Besorgnis bei jüdischen Gemeinden in Niedersachsen: Verantwortlicher für Sicherheitsbewertung jüdischer Einrichtung war Redner bei rechtsoffener verschwörungsideologischer Versammlung in Dortmund.
Am vergangenen Sonntag, 9. August, fand in Dortmund organisiert von „Querdenken231“ eine rechtsoffene verschwörungsideologische Versammlung statt, bei der gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie protestiert wurde. Dabei hielt ein Kriminalhauptkommissar aus Hannover eine Rede, die von Umsturzfantasien und der Bagatellisierung der Verbrechen des Nationalsozialismus geprägt war. Zudem forderte der Redner seine Kolleg_innen bei der Polizei sowie Soldat_innen, sich den rechtsoffenen Protesten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie anzuschließen. Am gestrigen Dienstag teilte die Polizeidirektion Hannover mit, dass der Kriminalhauptkommissar vorerst vom Dienst entbunden wurde.
Wie der Bundesverband RIAS erfuhr, war der Kriminalhauptkommissar in der Vergangenheit für die Bewertung der Sicherheitsmaßnahmen einer jüdischen Einrichtung in Niedersachsen eingesetzt. Dass dieser Beamte auf einer Versammlung auftrat, deren Organisator_innen und Teilnehmende keine Abgrenzung zu rechtsoffenen Positionen und Anhänger_innen von antisemitischen Verschwörungsmythen pflegen, sondern diese offensichtlich einbindet, hat zu einer großen Besorgnis bei Vertreter_innen niedersächsischer jüdischer Gemeinden geführt. Die Antisemitismusbeauftragte des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden von Niedersachsen, Dr. Rebecca Seidler, teilte dem Bundesverband RIAS auf Anfrage mit: „Diesen Sachverhalt nehmen wir mit großer Irritation und Besorgnis zur Kenntnis und fordern nunmehr die polizeilichen Behörden und zuständigen Politiker_innen auf, sich dieser Aufarbeitung ernsthaft und umfassend zu widmen, um entsprechende Konsequenzen daraus zu ziehen!“
Der Kriminalhauptkommissar begann seine Rede am vergangenen Sonntag u.a. mit den Worten, „Glaubt mir, ich habe mir jedes Wort reiflich überlegt“. In der Folge bezichtigte er unter anderem die Politik und die Medien der Lügen und drohte, „Es gibt nur eine Wahrheit und die wird euch alle irgendwann einholen“. Des Weiteren zog er eine Analogie zwischen den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und den Verbrechen des Nationalsozialismus: „Im dunkelsten Kapitel unserer deutschen Geschichte haben Regierende ihre Sicherheitskräfte schon einmal bedingungslosem Gehorsam unterworfen und sie für die abscheulichsten Verbrechen missbraucht“. In diesem Kontext fand auch seine Aufforderung statt, sich den Protesten anzuschließen. Von rechtsextremen Akteur_innen oder antisemitischen Verschwörungsmythen innerhalb dieser Proteste distanzierte sich der Redner nicht.
Laut eigener Aussage nahm der Kriminalhauptkommissar bereits am 1. August in Berlin an der rechtsoffenen Versammlung „Das Ende der Pandemie – Der Tag der Freiheit“ teil. RIAS Berlin dokumentierte im Nachgang der Versammlungen antisemitische Vorkommnisse im Demonstrationszug – zuvor war es zu einem antisemitischen Vorfall in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz gekommen – und stellte fest: Statt der Distanzierung und einer Absage an Antisemitismus und Rechtsextremismus bot diese Versammlung für eben solche Artikulation den öffentlichen Raum. Dies traf auch auf die Versammlung in Dortmund am 9. August zu: So konnten Vertreter_innen der selbsternannten „alternativen Medien“ ungestört von vor Ort berichten, darunter Nikolai Nerling, rechtsextremer Videoblogger, der in seinen Videos mehreren verurteilten Schoa-Leugner_innen eine Bühne bot und selbst in erster Instanz wegen Volksverhetzung verurteilt wurde.