Unstatistik des Monats: Höhere Straßenbaumdichte, weniger Depressionen?

Silberlinden-Allee in Prag Foto: Björn Laczay Lizenz: CC BY 2.0

Zentrales Thema eines in Arbeit befindlichen Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) ist das Konzept der „Planetaren Gesundheit“. Im dazu veröffentlichten Impulspapier werden eine Reihe von Prognosen und Hypothesen bereits als Fakten dargestellt, obwohl es die Aufgabe des Beirats sein soll, diese Thesen erst zu prüfen. Darauf wollen wir nicht im Detail eingehen, sondern auf eine Studie, auf die im Rahmen eines Webinars mit mehr als 400 Teilnehmern aus Wissenschaft, NGOs, Politik und Bildung zu diesem Thema verwiesen wurde. Diese im Jahr 2020 im Wissenschaftsmagazin „Nature“ veröffentlichte Studie hätte gezeigt, dass eine höhere Straßenbaumdichte das Risiko, Antidepressiva verschrieben zu bekommen, signifikant verringern würde. Hierüber berichtete taz.de. Letztendlich liefert die in diesem Beitrag zitierte Studie jedoch eher einen Hinweis darauf, dass eine höhere Dichte und Diversität von Straßenbäumen in Städten keinen Einfluss auf die psychische Gesundheit der Bewohner hat.

Was hat die zitierte Studie untersucht? Sie untersuchte den Zusammenhang zwischen der Dichte und der Diversität von Straßenbäumen und der Wahrscheinlichkeit, mit der Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt Leipzig Antidepressiva verschrieben bekommen. In dem Artikel und dem zusätzlich zur Verfügung gestellten Material sind offensichtlich Tabellen oder Abbildungen fehlerhaft beschriftet, so dass die Ergebnisse nicht eindeutig nachvollziehbar sind. So findet sich beispielsweise in einer Karte zur Straßenbaum-Dichte, die in Bäumen je Straßenmeter innerhalb eines 100-m-Umkreises angegeben ist, ein Sprung von 0,05 auf 2 Bäume je Straßenmeter. So dicht stehen Bäume nicht einmal im Wald. In einer weiteren Abbildung ist angegeben, dass auf der X-Achse die logarithmierte Baumdichte abzulesen sei. Der Logarithmus von kleinen Werten nahe 0 ist aber negativ; die Achse besitzt hingegen positive Werte zwischen 0 und 0,1. Diese entsprechen Ausgangswerten von einem bis 1,1 Bäumen je Straßenmeter – auch das wären unplausible Werte.

Es ist nicht auszuschließen, dass es gar keinen Effekt gibt

Darüber hinaus ist der überwiegende Teil der Schätzergebnisse der Autoren bei einer Vielzahl verschiedener Modellspezifikationen weit weg von in der Wissenschaft üblichen Signifikanzniveaus, d.h. man kann nicht ausschließen, dass kein Effekt der Straßenbaumdichte auf die psychische Gesundheit existiert. Ein Ergebnis wird als „marginal signifikant“ bezeichnet – ein Konzept, das nicht existiert, wenn man akzeptiert, sich bei derartigen Tests eine Irrtumswahrscheinlichkeit von beispielsweise 5 Prozent vorzugeben. Dann kann ein Zusammenhang nur entweder signifikant sein oder eben nicht.

Lediglich für Personen in der niedrigsten sozioökonomischen Statusgruppe (die über einen Index bestimmt wird, der sich aus der Bildung einer Person sowie dem höchsten Berufsstatus und dem Einkommen des Haushalts zusammensetzt) finden die Autoren einen statistisch signifikanten Effekt. Dabei zeigt sich für diese Statusgruppe, dass eine zunehmende Straßenbaumdichte im Umkreis von 100m des Wohnorts einer Person mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit der Verschreibung von Antidepressiva einhergeht. Mit den in der Studie zur Verfügung gestellten Informationen lässt sich aber das Ausmaß dieses Effekts nicht berechnen – nicht zuletzt aufgrund der Unklarheit, in welchen Metriken überhaupt „gemessen“ wurde. Mit anderen Worten, man kann nicht berechnen, um wieviel Prozent die Wahrscheinlichkeit der Verschreibung von Antidepressiva im Durchschnitt sinkt, wenn beispielsweise ein zusätzlicher Baum pro Straßenkilometer gepflanzt wird. Und die Autoren bieten dem Leser eine derartige Quantifizierung ihrer Effekte auch nicht an.

Darüber hinaus zeigen auch diese Ergebnisse lediglich eine Korrelation und keinen kausalen Zusammenhang, obwohl die Autoren für andere potenzielle Einflussfaktoren der Wahrscheinlichkeit der Verschreibung von Antidepressiva kontrollieren. Die Autoren sind in dieser Hinsicht auch vorsichtig und schreiben, dass die Ergebnisse nur ein Hinweis darauf sein KÖNNTEN, dass die Straßenbaumdichte in der Nachbarschaft die psychische Gesundheit beeinflusst. Und letztendlich können Ergebnisse für Leipzig nur schwer auf andere Städte übertragbar sein.

Zweifelsohne hat eine intakte Natur einen positiven Einfluss auf die physische und psychische Gesundheit. Weitgehend unklar ist jedoch, wie genau dieser Einfluss wirkt und in welchem Maß er durch gezielte Maßnahmen etwa im Rahmen der Stadtentwicklung beeinflussbar ist. Es bleibt zu hoffen, dass der WBGU ergebnisoffen an sein Gutachten herangeht und nicht selektive Ergebnisse einer Studie herauspickt, um den Einfluss der globalen Umweltveränderungen auf die Gesundheit zu bestimmen.

Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de und unter dem Twitter-Account @unstatistik. Unstatistik-Autorin Katharina Schüller ist zudem Mit-Initiatorin der „Data Literacy Charta“, die sich für eine umfassende Vermittlung von Datenkompetenzen einsetzt. Die Charta ist unter www.data-literacy-charta.de abrufbar.

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Bochumer
Bochumer
2 Jahre zuvor

Schon die Fragestellung ist schwierig. Dies lässt sich nur durch qualitative Befragungen ermitteln.

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