Ratsmitglieder üben in Nordrhein-Westfalen ein Ehrenamt aus, egal ob sie in einer Großstadt wie Dortmund oder einer Kleinstadt wie Herten ihr Mandat wahrnehmen und das ist gut, denn so wird gewährleistet, dass keine zu großen wirtschaftlichen Abhängigkeiten mit dem Mandat verbunden sind. Für viele Landtags- oder Bundesabgeordnete ist die Frage der Wiederwahl nicht nur für ihre politischen Ambitionen entscheidend, sondern auch für ihre wirtschaftliche Existenz – sie haben kein Studium abgeschlossen und keinen Beruf gelernt. Verlieren sie ihr Mandat, droht ihnen der berufliche Absturz. Sie sind abhängig von ihren Parteien.
Dies ist im kommunalen Bereich in der Regel nicht der Fall. Kommunalpolitiker sind damit unabhängiger als andere Volksvertreter. Das Ehrenamt führt aber auch dazu, dass für Ratsmitglieder Politik eine Nebensache ist – sie üben ihr Amt neben ihrer Arbeit aus, verfügen nicht über eigene Mitarbeiter und haben auch bei größeren Fraktionen nur einen eingeschränkten Zugriff auf fachkundige Beratung. Sie müssen sich auf ihren eigenen Verstand und ihre Überzeugungen verlassen.
Das wäre eigentlich ein Vor- und kein Nachteil – wenn die Aufgaben der Räte in den vergangenen Jahren nicht immer komplizierter geworden wären. Man kann zu der Ansicht gelangen, dass mit den gestiegenen Anforderungen an die Ratsmitglieder auch eine Professionalisierung eintreten müsste. Man kann allerdings auch zu dem Schluss kommen, dass den gestiegenen Anforderungen ein undemokratisches Element inne wohnt. Die zunehmende Komplexität der Aufgaben von Ratsmitgliedern wird genutzt, um Transparenz zu verhindern.
Ein durchschnittlicher Beteiligungsbericht ist ein umfangreiches Dokument: Duisburgs Beteiligungsbericht umfasst 179, Bochums 378, Dortmunds 278, Essens 395, Dinslakens 128 und Lünens 343 Seiten.
Ganz davon abgesehen, das Städte wie Dinslaken oder Bochum noch nicht einmal ihrer Pflicht nachkommen, diese Berichte jährlich zu veröffentlichen, ist es ohne Sachkenntnis kaum möglich, die wirtschaftlichen Verflechtungen der Städte auch zu verstehen, geschweige denn, sie zu hinterfragen.
Die wirtschaftlichen Strukturen der meisten Städte sind für Ratsmitglieder kaum noch nachzuvollziehen. Grund dafür ist die seit den 90er Jahren immer stärker zugenommene Auslagerung von Aufgaben in Gesellschaftsformen wie die GmbH und die AG. Ist dieser Schritt gegangen, nimmt die Komplexität des Wirtschaftsgefüges fast automatisch zu. Untergesellschaften werden gegründet, um wirtschaftliche Risiken gering zu halten. Stadttöchter beteiligen sich an Stadttöchtern, um sie wirtschaftlich zu stützen. Städte geben Patronatserklärungen und Bürgschaften für volkseigene Betriebe ab, um ihnen Kredite zu ermöglichen, die diese selbst nicht oder nur zu schlechteren Konditionen aufnehmen könnten – oder die ihren Müttern, den Städten, gar nicht erlaubt wären. So werden wirtschaftliche Freiräume erschlossen, die eigentlich aus guten Gründen verschlossen waren. Es gibt dutzende unkontrollierte Schattenhaushalte, Nebenkassen und stille Vereinbarungen.
Die Auslagerung von städtischen Aufgaben in privatrechtliche Gesellschaften ist immer mit einem Verlust an öffentlicher Kontrolle verbunden. Selbst der Umstand, dass Kommunalpolitiker in die Aufsichtsräte von Unternehmen mit städtische Beteiligung entsandt werden, ändert daran nur scheinbar etwas.
Aufsichtsräte sind in erster Linie nicht dem Gremium verpflichtet, von dem sie entsandt werden, sie sind vor allem dem Unternehmen verpflichtet, in dessen Aufsichtsrat sie sitzen. Aufsichtsräte müssen Sorge für die nachhaltige Entwicklung des Unternehmens tragen – das muss nicht identisch mit dem Interesse der Stadt sein, der das Unternehmen gehört. Zudem sind Aufsichtsratssitzungen vertraulich. Fragen, die in diesem Gremium diskutiert werden; Informationen, die das Aufsichtsratsmitglied dort erhält, darf es in der Regel nicht öffentlich diskutieren.
