Ukraine: „Was gerade gefragt ist, sind Artilleristen und Panzerspezialisten“

Günter


Ich habe Günter (Kampfname) an einem geheimen Ort in Lwiw getroffen. Der Mitte 40-jährige kämpft seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf der Seite der ukrainischen Armee gegen die russische Invasion. Was bringt einen Schweizer dazu, sein Leben und seine Gesundheit in einem anderen europäischen Land aufs Spiel zu setzen? Von unserem Gastautor Christian Gruber (Lwiw) 

Hallo Günter, wie lange bist du bereits in der Ukraine. Was ist deine Aufgabe hier vor Ort?

Also der Aufenthalt in der Ukraine hat in der ersten Kriegswoche begonnen. Das war zwei Tage nach der Kriegserklärung durch den russischen Staat. Ich bin dann, als klar war, dass der russische Staat direkt Kyiv angreifen wird, mit dem Auto von der Schweiz in die Ukraine gefahren. Dabei hat mir ein bereits bestehendes Netzwerk geholfen. Seitdem ist einiges an Zeit vergangen und mittlerweile bin ich Mitglied des SSO in Kyiv und hatte sowohl in Butscha als auch in Irpin Einsätze.

Was treibt dich an, in einem Land fernab deiner eigentlichen Heimat, dein Leben zu riskieren?

Naja gut, erst einmal denke ich, dass wir dazu verpflichtet sind als Europäer unsere Werte zu verteidigen. Und ganz klar muss man eins einfach festhalten: die Werte, die die russische Regierung vertritt, sind nicht europäische Werte. Der Krieg hier in der Ukraine ist kein Krieg gegen die Russen. Es ist ein Krieg zwischen zwei Systemen. Im Grunde ein Krieg westlicher Werte gegen, das kann man glaube ich sagen, sowjetische Werte – totalitäre Werte.

Aber gab es einen ausschlaggebenden Punkt, an dem du gesagt hast: jetzt mache ich mich auf den Weg in die Ukraine?

Ich war schon in anderen Konflikten tätig, aber ein ausschlaggebender Moment war das Ziel des russischen Angriffs auf Kyiv, bei dem von vornerein klar war, dass die Zivilbevölkerung in Gefahr ist. Es ging ja gar nicht so sehr um das Töten ukrainischer Soldaten, sondern um den raschen Vorstoß auf die ukrainische Hauptstadt. Man hat ja damit gerechnet, dass man in drei Tagen bis Kyiv vorrückt. Und von Anfang an war klar, dass das Töten von Zivilsten Teil der russischen Invasion sein wird. Der Krieg gegen die Zivilbevölkerung hat keinen militärtaktischen Nutzen. Er ist nur grausam. Schlussendlich wurde es einfach gemacht und mir war klar, wenn das durchgehen sollte und Kyiv innerhalb kürzester Zeit fällt, dann ist das nächste Moldau. Danach Finnland und Schweden. Irgendwann kommt dann wahrscheinlich der Eskalationspunkt, nachdem nuklear reagiert wird. Das ist der ausschlaggebende Punkt. Der Versuch der russischen Truppen Kyiv im Handstreich zu nehmen.

Das wurde ja zum Glück verhindert.

Wenn Kyiev gefallen wäre, dann hätte es durchaus sein können, dass die Ukraine nicht mehr existieren würde. Man darf nicht vergessen, dass es an vielen Stellen dieses Krieges haarscharf war. Zum Beispiel bei der Verteidigung und Rückeroberung strategisch wichtiger Punkte.

Viele Menschen aus dem deutschsprachigen Raum können deine Entscheidung nicht nachvollziehen. Sie würden sogar davon abraten. Kannst du verstehen, dass Menschen davon abgeraten, wird als freiwillige in den Krieg zu ziehen?

Das kann ich absolut nachvollziehen. Das Problem ist erstens die mangelnde Erfahrung. Dabei ist die mangelnde Kriegserfahrung nicht mal das führende Problem. Es sind die Umstände in dem System, das militärisch organisiert ist. Es ist ein anderes Land, mit anderen Vorgehensweisen. Man darf nicht vergessen, dass man nicht einfach nach zwei Wochen sagen kann: ich will jetzt wieder nach Hause. Das geht halt einfach nicht. Wenn du dann zuerst den ukrainischen Streitkräften zur Last fällst und dann nachher auch noch deinem Konsulat, dann bringt das ein Haufen Probleme, die nicht sein müssen.

Glaubst du, dass so etwas häufig vorkommt und wenn ja warm?

