Tunesien: Rückfall in Autokratie

Vergangene Zeiten: Tunis im Jahr 2012, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken


Noch vor einigen Jahren schien es, als wäre Tunesien auf dem richtigen Weg und würde sich in die erste Demokratie im Maghreb verwandeln. Damit scheint nun Schluss zu sein. Von unserem Gastautor Thomas von der Osten-Sacken.

Inzwischen ist klar: Was seit dem Sommer des Jahres 2021 in Tunesien geschah, kann guten Gewissens als Staatsstreich bezeichnet werden. Seitdem regiert Präsident Kais Saied immer autoritärer, hat inzwischen die Befugnisse des Parlaments so weit beschnitten, dass bei den letzten Wahlen die Beteiligung unter zehn Prozent lag, und nun ist er dabei, Judikative und Presse unter seine Kontrolle zu bringen.

In den vergangenen Wochen kam es immer wieder zu Verhaftungen unliebsamer Vertreter von Medien und Opposition. So traf es Mitte Februar den Leiter des äußerst beliebten Radio Mosaique. Bei einer Protestdemonstration gegen seine Festnahme warfen andere Journalisten der Regierung vor, die Medien gleichschalten zu wollen.

Unterstützung erhielten sie vom einflussreichen Gewerkschaftsbund UGT, der auch 2011 beim Sturz des Regimes von Ben Ali eine zentrale Rolle spielte. Anders als in vielen anderen arabischen Ländern konnte sich in Tunesien auch unter der Diktatur eine weitgehend unabhängige Gewerkschaft erhalten, die deshalb in sozialen und politischen Konflikten eine wichtige Rolle spielt.

Nur zeigt sich Saied bislang unbeeindruckt und verfolgt weiter seinen Kurs, das Land erneut in eine Autokratie zu verwandeln. Sehr viel anderes bleibt ihm angesichts einer desaströsen ökonomischen Lage und der hohen Inflation auch kaum übrig – eine Entwicklung, die man etwa auch aus Ägypten kennt.

Unterstützt wird er dabei, wie sein Amtskollege in Kairo, vor allem von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die überall versuchen, die demokratischen Errungenschaften des Arabischen Frühlings rückgängig zu machen. Dabei greift Saied auf das gesamte Reservoir populistischer Diktatoren zurück: So findet momentan eine äußerst hässliche Kampagne gegen Flüchtlinge aus dem subsaharischen Afrika statt, denen die Regierung die Schuld für die schlechte Lage im Land gibt.

Kritiker werfen dem Präsidenten vor, Hass zu verbreiten, der bald auch in offene Gewalt umschlagen könnte. Während Saied für seine rassistischen Äußerungen sogar Lob aus den Reihen der französischen Front National erhielt, warf ihm der Sprecher des Tunisian Forum for Economic and Social Rights (FTDES), Romdhane Ben Amor, vor, er schaffe imaginäre Feinde, um von den brennenden Problemen des Landes abzulenken. Derweil werden Migranten überall im Land verhaftet und mit Abschiebung bedroht.

Gerade, weil er so populistisch auftritt und den starken Mann spielt, erfreut sich Saied trotz allem noch immer einer gewissen Beliebtheit in Teilen der Bevölkerung, während die Opposition chronisch uneinig und zersplittert bleibt und so kaum eine akute Gefahr für den Präsidenten darstellt.

Internationale Gleichgültigkeit

Blieben noch Europa oder die USA, die allerdings offenbar auch wenig Interesse am Bestand der tunesischen Demokratie haben, solange nur, man kennt das Mantra zur Genüge, irgendjemand in der Region Stabilität verspricht. So stellt auch Ishaan Tharoor in der Washington Post resigniert fest, der Westen zucke nur mit den Schultern, während die Demokratie in Tunesien sterbe:

»Tunesiens junge Demokratie scheint am Ende zu sein, während das Land selbst in eine dunkle Phase autoritärer Konsolidierung eintritt. Das Land ist weit davon entfernt, einen einzigartigen Erfolg [des Arabischen Frühlings]darzustellen, und wurde zu einem weiteren abschreckenden Beispiel in einer Region voller falscher Anfänge und enttäuschter Hoffnungen. Und das alles geschieht mit der faktischen Duldung der Regierung Biden und ihrer westlichen Partner. (…)

›Es gab einen systematischen Abbau von Kontrollen und Gegenkontrollen. Einzelne Personen werden ohne jede rechtliche Grundlage verhaftet, ohne über die Gründe ihrer Verhaftung oder die gegen sie erhobenen Anschuldigungen informiert zu werden‹, sagte Said Benarbia von der Internationalen Juristenkommission mit Sitz in Genf kürzlich gegenüber Amberin Zaman von Al-Monitor. ›Ohne eine starke Reaktion von innen und außen wird die Regierung ihren Kurs wohl kaum ändern.‹

Nach außen hin hat es jedoch eine solche starke Reaktion nicht gegeben. Während sie sich effektvoll für Freiheit und Demokratie in der Ukraine einsetzt, hat die Regierung Biden bestenfalls in regelmäßigen Abständen Erklärungen abgegeben, in denen sie ihre ›Besorgnis‹ über die Ereignisse in Tunesien zum Ausdruck brachte. Sie hat wenig getan, um eine internationale Reaktion zur Verteidigung der kränkelnden Demokratie des Landes zu mobilisieren, und begrüßte die von vielen verspotteten Abstimmungen für das zum Erfüllungsgehilfen degradierten Parlament als ›einen wesentlichen ersten Schritt‹ zur Wiederherstellung der Demokratie. Die Reaktion der Europäischen Union war auch nicht schärfer.«

Tunesiens Rückfall in den Autoritarismus

Dabei wäre es für die EU keine allzu große Herausforderung gewesen, Tunesien finanziell und beratend in größerem Ausmaß zur Seite zu stehen. Schon die nach dem 2011 erfolgten Sturz der Diktatur ausgearbeitete Verfassung war eine Missgeburt, die unter maßgeblichem Beistand Frankreichs zustande kam und dem Amt des Präsidenten viel zu viel Macht einräumte, während inzwischen eigentlich klar sein müsste, dass nur starke parlamentarische Verfassungen gewisse Garantien geben, damit es auch in Krisenzeiten zu keinem Rückfall in Autoritarismus oder Diktatur kommt.

Statt Tunesien langfristig bei ökonomischen Reformen zu helfen, um ein System, das ganz auf die Familie von Ex-Präsident Ben Ali zugeschnitten war, zu überwinden, verhängte der Internationale Währungsfonds harte Sparprogramme, die vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten traf und viele für das populistische Programm von Saied empfänglich machte. So scheint Geschichte sich zu wiederholen, wie Tharoor weiterschreibt:

»Anstatt den demokratischen Weg Tunesiens voranzutreiben, hat Saied das Land nach Ansicht von Analysten an den Ausgangspunkt zurückgebracht. ›Im Jahr 1987 organisierte Zine El Abidine Ben Ali einen Putsch, um Präsident zu werden. Damals versprach er, die Demokratie im Land einzuführen, bevor er nur Monate später eine massive Verfolgungskampagne gegen seine politischen Gegner startete‹, schrieb Amine Snoussi, ein politischer Kommentator aus Tunis. ›Zwei Jahre später war Ben Ali der einzige legale Präsidentschaftskandidat und begann eine 23-jährige Herrschaft seiner brutalen Diktatur.‹«

In Europa wird diese Entwicklung vermutlich erst dann als Problem wahrgenommen werden, landen massenhaft Boote mit tunesischen Flüchtlingen an Italiens Küsten.

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch

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