Was in Aufsichtsräten besprochen wird, sollen weder die Bürger noch die anderen Fraktionsmitglieder erfahren. Wer redet, wird ausgeschlossen.
Die Aufgabe von Aufsichtsräten ist anspruchsvoll. Sie haben den Vorstand zu kontrollieren und können – zumindest theoretisch – bei massiven Fehlentwicklungen im Unternehmen auch finanziell haftbar gemacht werden. Als Aufsichtsratsmitglied macht es Sinn, die Bilanz eines Unternehmens lesen und durchdringen zu können. Ein Aufsichtsrat muss mit Wirtschaftsprüfern diskutieren können und dem Vorstand auf Augenhöhe begegnen. Doch ob Aufsichtsratsmitglieder die dafür notwendige Qualifikation und das nötige Selbstbewusstsein haben ist reine Glückssache. Im Gegensatz zu den Sparkassen, bei denen die Mitglieder des Verwaltungsrates eine Qualifikation erwerben oder nachweisen müssen, ist dies bei Aufsichtsräten nicht der Fall.
Schaut man sich die verschiedenen Möglichkeiten der Städte an, Unternehmen zu steuern, sind GmbHs und AGs mit Abstand die ungünstigsten, wenn es um demokratische Kontrolle und Transparenz geht.
Dagegen sind die klassischen Eigenbetriebe besser geeignet. Sie müssen ebenfalls selbstständig, wie eine GmbH, Bilanzen aufstellen, werden aber direkt von einem Ausschuss kontrolliert. Der Rat kann über sie diskutieren, die Unterlagen der Eigenbetriebe stehen allen zur Verfügung. Genauso gut sind Anstalten öffentlichen Rechts geeignet, die kommunale Daseinsvorsorge abzusichern. Die Anstalten öffentlichen Rechts verfügen über eigene, öffentlich tagende Gremien. Auch hier ist ein Großteil der Unterlagen für alle einsehbar. Kommunale Eigenbetriebe und Anstalten öffentlichen Rechts sind die transparentesten Möglichkeiten für das wirtschaftliche Engagement der Städte.
Diskutiert mit uns über den VEB-Atlas:
Über dem Ruhrgebiet liegt eine Decke aus Filz. Ist sie einer der Gründe für den unaufhaltsamen wirtschaftlichen Niedergang des Ruhrgebiets? Das Recherchebüro Correct!vund die Ruhrbarone wollen über dieses Thema reden. Am 20. August um 19.00 Uhr in derGoldkante, Alte Hattinger Str. 22, 44789 Bochum.
Unser Gäste sind:
Stefan Laurin: Freier Journalist, Mitbegründer der Ruhrbarone und Autor des VEB-Atlas Ruhr.
Ludger Claßen: Historiker, Geschäftsführer und Gründer der Klartext-Verlags.
Dirk Schmidt: CDU-Ratsherr in Bochum und Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Ruhrparlament.
David Schraven: Der Gründer von Correct!v und Mitbegründer der Ruhrbarone wird die Veranstaltung moderieren.
Der VEB-Atlas auf Correct!v:
Der VEB-Atlas auf den Ruhrbaronen:
VEB-Atlas Ruhr: Der Filz ist nicht nur rot im Ruhrgebiet
VEB-Atlas Ruhr: Die Ruhrgebietsstädte und die Energie
VEB-Atlas Ruhr: Woher kommen die Daten?
VEB-Atlas Ruhr: Die Filzdecke des Ruhrgebiets wurde ein wenig gelüftet
Stefan,
zur Frage der "richtigen" Unternehmensform:
Alle von Dir aufgezeigten Probleme hat der Rat einer Stadt zu bedenken, wenn er über die "richtige" Unternehmensform befindet. Er hat die jeweiligen Vor- und Nachteile abzuwägen -in transparent, in öffentlicher Diskussion. Seine dann getroffene Entscheidung ist dann eine begründete udn insofern in jedem Falle vertretbare, aber selbstverständlcih auch eine, die auf Widerspruch stoßen wird.
Dabei geht es zunächst um eine Grundsatzentscheidung:
Soll das Unternehmen r e c h t l i c h selbständig sein, also nicht Teil der "juristischen Person" Stadt oder
r e c h t l i c h unselbständig,also Teil der "juristischen Person" Stadt.
Jedermann kann nanchvollziehen, daß ein rechtlcih selbständiges Unternehmen weit weniger dem Einfluß städtischer Organe -des Rates, des OB- unterliegt als ein rechtlich unselbständiges.
