Warum die Guten irgendwie immer gut aussehen. Von unserem Gastautor Matthias Kraus.
Mein Designstudium verdanke ich nicht zuletzt den angehenden Gestalterinnen. Häufig trugen sie die Ponys kurz, pflegten schöngeistige Neigungen, waren gebildet, kratzbürstig und aus guten Verhältnissen — Typ die junge Ulrike Meinhof, also genau mein Beuteschema. Elektrogitarre zu spielen war ebenfalls sexuell motiviert, heute ist mir das klar. Die besten Momente waren nach dem Konzert. Ich so: Vom Olymp hinabsteigend, scheinbar desinteressiert in Zeitlupe zur Bar schlurfend, in der Endorphin-geboosteten Gewissheit, die Bühnendarbietung würde bei mancher kulturbegeisterten Muse einen virilen Eindruck hinterlassen haben.
Wir Künstler und Musiker waren und sind bis heute Teilmengen der großen Gruppe Friedens- und Umweltengagierter. Der kleinste gemeinsame Nenner in den Achtzigern waren die „Bots“ mit „Alle, die gegen Atomkraftwerke sind, solln aufstehen“. „Karl der Käfer“ hingegen oder „Robbenmütter haben keine Tränen mehr“ war zugegebenermaßen zu sehr Mainstream. „Sonne statt Reagan“ von Joseph Beuys: leider extrem uncool. Das Nuklearthema hatte Sting mit „We Work the Black Seam Together“ einfach besser drauf. Oder Fischer Z mit „Cruise Missiles“.
Ein weltumspannender jugendlicher Widerstandsgeist im Gleichtakt. Kluge, hübsche, nette Mädels und Jungs, Kämpfer für die gute Sache, die noch nie zuvor so deutlich auf der Hand lag. Robin Wood an Seilen baumelnd, Gorleben-Hippies mit Palästinensertuch, Petting statt Pershing — was für ein Kontrast zu den Bullen, Bossen und Biedermännern auf der anderen Seite. Hier die Freakadellen, dort die Bulletten. Klare Feindbilder und hehre Ideale zu haben — was kann es Überzeugenderes geben? Dies: Dabei auch noch besser auszusehen — ist es doch immer die Jugend, die mit heißem Umgestaltungswillen voran prescht.
Die jungen Dachse und Backfische sind halt noch nicht erpressbar durch Verantwortung für Schutzbefohlene und auch noch nicht eingebunden in berufliche Gesamtzusammenhänge. Derart frei im Denken und Handeln geht Widerstand leicht von der Hand. Hormonell hochgerüstet fordern sie die Reparatur jener angeblich kaputten Welt, die noch wenige Kinderjahre zuvor so heil erschien, um ihr bei dieser Gelegenheit auch gleich den eigenen Stempel jüngst erworbenen Diskursgeschicks aufzuprägen. Das ist der Stoff, aus dem Helden sind.
Zu Recht zeigt Hollywood die Guten entweder heroisch-lässig oder unschuldig-verletzlich in ihrer faltenfreien Anmut, in jedem Fall aber reinen Herzens und frohen Naturells. Die Schurken hingegen, mehr oder weniger subtil von Verfall gezeichnete Kerle, starren im besten Fall sarkastisch-ambivalent, meist aber missgünstig und kalten Auges auf diese unbefleckte Welt der Aufrechten, hämisch feixend in ihrer psychopathischen Zerstörungs- und Beherrschungsabsicht, was ihre notorisch schlechte Laune jedoch keineswegs aufhellt. Ob Terminator, Tagesthemen oder Tausendundeine Nacht, die Guten kommen verlässlich nett rüber und die in der Rolle des Bösewichts gewohnt fies. Visuell angeleitet identifizieren wir Konsumenten uns ganz intuitiv mit der richtigen Seite.
Die bildmächtigsten Inszenierungen unseres Lieblingsplots — die Rebellion der Aufrechten gegen die dunkle Seite der Übermacht — kommen von Greenpeace. Niemand hat es besser drauf, globale Aufmerksamkeit herzustellen. Die kanadischen Gründerjungs sahen aus wie Raimund Harmstorf als Seewolf, die Mädchen wie — okay, anfangs waren es fast nur Jungs. Regenbogenkrieger in winzigen Schlauchbooten, von rostigen Walfängern harpuniert. Entschlossene Kerle, die sich in der Arktis den Totschlägern entgegen stellen, der Schnee rot vom Blut der Robbenbabys. Später dann mutige Mädchen, die sich im sturmgepeitschten Meer von Helikoptern auf Plattformen abseilen, um Ölmultis in die Knie zu zwingen.
