 des Straffgesetzbuches droht jedem bis zu fünf Jahre Haft, der“ für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausübt“ In besonders schweren Fällen können aus bis zu fünf auch zehn Jahre Gefängnis werden.

Doch allzu groß ist der Eifer der Behörden im Fall der Türkei nicht, ihrer Agenten habhaft zu werden. Auf der einen Seite kooperieren die Geheimdienste der Bundesrepublik und der Türkei seit 2004 offiziell bei der Bekämpfung von Terrorismus und Organisierter Kriminalität miteinander, zum anderen sind türkische Agenten zum Teil für die deutschen Behörden unerreichbar, wie das Bundesinnenministerium auf Anfrage einräumte. Denn

„Mitarbeiter von Legalresidenturen (genießen) diplomatische Immunität und können daher – auch nicht wegen Straftaten nach § 99 StGB – strafrechtlich verfolgt werden.“

Legalresidenturen sind im Jargon der Schlapphüte in Botschaften und Konsulate integrierte inoffizielle Abteilungen ausländischer Geheimdienste. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz weiß um die Aktivitäten der Agenten auf seinem Gebiet: EDer MIT unterhält in Deutschland Legalresidenturen in offiziellen Repräsentanzen. In Nordrhein- Westfalen befinden sich insgesamt vier der 13 türkischen Generalkonsulate auf deutschem Boden (Düsseldorf, Essen, Hürth und Münster). Als einer der weltweiten Schwerpunkte der türkischen Diaspora gilt Nordrhein-Westfalen als Operationsgebiet des türkischen Nachrichtendienstes.“

Bei ihren Gastländern, soweit geht die Freundschaft dann doch nicht, offiziell als Agenten angemeldet sind sie nicht.

Zu den Staaten, deren in der Bundesrepublik besonders aktiv sind, gehört neben Russland, China und dem Iran auch der deutsche Nato-Partner Türkei. Der türkische MIT konzentriert sich in seiner Arbeit nach Erkenntnissen verschiedener Verfassungsschützer auf die Beobachtung, Verfolgung und Bedrohung von Oppositionellen. Besonders im Visier von Erdogans-Agenten: Kurden, Linke und echte und vermeintliche Gülen-Anhänger.

 

 

In Gesprächen mit der türkischen Regierung hat die Bundesregierung nachdrücklich die Haltung vertreten, dass innertürkische Konflikte nicht in Deutschland ausgetragen werden dürfen. Großen Eindruck hat das auf die Türkei jedoch nicht gemacht. Alle Inlandsnachrichtendienste der Bundesländer, die in ihren Verfassungsschutzberichten über die Tätigkeiten von Geheimdiensten aufführen, berichten von Aktivitäten des MIT. Und der ist nicht alleine. Auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Sevim Dağdelen, Heike Hänsel,

und Dr. André Hahn teilt die Bundesregierung mit, dass neben dem MIT auch die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) und die Türkisch

Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) seit dem Putschversuch 2016 dabei sind, mehr Einfluss auf die türkische Diaspora zu nehmen.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz schreibt in seinem 2017er-Bericht: „Bei der Informationsbeschaffung zu mutmaßlichen Terroristen greift der türkische Staat verstärkt auf türkische Diasporaorganisationen in Deutschland zurück. So wurden Imame, die in Moscheen der „Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V.“ (DITIB) tätig waren beziehungsweise sind, von der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet über die türkischen Generalkonsulate beauftragt, Informationen zu Gülen-Angehörigen in ihrer Gemeinde zu übermitteln.“

2017 waren hatte die Bundesanwaltschaft gegen 19 Ditib-Imame dann auch Verfahren wegen des Spionageverdachts eingeleitet. Die Verfahren wurden eingestellt. Sieben Verdächtigen konnten die Ermittler keine Spionage nachweisen. Bei fünf weiteren wurden die Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt. Sieben der Imame hatten sich allerdings in die Türkei abgesetzt. Die Verfahren gegen sie waren nur deswegen eingestellt worden, weil Anklagen gegen sie durch ihre Ausreise nicht mehr möglich waren, schrieb damals die taz.