Bei den rechtlich unselbständiges ist zu unerscheiden zwischen
a.) dem Regiebetreib, der nicht nur rechtlich, sondern auch organisatorisch, personell, wirtschaftlich Teil
Verwaltung der Stadt ist und der jedem Amt, jeder Abteilung gleichgestellt ist;
b) dem erwähnten Eigenbetrieb, der zwar rechtlich unselbständig, aber organisatorisch, personell, wirtschaftlich weitgehend verselbständigt ist.
Viele städtische Entsorgungsunternehmen -Abfall, Abwasser,Straßenreinigung- wurden -und werden noch-in dieser Rechtsform geführt. HIer ist rechtlich, wie von Dir, Stefan, dargelegt, eine unmittelbare "Unternehmensteuerung/Unternehmenskontrolle" durch die Organe der Stadt -Rat/OB-weitgehend gewährleistet. Ob sie de facto immer "hinreichend" wahrgenommen wird, muß von Fall zu Fall "nachgefragt" werden -durch die örtliche/überörtliche Rechnugnsprüfung, durch Fraktionen und einzelnen Ratsmiglieder, durch kritische , durch die Medien-.
Bei den rechtlich selbständigen Unternehmen hat die Stadt alle die Möglichkeiten, die auch dem "privaten Unternehmen" offenstehen wie GmbH, AG. Und wenn die Stadt sich für eine dieser Rechsformen entscheidet, dann steht sie rechtlich mit den gleichen Rechten und Pflcihten als Gesellschafter, als Aktionär dar wie jeder anderer Gesellschafter und Aktionär auch.Und das bedeutet vor allem auch, wie von Dir angesprochen, daß die Vertreter der Stadt in der Gesellschaftervesammlung, in der Aktionärsversammlung, im Aufsichtsrat primär dem Unternehmen -seinen Zielen, seinen wirtschaftlichen Interessen verpflchtet und nur sekundär den Interessen der Stadt.
Oftmals entscheidet sich eine Kommuen für die Rechtsform AG, wenn sie ein sog. gemischt-writschaftliches Unternehmen betreiben will -gemeinsam mit anderen Kommunen. Und sie hat sich für diese Rechtsormen zu entscheiden, wenn sie das Unternemen gemeinsam mit Privaten betreiben möchte. Und in den Aktinärsverammlungen und Aufsichtsräten dieser gemischt-writschaftlichen Unternehmen "liegt es in der Natur der Sache", daß die Interressen privater Aktionäre , z.B. an einer hohen Dividende nicht immer deckungsgleich mit den Interessen der Stadt sind -effektive und effiziente Erfüllung des öffentlcihen Zweckes eines solchen Unternehmens.
Seit einigen Jahren gibt es in NRW die Möglichkeit, sich bei der Gründung eiens Unternehmens oder bei dessen Umwandlung sich der von Dir erwähnten Möglichkeit der Rechtsform "der Anstalt des öffentichen Rechtes" zu bedienen. Die rechtlich selbständige Anstalt ist, vereinfacht formuliert, eine GmbH mit einigen in der Gemeindeordnung des Landes NRW geregelten Besonderheiten, die eine "erwweiterte Zugriffsmöglcihkeit (Steuerung, Kontrolle) seitens der Stadt auf dieses Unternehmens im Vergleich mit einer GmbH oder einer AG vorsehen.
In den letzten 5o Jahren hat sich vor allem in mittleren Kommunen im Bereich der Entsorgung -Abfall,Abwasser,Straßenreinigung- eine Entwicklung vollzogen vom Regiebetrieb (Amt für Abfallbeseitigng,Abwasser…) über den Eigenbetrieb zur Anstalt des öffentlchen Rechtes.
Hier und da hatte ich während dieses Prozesses bis heute den Eindruck, daß die Ratsmitglieder bei ihrer Entscheidung -vom Regiebetrieb hin zum Eigenbetrieb, vom Eigenbetrieb hin zur Anstalt- nicht immer hinreichend bewußt waren, daß sie mit jeder dieser Entscheidung politische Bestimmungs-, Gestaltungs-,Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten aufgeben würden. Letzteres kann man, wenn es dafür gewichtige Gründe gibt -efektiver, effizientere Unternehmensführung, wollen -nur muß man sich dessen bewußt sein und das dann auch so öffentliche kommunizieren.