Heute ist Greenpeace selbst ein Multi. Dank drei Millionen Fördermitgliedern kommen jährlich 342 Millionen Dollar zusammen, Stand 2016. Die Deutschen geben mit Abstand am großzügigsten und natürlich beteiligt sich auch meine Partnerin per Dauerauftrag. Greenpeace verfügt über höhere Einnahmen als viele multinationale Unternehmen. Gründungsmitglied Paul Watson meint allerdings, Greenpeace sei über die legitimen Ziele der frühen Jahre (Atombombentests stoppen, Wale retten) weit hinausgeschossen und habe sich zur größten Wohlfühlorganisation der Welt entwickelt. Menschen träten Greenpeace bei, weil sie sich als Teil der Lösung fühlen wollen und nicht als Teil des Problems. Greenpeace sei ein Geschäft, das gutes Gewissen verkauft. „Greenpeace verdient mehr Geld mit Anti-Walfang als Norwegen und Island zusammen mit Walfang. In beiden Fällen sterben Wale und jemand profitiert davon […] Ihr unglaubliches unternehmerisches Geschick hat sie erfolgreich und effizient darin gemacht, warmes Blut in kaltes Bargeld zu verwandeln.“ Und weiter: „Sie werden weiterhin Riesensummen ausgeben für Werbespots, Direct-Mail-Appelle und Web-Banner, und die Wale werden weiter in schrecklicher Agonie sterben, erstickend an ihrem eigenen Blut, während Greenpeace-Kameraleute jeden emotionalen, tränenreichen Moment festhalten, um ihn weiterzusenden ins Hauptquartier, wo er helfen soll bei der niemals endenden Suche nach Geld, Geld und mehr Geld.“
Er beschreibt, wie Greenpeace in einem Spendenaufruf den „Action Director“ Nathan Santray barmen lässt, man benötige bis Ende des Jahres unbedingt 50.000 Dollar, um jeden Wal, dessen man nur habhaft werden könne, vor den Japanern zu retten, nur Greenpeace stünde zwischen den Harpunen und den Walen (vieljährige Rettungsbilanz gemäß Watson: null Wale). Der Action Director erwähnt in dem Mailing nicht, dass Greenpeace an jedem einzelnen Tag, an dem Gott die Sonne aufgehen lässt, das Zwanzigfache der zu erbettelnden 50.000 Dollar, nämlich eine knappe Million erwirtschaftet. Watson hingegen schildert, wie die Aktivisten mit ihren Schlauchbooten in den Wasserstrahl der Walfänger hineinfahren, weil das telegene Action garantiert, wo es eigentlich ein Leichtes sei, dem Strahl auszuweichen und sich stattdessen nützlich zu machen. Dann werden die sterbenden Wale geknipst. Und wenn die Kameras ausgeschaltet sind, geht’s nach Hause.
Ist Watson nur eifersüchtig auf seine weltweit bekannten und beliebten Ex-Kollegen? Zumindest schreibt er als Augenzeuge. Watson hat 1981 die Sea Shepherds gegründet. Sie sind in gleicher, nur weniger zimperlichen und in der Sache erfolgreicheren Mission oft zur gleichen Zeit an den gleichen Walfängern dran.
Seine Abrechnung beginnt er übrigens mit einem Zitat eines anderes Mitglieds der ersten Stunde, Patrick Moore. Der sagte 1981, als er noch dabei war: „Es spielt keine Rolle, was wahr ist, sondern nur, was die Leute denken, dass wahr ist.“ Vielleicht erklärt diese Denke die etwas voreilige Greenpeace-Presseveröffentlichung von 2006 mit exakt diesem Wortlaut: „In den zwanzig Jahren seit der Tschernobyl-Tragödie, dem weltweit schlimmsten Reaktorunfall, sind fast [HIER ALARMISTISCHES ARMAGEDDON-FAKTOID EINTRAGEN]“. In der nachgeschobenen korrigierten Version wurden Kernschmelzen und Flugzeugabstürze ergänzt.
Der promovierte Ökologe Moore verließ Greenpeace ebenfalls. Er findet: „Mitte der Achtziger Jahre hat sich die Umweltbewegung verabschiedet von Logik und Wissenschaft zugunsten von Emotionen und Sensationalismus.“ Heute opponiert er gegen seine Ex-Kollegen in so ziemlich allen Bereichen, beispielsweise Staudämme, Chlor, Windkraft, Kernenergie, Waldwirtschaft und Gentechnik, alles Themen, bei denen Greenpeace weltweit die Deutungshoheit hat.
