Vom 7. September 2017 – 25. März 2018 zeigt die Stiftung Situation Kunst Fotografien von Rudolf Holtappel, Bernd und Hilla Becher, Joachim Brohm und Jitka Hanzlová sowie Filme von Marco Kugel und Richard Serra im Museum unter Tage. Die sieben genannten Künstler nähern sich dem Ruhrgebiet als Region des steten Wandels fotografisch und filmisch in verschiedenen Jahrzehnten seit den 1960er Jahren des 20. Jahrhunderts an.
Rudolf Holtappel
Durch eine Schenkung von Herta Holtappel, der Witwe von Rudolf Holtappel (1923-2013), verfügt die Stiftung Situation Kunst über ein umfangreiches Konvolut von Holtappels Ruhrgebietsfotografien. Diese bilden den Ausgangspunkt der Ausstellung und nehmen mit 110 der insgesamt 170 in der Ausstellung gezeigten Fotos dabei auch den meisten Raum ein. Wie kaum ein anderer Fotograf hat Holtappel über Jahrzehnte hinweg das Ruhrgebiet und die Ruhrgebietler portraitiert, vom Wirtschaftswunder der fünfziger Jahre bis zum Zechensterben, von eindrücklichen Arbeitsprozessen in der Schwerindustrie bis zur Erholung im Taubenzüchterverein und im Schrebergarten.
„Die Mehrheit der Aufnahmen sucht das Pulsierende, Dynamische, die Dichte und Vielfalt der Lebenswelt.“ Silke von Berswordt-Wallrabe
Dass Holtappel bis zuletzt in seiner Arbeit dem intimen Kleinformat und der Schwarzweißfotografie verbunden blieb und fast alle seine Bilder eigenhändig in der Dunkelkammer abzog, entspricht in seiner Präzision dem Nuancenreichtum seiner fotografischen Bildkomposition.
Bernd und Hilla Becher
Im Gegensatz dazu stehen die Fotografien von Bernd und Hilla Becher (1931-2007 bzw. 1934-2015), die sich in ihrer typischen Menschenleere und der seriellen Systematik um eine dokumentarische Sachlichkeit bemühen.
„Die monumentalen Zweckbauten sind frontal oder diagonal zum Aufnahme- beziehungsweise Betrachterstandpunkt positioniert. Aus halber Höhe, der sogenannten Bauchnabelperspektive aufgenommen, füllen sie den Bildraum nahezu vollständig aus und werden fondartig von einem meist weißgrauen Himmel umfangen umfangen, an dem sich nur selten Hinweise auf die jeweilige Tages oder Jahreszeit der Entstehung einer Aufnahme finden lassen.“ Maria Spiegel
Die so entstandenen, systematischen „Typologien der Industriearchitektur“ können als skulpturales Gedächtnis einer vergangenen Epoche gelesen werden. Denn auch wenn zahlreiche museale und kulturelle Umnutzungen von Industriearchitekturen im Ruhrgebiet diese für zukünftige Generationen erhalten haben, so können diese jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese vergangene Epoche über eine um ein Vielfaches reichere Typologie der Architektur verfügte.
Joachim Brohm
Das Ruhrgebiet im Strukturwandel der späten 1970er und 1980er Jahre ist der Fokus von Joachim Brohm (*1955 in Dülken), in dessen Fotografien das industrielle Erbe in den Hintergrund rückt, zugunsten von zerfaserten landschaftlichen Brachen, Gewerbezonen und sich ausbreitende Freizeitangebote.
„Sein Blick richtet sich auf die Ränder städtischen Lebens, dorthin, wo das Wohnen tendenziell ländlich wird, wo sich Einkaufszentren und kleine Gewerbezonen ausgebildet haben. Die Zersiedelung der Landschaft durch das Ausbrechen der Städte aus ihren zentrischen Strukturen ist ein Interesse Brohms, mit dem er die urbanistische Diskussion über die ‚Veränderung der Landschaft‘ antizipiert, die sich ausdrücklich dann erst um 1990 entwickelt.“ Heinz Liesbrock
Die Schwachfarbigkeit der Bilder verstärkt beim Betrachter die Unscheinbarkeit der städtisch-brachhaften Abriss- und Transiträume; Unlandschaften zwischen den verschwundenen Industrielandschaften des Gestern und den noch zu gestaltenden Postindustrielandschaften des Morgen.
Jitka Hanzlová
Die Fotografin (*1958 in der Tschechoslowakei) bietet in ihren Bildern den immigrantischen Blick der Zugereisten auf das Ruhrgebiet der jüngeren Zeit. Die Motive sind immer poetisch pointiert, egal, ob es sich um zwei sich kreuzende Baumstämme handelt, um den Ausschnitt einer Hausfassade mit Balkonelement oder die Totale auf ein verschneites Freilufttheater, die Industrielandschaft ist einer Landschaft mit Industriereminiszenzen gewichen.
