Am 26.1. eröffnete PACT Zollverein seine neue Saison. Der Titel „Deep Etude“ kommt beiläufig und unaufgeregt daher. Eine Fingerübung, eine Auslotung von Möglichkeiten, die Beschäftigung mit einem Detail. Tatsächlich ist Alma Söderbergs Arbeit eine Tanz-Peformance die den Charme des Beiläufigen, fast Entspannten mit allergrößter Präzision und technischer Perfektion verbindet.
Söderberg betritt die leere Bühne, schwarze Leggins, ein graues Unterkleid, beiges Hemd, setzt sich in die vordere rechte Ecke des sanft ausgeleuchteten Bühnenrechtecks, Blick ins Publikum. Es ist dieser Blick, mit dem Söderberg den Kontakt zum Publikum immer wieder aufnimmt, der viel von der Faszination dieses Abends ausmacht. Ein interessierter Blick, der nicht aufdringlich ist, der machmal auch etwas gelangweilt, dann wieder spöttisch oder herausfordernd wirkt, aber immer eine herrlich indifferente Freundlichkeit behält.
Söderberg beginnt einen einfachen Highhat-Rhythmus in ihren Microport zu beatboxen. Mit den Händen schlägt sie ihn synchron in die Luft. Lange sitzt sie so und lässt den Rhythmus laufen, dann verändert sie den Ton leicht, als würde sie an den Reglern drehen, die CutOff-Frequenz ändern, etwas Delay oder Distortion zumischen und wieder wegnehmen, das In-die-Luft-Schlagen ihrer Hände verändert die Bewegungsqualität absolut synchron. Der von ihren Lippen fast unmerklich erzeugte Ton und die Bewegungen ihrer Hände sind in so perfektem Einklang, dass sich über die Zeit der Eindruck einstellt, es wären tatsächlich ihre Hände, die den Sound erzeugen. Dann pausiert die Stimme, die Hände machen weiter und beinahe glaubt der Zuschauer weiter den Rhythmus zu hören.
Es ist diese Verwirrung der Wahrnehmung, mit der Söderberg in „Deep Etude“ perfekt spielt. Hören wir die Musik oder sehen wir sie? Erzeugen die Bewegungen den Sound oder ihre Stimme oder kommt sie doch vom Band? Treten im immer komplexer werdenden Soundtrack bestimmte Elemente stärker hervor, weil Söderberg sie in ihrem Tanz aufnimmt oder werden sie tatsächlich lauter? Und sind die Assoziationen, die zwischendurch vom Tanz nahegelegt werden, das Ziehen eines Seils, das Wiegen eines Babys, sind die tatsächlich im Sound angelegt, oder bleibt die Musik immer die Gleiche und wird nur durch die Bilder verändert? Einmal probiert Söderberg eine lange Folge von Schritten, die sich auf eine Bassdrum legen und lässt uns feine Soundveränderungen hören, indem sich ihre Schrittqualität minimal verändert von scharfem Abknicken zu sanftem Trippeln, leichtem Federn. Zu diesem Zeitpunkt ist der Zuschauer aber längst so tief in Söderbergs verwirrender Wahrnehmung-Etude gefangen, dass er kaum noch eine Chance hat, Ursache oder Wirkung zu erkennen.
Und das alles scheint bei Söderberg so ganz einfach und spielerisch zu sein. Da gibt es immer wieder diesen Blickkontakt zum Publikum, in dem manchmal fast eine verschmitzte Vorfreude zu liegen scheint, dass wir gleich noch etwas tiefer in die Unsicherheit getrieben werden. Auf der anderen Seite ist hier aber diese überragende Präzision, mit der Söderberg ihr Spiel zeigt. Jeder Atemzug ist gesetzt, jede kleinste Bewegungsänderung zielt auf den Effekt ab. Die federleichte Perfektion von „Deep Etude“ ist berauschend. Und wie es Söderberg gelingt, das alles so beiläufig und charmant wirken zu lassen, so beinahe spontan improvisiert, wie sie uns mit ihrem Blick mitnimmt auf diese Reise aus Sound und Bewegung, das ist ein kleines Wunder der Tanz-Performance-Kunst.
Weiterer Termin: 27.1., 20 Uhr, PACT Zollverein