Dank toller Bilder von attraktiven Aktivisten und eines klug ausgebauten Markenkerns bleibt Greenpeace im Bewusstsein von Millionen gutmeinenden Spendern weiterhin der David, der die Umweltgoliaths dieser Welt niederstreckt. Wem das Wohl der Erde am Herzen liegt, der ist karmatechnisch immer auf der richtigen Seite und außerdem natürlich per se progressiv, ein schöner Gegenwert für steuerlich absetzbare Spenden. Jeder einzelne Greenpeace-Mitarbeiter meint es gut, da bin ich mir ganz sicher. Auch die wenigen Leute in der Führungsetage möchten sich garantiert nicht bereichern, sondern einfach nur die Erde retten und dabei gut aussehen. Dennoch, wenn ein Unternehmen tausende von Mitarbeiter_innen beschäftigt, muss es sich bei allem Sendungsbewusstsein — und auch gerade deswegen — zuerst um den eigenen Laden kümmern. Um die Firma am Laufen zu erhalten, müssen dauerhaft Spendengelder fließen. Am effizientesten helfen immer neue Schreckensszenarien. Angst ist ein großer Motivator und Greenpeace betreibt das Geschäft mit der Angst um den Planeten handwerklich perfekt. Obwohl in Deutschland der Atomausstieg seit Jahren beschlossene Sache ist und wie am Schnürchen läuft, zeigt Greenpeace in den Kinos einen lustig gemachten Werbespot, der Soundtrack erinnert an Hitchcocks „Psycho“, denn: Der Strom aus der Steckdose könnte jederzeit wieder nuklear werden. Häh? Die gefühlte Gefahr für Leib und Leben darf halt niemals nachlassen.
Greenpeace Deutschland hat sich 1995 verdient gemacht um ein schwimmendes Erdöllager namens Brent Spar, das Shell mit einem Gutachten versehen in 2300 Meter Tiefe entsorgen wollte. Greenpeace-Mädels und -Jungs besetzten wochenlang die Plattform und ehe man sich versah, tankte in Deutschland niemand mehr bei Shell, selbst Behördenfahrzeuge durften nicht mehr. Hier in Hamburg wurde eine Tankstelle niedergebrannt. Greenpeace gewann den Medienkrieg. Shell schleppte die Plattform an die Küste und machte sich ganz klein. Es stellte sich dann heraus, dass Shells Angaben zur Restmenge an Öl stimmten, während Greenpeace die siebzigfache Menge behauptet hatte, die Shell angeblich unter der Hand verschwinden lassen wollte. Sie entschuldigten sich dafür, aber das interessierte am Ende keinen mehr. David gegen Goliath.
Greenpeace wäre nicht so erfolgreich, wenn sie ihre Gegner nicht so strategisch geschickt wählen würden. 2006 deuchte ihnen Apple als hinreichend kampagnenfähig. Die „Green my Apple“-Kampagne zeigte sich enttäuscht über die angebliche Giftigkeit der bei den richtigen Leuten so beliebten Macs. HP und Dell hingegen, Hersteller von billigsten Plastikwegwerfrechnern, wurden als leuchtende Vorbilder gelobt. Mich hat das gewundert, denn Apple-Rechner wurden schon damals unter anderem aus Aluminium und Glas gefertigt, hielten lange und galten als gut recyclebar. Im Gegensatz zu allen Konkurrenten erfüllten sie bereits lange vor ihrem Inkrafttreten die strenge RoHS-Norm der EU. Greenpeace schwärzte aber ausdrücklich Apple an. Diese Zielscheibe stellte den größtmöglichen Medienrummel sicher.
Um im Greenpeace-Ranking gut abzuschneiden, genügte es, ökologische Absichten lediglich zu verkünden. Darin waren HP und Dell ganz groß. Zum Beispiel würde Dell gerne in drei Jahren auf PVC verzichten, falls es sich dann rechnen würde, stand auf deren Website geschrieben. Nun ja, wer würde das nicht, aber für die Ankündigung gab es Lob von Greenpeace, und Punkte für die Transparenz. Währenddessen war Apple der einzige Hersteller, der Blei und PVC in der gesamten Produktlinie bereits abgeschafft hatte, damit allerdings nicht penetrant herumprahlte. Marketingsüßholz ist nicht Apples Ding und — Zack! — mit Pseudokriterien inszeniert Greenpeace auf dem Trittbrett der wertvollsten Marke der Welt die David-gegen-Goliath-Version fürs neue Jahrtausend. Dass die Packard Foundation jährlich hohe sechsstellige Beträge an Greenpeace spendet, steht da hoffentlich in keinem Zusammenhang. David Packard ist nämlich das „P“ in „HP“.
