„über Mauern“

Nedim Türfents Gefängnislyrik. Von Roland Kaufhold

Im Sommer 2015 veröffentlichte der junge kurdische Journalist Nedim Türfent, der für eine kurdische Nachrichtenagentur arbeitete, ein Video, welches ihm überlassen worden war. Darin sah man brutale Szenen, die eine türkische Spezialeinheit gegenüber Bauarbeitern ausübten. Ein knappes Jahr später wurde Türfent wegen dieses Videos sowie eines kritischen journalistischen Begleitkommentars festgenommen und später zu einer knapp neunjährigen Haftstrafe verurteilt. Damit teilt er das Schicksal einer Vielzahl linker, vor allem kurdischstämmiger Intellektueller, wie die Biografien etwa des kürzlich verstorbenen Dogan Akhanli sowie Asli Erdogans – um die hierzulande Prominenteren zu nennen – belegen.

Nedim Türfent saß sechseinhalb Jahre in Haft. Dort resignierte er jedoch nicht sondern begann mit dem auch literarischen Schreiben. Kürzlich ist eine Sammlung seiner mit „über Mauern“ betitelten Gedichte auf deutsch erschienen. Das Buch wurde von Nedim Türfents Brieffreundinnen Cornelia Rohr und Bernadette Ronnes herausgegeben und professionell übersetzt.

Neben der Lyrik Nedim Türfents enthält der Band Begleittexte von überwiegend türkischen und kurdischen Kollegen und Freunden Türfents, die sein journalistisches und menschenrechtliches Handeln veranschaulichen.

Die in der strengen Haft verfasste Lyrik ist ein Versuch Türfents, die eigene Menschlichkeit nicht zu verlieren und sich nicht unterkriegen zu lassen. Das Gedicht mensch! verwendet Tiermetaphern und beginnt in dieser Weise:

„geschwind wie ein hase / mit sieben leben wie eine katze / lebhaft wie ein schmetterling / und eigensinnig wie ein bär // eigensinnig wie eine ziege / früh auf wie ein hahn.“ (S. 10)

In lass dein herz leben spenden spricht Türfent von der Seele als zentraler Kraft des Lebens – sowohl in Freiheit als auch in der Gefangenschaft:

„lass dein herz das zuhause, / das glück sein, / für die, die kämpfen. / lass es der widerstand / des gefangenen im verhörraum sein. / lass dein herz die geduld / der gefangenen sein, deren tage / bis zur freiheit gezählt sind.“ (S. 16)

Immer wieder kommt Nedim Türfent auf seine eigene Situation als Häftling aus politischen Gründen zu sprechen, so auch in ein antlitz des heimatlandes:

„in meiner zelle von drei schritten / und fünf atemzügen / sind die vorhänge am fenster gitter aus eisen / einbetoniert die pritsche / eiskalt / peschschwarze stille ringsum.“ (S. 78).

Zu den im Band enthaltenen Begleittexten: Baris Altintas von einer Istanbuler Justiz-Menschenrechtsorganisation beschreibt, wie sie Türfent kennenlernte und einige seiner Gedichte in die Freiheit schmuggelte. Diese wurden seitdem in mehreren Sprachen übersetzt, wodurch dessen nahezu ausweglose Lage als Gefangener, die er mit Hunderten von kurdischen Kollegen teilt, für diesen erträglicher wurde.

Sein erfahrener Kollege Hüseyin Aykol arbeitet die politische Dimension von Türfents Inhaftierung und sein – trotz seiner 30-jährigen journalistischen Erfahrung – „Erstaunen“ über die hohe Haftstrafe seines Kollegen heraus (S. 21). Die Verurteilung als vorgeblicher „Terrorist“ solle die Solidarität aus dem europäischen Ausland verhindern.

Meltem Oktay, die nach Bedrohungen inzwischen im Exil lebt, beschreibt in persönlicher Weise ihr frühes Kennenlernen ihres Kollegen, bereits im Jahr 2014. Ihre Freundschaft habe ihnen inneren Halt gegeben. Ihr Kollege habe niemals aufgehört, „die Wahrheit zu schreiben“ (S. 34).

Auch von der Liebe ist in Türfents Gedichten die Rede, so endet eines seiner Gedichte in dieser Weise:

„ich bin ohne dich und still meine liebe! / kurz / ohne dich sein ist stille / stille ist ohne dich sein / meine liebe.“ (S. 82)

Nedim Türfent wurde im November 2022 aus der Haft entlassen. „Aus dem Gefängnis zu kommen, betrachte ich nicht als Freiheit“, sagte er kurz darauf und verwies auf die vielen Kollegen und Kolleginnen, die weiter in türkischer Gefangenschaft sitzen.

Nedim Türfent (2022): über Mauern. Gedichte und Texte eines Journalisten im Gefängnis – eine Sammlung. Herausgegeben von Cornelia Rohr und Bernadette Ronnes, 152 S., 16,70 Euro.

Der Text erschien bereits auf Hagalil

 

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Werbung