„Was ist das Ruhrgebiet heute? Hanzlovás Antwort darauf ist eine überaus persönliche Sicht, geprägt durch ihre eigene Biografie und künstlerische Herangehensweise. Sie regt ebenso zu der Schlussfolgerung an, dass das heutige Bild mehr denn je im Wandel begriffen und entsprechend instabil ist.“ Irina Lammert und Katharina Zimmermann
Die Filme von Richard Serra und Marco Kugel
In seinem 1979 gemeinsam mit seiner Ehefrau Clara Eeyergraf gedrehten Film „Stahlwerk / Steelmill“ richtet der US-amerikanische Bildhauer Richard Serra (*1939 in San Francisco, USA) seinen Blick auf die damaligen Arbeitsbedingungen in der Montanindustrie und dokumentiert dabei die Entstehung der Skulptur „Berlin Block for Charlie Chaplin“, die in der Henrichshütte in Hattingen geschmiedet wurde. Der Filmemacher Marco Kugel (*1979 in Hamburg) dokumentiert wiederum 2014 mit „Flüsse – Täler – Berge“ an einem aktuellen Beispiel die Folgen einer Werksschließung für das Leben in einer Region des wirtschaftlichen Abschwungs.
Das Konzept der Ausstellung geht auf: Die Entwicklung des Ruhrgebiets von der Industrielandschaft im Werk von Rudolf Holtappel über die Archivierung der sterbenden Industriearchitekturen bei den Bechers und die Postindustriebrachen bei Joachim Brohm hin zu den Industriereminiszenzen bei Jitka Hanzlová wird in ihrer Wandelhaftigkeit deutlich. Die Ausstellung berücksichtigt zugunsten der Tiefschichtigkeit im selbstgesteckten Zeitfenster zwar nicht die Umbrüche des weiter fortschreitenden Strukturwandels im Revier wie den Innenhafen Duisburg, Nokia, Opel, das PHOENIX-Gelände in Dortmund Hörde oder die Umnutzung des U-Turms im Sinne der Kulturindustrie (um nur ein paar Beispiele zu nennen), dies ist jedoch aufgrund der dafür unzureichenden Platzverhältnisse auch nicht zeitgleich realisierbar und darf daher getrost als Projekt „Umbrüche 2“ auf den Tag X verschoben werden. Denn soviel wird jedem Betrachter durch den Besuch dieser wichtigen Ausstellung einleuchten; dass im Ruhrgebiet die Entwicklung der Industrie im postindustriellen Zeitalter so unaufhaltsam fließend ist, wie die namensgebende Ruhr.
Die Eröffnung der Ausstellung am Mittwoch, 06. September 2017, um 18 Uhr im großen Saal im 1. OG des Kubus von Situation Kunst ist öffentlich.
Im Rahmen des umfangreichen Begleitprogramms zur Ausstellung erläutern Fachleute aus Kultur, Medien, Wirtschaft, Politik und Medien Hintergründe und beleuchten im Dialog mit WissenschaftlerInnen aus (Kunst-) Geschichte, Literatur, Soziologie und Ökonomie Standpunkte der industriellen Umbrüche im historischen Rückblick wie auch zur weiteren Entwicklung. Termine: http://situation-kunst.de/ausstellungen/ausstellungen-2017/umbrueche/begleitprogramm/
Zur Ausstellung erscheint ein vierbändiger Katalog im Hardcover-Schuber, mit insgesamt 240 Seiten und zahlreichen Abbildungen. Dabei ist jeweils ein Band dem einzelnen Künstler bzw. Künstlerpaar gewidmet und bietet mit Texten von Silke von Berswordt-Wallrabe, Maria Spiegel, Heinz Liesbrock, sowie Irina Lammert und Katharina Zimmermann ausführliche Einführungen zum jeweiligen Künstler und Werk, sowie mit ganzseitigen Fotoreproduktionen eine hervorragende Dokumentation des Gesamtprojekts. Der Katalog ist erhältlich im Museum unter Tage, Situation Kunst, zum Preis von 32,- Euro, ermäßigt 26,- Euro. ISBN 978-3-941778-11-5
Adresse: Schlossstraße 13, 44795 Bochum
Kontakt: info@situation-kunst.de
Öffnungszeiten: Mi-Fr 14-18 Uhr, Sa, So, Feiertags 12-18 Uhr, Führungen nach Vereinbarung
Ausstellungsdauer: 7. September 2017 – 25. März 2018, Museum unter Tage von Situation Kunst, Bochum.
Ausstellung im Willy-Brandt-Haus, Berlin: 5. April – 27. Mai 2018
www.situation-kunst.de