Ein halbes Jahr nach dem Beginn des Tarifkonflikts zwischen der Eisenbahner Verkehrsgewerkschaft (EVG) und der Deutschen Bahn beginnt in wenigen Tagen die Urabstimmung der Gewerkschaft. Abgestimmt wird hierbei über die Schlichtungsempfehlung, die Ende Juli ausgehandelt wurde. Bei einer Ablehnung, die aufgrund der notwendigen Quote von 75 % als völlig unwahrscheinlich gilt, drohen unbefristete Streiks. Die EVG möchte dieses Szenario unbedingt verhindern. Für den Vorstand der Deutschen Bahn ein temporärer Erfolg. Taktisch klug hatte man das häufig konfus, fachlich überfordert und planlos wirkende Agieren der EVG-Funktionäre ausgenutzt, längere Streiks verhindert und die Macht der Gewerkschaft auf den Konzern so effizient eingedämmt.
Die Stimmung innerhalb der Gewerkschaft ist schlecht, dies zeigen zahllose Beiträge aus internen Gruppen der EVG sowie Stellungnahmen von Untergliederungen. Von der Ursprungsforderung, 650 Euro und 12 Monate Laufzeit, mit der sich die Gewerkschaftsfunktionäre Ingenschay und Loroch noch im Februar zu profilieren suchten, ist wenig übriggeblieben. Mit 410 Euro über 25 Monate Laufzeit bietet der hochverschuldete Konzern den Mitarbeitern etwas weniger als 1/3 der Forderung an.
Die EVG ist um Schadensbegrenzung bemüht und scheint hierbei auch auf die Leichtgläubigkeit der eigenen Mitglieder zu hoffen. So wird unter anderem argumentiert, man habe den Wegfall von Sozialleistungen sowie Mehrbelastungen für die Mitarbeiter verhindern können. Mit welchem Drohmoment die an chronischer Personalknappheit leidende Bahn, die an sämtlichen Fronten um neue Mitarbeiter bemüht ist, dies hätte umsetzen wollen, ist völlig unklar. Schlussendlich werden die EVG-Mitglieder die Schlichtungsempfehlung mutmaßlich annehmen.
Schadenfreude bei der GDL
Für die EVG könnte das Ergebnis zur Zerreißprobe werden. Mit der Ursprungsforderung hatten sich die EVG-Funktionäre deutlich überhoben und waren nicht in der Lage, eine glaubwürdige Verhandlungsposition gegenüber dem Konzern aufzubauen. Der konkurrierenden GDL, die seit Jahren versucht, der EVG ihre Mitglieder streitig zu machen, liefert die Gewerkschaft so eine Steilvorlage. Zeitgleich könnte das Ausbooten und Offenlegen der Schwäche der EVG für den Konzern zu einem Bumerang werden, verhilft sie der GDL somit doch zu einer unverhofft starken Verhandlungsposition. Diese startet mit ihrem Vorsitzenden Claus Weselsky im Herbst in eine neue Tarifrunde und hat in der Vergangenheit unter Beweis gestellt, eigene Forderungen sehr streikfreudig und zum Unmut des Konzerns und der Kunden umzusetzen.