„Ultras sind echte Fußballfans, die ihren Verein lieben“

Schalkefans Foto: Orchi Lizenz: CC BY-SA 3.0

Fußballfans kommen immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt. Es gibt Anwälte, die sich darauf spezialisiert haben, ihnen zu helfen.

Fußballfans sind Angela Furmaniaks Lieblingsmandanten: „Sie sind offen, zuverlässig und stehen zu ihren Werten.“ Natürlich freuen sie sich trotzdem, wenn sie nicht verurteilt werden. „Man kann gut mit ihnen arbeiten und sie sind dankbar, wenn sie den Eindruck haben, dass ihre Anwälte sich ernsthaft für sie engagieren.“ Die Anwältin aus Lörrach nahe der Schweizer Grenze kümmert sich im Fußballbereich vor allem um Ultras. „Ultras verstehen sich in aller Regel als unpolitisch, wobei die meisten rechte Tendenzen klar ablehnen. Viele von ihnen sind sozial engagiert.“ Mit Hooligans als Mandanten hat sie wenig zu tun: „Bei Hooligans gibt es zu viele Bezüge in die rechte Szene. Und es gäbe noch einen großen Unterschied, sagt Furmaniak: „Ultras sind echte Fußballfans, die ihren Verein lieben. Bei Hooligans sind der Sport und der Verein oft nur ein Anlass, um sich mit anderen zu treffen und zu prügeln.“

Aber auch Ultras kommen immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt und brauchen dann juristischen Beistand: „Das immer wieder vorkommende‚Abziehen‘ von Schals anderer Vereine ist rechtlich ein Raub. Werden Pyros gezündet, steht ein Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz im Raum. Häufig werden sogar Ermittlungen wegen des Verdachts der (versuchten) gefährlichen Körperverletzung eingeleitet. Da Pyrotechnik aber insbesondere von Ultras als wichtiges Stilmittel der Fankultur angesehen wird, ist es dringend notwendig, endlich einen legalen Rahmen dafür zu schaffen.“

Furmaniak versucht zu vermitteln. „Geht es um gestohlene Schals, kommt es meist darauf an, die Strafe zu senken. Ein Weg dazu kann die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs sein.“ Mandanten von ihr müssten dann den Geschädigten um Entschuldigung bitten und hätten auch schon mit Geschenken Reue gezeigt: „Einmal gab es ein PlayStation-Spiel für den Geschädigten“, erinnert sie sich.

Immer häufiger würde die Polizei aber nicht mehr auf Strafverfolgung, sondern auf Prävention setzen. Vor sogenannten Risikospielen gäbe es immer häufiger Maßnahmen wie Aufenthaltsverbote. Fans dürfen dann nicht zu Auswärtsspielen mitreisen oder beim Heimspielen den Stadtteil nicht betreten, in dem das Stadion liegt. .

Auch der DFB und die Vereine gehen gegen Fans vor, und das vor allem zivilrechtlich. Bekannt sind die Stadionverbote, aber das ist nicht alles: „Wenn ein Verein wegen des Verhaltens der Fans eine Verbandstrafe auferlegt bekommt, ist er vom DFB gehalten, sich das Geld von den Tätern zu holen.“ Viel Aufwand für wenig Strafgeschehen, denn Furmaniaks Ansicht nach sind die Stadien sicher: „In der Saison 2022/23 gingen über 13 Millionen Menschen zum Fußball. Natürlich kommt es dabei auch zu Straftaten, das lässt sich nie ganz verhindern.“ Aber gemessen an der Vielzahl der Menschen, die sich dort auf engem Raum bei Ereignissen, die sie emotional stark berühren, treffen, passiere sehr wenig. „Es gäbe kein Sicherheitsproblem im Fußball. Ich würde mir von den Verantwortlichen mehr Augenmaß und Zurückhaltung wünschen.“ Politik und Polizei würden sich zu sehr auf das angebliche Sicherheitsproblem fixieren.

Was Michael Mertens, der NRW-Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), in der vergangenen Woche dem Kölner Stadtanzeiger sagte, passt da ins Bild. Mertens sieht großen Nachholbedarf bei den Sicherheitsvorkehrungen der Vereine in der Fußball-Bundesliga. Die Vereine würden zu viel Rücksicht auf die Ultras nehmen. Die Einlasskontrollen seien so lax, dass man beinahe alles ins Stadion reinschmuggeln könne. Die Sicherheitsvorkehrungen bei der Europameisterschaft im Sommer sieht der Polizeigewerkschafter als Vorbild für die Bundesliga. Strenge Stadion- und Einlasskontrollen sowie personalisierte Tickets würden dafür sorgen, “dass in den Zuschauerrängen weniger Pyrotechnik gezündet wird oder Krawall in den Fanblöcken eskaliert. Es wird also friedlicher in den Stadien zugehen. Sollte meine Prognose am Ende der EM sich bewahrheiten, müssen sich allerdings die Bundesligaklubs fragen, warum sie diesen hohen Schutzfaktor in ihren Arenen nicht gewährleisten können.”

