Unstatistik des Monats: Verwirrende Zahlen zur Hautkrebsgefahr

AOK Regionalniederlassung Recklinghausen Foto: Nordenfan Lizenz: CC BY-SA 4.0

„AOK-Zahlen dokumentieren Anstieg der Hautkrebsfälle“ meldete das Deutsche Ärzteblatt am 21. Juli. Von 2003 bis 2019 hätte sich die Zahl der Krankschreibungen aufgrund von Hautkrebs mehr als verdoppelt. Einige Medien scheinen diese und ähnliche Zahlen aus anderen Quellen so zu deuten, dass sich auch die Hautkrebsgefahr als solche verdoppelt habe.

In Wahrheit lässt sich aus den AOK-Zahlen allein noch kein Anstieg der Hautkrebsgefahr herauslesen. Zwar haben offenbar etwa Ärzte im Rheinland im Jahr 2003 nur 0,08 Krankschreibungen je 100 Versichertenjahre mit der Diagnose „bösartiges Melanom oder sonstige bösartige Neubildung der Haut“ ausgestellt, im Jahr 2019 dagegen 0,18. Bei derart kleinen Zahlen sind Verdoppelungen allerdings schon durch Zufallsschwankungen schnell zu erzielen; der durchschnittliche Anstieg bemisst sich auf gerade einmal 0,0063 Prozentpunkte pro Jahr. Dann sind Krankschreibungen und Erkrankungen nicht dasselbe. Und weiter wissen wir spätestens seit Corona: Wo mehr getestet wird, wird mehr gefunden. Seit dem Jahr 2008 haben gesetzlich Krankenversicherte alle zwei Jahre Anspruch auf eine Hautkrebsfrüherkennungsuntersuchung, immer mehr – wenn auch noch längst nicht alle – machen davon auch Gebrauch.

Die renommierte US Preventive Services Task Force kam übrigens zu dem Ergebnis, dass es nicht genügend Evidenz gibt, um dieses Screening zu empfehlen. Einem unzureichend erwiesenen Nutzen stehen klare Hinweise auf mögliche Schäden wie Falschdiagnosen und kosmetische und funktionale Probleme durch Biopsien und Überbehandlung gegenüber.

Steigende Lebenserwartung bringt auch mehr Krebstote 

Ferner sind von 2003 bis 2019 die am Beginn des Jahres noch lebenden Deutschen auch im Durchschnitt um einige Jahre älter geworden: Lebten Anfang 2003 noch 24,4 Millionen Menschen im Alter über 60 in Deutschland, so waren es Ende 2019 schon 28,5 Millionen. Aber in dieser Altersgruppe schlägt seit jeher jeder Krebs besonders häufig zu. So sterben etwa in Island oder Japan über 30 Prozent der Menschen an Krebs, verglichen mit 25 Prozent in der Bundesrepublik. Dafür leben die Menschen dort aber auch im Durchschnitt bis zu fünf Jahre länger. Etwas überspitzt könnte man daher sogar behaupten, dass eine hohe Krebsmortalität ein positiver Qualitätsindikator für ein Gesundheitswesen ist.

Für einen Vergleich der Hautkrebsgefahr der Jahre 2003 und 2019 wäre also dieser Effekt zunächst herauszurechnen. Vielleicht hat die altersadjustierte Gefahr durch Hautkrebs tatsächlich zugenommen. Um das zu diagnostizieren, wären aber weit mehr Zahlen als die der AOK vonnöten.

Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de und unter dem Twitter-Account @unstatistik.

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