Man muss sich schon entscheiden und nicht mit einem romantischen Bild hierherkommen. Du wirst im Krieg nichts Romantisches finden. Wir töten sie, die töten uns. Und wir töten so lange bis wir ein Resultat haben. Es ist nichts Romantisches. Das ist schlussendlich Kriegshandwerk. Du musst dir wirklich bewusst sein, dass du dein Leben und deine Gesundheit aufs Spiel setzt und dass das Ganze eine ziemlich schmutzige Angelegenheit ist. So ist Kriegsführung. Was genau soll denn schön daran sein, wenn wir die Typen mit Granaten töten oder mit Gewehren? Sie tun das bei uns auch mit unseren Leuten. Das ist völlig klar. Ich meine wir töten Soldaten bis die Politik an dem Punkt ist, dass sie wieder handlungsfähig ist und ein Resultat erreichen. Ich verstehe also die Warnung nicht nur und kann sie nachvollziehen, ich würde genauso handeln. Ich würde jeden zweimal fragen, ob er sich sicher ist. Man muss sich das wirklich gut überlegen und nicht am Ende sagen: ja, eigentlich habe ich ja nicht gewusst, sondern gemeint.

Wie meinst du das genau?

Zum Beispiel der Befehl der russischen Führung keine Georgier gefangen zu nehmen. Georgier sollen auf der Stelle erschossen werden. Und das ist nur ein Beispiel. Wir sind ausländische Kämpfer, die von Russland als Terroristen eingestuft werden. Putin selbst hat gesagt, dass wir keine Gnade zu erwarten haben. Ich möchte damit sagen, dass man es sich gut überlegen sollte. Du kannst nicht in die Ukraine fahren und meinen, das sei hier irgendeine Zirkusvorstellung. Ganz klar.

Weiß deine Familie wo du bist und was du machst?

Also meine Frau ist Ärztin und wir haben einen 16 Monate alten Sohn. Wir haben täglich Kontakt, sofern es möglich ist. Sie weiß, dass ich hier bin und weshalb. Ich bin ja nicht aus der Schweiz gegangen, weil es in der Schweiz nicht für mich funktioniert hat. Nicht wie andere Anwärter der Legion, die vielleicht in die Ukraine kommen, um vor sich selber zu fliehen. Das sollte man auf keinen Fall tun, denn die Probleme, die du hast, die kommen mit und die werden hier noch multipliziert. Also wenn du psychisch instabil bist, gerne trinkst oder gerne Drogen konsumierst bist du komplett am falschen Ort hier. Das funktioniert gar nicht. Es gibt hier wirklich Menschen, die von zuhause weglaufen und meinen ihre Probleme wären hier weniger. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Die brechen am Ende zusammen und wollen wieder nach Hause. Es gibt hier Leute, die sind drei Tage in der Ukraine gewesen und waren dann schon wieder auf dem Weg zurück in ihr Land. Das habe ich auch selber mitbekommen.

Woran könnte das deiner Meinung nach liegen?

Du weißt ja selber, wie das ist. Es gibt eben nicht alles. Das fängt mit der Hygiene an und hört beim Nachschub auf. Aber auch administrative Probleme und Verständigungsprobleme können mit reinspielen. Am Ende sind es wirklich mehr Probleme als du vielleicht zuhause hast. Zuhause kannst du einfach was sagen. Du kennst das System und das Vorgehen. Hier kannst du im Zweifelsfall an einem Checkpoint sterben. Wenn die Situation angespannt ist, die Leute jung und unerfahren, dann musst du damit rechnen, dass so etwas passieren kann. Da können kleine Fehler über Leben und Tod entscheiden.

Unser Interview findet unter der Prämisse der vollständigen Anonymität deiner Person statt, um dich zu schützen. Was sagt die Schweiz zu Freiwilligen wie dir? Drohen dir juristische Konsequenzen für deinen Einsatz in der Ukraine?

Natürlich habe ich juristische Konsequenzen zu erwarten. Wie bei anderen Staaten auch. Bei uns ist die Strafe eigentlich eine Geldstrafe oder bis zu drei Jahre Haft. Da spielen allerdings viele Faktoren mit rein. Zum Beispiel die Art des Konflikts und der Zusammenhang. Würden wir jetzt für den IS kämpfen, dann würden wir sicherlich auf das Höchstmaß kommen. Aber dieser Krieg ist in der Schweiz akzeptiert. Also ich glaube schon, dass es Konsequenzen geben wird. Aber ich gehe davon aus, dass sie im Rahmen sein werden. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass wir Angehörige der regulären ukrainischen Armee sind. Das darf man nicht vergessen. Wir sind Teil einer legitimierten Armee eines Staates. Das ist etwas ganz Anderes als in irgendeiner Miliz, die sich selbst gegründet hat und dann vielleicht auch noch auf einer Terrorliste stehen. Von daher habe ich da wenig bedenken. Und vor allem ist es für mich einfach das Richtige.

Was meinst du damit, dass es das Richtige sei?

Sagen wir mal so: wenn wir uns an Gesetze halten, ist das schön und gut. Das haben wir während des zweiten Weltkriegs auch getan. Ich meine wir haben die Juden an den Grenzen zurückgeschickt. Juristisch war das völlig korrekt. Menschlich war es aber vollkommen falsch. Was nützen uns dann nachher die Entschuldigungen, wenn wir jetzt juristisch richtig handeln, human aber komplett falsch. Und wenn das alles vorbei ist, dann machen wir eine Gedenkfeier. Das geht für mich nicht auf. Weißt du, die Menschen brauchen jetzt Unterstützung. Und nicht irgendwann Entschuldigungen und einen Kniefall von Brandt.