Die Dresdner Rechtsanwältin Linda Röttig ist Mitglied im Vorstand des Dachverbandes der Fanhilfen, die sich um die Durchsetzung der Interessen von Fußballfans und die Wahrung ihrer Rechte einsetzt. Sie befürchtet, dass die Europameisterschaft für die Fans nicht das beschworene Sommermärchen wird: „Jetzt werden schon Menschen auf der Straße angesprochen, sie sollten besser aufpassen und keine Straftaten begehen.“ Damit würden sie kriminalisiert, bevor überhaupt etwas passiert ist. In den Stadien würden neue Einsatzmöglichkeiten wie den Einsatz von Drohnen ausprobiert: „Dort kann sich die Polizei technisch und taktisch austoben.“ Die Begeisterung über das immer häufiger eingesetzte Mittel des Stadionverbots kann die Juristin nicht nachvollziehen: „Viele, die ein Stadionverbot erhalten haben, fahren trotzdem mit zu den Spielen; sie gehen nur nicht ins Stadion, sondern halten sich außerhalb auf. Die ganzen Stadien sind so gut überwacht; besser kann man die Fans nicht beobachten. Wenn sie in den Städten unterwegs sind, hat man sie nicht im Blick.“ Zweifelhaft findet sie, dass die Vereine sich zunehmend anmaßen, Strafen zu verhängen, bevor Gerichtsurteile gefallen sind: „Stadionverbote sollen präventiv sein; aber wenn man ehrlich ist, sind sie eine Sanktion.“ Die Vereine seien nicht in der Position, Verfahren zu überblicken. Das sei Aufgabe der Gerichte. Aber bis diese ein Urteil fällen, könnten bis zu fünf Jahre vergehen.

Ann-Katrin Kunz ist Strafverteidigerin in Gelsenkirchen und gehörte lange zur aktiven Szene der Schalke-Fans. Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass die Diskriminierung von Fußballfans schon lange vor dem Spiel beginnt: „Die Fans werden gezwungen, sich nur auf bestimmten Routen in Begleitung der Polizei zum Stadion zu begeben. Dabei sind sie die meiste Zeit gekesselt. Wer keine Lust hat, mit einer großen Gruppe unterwegs zu sein, hat kaum eine Chance sich hieraus zu lösen.“ Schlechte Chancen haben die Fans auch vor Gericht. Und dort haben sie schnell anzutreten, selbst wenn lediglich kleinere Vergehen vorliegen. „Kommt es zu Beleidigungen oder vielleicht einer leichten Körperverletzung, werden solche Dinge zum Beispiel auf Volksfesten etc. schnell persönlich geregelt. Wenn nicht, werden diese Verfahren von den Staatsanwaltschaften und Gerichten häufig eingestellt.“ Im Stadion sei das anders. Ca. 99 Prozent aller Anzeigen werden durch Polizeibeamte erstattet und landen dann auch vor Gericht: „Einen Polizisten zu duzen, gilt bereits als Beleidigung. Dass die Beamten die die Fans fast durchgehend duzen, interessiert wiederum niemanden.“ Wenn auf Akten der Stempel „Fußball“ sei, gäbe es fast nie Verfahrenseinstellungen und auch vor Gericht sieht es düster für die Fans aus: „Der jeweilige Angeklagte sieht sich einer Gruppe Polizeibeamter gegenüber, welche den Vorgang und die Polizeiberichte im Vergleich zu anderen Zeugen, die nicht die Möglichkeit hierzu haben, kurz vor der Verhandlung nochmals gelesen haben und sich natürlich hierüber ausgetauscht haben“. Ann-Katrin Kunz ist der Ansicht, dass das Thema Gewalt beim Fußball viel präsenter ist, als bei anderen Ereignissen „Es passiert wirklich wenig für diese große Anzahl an Stadionbesuchern. Die meisten kommen friedlich zusammen und gehen auch wieder friedlich auseinander, trotzdem wird das Thema „Gewalt“ beim Fußball medial und politisch künstlich aufgebauscht.“

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Jungle World

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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