Druck von außen bewegte Greenpeace dann doch zu einer Ausweitung der bisher faktenfreien Untersuchung. Notgedrungen nahm man nun die leibhaftigen Geräte im Labor auseinander. Und siehe da — kalte Tatsachen statt warmer Absichtserklärungen stellten das Ranking vom Kopf auf die Füße. Doch das hat keiner mehr mitbekommen und Greenpeace ging auch nicht weiter darauf ein, die Öko-Davids hatten es dem Apple-Goliath ja bereits so richtig gezeigt. Seitdem verkaufen sie ihre Fake-News-Kampagne als Sieg der Volksgewalt. Marketing, wie es besser nicht geht.
Auch soll Chlor weltweit verboten werden. Es steckt in PVC, das unter ungünstigen Umständen Dioxin freisetzen kann, und in weiteren organischen Problemstoffen mit komplizierten Namen. Weil sie fettlöslich sind, können Sie sich im Körper anreichern. Dann aber: Chlor ist eines der am häufigsten vorkommenden Elemente der Erdkruste. Ein Liter Meerwasser enthält im Schnitt 19 Gramm Salz, also Natrium-Fucking-Chlorid. Chloriertes Wasser, eine der Errungenschaften des 20. Jahrhunderts, hält Krankheiten in Schach, die aus schmutzigem Wasser herrühren. Cholera zum Beispiel. Drei Viertel aller Medikamente und Vitamine enthalten Chlor. Krankenhäuser erwehren sich der dort grassierenden Keimeflut mit Chlor. Joe Thornton von Greenpeace hält dagegen: „Es existiert keine Nutzung von Chlor, die wir als sicher betrachten.“ Also weg mit dem Zeug und dem Bereicherungswahn der Industrie!
Zu den schlimmsten Teufeln aber gehört für Greenpeace/The Next Generation die Biotechnologie, seit 1996 wird in der Food-Abteilung bildgewaltig erschreckt. Hierzulande, wo kein Kühlschrank leer steht, ist Nahrungsaufnahme nicht länger eine Frage des Überlebens, sondern der Moral und Klassenausdifferenzierung. Manipulierte Mampfe zu sich zu nehmen liegt selbstverständlich außerhalb jeglicher bürgerlichen Norm. Natürlich besteht immer die Gefahr, dass nicht alle an einem Strang ziehen, gerade die schlichteren Gemüter können da sehr stoisch sein. Deshalb stellte ein Fernsehmagazin live an der Imbissbude Eltern vor die sittliche Wahl, ob sie ihren Kindern lieber herkömmliche Pommes frittes kaufen wollten oder halb so teure „Gen-Pommes“. Nur eine einzige verdatterte Mami, wohl Prekariat, entschied sich preisorientiert. Im Studio lachten alle herzlich, als die Szene in Zeitlupe mehrfach wiederholt wurde. Denn nur zu den letzten Junkfood-Prolls ist das Bonmot nicht durchgedrungen: „Du bist, was Du isst“ — mit Gen-Kost dann wohl schon bald ein frankensteinscher Mutant. Greenpeace hatte mal wieder auf das richtige Thema gesetzt.
