Ohne Weiteres wird keiner zum Sockelheiligen und darf von oben auf uns gewöhnlich Sterbliche herabschauen. Das Denkmal hat in unserer Gesellschaft schon lange die Aufgabe, herausragende Menschen als Vorbild im allgemeinen Gedächtnis zu bewahren, und dann kommt da vor etwa vierzig Jahren ein junger Künstler auf die Idee, diese verklärenden, pädagogischen Erhöhungssucht aufs Korn zu nehmen und heroische Eigenschaften in Frage zu stellen, indem er Lebewesen erhöht, die nichts weiter vorgeben, als am Leben zu sein.
Stephan Balkenhol schnitzt sie aus einem Baumstamm heraus, aber während sie Gestalt annehmen unter seinen Händen, bleibt der Stamm als Sockel erhalten. Durchschnittstypen eigentlich, in denen sich viele Betrachter wiederfinden. Doch sind diese Skulpturen tatsächlich wegen ihrer unprätentiösen Schlichtheit so populär oder beruht die Sympathie vieler Kunstkonsumenten auf einem Missverständnis? Die Skulpturen kommen dem Betrachter nämlich gar nicht entgegen und biedern sich schon gar nicht an. Seltsam geistesabwesend blicken sie ins Leere, und die Frage ist, woher sie kommen und wohin sie wollen. Entrückt umgibt sie ein Geheimnis. Herausgerissen aus ihrem alltäglichen Zusammenhang wie ein Snapshot oder im plötzlichen Ascheregen erstarrte Körper. In einem Augenblick wie jeder andere hat der Künstler sie festgehalten, mit Gesichtern, in denen nichts zu lesen ist.
Balkenhols Menschen haben Tiergesichter und seine Zwitterwesen auf zwei Beinen, aufgerichtet, im Menschengewand, verblüffen uns. Seine Tierskulpturen kommen nicht niedlich daher, sie wollen nicht gestreichelt werden, sondern offenbaren uns ihr fremdes Anderssein. Des Künstlers Spiel mit der Uneigentlichkeit setzt eine gewisse Wissensübereinkunft zwischen ihm und seinem Publikum voraus. Sein Kugelfisch etwa entfaltet raffinierten Charme nur aus dem Wissen um seine Tödlichkeit.
Entlang der Duisburger Ausstellung fächert sich ein Schaffen auf, das bei aller handwerklichen Perfektion den Hauch des Fragmentarischen pflegt. Ganz in der Art der Surrealisten sind Gewissheiten ausgeschlossen, gerade dort, wo die Holzskulpturen realistisch anmuten, umgibt sie ein Rätsel. Accessoires scheinen dem Requisitenkoffer eines Mythologen entnommen. Der Kunst der Holzbildhauer entbietet Balkenol seine Referenz, in dem er die Oberfläche seiner Figuren nicht glättet sondern die Spuren des Meißels stehen lässt.
Seine Vorbilder, allen voran Wilhelm Lehmbruck, würdigt er in Werken, die – man darf vermuten leicht ironisch gebrochen – Posen und Gesten der klassischen Bildhauerei nacherzählen. Leichtfüßig überschreitet der Künstler Gattungsgrenzen, seine vorbereitenden Zeichnungen offenbaren den hohen Abstraktionsgrad des Bildhauers, seine Holzreliefs spielen mit dem Schein. Balkenhol tätowiert in einem träumerisch-ironischen Reflex eine Wolke im Stil einer Kinderzeichnung, wo Yves Klein „in einem phantastischen „realistico-imaginativen Tagtraum als Jugendlicher . . . die andere Seite des Himmelsgewölbes signierte.“
In der reichen Duisburger Ausstellung steht eine einzige Skulptur nicht auf einem Sockel. „Geist“ heißt die abstrakt anmutende Figur, ein lebensgroßes Gebilde aus Falten, das auch an Comic-Geistergestalten erinnert. Wer weiß, ob sich da nicht der Ungeist unserer Zeit verbirgt.
Die Ausstellung wird bis Pfingsten verlängert. Interessierten werden jeden Freitag Online-Führungen angeboten:
https://lehmbruckmuseum.de/veranstaltung/oeffentliche-online-fuehrung-stephan-balkenhol/
Schöner Artikel, tatsächlich ist Balkenhol auch ein Künstler, den man soll schnell nicht vergißt. Und das, obwohl seine Figuren so einfach wirken. Nach dem Lockdown sollte ich mal dahin. Ab einer 7 tage inzidenz von unter 30 werd ich mich wohl trauen.