Eine von der Türkei zum Teil medial inszenierte Aktion gegen Oppositionelle in der Bundesrepublik, die vom MIT betrieben wurde, scheiterte allerdings an den deutschen Sicherheitsbehörden: Die Türkei hatte 2017 dem Bundesnachrichtendienst Listen mit den Namen von 358 Personen und 241 Einrichtungen, die der „Gülen-Bewegung“ angehören oder diese unterstützen sollen überreicht. Anstatt den MIT zu helfen, wurden die Betroffenen darüber unterrichtet, dass sie ins Visier des Erdogan-Regimes gelangt seien. Nicht alle zogen daraus die richtigen Schlüsse, wie der bayerische Verfassungsschutz berichtet: „Zwei in Bayern lebende Angehörige einer auf der „MIT-Liste“ genannten Person reisten in den Osterferien in die Türkei. Es handelt sich um die Ehefrau und den gemeinsamen minderjährigen Sohn. Beide sind im Besitz der türkischen Staatsangehörigkeit, der Sohn besitzt zusätzlich auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Von den türkischen Sicherheitsbehörden wurden sie nach ihrer Ankunft am Flughafen in Gewahrsam genommen und befragt. Der Reisepass der Ehefrau wurde für ungültig erklärt. Da eine Rückkehr derzeit nicht absehbar ist, wurde für den Sohn der Schulbesuch in der Türkei organisiert.“

Die Türkei ist der einzige Staat, der offiziell noch immer als Partner der Bundesrepublik gilt, Mitglied der NATO ist und gerne in die EU möchte, der in den Verfassungsschutzberichten unter der Rubrik „Aktivitäten ausländischer Geheimdienste“ erwähnt wird. Die Türkei steht dort neben dem Iran, Russland, China und anderen nahöstlichen Staaten. Wie sie verfolgt auch die Türkei hier Oppositionelle. Eine schizophrene Situation: Die Geheimdienste der Türkei sind Partner und Gegner der bunderepublikanischen Sicherheitsbehörden. Und so überwachen die deutschen Dienste ihre türkischen Kollegen, verweigert die Bundesregierung die Offenlegung von Informationen über deren Aktivitäten mit dem Hinweis auf die Sicherheit des Landes und kooperiert dann trotzdem weiter ihnen.

Das zumindest diese unhaltbare Situation beendet wird, fordern seit Jahren Politiker der Linken und Grünen, ohne bislang die Bundesregierung zu einer Änderung ihres Kurses bewegen zu können. So führt das Bundeskriminalamt nach einem Bericht der Tageszeitung „Die Welt“ aus dem September 2018 regelmäßige Gespräche mit den türkischen Geheimdienstmitarbeitern. Und will das auch in Zukunft nicht ändern. Denn die Türkei, als Regime changierend zwischen Partner und Gegner, wird nach Ansicht der Bundesregierung gebraucht: Als Verbündeter im Kampf gegen den Terror und vor allem zur Sicherung der europäischen Außengrenzen.

Der Text erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Jungle World

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ke
ke
5 Jahre zuvor

Es wird immer solche nicht nachvollziehbaren Eiertänze geben, wenn man es versäumt, eine klare Position zu beziehen und insbesondere bei "Partnerschaften" die gemeinsamen Werte nicht eindeutig formulieren kann/will.
Die europäischen Außengrenzen muss Europa selber sichern.

Im Kampf gegen Terroristen gibt es wohl auch seit Jahren einen guten Informationsaustausch mit nahezu allen Staaten. Ich habe schon mehrfach bspw. über den Austausch von Informationen zwischen der SU/Rußland und den USA gelesen, der wohl auch bei den größten Differenzen im Kalten Krieg klappte.

Gerd
Gerd
5 Jahre zuvor

Das ist so nicht ganz richtig. Wie iranische Diplomaten kürzlich herausgefunden haben, schützt diplomatische Immunität nicht zu 100%. Will sagen, wir könnten, wenn wir wollten. Aber Merkel und Co. wollen nicht.

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