Denkst du an die Zeit nach dem Krieg? Was sind deine Pläne nach deinem Einsatz und hast du vor in die Schweiz zurückzukehren?

Ja sicher denke ich an die Zukunft.  Ich denke nach dem Krieg sollte es eine Ukraine geben, in welcher sich die Menschen in Frieden verwirklich können. Eine moderne und demokratische Ukraine, in der Menschen lernen sich gegen Korruption und autoritäre System zu wehren.

 Kannst du dir vorstellen auch ein Teil davon zu sein, oder endet dein Aufenthalt in der Ukraine mit dem Krieg?

Natürlich wäre das denkbar. Aber für mich ist es nicht von Relevanz, ob ich dann dableibe. Also für immer. Vielleicht werde ich einfach danach in der Schweiz und der Ukraine leben. Ich denke es kann für ganz Europa ein Signal sein, dass diese Leute in der Lage sind aus dem was jetzt ist, etwas Neues und Modernes zu machen. Das Thema Ukraine ist ja nicht gestorben, wenn der Krieg zu Ende ist. Ich bin ja kein Söldner, der hier wegen einem tollen Gehalt ist. Ich bin Angehöriger der Streitkräfte der ukrainischen Armee.

Was braucht die Ukraine von anderen Europäern, die sie in ihrem Kampf unterstützen möchten?

Weitere Unterstützung aus Europa ist wichtig. Damit meine ich nicht irgendwelche Leute, die ohne Kopf und Plan einfach mal kommen und dann schnell wieder nach Hause fliehen. Es gibt andere Hilfe, die wir viel dringender bräuchten. Zum Beispiel die Rehabilitierung sehr junger Menschen, die Gliedmaßen amputiert bekommen haben. Also spezialisierte medizinische Hilfe. Aber auch psychologische Unterstützung, die auch im Ausland stattfinden kann.

Also keine weiteren Kämpfer?

Freiwillige Kämpfer, das würde ich zumindest behaupten, haben wir im Moment genug. Da kommen ja auch immer wieder neue. Was gerade gefragt ist sind Artilleristen und Panzerspezialisten. Das müssen eigentlich Profis sein, oder aber zumindest Menschen, die Willens sind viel zu lernen und Entbehrungen auf sich zu nehmen. Dann ist es vollkommen okay zu kommen.

In einer früheren Version des Textes war von einem Kniefall Adenauers die Rede. Es handelte sich natürlich um den Kniefall von Willy Brandt.

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Reginald
Reginald
2 Jahre zuvor

Bravo.Hut ab vor diesem Menschen.Wenn ich jünger wäre würde ich auch gegen die Russische Diktatur zu Felde ziehen.Ja Russland hat mit dem Einmarsch in die Ukraine uns allen den Krieg erklärt.Putin muss besiegt werden.Moskau gehört für mich zur gleichen Achse des Bösen wie die fundamentiskamisten.Auch die haben uns den Krieg erklärt.Also ist ab dem 24.02.2022 jedes Zaudern,beschwichtigen völlig daneben.Jetzt müssen die harten Bandagen angezogen werden.Bis diese Terroristen aus Moskau und den islamischen Ländern uns in Ruhe lassen.

Michael Salbinger
Michael Salbinger
2 Jahre zuvor

Wann genau war der Kniefall von Adenauer?
Er meint wohl eher Brand…..

Thomas Schweighäuser
Thomas Schweighäuser
2 Jahre zuvor

Der Kniefall von Warschau erfolgte vor dem Denkmal, das an die Toten des Warschauer Ghettoaufstands erinnert. Wenn diese Relativierung des deutschen Menschheitsverbrechens Ausdruck der „europäischen Werte“ sein soll, kann ich getrost darauf verzichten.

Oliver Kloss
2 Jahre zuvor

Hochachtung! – Leider bin ich bar der militärischen Ausbildung und nicht mehr jung genug.
(In der „DDR“ gehörte mehr Mut dazu, den Armeedienst für diesen Staat zu verweigern. Aber für den Eventualfall einer Revolution hatte ich eine Schieß-Ausbildung bei der paramilitärischen GST absolviert. … und dann war die Revolution allzu friedlich.)

Das andere Extrem zu den seltenen Helden sind die noch immer im Amte befindlichen Putin-Schleimer.
Wieso fordert keine Politikerin, kein Politiker, welcher Partei auch immer, wenigstens den Rücktritt von Frank-Walter Steinmeier?
Gab es einen übleren Förderer des aggressiven Russlands im freien Europa?
Hat er nicht für seine Freunde Putin und Lawrow sogar die NATO beschimpft?
Kann es eine schlimmere Fehlbesetzung im Amte des Bundespräsidenten geben?
Wer selbst nicht das Zeug zur Heldin oder zum Helden hat, sollte sich wenigstens für die Absetzung der Putin-Schleimer engagieren, die über zwei Jahrzehnte die deutsche Öffentlichkeit dominieren durften! Freiwillig gehen Figuren wie Steinmeier nicht.

Christof Bieker
Christof Bieker
2 Jahre zuvor

Als Schwerbehindeter,nehmt mich! Bey

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