Wissenschaftspolitik, die nicht an der jeweiligen Sache ausgerichtet ist, geht fehl, besonders dann, wenn ein Reduktionismus auf erfassbare Ziffern betrieben wird, die kaum etwas preisgeben, lediglich eine unangemessene, eine irrationale Buchhaltung. Unter solchen Bedingungen ist der Betrieb vor allem Joblieferant und Marketing-Maschine, der seit einiger Zeit über verteilbare „Exzellenzen“ für gesellschaftliches Ansehen sorgt und zusätzliche Mittel vergibt, die forschungsrelevant sein können, besonders zur Schaffung weiterer Arbeitsplätze und zum Ankauf von Gerätschaften.
Im einfachsten Fall geht es um die jeweiligen Anzahlen an Veröffentlichungen und um deren Zitierhäufigkeit. Doch über eine Qualität sagt dies gar nichts! Forschung wäre ohne einbringbare Kreativität nicht leistbar, Forschung ist auf Neues aus, auf noch Unbekanntes, nicht auf einen industriellen Ausstoß und auf Popularität. Die Mittel, mit denen gemessen wird, sind schlicht der Industrie und ihrer Produktion entlehnt.
Ist man selber nicht kreativ tätig, sondern administrativ, fällt ein relevanter Unterschied von Wissenschaften zum industriellen Komplex eventuell gar nicht auf. Die Vokabeln ‚Menge‘ und ‚Erfolg‘ sind bereits in der Umgangssprache fest verankert, dass es scheinbar völlig unnötig wäre, sich darüber Gedanken zu machen. Zudem sind sie pragmatisch abgesichert, wenn man einem primitiven Pragmatismus glauben schenkt, der sich seinerseits nur auf die Umgangssprache berufen kann. Die Umgangssprache ersetzt mögliche Grundlagen!
Der neoliberale Umbau der Universitäten hatte allerdings Gründe, auch in Bezug auf eine vermisste Leistungserbringung. Ich persönlich erinnere mich an eine in den 80er Jahren weitverbreitete Forschungsuntätigkeit des universitären Personals, besonders in den Wirtschafts-, Sozial- und Geisteswissenschaften. Doch lassen sich Kreativarbeit und relevante Ergebnisse erzwingen, und dies mit industriellen Mitteln?
Erinnert sei an Bertrand Russells „Lob des Müßiggangs“ ([1957] 2002). Russell betonte, dass tugendhafte Tüchtigkeit und rastloser Fleiß nicht zu den Merkmalen gehören, die Weiterentwicklungen ermöglichten noch ermöglichen. Der neoliberale Umbau indessen zerstört sogar, was zu motivieren war: Wissenschaften als industriellen Komplex zu behandeln, untergräbt ihre Grundlagen!
Andererseits kann ich mir aber auch nicht vorstellen, daß Präsenzpflicht für Professoren und Mittelbau und eine Pflichtveröffentlichung im Jahr die Kreativität in den Geisteswissenschaften unmöglich machen.
@ # 1 Ich verstehe dieses "Andererseits" nicht, Helmut, im Kontext jenes Textes. Du behandelst in deinem Kommentar Präsenzpflicht und Pflichtveröffentlichung wie lieferbare Dienstleistungen, als schieltests du nach dem Geld.
Reinhard, ohne Geld gibt es in den Natur- und Ingenieurswissenschaften keinerlei Forschung, weil die nicht einmal in der theoretischen Physik auf reiner Geistesleistung erfolgt. Wer in dem Bereich keine Geldmittel beschaffen kann, kann weder Diplom noch Doktorarbeiten vergeben. Das ist aber die Aufgabe an einer Hochschule. Also geht es schon um Geld. Wenigstens dort.
Bei den Geisteswissenschaften ist das anders. Aber wenn Du über Kreativität schreibst, sollte sie doch irgendwie erkennbar sein. Und da ist eine Veröffentlichung doch ein sichtbares Signal dafür, daß im betreffenden Fachgebieten Leben existiert, und genau das wollen die, die die Unis finanzieren, bzw. die entsprechenden Gutachter letztlich auch sehen. Unter dem Druck sichtbare Leistungen vorzuweisen, stehen letztlich doch alle seit Evaluierungen durchgeführt werden. Wenn dan die Frage im politischen Raum steht, ob Unis zusammengelegt werden, oder gar ganz geschlossen werden sollen, geht u.U. alles den Bach runter, auch die Freiheit des Geistes, selbst Berufungszusagen. Auch dann, wenn manche Profs das nicht glauben wollen.
@ # 3 Schade, Helmut, dass du wohl nicht verstehen willst, um was es in dem Text geht. Dabei hatte ich alles Relevante ausgeführt, kurz und bündig.
Wer öffentliches Geld will, sollte auch nachweisen, wofür er es benötigt und was die Allgemeinheit dafür bekommt.
Überspitzt dargestellt, wäre eine Alternative ein verbeamtetes Dauerphilosophieren im Liegestuhl. Ich sehe nicht, wieso die Allgemein dafür Geld spendieren sollte.
Die Allgemeinheit bewertet relevante Forschung und versucht, die effektivsten Forscher zu unterstützen. Das Verfahren ist OK. Schließlich investiert der Staat in die Zukunft.