Zwar sehen inzwischen selbst Umweltschützer und renommierte Agrarwissenschaftler aus der Ökolandwirtschaft die grüne Gentechnik mit anderen Augen, die Fortschritte sind enorm und unter Milliarden von Essern gibt es keinen einzigen dokumentierten Erkrankungsfall (anders als etwa durch die Ehec-Epidemie vom Bio-Bauernhof). Doch der naturalistische Fehlschluss, das „Natürliche“ sei immer besser als das „Künstliche“, ist nicht aus einer unübersichtlich gewordenen Welt zu schaffen. Also strickt Greenpeace unbeirrt daraus Angstkampagnen zur Spender_innenmotivation. 2016 haben sich 129 Nobelpreisträger in der Mainauer Erklärung an die Vereinten Nationen gewandt. Dringlich bitten sie, die langjährige, auf Emotionen und Dogma basierende Kampagne von Greenpeace gegen „Goldenen Reis“ endlich zu stoppen. Goldener Reis ist eine gentechnisch mit Vitamin A angereicherte Reissorte. Wie bei Karotten färbt das Beta-Karotin den Reis goldgelb, daher sein Name. Er wurde in Zürich und in Freiburg entwickelt, um zu verhindern, dass weiterhin jährlich 125.000 bis 250.000 asiatische Kleinkinder aufgrund von Vitamin-A-Mangel erblinden. Die Hälfte von ihnen stirbt innerhalb eines Jahres. Dr. Prakash, der Leiter des indischen Forschungszentrums für Biotechnologie beschrieb schon 2001 die Bedrohung, die goldener Reis und andere gentechnisch veränderte Pflanzen für Greenpeace darstellen: „Kritiker verdammten Biotechnologie als rein westliches Profitstreben, das für den Kunden keinerlei Vorteile biete. Goldener Reis beweist, dass sie im Unrecht sind und deswegen müssen sie ihn in jeder erdenklichen Weise in Verruf bringen.“
Für Greenpeace ist goldener Reis kein humanitäres Projekt, sondern das trojanische Pferd von Monsanto und anderen Agrarbösewichten. Bis heute verhindert Greenpeace mit juristischen Winkelzügen und schierem Vandalismus den Anbau des dauerhaft lizenzfreien Saatguts. Besagte Nobelpreisträger werfen unseren Lieblingsaktivisten deshalb nichts weniger vor als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Buchstäblich Millionen von Kindern könnten noch leben. Sie sind erblindet und gestorben, weil die weit entfernt lebenden Upper-Middleclass-Aktivisten von Greenpeace ein Problem mit grüner Gentechnik haben. Weil sie über finanziellen Mittel und medialen Wege verfügen, der dritten Welt vorzuschreiben, wie eine Lebensweise in Einklang mit der Natur gefälligst auszusehen hat: agrartechnisch auf dem Stand von 1950, als die Nachkriegswelt noch überschaubar war. Und weil sie darüber hinaus politische Wirkmacht in allen wichtigen Institutionen erklommen haben, so dass sie die Vereinten Nationen und die Regierungen der Welt nach ihrer Pfeife tanzen lassen können.
Idole, die in edler Absicht das Schlechte tun? Die, verdammt zu Daueraktionismus, immer neue Ungeheuer herbei rufen? Solche Geschichten kommen nicht gut an. Sie entsprechen nicht unserer Intuition, unserem Bedürfnis nach Eindeutigkeit, unserem Sinn für Gerechtigkeit und unserem Weltbild. Und wahrscheinlich kennen die Wale rettenden, weltverbesserungsdurstigen, gut situierten und wohl geratenen Mädels und Jungs, die in der Fußgängerzone potenzielle neue Greenpeace-Spender wie mich (mittellange Haare, casual Klamotten) freundlich fragen, wie sie es mit der Umwelt und dem Planeten halten, diese Geschichten auch nicht.
„Es existiert keine Nutzung von Chlor, die wir als sicher betrachten.“ Ich bekenne, ich habe für diese blödsinnige Kampagne in den 1990ern Texte geschrieben. Hinterher wurde mir klar, dass es halogenorganische Verbindungen auch in der Natur gibt. Mehr als 5.000 sind bislang bekannt; die Liste wird von Jahr zu Jahr länger. Sie entstehen bei Vulkanausbrüchen, Wald- und Steppenbränden (darunter natürliches Dioxin) und bei geothermischen Prozessen. Auch Lebewesen produzieren sie. Im Meer sind es Seetang, Schwämme, Korallen, Manteltiere und Bakterien, die halogenorganische Verbindungen herstellen, an Land Pflanzen, Pilze und Flechten, aber auch Bakterien, Insekten, Spinnentiere und höhere Lebewesen.
Erbsen, Bohnen, Linsen und andere Hülsenfrüchte produzieren chlororganische Verbindungen als Hormone; man nimmt sie also mit der Nahrung auf. Viele Pilze zersetzen ihre Nahrung mit Hilfe des Enzyms Chloroperoxidase und bewirken damit die Bildung von Organohalogenverbindungen in erstaunlich hohen Konzentrationen. Von diesen Verbindungen leben wiederum Bakterien. Aber der Bevölkerung wird verkauft, chlororganische Verbindungen seien komplett unnatürlich und daher extrem gefährlich.
Vielen Dank, Ludger, für Deine chemische und faktische Unterstützung!