Und noch etwas , Stefan, zu der von Dir angesprochenen Personal-Problematik (Vertreter der Stadt in den Organen der Unternehmen -in welcher Rechtsform auch immer):
"Wie im sonstigen Leben auch":
Entscheidend für Erfolge/Mißerfolge von Organisationen, also auch von Unternehmen, ist primär nciht, wie sie rechtlich verfaßt sind, sondern ob in in ihnen " richtige Leute am richtigen Platz" sind. Und da gab es und da gibt es in allen städt. Unternehmen, egal wie rechtlcih verfaßt, stets Anlaß zu "kritschem Bedenken" M.E. liegen diese personenbedingten Probleme primär nciht darin begründet, daß keine "richtigen Leute" zur Verfügung stehen, sondern darin, daß man in den Fratkionen für diese Funktionen nicht in erster Linie Personen bestimmt, die dafür als qualifiziert sind, sondern die in idie Gremien wegen ihrer Verdienste für die Partei/die Fraktion entsandt werden.
(Stefan, ich habe nciht den Eindruck, daß diesbezüglich die Personalauswahl für den Verwaltungsrat der Sparkasse sich substantiell von der Auwahl der Kandidaten in diverse Aufsichtsräte unterscheidet.)
Zur Kontrollpraxis durch den Rat gegenüber allen städt. Unternehmen -sh.z.B. über das Mittel der Beteiligusnberichte-:
Wenn jedes Ratsmiglied darauf bestehen würde, das Wesentlichste aus dem Beteiliungsbericht in einer für jedermann verständlichen Form vorgelegt zu bekommen und wenn jedes Ratsmitglied bereit wäre, ggfls. solange im Rat / im Ausschuß nachzufragen, bis auch für ihn eine anscheind komplizierte Sach-/Rechtslage klar ist, dann würde es so manches Problem, das Du ansprichst, gar nciht geben. Ich habe jedenfalls noch nie erlebt, daß "man", wenn man will, wenn man dazu aufgefordert wird, nicht jedem alles verständlich vermitteln kann, auch nicht, wenn es um die writschaftliche Betägigung einer Gemeinde durch ein Unternehmen geht.
Das Transparenzproblem ist und und bleibt für den Bund, für die Ländern, für die Kommunen weiterhin existent -sh.dazu auch die hier geführte Disk. über das sog.Informationsfreiheitsgesetz-; es ist also kein spezifisches Problem, wenn die Städte sich unternehmerisch betätigen, sondern ehe wohl ein Problem "in den Köpfen vieler politischer/adminstrativer Akteure" auf allen staatlchen Ebenen und in allen politischen Handlungsfeldern.
Bei vielen Entscheidungen würde es helfen, einfach auf das Bauchgefühl zu hören.
Warum soll sich die Stadt an Unternehmen beteiligen, die in der ganzen Welt aktiv sind?
Warum soll ich in Kohlekraftwerke investieren, wenn die politische Richtung erneuerbare Energien favorisiert?
Warum soll ich in Anleihen für Immobiliensammlungen investieren, wo die Immobilien am anderen Ende der Welt sind?
Die Zukunft ist unsicher. Die Welt ist komplex. Die Wirtschaftsweisen treffen das Wachstum für nächste Halbjahr eigentlich nie in ihren Prognosen. Experten werden oft überschätzt bzw. haben auch Interessen bzw. feste Denkrichtungen, die sie beeinflussen.
Also sollte man mit offenen Augen durch die Welt ziehen, Erfahrungen sammeln und dann seinem Gefühl trauen. Alternativ kann auch eine Stammtischmeinung helfen.
Zur Ergänzung:
Ich interpretiere die einschlägigen Vorschriften in den Kommunalverfassungen der Länder, nach denen sich Gemeinden nur dann wirtschaftlich betätigen dürfen, wenn ein dringender öffentlichen Zweck die Betätigung erfordert und wenn………………restritiv.
Das hat zu tun mit meinem Verständnis von den Aufgaben des Staates nebst sener Kommunen einerseits und den Aufgaben der Privatwirtschaft andererseits in einer sog. gelenkten Verkehrswirtschaft (in einer sozialen Martkwirtschaft).
Konkret heißt das , daß ich jede wirtschaftlche Betätigung der Gemeinde über die Versorgung (Strom,Gas,Wasser, ÖPNV) und über die Entsorgung (Abfall,Abwasser,Straßenreinigung) hinaus rechtlich für bedenklich und in der Sache für fragwürdig halte.
Darüberhinaus neige ich dazu, den Bereich der Wohnungswirtschaft aus sachichen Erwägungen ebenfalls dem zuzurechnen, was einer wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinde offen stehen muß, weil auch hier von einem dringenden öffentlichen Zweck gesprochen werden kann, der diese Betätigung erfordert.
[…] Warum sollten Politiker überhaupt anfangen, Unternehmen zu führen? Wir Ruhrbarone nutzen dafür ja spöttisch den Begriff der ‚Volkseigenen Betriebe‚. […]