Dass die Geldmenge ein Witz sind, insbesondere wenn man jetzt an die Milliarden-"Kredite" für Griechenland denkt, ist ein anderes Thema.
Wer ohne Druck Forschen, Philosophieren will, kann sein eigenes Vermögen bzw. das Vermögen von privaten Geldgebern einsetzen.
@ # 5 Um der überschüssigen heißen Luft ein Ventil zu bieten: Russel ging es nicht ums Geld! Auch ich habe es nicht thematisiert. Es scheint hierzulande die größte Sorge geworden zu sein, dass jemand fürs Nichtstun Geld bekommt. Um was es tatsächlich geht, steht, ich wiederhole es noch einmal, im Artikel.
@6:
In Zeiten, wo viele Menschen wenig Geld haben und Ausgaben für die Zukunft gestrichen werden (Infrastruktur, Schulen etc.), ist es natürlich wichtig, dass öffentliches Geld da eingesetzt wird, wo es einen Nutzen bringt. Dass Nutzen bewertet wird, ist deshalb auch OK. Dass der Nutzen in der Bewertung nicht klar definiert werden kann, ist auch klar. Ich habe bspw. sehr großen Zweifel an den Nutzen vieler Studien im Bereich der Sozialwissenschaften und frage mich, ob man für die Ergebnisse in vielen Fällen nicht auch einfach mal mit offenen Augen durch die Strassen ziehen kann.
Ich habe im bisherigen Leben auch die Erfahrung gemacht, dass Leistungsdruck durchaus positiv ist, um etwas zu erreichen. Aber wer als Wissenschaftler für die Forschung lebt, ist automatisch mit größtmöglichen Einsatz dabei. Leider wird es schwer,solche Forscher zu motivieren, wenn sie dank Quotenregelungen demotiviert werden. Ich habe bspw. meine ersten Erfahrungen im Studium mit den Quotenregelungen gemacht. Als Frau in MINT-Bereichen gab es dauerhafte Verträge, die Männer umschwärmten Frauen, die Gelder beantragten, weil die Genehmigungschancen gefühlt deutlich höher waren.
Dieses Vorgehen hat einige excellente Absolventen bspw. von einer Karriere in der Uni-Forschung abgehalten, da sie keine Lust hatten, ständig mit kurzen Zeitverträgen zu arbeiten, während sie täglich vor den Augen geführt bekamen, dass bspw. Leistung nicht der Maßstab war. Auch Forschung und Forscher leben also nicht im luftleeren Raum, sondern sie müssen sich gesellschaftlichen Prioritäten unterordnen. Forschungen im Bereich neuer AKW Technologien haben es zurzeit sicherlich deutlich schwerer als noch in den 70er Jahren.
Was spricht also dagegen, von Forschern auch zu verlangen, dass sie der Öffentlichkeit zeigen, was sie machen.
@ # 7 "Was spricht also dagegen, von Forschern auch zu verlangen, dass sie der Öffentlichkeit zeigen, was sie machen." Gar nichts spräche dagegen. Im Gegenteil, eine solche öffentliche Aufmerksamkeit wäre hilfreich. In der Forschung wäre man glücklich darüber, die Öffentlichkeit zur Aufmerksamkeit verflichten zu können. Doch im Grunde hat sie gar kein Interesse, allenfalls an bunten Bildern! — Aber auch darum ging es nicht im Artikel 😉
@ Reinhard Matern
"Russell" mit Doppel-S am Ende …
Bertrand Russell, Nobelpreisträger
( mein zweiter und letzter Versuch, Dir die Botschaft zu überbringen … keine Ahnung, was mit dem ersten passiert ist … sag Du es mir )
@ # 9 Danke für den Hinweis, Andreas. Der fehlende Buchstabe muss 'verschüttgegangen' sein …
Es ist schwer bis unmöglich, Forschungsarbeit zu messen.
"Zahl der Veröffentlichungen" hat dazu geführt, dass Forschungsergebnisse mehrfach publiziert/verwertet werden in etwas anderer Form.
"Reputation" der Zeitschrift, hat dazu geführt, dass Zeitschriften unfassbar teuer sind und der Öffentlichkeit maximal noch in Universitäts-Bilbiotheken zugänglich sind. Wohingegen alles, was öffentlich gefördert wird auch der Allgemeinheit zu gute kommen sollte (Open Access).
"Einwerbung Drittmittel" ist maximal für einen Fachbereich möglich. Die teuersten in der Forschung waren immer die Physiker mit ihren teuren Geräten, die sie benötigten. Zudem fördert die Wirtschaft eben Projekte aus Wirtschafts- oder Naturwissenschaften, selten aber aus den Geisteswissenschaften.
Professoren haben eigentlich eine gewissen niedrige Stundenzahl, die sie in der Woche für Lehre aufbringen müssen. An meiner alten Uni hat man als Student im Bachelor die meisten Profs nie gesehen, die ließen teilweise die komplette Lehre von den wiss. Mitarbeitern abhalten. Habe da meine Zweifel, dass einige ihren Lehrpflichten nachkamen. Aber Lehre bringt den Profs ja nicht. Allein der Forschungsoutput gemessen an bestimmten Parametern…
Wäre ja auch ne Idee, die Evaluationsbögen der Studenten miteinfließen zu lassen, welcher Prof wieviel Geld von der Hochschule bekommt, um Anreize zu schaffen, die Lehre zu verbessern.