Die Unstatistik des Monats Juni ist die Berichterstattung über eine Studie aus BMJ Nutrition, Prevention & Health zum Zusammenhang zwischen der Ernährung und Coronainfektionen. Denn dieser Zusammenhang existiert in der Tat: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Coronainfektion einen schweren Verlauf nimmt, ist bei Menschen mit einer pflanzenbasierten Ernährung deutlich kleiner. Zumindest war das in der in der Studie untersuchten Stichprobe von rund 3000 besonders coronagefährdeten Personen aus dem Gesundheitswesen (95 Prozent davon Ärzte) der Fall.
Das heißt aber nicht, dass die Ernährung die Ursache für einen milderen Krankheitsverlauf sein muss, wie es etwa das „Deutsche Ärzteblatt“ in seiner Online-Ausgabe suggeriert: „Studie: Ernährung beeinflusst Verlauf von COVID-19“. Es handelt sich hierbei um den klassischen Fall eines unbegründeten Rückschlusses von Korrelation auf Kausalität. So steigt mit zunehmendem Konsum von Softgetränken das Risiko für einen Kreislaufkollaps. Aber nicht, weil der Konsum von Softgetränken einen Kreislaufkollaps begünstigt, sondern weil bei sommerlicher Hitze mehr Softgetränke konsumiert werden und die Wahrscheinlichkeit eines Kollapses steigt. Dergleichen zusätzliche Einflussfaktoren sind in sogenannten epidemiologischen Beobachtungsstudien, zu denen auch die vorliegende Untersuchung gehört, nie völlig auszuschließen. Zwar hat man hier durchaus versucht, den Einfluss weiterer Ursachen zu neutralisieren, aber das gelingt in den seltensten Fällen perfekt. So geht etwa die Vorliebe für vegetarisches Essen oft mit einem gesundheitsbewussteren Verhalten in anderen Lebensbereichen und damit einer stärkeren Immunabwehr einher, die für sich alleine genommen auch ohne vegetarisches Essen für einen milderen Verlauf von Coronainfektionen sorgt. Auch der zentrale Effekt des Lebensalters wurde möglicherweise nicht korrekt berücksichtigt, denn in der Studie ist von der wichtigen Wechselwirkungen zwischen dem Alter, der Vorliebe für vegetarisches Essen und dem Verlauf von Coronainfektionen keine Rede. Generell kann man hier nur einen Ratschlag aus der führenden Wissenschaftszeitschrift Science wiederholen, mit Schlussfolgerungen aus epidemiologischen Beobachtungsstudien sehr vorsichtig zu sein (G. Taubes: Epidemiology faces its limits, Science 1995).
Rückschlüsse aus Beobachtungsstudien bleiben vielfach reine Spekulation
Der leider nur selten realisierte Goldstandard ist hier ein geplantes Experiment: Man teilt die Versuchspersonen zufällig in zwei Gruppen ein, die einen bekommen Pflanzenkost, die anderen eher Nackensteak, und dann verfolgt man, wo Corona glimpflicher verläuft. In einer idealen Welt wissen die Personen in den beiden Gruppen dabei noch nicht einmal, ob sie Salat (Verum) oder Schnitzel (Placebo) essen, wodurch zum Beispiel eingebildete Effekte („ich lebe ja so gesund“) ausgeschlossen werden können. Ohne solche kontrollierten Experimente bleiben Rückschlüsse aus Beobachtungsstudien vielfach reine Spekulation.
Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de und unter dem Twitter-Account @unstatistik.